Zitat von ET 420 im Beitrag #1094Also bei so einem "Ausbildungswauwau" wär ich wohl schreiend davon gelaufen. Dann lieber starkes learning By doing.
Gruß Karl
Hallo Karl,
der Typ war echt unmöglich. Doch es gab für ihn und uns eine Überraschung - mehr darüber in der nächsten ICE-Geschichte.
Also die 151er würde ich - wenn man mich ließe - heute noch gerne fahren. Leider hatte ich in jungen Jahren ja nur ungefähr 370 bis 380 Kilometer das Vergnügen, siehe S.19 dieses Threads.
Ohne 6-achser gehts halt doch nicht so richtig. Gerade jetzt im Herbst schlägt wieder die große Stunde der 151 und 155. Denn auch wenn die 185, 152 & Co auf dem Papier vergleichbare Grenzlasten haben, gerade auf den Rampenstrecken siehts ohne 6-achser richtig mau aus. Da nützt die Theorie herzlich wenig, in der Praxis ist man ohne 6-achser öfters aufgeschmissen, wenn die leichten Drehstromer mal wieder mangels Haftung hängen bleiben. Zudem, diese ewige Herumeierei mit dem ganzen Leichtbaugerümpel vor schweren Zügen, ständig mit Sanden an der Haftungsgrenze und trotzdem kommt der Zug nicht richtig in Schwung, ist einfach nur nervig und belastend. Da zieht ne 151 oder 155 ganz anderst ab.
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #1091[...]da stand in großen Lettern „Simulationszentrum“![...]
Hallo Kurt, da habe ich neulich auch was nettes gesehen, das ich Dir nicht vorenthalten will: :-)
Das erstaunliche ist ja nicht, dass ein Buchstabendreher passiert, sondern dass jemand beschlossen hat, dass das Schild trotzdem aufgehängt wird. Oder kann man das übersehen?
da kann ich nur ganz breit in Bönnsch sagen: nee, ne!? Und danke für das Einstellen des Bildes! @Jörg: "Gozilawerk" käme auch gut, dann fehlten zwar das /d/ und ein /l/, aber das würde wohl auch wieder niemand merken.
Es wird immer schlimmer, schreiberisch wie auch hinsichtlich von Kommentaren. Vor einigen Tagen in der ARD, 1. Programm: Im Bild zwei große Meerschweinchen beim Futtern, off-Ton-Kommentar: "Auch den Hamstern schmeckt es."
Oder, damit's nicht OT wird: Eisenbahnfilm im NDR, von Hagen von Ortloff, ansonsten Gewähr für Qualität. Es wurde u.a. eine bayerische Schnellzug-Dampflok S 3/6 gezeigt - mehrfacher Kommentar aus dem off: "... die S drei Sechstel"... Ich habe denen eine Mail geschickt, mit meinem klangvollen Titel (Lokomotiv-Betriebsinspektor a.D.) unterzeichnet, darauf hingewiesen, es heiße "S-drei-sechs", Typ und Bezeichnung der Achsfolge. Antwort: "Es handelt sich um eine Übernahme von einer anderen Sendeanstalt..." Aha, alles klar.
Der Dino im Film hieß Godzilla, eine bekannte Software heißt Gozila.
Sei es drum, die Qualität lässt zu wünschen übrig.
Wie oben schon von mir angesprochen - Fehler in den Fahrplanunterlagen, falsch aufgestellte H-Tafeln ( bspw. Hinweis für 100-Meter-Züge und wenn du dann an der H-Tafel hältst, steht hinten ein Wagen nicht an der Kante), Fehler in der La-Signalisierung (siehe Bilder oben), falsche PZB-Magnete (da lag dann mal an einer vorübergehenden La ein 2000er; an einer anderen La lag mal ein 1000er an der falschen Gleisseite, also für die Gegenrichtung wirksam) und so weiter.
langsam aber sicher geht es mit den ICE-Geschichten weiter. Diesmal:
Erlebnisse mit dem ICE, Teil 3
Der Simulator Dieses Gerät war damals in Fulda eine Art „heiliger Ort“. Er stand, neben sich Platz für den geplanten ICE-3-Simulator, in einer großen, besser: gewissermaßen riesengroßen Halle und sah von außen etwas abenteuerlich aus: Der Führerraumbereich eines Triebkopfes auf mehreren elektromotorisch bewegbaren Stelzen, vorne und teils vorne seitlich mit einer Lichtschutzplane abgedeckt, vor dem führerseitigen Fenster der Bildgeber. Am hinteren Ende gab es eine ausfahrbare Treppe, über die man das Innere erreichen konnte. Dort befand man sich zunächst in jenem Bereich, der bei jedem ICE-Triebkopf die an den Führerraum angrenzende Elektronik enthält; darunter Schrank 14, der „liebe Gott des Zuges“ – ohne Schrank 14 ging nichts, in ihm waren u.a. die Einschübe des DAVID untergebracht. DAVID: Digitales Aufrüst-, Vorbereitungs-, Informations- und Datensystem. Darauf komme ich später noch zurück. Durch die vorbildgerechte Tür erreichte man den großzügig 1:1 nachgebauten Führerraum. ICE1 und ICE2 unterschieden sich dort lediglich in der Bauart der Bildschirme: Während beim „Einser“ noch monochrome Bildschirme Verwendung fanden (Entwicklungsfrage), besaß der „Zweier“ bereits Farbmonitore, die auch die wesentlich schnellere CPU dokumentieren konnten, indem sie jenen „Killefitz“ anzeigten, der beim behäbigeren ICE1 schlicht unterging. Der „Zweier“ war damit das sensiblere und mehr an den Nerven sägende Fahrzeug, weil er jeden unwichtigen Kram per Sprachausgabe („Störung, Störung, Störung!“) und Bildschirmen meldete, den Lokführer so brennend interessierende Dinge präsentierte wie „Störung, …, …! Mittelwagen 4, Tür 2L Schließzeit größer 1,5 Sekunden“. Ach ja.
Zurück zum Simulator. Nicht nur der ICE-Führerraum war exakt nachgebildet, auch der „Maschinenraumbereich“ hinter dessen Eingangstüre, wie oben bereits angedeutet. Die LSS waren ebenso funktionsfähig wie die relevanten Teile der Elektronik; dort von der Steuerzentrale im Nebenraum eingespeiste Fehler und komplexe Störungsvorgänge ließen sich somit praxisgerecht nachvollziehen. Mehrere kleine Lautsprecher erzeugten die typischen Geräusche des ICE. Die vom Bildgeber gelieferte optische Simulation von Strecke und Umgebung war recht beeindruckend, wenn auch Details wie Fahrdrähte, Hektometertafeln usw. unnatürlich wirkten. Dies war wohl der 1997er Technik geschuldet; obwohl insgesamt eine Animation entstand, die in Verbindung mit den Bewegungen des Simulators binnen kurzem eben die Simulation vergessen machte und „echte“ Fahrkonzentration erzeugte. Gewiß kann man diesbezüglich heute mehr: wenn ich an die rasante Elektronikentwicklung denke, bin ich ziemlich sicher, daß moderne Simulatoren deutlich exakter wirken. Faszinierend fand ich das vermittelte „Fahrgefühl“ in Verbindung mit Ton und Bild. Ging’s über eine im Bild auftauchende Weichenverbindung, ruckelte und schüttelte der Simulator, man hörte das Geklacker der Räder. Beim Bremsen entstand ein vorbildgerechtes Verzögerungsgefühl in Abhängigkeit der gewählten Bremsstufe. Wie ich bei der „Mitschau“ von außen sah, stellten die Servos den Triebkopfteil vorne tiefer, wodurch dieses frappierende Verzögerungsgefühl erzeugt wurde. Man erklärte uns, diese Servoantriebe seien mit Elektromotoren ausgerüstet, weil der hydraulische Vorgänger als Folge von Ölundichtigkeiten „eine richtige Sauerei“ gewesen sei. Der „Operator“ in der Steuerzentrale konnte sämtliche beim ICE möglichen Unstimmigkeiten und Störungen darstellen – da lernten wir, wie es sich anhört und anfühlt, wenn ein Triebkopf ausfällt, in „Steuerwagentraktion“ oder mit abgeschalteter Generatorbremse zu fahren war.
