Zitat von MK1978 im Beitrag #1037... Ich hoffe du hast gute Bandscheiben....
Zitat von ET 420 im Beitrag #1038Ich glaub als eingefleischter E-Lok Führer kann man ...
Hallo,
der Dienst auf Streckendiesel ist auf alle Fälle bandscheibenfreundlicher, muss hier nicht das Gewicht zweier oder dreier Fahrmotoren auf einem Drehgestell abgefedert werden. Und die Dienste sind natürlich auch viel entspannter. Würde ich nochmal einsteigen wäre mein Wunsch-Betriebswerk Memmingen.
Grüße Micha
P.S.: "Bw Kempten" im Allgäu war natürlich gemeint. Ich werd alt...
Zitat von ET 420 im Beitrag #1038Ich glaub als eingefleischter E-Lok Führer kann man auf Loks wie die 232/233 locker verzichten. Strom gibt sofort Power... Tante Ludi braucht bis sie Power geben kann.
Tja, dafür kann sie überall hin und ist nicht von einer Strippe und Kraftwerken abhängig. Denn die 232/233 hat ihr eigenes Kraftwerk schon an Bord. Ich persönlich habe schon alles durch, vom Fernverkehr, über Aushilfe bei Regio bis zum Cargo, und von elektrischen/hydraulischen VT über ET, Altbau- und Drehstrom-Elloks bis hin zu hydraulischen und elektrischen Großdieseln. Ich persönlich ziehe eindeutig Diesel jeder Ellok vor, ist einfach ehrlicher und faszinierender als ein Bügeleisen, und natürlich entspannter. Aber da gibt ja schon immer diese Grüppchenbildung, auf der einen Seite die eingefleischten Dieselführer, auf der anderen die Ellokfahrer.
Meine persönlichen Hassfahrzeuge in der Berechtigungsliste sind der VT 628 und der ET 411/415/403/406, weil, für meinen Geschmack einfach unfassbar langweilige und belanglose Fahrzeuge. Gähn, beim Gedanken an diese Fahrzeuge schlafen mir jetzt noch die Füße ein!
Mein absoluter Favorit ist dagegen die 232/233/234, einfach Faszination pur, da merkt man noch wo und wie die Leistung zustande kommt!
Was ich noch gerne in der Berechtigungsliste hätte, die "Knödels" der BR 180. Einfach weil mir deren unverwechselbare Optik gefällt und ich noch keine Gleichrichter-Ellok in der Liste habe. Die 180 ist damit quasi einzigartig in Deutschland.
Zitat von ET 420 im Beitrag #1038Ich glaub als eingefleischter E-Lok Führer kann man auf Loks wie die 232/233 locker verzichten. Strom gibt sofort Power... Tante Ludi braucht bis sie Power geben kann.
Sicher braucht der Russe ein wenig, bis er Power hat. Aber wenn bei der 232 / 233 erstmal die Power da ist, ist sie auch krätig am räumen. Da ist eigentlich alles was hydrodynamisch unterwegs ist, eher Fehl am Platz! Bei denen verplämpert sich ein ganzer Teil der Leistung im Strömungsgetriebe...
Gruß Micha
Hallo,
Verlust im Hydrogetriebe: 3% in der Kupplung, 17% im Wandler.
SWR: "Die Deutsche Bahn AG bestätigt, dass die Elektrifizierung der Südbahn Ulm-Friedrichshafen-Lindau länger dauert und deutlich teurer wird als bisher geplant. Nach Abschluss der Planungen gehe man von 226 Millionen statt bisher 180 Millionen Euro aus, heißt es in einer Pressemitteilung."