Und vor und nach diesen „Feeling-Stunden“ hieß es immer wieder: An den Computer, den ICE durchackern, was für mich (siehe Teil 2) endlose Schreibarbeiten bedeutete. Ich sehnte den ersten Fahrtag herbei, wollte endlich einen ICE richtig, real, wirklich fahren, wollte die Kurzeindrücke der „Schnupperfahrt“ auf bekannter Strecke mit der Erfahrung auf der Neubaustrecke verbinden, das „Wesen ICE“ damit eingehend kennenlernen. Wermutstropfen: Auch an Fahrtagen war vor oder nach der Tour „learning by PC“ angesagt – zum Mäusemelken…
Unmögliche Frage Wir waren mal wieder im Simulator zugange; der Ausbilder erklärte sämtliche Funktionen des DAVID (wie bereits gesagt: mehr dazu später) und seine praktischen Auswirkungen auf den Fahrbetrieb. Dann folgten einige Betrachtungen zum Simulator selbst und wie sehr er die Ausbildung erleichtere. Dem vermochte ich mich nur hinsichtlich des Übungseffektes anzuschließen: Während einer simulierten Fahrt ließen sich logischerweise wesentlich mehr „Unpäßlichkeiten“ einbauen, als das im wirklichen Betrieb möglich ist. Daraus resultiert der „dichtere“ und mehr Stoff vermittelnde Unterricht. Doch ich glaube nicht, so sagte ich, daß man einzig und allein per Simulator den Umgang mit einer neuen Lok oder eben dem ICE lernen könne – dazu gehöre die Realität. Dem stimmte der Ausbilder, auch solch ein „fuldaisch“ ernster, knochentrockener Typ, erstaunlicherweise zu und betonte, genau aus diesem Grunde fänden ja die drei Fahrtage statt. Konsens, endlich mal… Wobei, das muß ich hier unbedingt einfügen, „Fahrtag“ nicht mit einem ganzen Tag gleichzusetzen war! Es ging einmal nach Frankfurt HBf und zurück nach Fulda, zweimal schließlich über die Neubaustrecke bis Kassel-Wilhelmshöhe. Danach hieß es wieder: Am PC rummachen. Wir absolvierten jeder eine weitere Simulatorfahrt; dabei entstand deutlich spürbar zunehmende Routine, die bei mir dieses Kribbeln in den Fingerspitzen auslöste, das besagte: Ich will einen richtigen ICE fahren, nicht nur dieses Spielzeug namens Simulator. Das gestand ich dem Ausbilder, der allerdings wegen des Begriffs „Spielzeug“ echt sauer wurde und mich zurechtwies, der Simulator sei kein solches, sondern das wichtigste Ausbildungsmittel überhaupt und voll ernstzunehmen. Ja, doch – beruhig‘ dich, Junge! Er moserte weiter rum, also mußte ich ihn blockieren: „Sach‘ mal, habt ihr auch die Strecke nach Frankfurt HBf im Simulatorprogramm?“ „Natürlich. Willst du die mal fahren?“ „Ja, sehr gerne – und am Ende simuliert dort auf den Prellbock knallen, in der Realität traut man sich das ja nicht, doch im Simulator … könnt ihr das im Programm eingeben?“ Heinz legte nach: „Und wenn der Kurt simuliert auf den Bock donnert, ist das im Tonprogramm auch drin? Und was zeigt dann der Bildgeber? ‚Game over‘, ‚Tilt‘, oder was?“ An dieser Stelle rastete der „Instruktor“ aus, er tobte: „Das darf doch nicht wahr sein! Kein Respekt, nur dummes Zeug im Kopf…!“ Robert, grinsend wie das vielzitierte Honigkuchenpferd, zog den Schlußstrich: „Dann machen wir wohl für heute besser den Schirm zu, gell?“ „Macht, daß ihr rauskommt…!“ Der Ausbilder war wütend, als ob wir ihn persönlich beleidigt hätten. Das nennt man wohl „Identifikation mit der Materie“? Oder doch eher „sklavisches Glauben und Gehorchen?“ Während wir den Simulator verließen, fiel mir eine Wendung des großen Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch ein, die ich getragen-ernst abließ: „1168 – Rabanus Maurus wird Abt von Fulda. 1171 – beigesetzt im Dom zu Speyer … so schnell geht das…“ Ohne Gewähr für die Richtigkeit der Jahreszahlen, doch den Zweck erfüllte es: Der Ausbilder warf uns eine LA hinterher und wir verzogen uns, der Feierabend mit einem guten Essen im Balkanrestaurant erwartete die drei renitenten Auszubildenden.
Oh Kurt! Du bist doch bitte nicht der Meinung, das sich das behäbige Bild im Simulator geändert hat. Was man so im Vorfeld gehört hatte, machte einen neugierig! Um so grösser war die Ernüchterung als ich am Simmulator in Saarbrücke meine erste Übungsfahrt absolvieren durfte. Da ist ja jeder uralte Trickfilm vielversprechender! Bei den Simulatoren sind einige Baureihen zusammengefasst, obwohl sie nicht zusammengehören. Damit geht auch das 1:1 teilweise verloren. In Saarbrücken ist es z. Bsp. die Baureihe 101 / 145 / 152, die in einem Simulator vereint sind. Sonst hast Du natürlich recht, was die Fahreindrücke am Sim rüberbringen. Allerdings finde ich Beschleunigung und Verzögerung unrealistisch. Auch das Fbrv wirkt extrem strammstufig. Da muß man Kraftsport machen, um am Hebel ziehen zu können!
Und dennoch, Du hast hier wieder einmal eine super Episode rüber gebracht. Eure "wie weit kann ich gehen bis es knallt" Mentalität durfte natürlich nicht fehlen. Und ich konnte es mir sowas von bildlich vorstellen, wie der Instruktor abging... Ein Zäpfchen war wohl ein Sch...dreck!!!
so, hat sich also nichts in Richtung natürlichere Bildwiedergabe getan... Dabei wäre heute doch (fast) alles möglich. Ob es eine Kostenfrage ist? Erstaunlich dennoch, daß sich nach einiger Zeit im Simulator Praxisbezüge einstellen.
Danke für das Lob! Na ja, ich bemühe mich halt, die Sache unterhaltsam zu machen, ohne dabei die Fakten zu vergessen. Schreiben macht mir halt einen Riesenspaß...
nun folgt eine hoffentlich unterhaltsame Geschichte, in der ich von der ersten Lernfahrt mit einem wirklichen ICE erzähle. Es begab sich am Donnerstag der ersten Ausbildungswoche; mit Wissen angefüllt dank Simulator und CAT (Computer Aided Training), konnte eigentlich nichts schiefgehen. Oder doch?
Erlebnisse mit dem ICE, Teil 4
Viele Köche verderben den Brei Der frühe Morgen des „historischen“ Tages, an dem Heinz, Robert und ich unter den Argusaugen des Ausbilders unsere erste „richtige“ Fahrt mit einem ICE durchführen sollten, zeigte sich grau und verhangen; es hatte ausgiebig geregnet, dann wurde es kurzzeitig trocken. Während wir auf dem Bahnsteig, nahe dem Ausfahrsignal, in Fulda auf unseren Zug warteten, setzte hauchfeiner Nieselregen ein: Horrorwetter für den sensiblen ICE. Die Regenschirme aufgespannt, standen wir da und ließen faule Witze vom Stapel, die den Ausbilder mal wieder gar nicht freuten, wie etwa den: „Also Kannibalismus hat was, so ’n Ausbilder, in Butter mit Cayenne-Pfeffer und Oregano kross gebraten, am Knochen noch leicht rosa … doch, lecker!“ – „Fällt das nicht unter Mord oder Totschlag?“ – „Nee, nur unter Mundraub!“ Notgedrungen tat der arme Kerl so, als fände er Gefallen an dem Quatsch. Was hätte er gegen drei spottsüchtige, von dem Computerkram genervte und gestreßte, altgediente Lokführer machen können oder sollen? Nach einiger Zeit aber gaben wir die Spöttelei auf, versicherten dem Ausbilder, daß alles nicht böse gemeint gewesen war, wir einfach nur ab und zu Frust abbauen müßten. Er hat das dann auch eingesehen, wie der Kabarettist Rüdiger Hoffmann formulieren würde.
Endlich kam unser ICE, langsam, ein „Einser“, den wir die 114 Kilometer lange Strecke bis Frankfurt zu fahren hatten. Wer von wo bis wo der Mann am Zugkraftsteller sein würde, hatten die perfektionszwängigen Fuldaner bereits am Tag zuvor ausgeknobelt: Jeder sollte eine möglichst gleich lange Strecke absolvieren und je eine Besonderheit ausführen, wie Bremsmanöver an den Prellbock (bis kurz davor, versteht sich), Wende mit Übergabe an den Ablöser, Übernahme der Rückleistung mit Wende-Procedere, am Ende der Rückfahrt elegante Punktbremsung in Fulda. Ich war – Zufall der Planung – als erster dran, sollte etwa die halbe Strecke bis Wächtersbach fahren, wo während der Fahrt „fliegender Wechsel“ stattfand; ab dort übernahm Robert den Zug. Ich mußte mich deshalb mit dem echt komplizierten Wendemanöver in Frankfurt nicht befassen. Zum Glück, denn da hatte ich noch erhebliche Wissenslücken. Warum? Das war mir auf dem Bildschirm und im Simulator alles zu abstrakt, mein Lernsystem fand keine Verknüpfungspunkte, dazu braucht es „das lebende Objekt“. Damit fiel auf Robert die „Ankunftswende“ und Heinz war derjenige, der die „Abfahrtswende“ mit ICE-typischer Bremsprobe in Frankfurt durchführen mußte und anschließend bis Hanau fahren sollte. Dort übernahm Robert wieder bis Wächtersbach und ich den Rest bis Fulda – mit der „soft-touch-Bremsung“ im Zielbahnhof. Weil unser Heinz damit die wenigsten Kilometer abzuspulen hatte, war vorgesehen, ihn am kommenden Dienstag die gesamte Strecke von Fulda nach Kassel-Wilhelmshöhe fahren zu lassen, zugelassene, LZB-geführte Höchstgeschwindigkeit auf der Neubaustrecke, die ich gerne wie folgt definierte: „Rein in den Tunnel, raus aus dem Tunnel, durch den Einschnitt auf die Brücke, in den Tunnel, raus aus dem Tunnel…“ Toll. Wen wundert’s, daß die schlagfertigen Berliner den ICE mit dem Spitznamen „Tunnelratte“ bedachten?
Wie gesagt, unser ICE bewegte sich vorsichtig und langsam den Bahnsteig in Fulda entlang; der Kollege wollte angesichts der glitschigen Schienen nichts riskieren. Recht hatte er!
Wir übernahmen den Zug, ich setzte mich in den Führersitz, stellte ihn für mich passend ein (Höhe, Federung, Entfernung zum Führerpult, horizontale Lage der Armlehnen), quittierte die Übernahme durch die entsprechende Tastenbedienung der Indusi (hmmm … war’s „Wachsam“ und „Frei“ gleichzeitig? Lücke in der Erinnerung.) Der anbringende Lokführer verzog sich nach kurzem Abschiedsgruß in einen der Mittelwagen. Abfahrauftragssignal. Drehschalter „Türen schließen“ nach Mitte (links und rechts Türen zu), warten, bis die zuvor blinkenden gelben Leuchtmelder „T“ erloschen waren. Nun gab ich vorsichtig Zugkraft, etwa zwei Tonnen je Fahrmotor, singend nahm der ICE Fahrt auf – und bei 40 km/h begann er zu schleudern. Leistung runter, wieder gaaanz sanft hochregeln … 50, 60, 70 km/h … und wieder Schleudern wie auf Schmierseife. „Es ist beim ICE absolut legitim, zum Beschleunigen Sand zu geben, wenn so ein Schienenzustand herrscht wie jetzt“, erklärte der Ausbilder. „Ja? Hm, das ist für mich Neuland“, antwortete ich, „wir haben damals gelernt, Sand sei nur zum Bremsen da.“ Er lachte: „Stimmt, habe ich auch gelernt. Aber damals hatten die Loks bei kleinerer Leistung höhere Achsdrücke. Der hochgezüchtete ICE braucht in Fällen wie jetzt einfach Sand, sonst kommst du nicht in die Gänge!“ Während seiner Worte hatte ich „Sanden alle Achsen“ gedrückt und den Zugkraftsteller weiter vorgeschoben, bis auf drei Tonnen je Fahrmotor, was der linke der beiden Bildschirme exakt dokumentierte. Es war mir ein ungutes Gefühl, zum Beschleunigen Sand zu verblasen, Sand, den man womöglich anläßlich einer haarigen Bremsung nötiger brauchen würde. Das sagte ich dem Ausbilder, der dagegenhielt, erstens hätte der ICE größere Sandvorräte als üblich, und zweitens verfüge er über Magnetschienenbremsen, „… mit denen kannst du den Zug am Gleis festnageln“, schloß er seine Ausführungen ab. Nun denn, ich war ja in Fulda, um Neues zu lernen. Blick in den Buchfahrplan: 160 km/h laut Spalte 2. Der ICE lief vorzüglich, die Beschleunigung zeigte sich trotz Nieselregen dank der „Sandzugabe“ beachtlich. Dann: Tacho stieg auf 150, 155 km/h, Leistung zurücknehmen, Sandtaster loslassen, weiter in Handsteuerung auf 160 km/h. „Du kannst ihm jetzt ruhig die AFB geben“, empfahl der Ausbilder. „Bei dem Wetter?“ „Na klar, du paßt ja auf.“ „Okay“. Zugkraftsteller nach Null, V-Soll-Steller auf 160, Zugkraftsteller auf mittlere Leistung – und die AFB übernahm. Obwohl ich bereits auf der E 103 und später der E 120 Erfahrungen mit der automatischen Fahr- und Bremssteuerung sammeln konnte, war mir diese Technik im tiefsten Inneren nicht geheuer: Mein persönliches „feeling“ einem Haufen Chips überlassen? Zugegebenermaßen aber stellte die Automatik eine wesentliche Entlastung des Lokführers dar, indem sie ihm Routinehandlungen abnahm. Trotzdem … fossiles Empfinden… Laut Buchfahrplan näherten wir uns einer Geschwindigkeitssenkung. Und ich machte es so wie bei der E 120: AFB raus, bremsen von Hand auf die neue Geschwindigkeit, AFB wieder aktivieren. „Du traust nur dir selbst, wie?“ Der Ausbilder grinste verständnisvoll. „Zumindest, bis ich Erfahrung mit dem ICE habe, genau weiß, wie er wann reagiert. Doch bei schlüpfrigen Schienen scheint mir die manuelle Bremssteuerung grundsätzlich sicherer, weil er mit AFB ja Vorrang generatorische Bremse einsteuert – und dann gibt’s ‘ne Rutschpartie.“ „Da ist nichts gegen zu sagen“, kommentierte der Ausbilder und ergänzte: „Langsam komme ich mit euch Rheinländern klar. Ihr wirkt immer so lässig, darum dachte ich, ihr wärt auch legér im Dienst…“ „Sind wir“, warf ich lächelnd ein, „aber dabei hat der Betrieb dennoch absolute Priorität! Weißt du, man kann sich total verbiestern, oder aber bei Anwendung aller Fachkunde die Sache auch mit Spaß an der Freude angehen.“ „Verstanden! Seid nicht sauer, wenn ich im Simulator manchmal ein bißchen heftig war. Da ist soviel zu erklären, daß ich Sorgen hatte, angesichts eurer Spöttelei bekäme ich den Lehrstoff nicht durch.“ „Keine Angst“, beruhigte ich ihn, „wir kapieren auch während des Lachens…“ „Und dabei eher besser“, schob Heinz nach.