Deutsches Kuperinstitut: "Bei der neuen BR 246 sollen 4 einzeln zu- und abschaltbare Motoren eine bessere Anpassung an den Bedarf ermöglichen und so den Verbrauch senken. Gesenkt wird in der Tat der Leerlauf-Verbrauch, wenn die einzelnen Motoren entsprechend dynamisch gesteuert werden. Es bleibt aber dabei, ... eine E-Lok die Hälfte des gesamten Energie-Verbrauchs, beim Bremsen zurück gewinnt. Die Diesellok verbraucht also allein deswegen, weil sie dies nicht kann, systembedingt schon doppelt so viel Primärenergie wie die E-Lok. Die Beheizung des Zuges mit »Abfallwärme« entfällt bei dieser dem Personenverkehr zugedachten Maschine. ... Außerdem wird die gesamte Nennleistung der neuen Baureihe mit 2252 kW angegeben. Dies sind nun mal nur 2/5 der elektrischen Konkurrenz – bei rund 5/2 des Verbrauchs. Dabei muss noch beachtet werden, dass beim Vergleich nicht Leistung gleich Leistung ist. Die Nenn-Motorleistung elektrischer Triebfahrzeuge entspricht der Netto-Antriebsleistung, von der nur noch die Getriebe-Verluste abzuziehen sind. Der Stromverbrauch an Bord wird anderweitig – direkt vom Bahntransformator – gedeckt. Wird aber bei Diesellokomotiven die »Motorleistung« angegeben, so bezieht sich diese auf den Dieselmotor, der gleichzeitig auch noch alle Hilfsbetriebe, vor allem etwaige elektrische Heizung, im Schlepp hat. So werden z. B. in einer Berechnung für eine Fahrt des Diesel-ICE der BR 605 von Berlin nach Hamburg mindestens 1767 kWh, höchstens 1973 kWh elektrischer Traktionsenergie für die elektrischen Fahrmotoren, zusätzlich aber 353 kWh Strombedarf für Hilfsbetriebe errechnet. Es landen also rund 20% des an Bord erzeugten Stroms nicht in den Fahrmotoren, sondern anderswo im Zug."
Na ja, ob die Zahlen des "Kupferinstituts" so genau stimmen. Die E-Bremse scheint ja bald zum Perpetuum Mobile zu verhelfen ;-) Kupfer braucht die Diesellok jedenfalls nicht so viel wie E-Traktion inclusive Fahrdraht...
Die Hälfte an bezogener Energie gewinnt allenfalls ein E-Triebwagen zurück, der 1. ausschließlich elektrisch bremst und 2. im reinen S-Bahnbetrieb mit sehr kurzen Halteabständen eingesetzt wird. Ansonsten, die neuen "Mulit-Engines" der BR 245 sind Krücken, zumindest aus verbrauchstechnischer Hinsicht liegt die meilenweit über dem geplanten Werten. Der 605er war aber auch ne absolute Krücke, erinnere mich nur ungern an dieses Fahrzeug zurück. Mit DT und 8 Motoren losgefahren, mit teilweise 3 wieder angekommen. Völlige Fehlkonstruktion!
Allgemein, was die Fahrzeugindustrie heutzutage abliefert ist ne bodenlose Frechheit. Eine mängelbehaftete Gurkenkonstruktion nach der anderen! Da ist kaum noch was vernünftiges dabei. Auf der anderen Seite, darf halt auch alles nichts kosten. Da kann halt keine Qualität bei rauskommen. Trotzdem sind die Fahrzeugpreise echt saftig. Also irgendwas paßt da nicht mehr zusammen!
Heutzutage wird im grenzenlosen Sicherheitsfanatismus alles derart gnadenlos überreguliert, da bleiben kaum noch Spielräume und die Kosten treibt es brutal nach oben, trotz miserabler Schrottkonstruktionen! Wenn das so weitergeht, dann erstickt die Eisenbahn irgendwann an diesem kostentreibenden Sicherheits- und Regulierungswahn. Also kurz gefasst, völlig irrsinnig, was heutzutage so abgeht!