Durchfahrt Wächtersbach. „Robert, du bist dran“, sagte ich und wandt mich, den Sifa-Handtaster festhaltend, aus dem Führersitz, bediente den Taster kurz, Robert saß und übernahm, indem er die rechte Fußspitze auf das Sifa-Fußpedal stellte.
Hanau – unbekannter Bahnsteig, Robert wendete die richtige Bremstechnik an: Manuell, knapp 60 km/h am Bahnsteiganfang, Zielpunkt anpeilen. Und mit dem ICE, der bremstechnisch ungefähr so fix wie ein PKW reagierte, gab es keine Probleme, genau auf den Punkt zu gelangen. „Haste jut jemacht“, lobte ich, setzte ein fieses Grinsen auf und fuhr fort: „und dann in Frankfurt sauber vor den Bock … vor, nicht drauf, gelle?“ Heinz meinte: „Dat schafft der schon. Robert, denk‘, du wärst auf deiner 750er Kawa, dann klappt alles besser…“ „Ihr könnt einem Mut machen…“ Robert schüttelte den Kopf. Was soll ich noch lange rumerzählen: Er stellte den ICE mit seinen zwei Triebköpfen und zwölf Mittelwagen sauber vor den Prellbock, mit etwa zwei Meter Abstand spektakulär nahe, doch mit hinreichend „Luft bis zum Crashpunkt“. Das Problem war, daß man das vordere Zugende nicht sehen konnte, auf Gefühl fahren mußte. Ich nahm mir vor, irgendwelche Merkpunkte auszuloten, was mir später, nach mehreren Alleinfahrten, dann auch gelang.
Zeit für einen Kantinenbesuch. Rindswurst mit Brötchen, vitaminfrei und kalorienreich. Nun ja, die Vitamine würde es abends geben, im Balkanrestaurant, bunter Salat plus irgendwas Chices á la Speisekarte. Ich hatte den Kollegen bei unserem ersten Besuch dort wesentliche Punkte der Speisekarte erklärt, die Bezeichnungen der Gerichte verdeutlicht: „Lustiger Bosniak“ – da kommt einer und tanzt auf dem Tisch; „Schindelbraten“ – ein panierter und gebratener Dachziegel. Und so weiter.
Rückfahrt. Heinz hatte die Wende-Übernahme einwandfrei durchgeführt (ich knabberte immer noch an der Vorgehensweise, es klemmte mental). Er brachte den ICE mit exakt 40 km/h durch die Weichenstraße, ging auf AFB und „gab Gas“. Der Regen hatte aufgehört. Eine gute Weile hinter Hanau übernahm Robert wieder – und es begann erneut zu regnen. „Hast du irgendeinen Vertrag mit dem Wettergott?“, frotzelte ich. „Logisch! Gibt es was Schöneres, als im Regen zu fahren? Du Ei!“ Es ging planmäßig voran, der Tacho zeigte 160 km/h, wir spielten die diversen Modalitäten der Bildschirmanzeigen durch. Richtig spannend. Wir sprachen gerade darüber, welche Einstellung die aussagefähigste und praxisbezogenste sei, als Heinz ausrief: „Oh Kacke, bremsen, die 90er Langsamfahrstelle…!“ Robert fegte den Zugkraftsteller nach Null, gab „Sanden alle Achsen“ und zog, nach Drücken der Taste „Bremsrechner aus“, den Griff des Führerbremsventils in die Vollbremsstellung. Mit gut 140 km/h jagten wir im Nieselregen an dem LF-Signal vorbei, „Indusi Wachsam“, jetzt noch zwanzig Sekunden, um unter 95 km/h zu kommen. Das dumme Gefühl, wie die Gleitschutzregler im Zuge ansprachen, Längsschwingungen zeitweises Gleiten verdeutlichten, die Sekunden tickerten dahin … Robert, voll auf den Bremsweg konzentriert, ließ in Gedanken den Sandtaster los, ich hechtete rüber und drückte ihn erneut … und gleichzeitig mit dem Abblasen der Hauptluftleitung mahnte die Sprachausgabe: „Zwangsbremsung, Zwangsbremsung, Zwangsbremsung!“ Mit einem ziemlichen Ruck kam der ICE zum Stehen. Im Streß drückte Robert – völlig sinnlos – den Kipptaster „Stromabnehmer nieder“, Heinz wollte beim Bedienen des Führerbremsventils helfen und schloß es in Vollbremsstellung ab – auch eine Kurzschlußhandlung. „Störung, Störung, Störung!“, quittierte die Sprachausgabe. Nun griff der Ausbilder ein: Wie ein Feldwebel rief er: „Alle Mann Finger weg vom Führerpult! An die Rückwand und nix anfassen!“ In panischen Fehlreaktionen hatten wir den Zug regelrecht sabotiert: Durch das Abschließen des Führerbremsventils konnte nach Bedienen von „Indusi frei“ die HLL nicht füllen, was DAVID als Störung interpretierte und die Sprachausgabe in Gang setzte. Die gesenkten Stromabnehmer freuten das digitale Überwachunssystem auch nicht recht. Langer Rede kurzer Sinn: Der Ausbilder legte per Tastendruck an der Schalttafel (Führerraumrückwand) die Federspeicherbremsen an, schloß das Führerbremsventil auf, brachte es in die Schnellbremsstellung, Stromabnehmer hoch und Hauptschalter ein, der Luftpresser lief an und erhöhte den Druck in der HLB (Hauptluftbehälterleitung) wieder auf den Regelwert von 10 bar. Führerbremsventil in Stellung „Fahren“, die Hauptluftleitung füllte auf 5 bar, nach einiger Zeit kurzer Test in Mittelstellung: ja, HLL gefüllt und dicht. Zurück in Fahrstellung. Federspeicherbremse lösen, Antakten, Steuerbefehl wurde akzeptiert, unser ICE setzte sich in Bewegung. Robert, noch immer leicht angeschlagen wegen der Zwangsbremsung über die angehängte Geschwindigkeitsüberwachung, räumte den Führersitz und sagte zu mir: „Du bist doch jetzt sowieso mit Fahren dran.“ War ich. Und während ich den Sitz zurechtfummelte, meinte der Ausbilder: „Wenn ihr nochmal Teamwork veranstaltet, dann aber bitte richtig!“ Wir mußten lachen, der Ausbilder ebenfalls. „Viele Köche verderben den Brei“, zitierte Heinz gemütvoll das alte Sprichwort.
Wenigstens gelang es mir, in Fulda – das Wetter war wieder auf sonnig umgeschlagen – den ICE elegant an den Bahnsteig zu setzen: freie Ausfahrt, 80 km/h am Bahnsteiganfang und ohne Gefummel mit nur einer Druckwertkorrektur an die H-Tafel. Scharte teilweise ausgewetzt – wenigstens das…
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #1113..... quittierte die Übernahme durch die entsprechende Tastenbedienung der Indusi (hmmm … war’s „Wachsam“ und „Frei“ gleichzeitig? Lücke in der Erinnerung.) ...
Moin Kurt,
ich weiß zwar nicht, ab es mit dem quittieren der Indusi schon immer so war, bei der 151 geht es derweil auch schon so, im Stillstand Taste "Wachsam" gedrückt halten, bis Sprachausgabe / Tonsignal ausgegeben wird. Sind glaube ich 4 Sekunden. "Wachsam" und "Frei" gleichzeitig zeigen die aktuell eingestellten PZB Werte an, BRemsArt, BRemsHunterstel, ZugLänge und HöchstGeschwindigkeit nach Fahrplankopf. Bei Altbau gibt es aber auch noch die Variante des quittierens der Indusi bei Personalwechsel, den Fahrtrichtungsschalter nach "0" zuverlegen und dann wieder nach "V". So ist es mir zumindest in der Ausbildung beigebracht worden. In wieweit heute noch aktuell, entzieht sich meiner Kenntnis. Wird doch soviel "modernisiert" und "angepaßt".
Aber über Euer Teamwork zum "Plattmachen" des ICE habe ich herzlich lachen müssen. Ich habe sogar eine Vermutung, was Mitauslöser der ganzen Fehlhandlungen war. Bei den Altbaumaschinen sind die Taster für Stromabnehmer und Hauptschalter sowie PZB in ungekehrter Führerpultreihe angebracht. Also wo sich bei Neubaufahrzeugen die PZB befindet sind bei den alten Fahrzeugen Stromabnehmer und Hauptschalter bzw umgekehrt. Da war was in "Fleisch und Blut"....
Dennoch wieder eine sehr interessante Geschichte. Erinnert mich auch ein stückweit an meine Ausbildung...
stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein: "Wachsam" und "Frei" gleichzeitig = Anzeige der Zugdaten, "Wachsam" im Stand 4 sec drücken, bis Hupe oder Sprachausgabe kommt = Personalwechsel quittieren.
Mit dem Verlegen des Richtungsschalters geht es natürlich auch, habe ich damals bei meiner "Piratenfahrt" mit der 151 so gemacht, inkognito bleiben...
Der ICE reagierte auf diese Art der Meldung allerdings zuweilen unwirsch, bis hin zum Absturz der Bildschirmanzeigen. Wir haben das im Stand ein paarmal ausprobiert und stellten unterschiedliches Verhalten der Züge fest. Fazit: Nicht machen, riskant. Warum der ICE so antwortete? Keine Ahnung, lag wohl am Schrank 14, dem größten Weltgeheimnis seit der Sintflut... (grins)
Und schön, daß Dir unser fachlich hoch kompetentes Teamwork gefallen hat... Wir waren schon echte Koniferen.
das Schreiben der nächsten ICE-Geschichte erweist sich als recht komplizert, weil ich Euch auch einige technische Zusammenhänge schildern möchte. Dieser Zug ist vollgepackt mit elektronischen Systemen, deren Aufgaben und Funkionen ich zumindest grundsätzlich darstellen werde. Der ICE war (ist noch immer) etwas Besonderes und dem will ich gerecht werden. Daher bitte ich Euch um ein wenig Geduld - spätestens am kommenden Wochenende gibt es an dieser Stelle die fünfte Folge zu lesen.
Ausbildung für ÖBB ... das war immer mein Traum, nur von Köln aus ja viel zu weit weg. Wunderbare Strecken - der Pinzgau (meine "zweite Heimat"), Salzachtal, Lendpaß, Semmering ... ich wünsche Dir viele schöne Kilometer auf der ÖBB...!
Danke schön! Bei mir wirds aber überwiegend Tauern- und Brennerpass werden, wenns gut geht vielleicht mal Schoberpass. Ab Villach dann entweder Jesenice (SLO) oder Tarvisio Boscoverde (IT). Bin gespannt was am Ende rauskommt, die ganze Sache ist sehr anspruchsvoll.
Gruß Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
und nun möchte ich endlich einige technische Daten zum ICE nennen. Hierbei bitte ich um Verständnis für die meistenteils stark verkürzte und reduzierte Darstellung: Dieser Zug ist dermaßen mit Technik vollgepackt, daß lückenlose Beschreibung infolge der Datenmenge einfach unmöglich ist. (Und die 216seitige Arbeitsmappe mit teils auf DIN-A4-Dreifachbreite ausklappbaren Blättern darf ich aus Gründen des Urheberrechtes hier nicht einstellen…) Doch die aufgeführten Details dürften hinreichen, ein stimmiges Bild von diesem wohl kompliziertesten Zug der Welt zu erhalten.
Erlebnisse mit dem ICE, Teil 5
Der reale ICE Am Freitag, dem Ende der ersten der beiden Ausbildungswochen, ging es endlich einmal an den echten Zug – keine Computer-Animationen, kein Simulator, nein, wir begaben uns in der Abstellgruppe des Bahnhofs Fulda auf einen wirklichen ICE1. Zuvor der obligatorische Rundgang draußen um den Zug, wobei der Ausbilder uns all das in der Praxis zeigte, was der Computer zumindest mir nicht so recht begreifbar machen konnte. Jetzt, vor Ort, am „lebenden Objekt“, verstand ich plötzlich alles, schlagartig rastete ein, was ich zuvor mühevoll per Hand nach den Angaben des Computers in meiner Kladde aufgeschrieben hatte. Nun waren die Konstruktionen der Drehgestelle von Mittelwagen und Triebköpfen klar durchschaubar: ich zumindest mußte die „Anlenkstangen“ erstmal gesehen haben, um an Hand des Einbaus ihr Zusammenwirken mit der Gesamtkonstruktion zu erkennen. Was mir im Simulator nie so recht einleuchtete, auf dem realen Triebkopf begriff ich sofort, wie die Wende durchzuführen ist, wie die Wendebremsprobe abläuft. Der Gang durch den Maschinenraum (besser: Elektronikraum) war schlicht faszinierend, nach all den Stunden der abstrakten PC-Betrachtungen konnte ich sehen, fühlen, wittern und riechen, was Sache war. Schrank 14 – übermannshoch, vollgestopft mit zahllosen Einschüben, weitere (kleinere) Elektronikschränke, die Antriebssteuergeräte, die Vierquadrantensteller, die Pulswechselrichter, der Digital-Analogwandler der Bremssteuerung, das perfekt aufgebaute Luftgerüst mit sämtlichen für die Druckluftmimik notwendigen Funktionsteilen und -gruppen … sowie ein Diskurs mit dem Ausbilder, wie man denn wohl mit kollektorlosen Asynchronmotoren die Stromrückspeisung bewerkstellige. Klarer Fall von Glatteis: Ich kannte das von der E 120, war dank des Nürnberger Werkmeisters gut informiert, er aber erklärte akribisch und genau die Phasenanschnittsteuerung á la ET 420 … grrrr. Ich hielt mich bedeckt, weil ich nicht den Angeber spielen wollte. Aber weh hat’s doch getan… Wie dem auch sei: Ich begann, den ICE zu verstehen. Hatte lange gedauert, doch dank der Praxis am realen Zug konnte mein seit Jahrzehnten bewährtes Lernsystem endlich zugreifen und speichern. Und ich habe sogar bis heute einiges behalten, weshalb ich Euch nun diverse technische Zusammenhänge nahebringen möchte.
Zunächst einige Basisdaten: ICE1 – zul. Hg = 280 km/h, je Triebkopf Nennleistung 4800 kW, Anfahrzugkraft 200 kN, Bremskraft (Stromrückspeisung) 150 kN, Dienstgewicht 80/77 t mit Thyristor/GTO-Thyristor, Oberstrom über DAVID einstellbar: 600/900 A; auf Schnellfahrstrecken 1000 A. Zu meiner Zeit verkehrte der ICE1 mit 10 bis 14 Mittelwagen. Das Gesamtgewicht eines 13-Wagen-Zuges beträgt ca. 900 t, die Länge 386 Meter. ICE2 – Triebkopf-Leistungswerte, Steuerungs- sowie Überwachungstechnik und Zuggeschwindigkeit wie ICE1; Unterschiede: Trennbares Zugsystem, bestehend aus 1 Triebkopf (TK), 6 Mittelwagen (MW) und 1 Steuerwagen (StWg). Eine solche Einheit wiegt leer 412 t und ist 205,36 m lang. Die gekuppelte Doppeleinheit mißt folglich 410,72 m und bringt 824 t auf die Schiene. Grundsätzlich werden die Einheiten mit den Steuerwagen gekuppelt (Fahrsicherheit, problemlose Stromabnahme).
Der ICE – das komplizierte Wesen
Änderungen? Hinweis: In den folgenden Darstellungen wechsele ich bewußt mehrfach zwischen Gegenwarts- und Vergangenheitsform. Dies, weil ich nicht weiß, ob der ICE heute noch so funktioniert wie zu meiner Zeit, möglicherweise wurden Systemänderungen vorgenommen. Geblieben ist mit Sicherheit die Drehgestellkonstruktion der Mittelwagen: Beim ICE1 fanden am Drehpunkt (seitliche Abstützungen) Stahlfedern Verwendung, der ICE2 dagegen verfügt über Luftfederung. Seitens des Fahrkomforts nehmen sich die beiden Varianten wenig; im Zug sitzend, dürfte „Otto Normalreisender“ kaum Unterschiede bemerken. Die Drehgestellkonstruktionen der Triebköpfe entsprechen weitgehend denen der E 101, jedoch reagierte die Federung deutlich härter und wirkte stärker bedämpft. Dies war/ist wohl ein Zugeständnis an die höhere zugelassene Geschwindigkeit (280 km/h), bei der man gewiß Aufschaukeleffekte unterbinden wollte.
Zentrale Rechnereinheiten Bereits mehrfach erwähnte ich – siehe vorherige Berichte – den Begriff DAVID. Das Kürzel steht für „Diagnose- Aufrüst-und Vorbereitungsdienst mit integrierter Displaysteuerung“. (Man kann es auch als „Digitales Aufrüst-, Vorbereitungs- und Diagnosesystem“ bezeichnen.) Das System ist in DAVID 1 und DAVID 2 unterteilt, wobei Nr.1 Steuer-, Regelungs- und Datenübertragungsaufgaben für die Triebköpfe innehat wie Überwachung und Steuerung Hilfsbetriebe, Hauptstrom, Bremsen, Zugsammelschiene, ZWG (Zentrale Weg- und Geschwindigkeitserfassung), AFB (Automatische Fahr-/Bremssteuerung), LZB (Linienzugbeeinflussung), Sifa (Sicherheitsfahrschaltung), Signalleitungen und so weiter. System 2 bearbeitet vorrangig die Daten der Mittelwagen (MW) über deren Rechnersysteme ZEUS (= Zentraleinheit für Überwachung und Steuerung MW), dazu zählen Bremsen und Gleitschutz, Türen, Energieversorgung, Klimaanlage und FIS (Fahrgastinformationssystem). DAVID 1 und 2 gaben ihre aktuellen Zustandsmeldungen auf den linken sowie rechten Bildschirm; hierbei erhielt im Regelfall der linke Bildschirm die Triebkopfdaten, der rechte die Mittelwagendaten. In der Praxis wählte ich links üblicherweise die Anzeige der Fahrmotorenzugkräfte plus Fahrdrahtspannung sowie Oberstrom und rechts das „Bremsbild“, wobei jeder Mittelwagen als leerer vertikaler Rahmen dargestellt wurde, der sich beim Bremsen zum ausgefüllten vertikalen Balken verwandelte. Damit konnte man sehr schön sehen, wie die Druckluftbremsen anlegten oder lösten. Unter diesen Rahmen/Balken fand man kleine rechteckige Rahmen, die beim Aktivieren der MG-Bremse blau ausgefüllt wurden. Links und rechts der „Bremsbalken“ fand sich jeweils die graphische Darstellung von HLL- und HLB-Druck. Alles im Blick, sehr praktisch. Die Anzeigen im rechten und linken Bildschirm ließen sich auf Wunsch vertauschen, also links Wagen, rechts Triebköpfe. „Für Linksblicker“, sagten wir scherzhaft dazu. DAVID 1 und 2 konnten im Störungsfalle gegenseitige Aufgaben übernehmen (Redundanz). Zitat: „Die Daten werden aus anderen Rechnersystemen übernommen oder mit Hilfe von Zusatzeinrichtungen (im TK z.B. IFZ-Module) an den KS, MSS, Sicherungen, Hilfsschützen, Schutzrelais (Lokschutz) HBU, HWR und Temperaturfühlern gewonnen.“ DAVID speicherte erfaßte Störungen mit Zeit- und Datumsangabe; die Störmeldungen für den Lokführer wurden nach Behebung der Störung gelöscht. Allerdings verblieben die Daten für die Instandhaltung im sogenannten NFS (nichtflüchtiger Speicher) erhalten, wo die Werkstatt sie auslesen und auswerten konnte. Ferner meldete DAVID selbstätig eventuelle Störungen an die zuständige Instandhaltungsstelle; dies konnte aber auch vom Tf mittels Drucktaster „Datenübertragung“ manuell erfolgen. Bei der Datenfernübertragung wurde auch die Speicherbelegung ermittelt. DAVID lieferte über die Displays sämtliche Betriebsanzeigen – welche man bevorzugte, war individuell unterschiedlich. Mit den rund um die Bildschirme angeordneten Tasten ließ sich jede gewünschte Konfiguration einstellen. Natürlich konnte man in Pausen auch die Störungsspeicher abfragen, doch trug es nicht unbedingt zu ausgeglichener Gemütsverfassung bei, wenn Einträge wie „Übertemperatur Trafo TK 2“ oder „Hauptschalterauslösung Erdstrom“ mit Tag und Uhrzeit zu lesen waren. Besser schien es, von diesem Bereich die Finger zu lassen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß … und dennoch spielte ich gerne dort herum… Doch DAVID leistete noch mehr: Er steuerte, vom Lokführer entsprechend programmiert, auch den Ruhebetrieb. Er brachte den Zug in die sogenannte „Schlafstellung“, wobei gleichwohl sämtliche Systeme überwacht blieben. Zur eingestellten Zeit rüstete DAVID den ICE auf, schaltete Heizungs- und/oder Klimaanlagen ein, führte Dichtigkeits- und volle Bremsprobe inklusive MG-Bremse durch, machte die Bremsberechnung und zeigte die Werte für den speziellen ICE-Bremszettel an. Des weiteren ist DAVID das Herzstück der ZWG, der zentralen Geschwindigkeitsmessung. Jede Achse des Zuges verfügt über Sensoren, die unterschiedliche Drehzahlen (Gleiten der Mittelwagen und TK, Schleudern der TK-Antriebe) erkennen, auswerten und entsprechende Steuerungsbefehle via DAVID generieren. Selbstredend überwachte DAVID auch die Temperaturwerte der elektronischen Bauteile. Eine Zahl habe ich noch im Kopf, weil ich mal haarscharf am temperaturbedingten Zugausfall vorbeischrammte: Schrank 14 durfte maximal 76° C erreichen, darüber steuerte er den gesamten ICE auf Null – mit 73° C kam ich am Zielbahnhof an … schwitz…
Die Sprachausgabe erfolgt über DAVID, zudem wurden bestimmte weitere Betriebszustände sensorisch überwacht und gegebenenfalls per Sprachausgabe gemeldet. Und noch etliches mehr, was an dieser Stelle zu weit führte. Deutlich wird, so denke ich, welch komplexe, um nicht zu sagen geballte Ladung Technik im ICE zum Einsatz kommt. Und es gibt noch mehr:
Rechnersysteme in den Mittelwagen Was DAVID für die Triebköpfe, sind die mit ihm kommunizierenden ZEUS-Systeme der Mittelwagen; ich wiederhole nochmal die Bedeutung des Kürzels: „Zentraleinheit für Überwachung und Steuerung“. Diese in jedem Mittelwagen installierten Rechner überwachen alle erdenklichen Betriebssituationen, ausgenommen die Temperaturen der Achslager; hierfür sind die ortsfesten Streckeneinrichtungen zuständig. Mittelwagen 9 (bei ICE1) ist dabei die zentrale Rechnerstelle, die ihrerseits mit den DAVID-Systemen der TK Kontakt hält. Jeder Mittelwagen (MW) korrespondiert ständig mit MW9 und folglich den Triebköpfen (TK).
Die Türen der MW verfügen über eine komplizierte, jedoch „bombensicher“ schließende, pneumatisch gesteuerte Mechanik mit einer Vielzahl von Verschlußelementen (hört mal hin, wenn die Türen eines ICE schließen!), deren jedes einzelne von ZEUS überwacht wird (Schließzeit und -zustand). Fehlerhafte Werte führen zur Sprachausgabe „Störung … …“, woraufhin der Lokführer am Bildschirm abfragen kann, was denn nun gestört ist. Das System bietet Abhilfemaßnahmen an. Und natürlich erfolgt die Trittstufensteuerung gleichfalls über ZEUS, das z.B. den vom Lokführer mittels Drucktaster eingegebenen Auftrag „Trittstufen nicht ausfahren“ durchführt und überwacht – dies war zu meiner Zeit in Hagen HBf erforderlich, wo die Bahnsteigbemaßungen nicht zum ICE paßten.
In die genannten Ruhebetriebs- und Aufrüstfunktionen sind die ZEUS-Systeme der MW logischerweise eingebunden, weil sie deren aktuelle Daten an DAVID übermitteln. Man kann schön neudeutsch von einem Master-/Slave-Verhältnis zwischen DAVID und ZEUS sprechen.
Neuartige Sicherheitssysteme Zunächst ungewohnt waren für uns auch die sogenannten Sicherheitsschleifen, vier an der Zahl, darunter versteht man durch den gesamten Triebzug geführte Überwachungsleitungen. Diese sind: Antriebssperrschleife (ASS) Schnellbremsschleife (SBS) Bremse-gelöst-Schleife (BGS) Fahrgast-Notbremsschleife (FNB) Es wäre übertrieben, würde ich nun diese Schleifen in all ihren Einzelheiten erläutern; die Benennungen zeigen deutlich genug, wozu sie dienen. Daher nur ganz kurz in Stichworten zum besseren Verständnis: Die ASS überwacht den Lösezustand der Federspeicherbremsen. Die Unterbrechung der SBS führt zur Zwangsbremsung. Hierbei wird die HLL über großvolumige Ausstoßrohre in den TK-Maschinenräumen entlüftet. Das geht mit einigem Geräusch einher, weshalb der Aufenthalt im Maschinenraum während der automatischen Bremsprobe nicht zu empfehlen ist… Dank der großen Querschnitte erfolgt eine Schnellbremsung derart rasch, daß in den Mittelwagen auf störanfällige Schnellbremsbeschleuniger verzichtet wurde. Die BGS überwacht den Lösezustand aller Druckluftbremsen im Zuge. 20 Sekunden nach der Anfahrt (in „Z“) wird die Überwachung wirksam wie folgt: Feste Bremse V < 10 km/h = Antriebsleistung aus und Vollbremsung; V > 10 km/h = Antriebsleistung aus. Die FNB ersetzt die einzelnen pneumatischen oder mechanischen Notbremsventile. Beim Betätigen eines Notbremsgriffes wird die FNB unterbrochen, die Antriebsleistung ausgeschaltet, die generatorische Bremse auf Maximum gesteuert und eine Vollbremsung eingeleitet. Die Sprachausgabe meldet „Notbremse … Notbremse … Notbremse“. Selbstverständlich ist bei der FNB die in langen Neubaustreckentunneln vorgeschriebene Möglichkeit der Notbremsüberbrückung gewährleistet.
Energieversorgung Interessant ist auch das Energiekonzept. Die Versorgung des Zuges erfolgt über zwei potentialgetrennte Zugsammelschienen (ZS), wobei jeder Triebkopf in eine der beiden ZS einspeist. Die Abnahmeleistung ist für je 500 kVA ausgelegt. Um möglichst gleichmäßige Belastung der beiden ZS sicherzustellen, muß bei der Zugbildung auf festgelegte ZS-Zuordnung der Mittelwagen geachtet werden. Bei Ausfall einer ZS wird von der Elektronik der betroffene MW automatisch auf die andere, funktionsfähige ZS umgeschaltet. Bei nur einer funktionsfähigen ZS arbeiten alle MW – mit Ausnahme des Speisewagens – nur noch mit halber Leistung (Heizung, Klima). Auch hier wirken ZEUS und DAVID zusammen.
Kupplungen, Rechnerkorrespondenzen und Störungsfälle Der ICE verfügt über automatische Mittelpufferkupplungen, die allerdings erheblich funktionserweitert daherkommen. Zunächst haben wir die übliche mechanische Kupplung als Ersatz für Zughaken/Kupplungsbügel sowie die pneumatischen Verbindungen der Hauptluftleitung (HLL) und der Hauptluftbehälterleitung (HLB). Hinzu kommen: Kupplung der Energie- und Signalübertragung, Koaxialkabel Audio/Video, Steuerleitungen 110 V, Batteriesammelschienen, Zugsammelschiene und zwei Hochleistungs-Lichtwellenleiter LWL 1 und LWL 2, die sämtliche Steuerbefehle digital getaktet (als Lichtpulse) übertragen. Damit ist klar, auf welchem Wege die permanent anfallenden enormen Datenmengen „transportiert“ werden. In den Übergängen zu den DAVID-Systemen finden wir Interfaces, welche die Lichtpulse in elektrische umwandeln, digital, Eins und Null. Die Mittelwagen bilden mit den Triebköpfen eine betriebliche Einheit; DAVID und ZEUS überwachen auch die Wagenanzahl, was im nachfolgend erwähnten Störungsfalle etliche Maßnahmen erfordert. Die Kupplungen lassen sich nach Öffnen der entsprechenden Bodenklappe im Übergangsbereich im Störungsfalle mit einem oben aufzusetzenden 36-mm-Steckschlüssel trennen – dann allerdings, und nach dem vorherigen arbeitsintensiven Lösen der Faltenbälge, kommt auf den Lokführer die gefürchtetste Störung überhaupt zu: die „Bildung eines Rumpfzuges“. Es führte hier zu weit, das en detail zu schildern, halten wir nur fest: Weil eben die TKs und die Mittelwagen betrieblich eine Einheit sind, darf kein MW fehlen. Können ZEUS und DAVID nicht korrespondieren, bzw. erkennen diese Rechner eine fehlerhafte MW-Anzahl, fährt der Zug nicht, er ist gestört. Muß aus irgendwelchen Gründen der hintere TK mit z.B. drei MW zurückbleiben (den weiterfahrenden Teil nennt man dann „Rumpfzug“), ist der sogenannte „elektronische Zugschluß“ zu aktivieren. Dies, im Verbund mit dem endlosen betrieblichen Rattenschwanz, ergibt eine Störung, die von ihrem Ausmaß her nur äußerst schwer beherrschbar gerät, weil ein winziger Fehler im Gesamtablauf der Maßnahmen zum „rien ne va plus“ führt. Nichts geht dann mehr. Sicher wird deutlich: Es ist eine körperlich anstrengende (Faltenbälge demontieren!), entsetzlich schwierige und verzwickte Angelegenheit, einen ICE zu trennen, jenen „Rumpfzug“ einzurichten und schlußendlich zu fahren. Glücklicherweise blieb mir solches Desaster erspart…!
Überschaubar dagegen sind die Vorgänge rund um den denkbaren Ausfall eines kompletten Triebkopfes. Auch das ist mir erspart geblieben, allenfalls mit dem Ausgruppieren eines gestörten Drehgestells (gemeint ist dessen Elektronik, Antriebssteuerung, Fahrmotoren) wurde ich mehrfach konfrontiert. Das aber ist keine Affäre und mit wenigen Tastenbedienungen erledigt. Heikler ist der zuvor angesprochene vollständige Ausfall eines Triebkopfes. Handelt es sich um den hinteren, wird er als Wagen behandelt, fällt der führende TK aus, muß der ICE auf Steuerwagenbetrieb umgerüstet werden: der hintere TK schiebt wie beim Wendezugbetrieb. In beiden Fällen kommen Maßnahmen hinsichtlich der Stromversorgung (Zugsammelschiene, Batteriesammelschiene, siehe: Energiekonzept) hinzu, führten aber erklärungsweise ebenfalls zu weit.
Und von der 34 Kilo schweren Notkupplung, die zum Abschleppen eines defekten ICE auf jedem Triebkopf vorhanden ist, möchte ich auch nicht weiter sprechen. Um Haaresbreite wäre ich einmal in die Situation mit einer Hilfslok geraten, doch ein verbotener Trick, den ich in der Not anwandte, ermöglichte die Weiterfahrt… „Das Zugpersonal muß beim Anbringen der Notkupplung helfen“, sagte die ICE-Vorschrift. Doch was, wenn man mit einem Leerreisezug unterwegs ist, wie ich bei meiner allerersten Alleinfahrt mit dem „Weißen Hai“? Dazu später einige Worte.
Kupplungs-Besonderheiten ICE2 Weiter oben waren die automatischen Scharfenberg-Kupplungen erwähnt. Beim ICE1 hat man damit – außer bei heftigen Störungen an Mittelwagen sowie dem Anbringen der Notkupplung – nichts weiter zu tun. ICE2 dagegen wurde betrieblich immer wieder getrennt und gekuppelt. Der „Zweier“ besteht aus einem Triebkopf, sechs Mittelwagen und dem Steuerwagen. In unserer Region lief folgendes betriebliches Procedere ab: Eine ICE2-Einheit fuhr Steuerwagen voraus ab Bonn über Köln, Wuppertal und Hagen bis Hamm. Zeitlich passend verkehrte ein weiterer ICE2 ab Köln mit Triebkopf voraus über Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund nach Hamm; er erreichte Hamm einige Minuten vor dem „Hagener Zugteil“. Er wartete in Hamm mit geöffneter Steuerwagen-Bugklappe (aktuell „Heckklappe“; es wurden regulär stets die Steuerwagen gekuppelt). Der von Bonn kommende Zugteil fuhr dann in Hamm bis zum Deckungssignal mitten am Bahnsteig; sobald es Kennlicht zeigte, startete der Lokführer das automatische Beifahr- und Kuppelprogramm. Das begann mit Bedienen der Taste „Waschfahrt“, die den Zug auf 2 km/h programmierte und damit an den vorderen Teil beifuhr. Die Software wurde so oft geändert, daß wir stets ein Merkblatt daliegen hatten und ich heute nicht mehr sagen kann, was alles zu beachten und zu tun war. Jedenfalls einiges – und wenn irgendeine Kleinigkeit nicht funktionierte, war der Hund los. Ich habe es einmal erlebt, daß der Kollege auf dem vorderen Zugteil elektronisch trennen, ich einige Meter zurücksetzen und erneut beifahren mußte – und, Glück muß man haben, es funktionierte dann. Ich erinnere mich, daß einmal die Sprachausgabe nach dem Kuppeln „Störung“ sagte, der Bildschirm etwas von Luftunterbrechung anzeigte; ich bin dann zwischen die zwei Steuerwagen, stellte unten an der Schaku einen kleinen Lufthahn auf „zu“, hernach wieder in Stellung „auf“ – und die Steuerelektronik war zufrieden, alles lief einwandfrei. Was passiert war? Keene Ahnung nich‘, wie die Berliner sagen. Die beiden gekuppelten Einheiten liefen schließlich von Hamm nach Berlin. In Gegenrichtung wurde in Hamm getrennt und die Zugteile nahmen die oben genannten Wege in umgekehrter Richtung. Beim Kuppeln und Trennen kam es bisweilen zu den verrücktesten Störungen – ich entsinne mich an dreimal Bildschirmabsturz (Neustart, kurze Einblendung Windows-Signet … so, so) einmal ging die Fahrgastnotbremsschleife auf Notbremse, eine Viertelstunde rumgehext, mit gemeinsamen Kräften (anbringender Lokführer und ich) komplett ab- und wieder aufgerüstet … Zug funkionierte, scheinheilig, als ob nichts gewesen wäre. Und zwei- oder dreimal nahm der getrennte ICE2 den Fahrauftrag nicht an, offensichtlich vermißte DAVID seine Brüder vom hinteren Zugteil, hatte den Trennvorgang nicht kapiert. Auch hier: Abrüsten, fünf Minuten warten, derweil ein inbrünstiges Gebet zum Heiligen Siemens, aufrüsten – und: Heureka, läuft! Ja, der ICE war stets für eine Überraschung gut…
Allgemeines Der ICE zeigte sich als hochsensibles Pflänzchen und mochte robuste Behandlung seitens der gefürchteten „Betriebsbären“ gar nicht. Ich habe die mir anvertrauten Loks – und folglich auch den ICE – stets „liebevoll“ umsorgt, Hau-Ruck-Bedienungen und sonstige Brutalitäten immer vermieden. Das nämlich bringt überhaupt nichts, kann nur Schäden hervorrufen, Schäden, die unterwegs eventuell ganz schön zurückschlagen. Als ich nach kurzer Zeit feststellte, daß der ICE1 beim Übergang von der freien Taktung auf die erste feste Bit-Rate oberhalb drei Tonnen Zugkraft je Fahrmotor oftmals einen heftigen Stoß im Antrieb erzeugte, gewöhnte ich mir an, mit nur zwei Tonnen anzufahren und erst nach Erreichen von ca. 20 km/h und dem Übergang in die feste Taktung höher aufzusteuern. Die Züge dankten es mit butterweichem Beschleunigen und irgendwann fragte mal ein Zugchef, wie ich es mache, ohne diesen üblichen und lästigen Ruck anzufahren… Um mich nicht zu verzetteln, fuhr ich den ICE2 genauso, obwohl bei diesem der Umtaktruck nicht auftrat (schnellere Steuerreaktion).
Ein Vorfall im Betrieb – jetzt schon mal erzählt Eines Tages fuhr mal ein sich selbst so benennender „Amtslehrlokführer“ von Hannover Richtung Dortmund auf dem ICE1 mit. Er beobachtete meine Fahrweise und bemängelte, ich verwende eine „völlig falsche Anfahrtechnik“. Ich antwortete á la Loriot mit „Ach was?!“, fuhr wortlos bis Bielefeld, wo ich nach dem Anhalten aufstand, ihm meinen Platz anbot und scheinbar brav bat, er möge mir doch die richtige Anfahrtechnik vorführen. Dann: Zp9, Türschließ-Procedere, und der Herr Amtslehrlokführer schob den Zugkraftsteller auf „volles Rohr“. Das schwurbelnde Singen der freien Taktung … 20 km/h … und mit einem fürchterlichen Ruck setzte die Siebenfach-Taktung ein, mit einem Ruck, der sich anfühlte, als bräche in den Drehgestellen etwas weg. Dem Lehrführer zugewandt, vollführte ich diese befehlende Handbewegung „Verschwinde da!“, setzte mich wieder in den Führersitz und fragte ironisch: „Das also war die richtige Anfahrtechnik? Sie sollten nochmal zur Ausbildung gehen, bevor Sie weiter Mist erzählen und überflüssige bis riskante Belastungstests der Stromrichter veranstalten.“ Er hat sich nicht gefreut und ist durch den Maschinenraum und dessen rückwärtige Tür in den Zug verschwunden…
Soweit dieses. In der nächsten Folge berichte ich von der weiteren Ausbildung und den beiden Lernfahrten auf der Neubaustrecke.
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14.09.2014 09:35 (zuletzt bearbeitet: 14.09.2014 09:36)
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