Zitat von MK1978 im Beitrag #1046 Allgemein, was die Fahrzeugindustrie heutzutage abliefert ist ne bodenlose Frechheit. Eine mängelbehaftete Gurkenkonstruktion nach der anderen! Da ist kaum noch was vernünftiges dabei. Auf der anderen Seite, darf halt auch alles nichts kosten. Da kann halt keine Qualität bei rauskommen. Trotzdem sind die Fahrzeugpreise echt saftig. Also irgendwas paßt da nicht mehr zusammen!
Hallo,
das ist auch eine Folge des "Geiz-ist-geil-Denkens"! Wenn ich sehe, daß renommierte Schienenfahrzeughersteller wie "SLM Winterthur" nicht mehr existieren und "Grossisten" wie Bombardier alles bauen, wundert mich nichts mehr wirklich.
Beispiel aus meiner aktiven Zeit: Die E 120, gebaut vom klassischen Dreigestirn Siemens, AEG und BBC sowie im mechanischen Teil von Krupp, Krauss-Maffei und Henschel, kostete pro Stück 11 Millionen D-Mark, anno 1987/88. Dann kam die E 101 - sicher, das ist eine "Baukastenlok" mit standardisierten Funktionsgruppen, doch deren Stückpreis von nur ca. 6 Millionen DM läßt die Frage aufkommen, wie die Jungs in Henningsdorf das gedeichselt haben. Ich weiß, daß die Fahrzeugrahmen in Polen gefertigt wurden, der Rest ist nebulös - für mich zumindest.
Aber wir können uns hier echauffieren bis zur Weißglut, ändern werden wir nichts. Und deshalb krame ich momentan wieder in meinen Erinnerungen und hoffe, noch dieses Wochenende eine neue Geschichte vorstellen zu können.
Naja, die 101 ist aber ne Kasseler Lok. Aber hast schon recht, alles nur noch billig. Wobei die Loks noch das kleinere Problem sind. Da gibts auch durchaus noch wirklich gute Neubau-Loks, wobei ich besonderst die 152 in guter Erinnerung habe, oder der Taurus 3. Die beiden sind sicherlich die besten Neubau-Elloks derzeit auf deutschen Gleisen, zumindest bis die neue 102 von Skoda ab 2016 ins Rollen kommt. Der wirkliche Müll sind die ganzen primitiven Wegwerf-Triebwagen. Die Krönung ist sicherlich der Lint, ein schreckliches Billigteil.
Die 101 kommt meines Wissens, genauso wie die ersten 10 der BR 145 aus Hennigsdorf. Deine guten Erfahrungen mit der 152 sind derweil auch schon Geschichte. Die 185 von Bombardier hat die 152 überholt. Denn das Produkt aus dem Hause Siemens ist fertig! Laut, störanfällig und Energieintensiv. Man hat die Lok einfach runtergewirtschaftet, mit den Lasten im Güterverkehr völlig überfordert! Die 185 ist langsam richtig bahnfest. Ich fahre sie inzwischen lieber. Die 145 ist eine typische Aldi-Lok. Zu schwach, zu störanfällig und einfach nur billig! Alles klappert, alles schüttelt und quietscht. Das einzig gute ist das Fahrwerk. Gute Laufkultur hat sie jedenfals, aber das wars dann auch schon. Und von den Treibwagen, da ist ja wohl auch das Toastbrot das letzte. Letzten Sonntag ist bei Tübingen - Lustnau mal wieder ein 650 in Flammen aufgegangen. Bustechnik bei der Bahn, kann nicht gut gehen. Die Motoren stehen doch unter Dauerstreß. Die sind für diese hohen Belastungen nicht geeignet. Und das selbe Schicksal wird die 245 auch ereilen. Da bin ich mir jetzt schon sicher!
so langsam nähern wir uns dem Herbst, und aus diesem Anlaß habe ich eine Geschichte aus der Erinnerung hervorgekramt, die herbstliche Witterungs- und damit Streckenverhältnisse beschreibt.
„Schlittenfahrt“ in Langerwehe Es begab sich im Jahre 1979. Im Rahmen einer umfangreichen Dienstschicht, enthaltend zu Beginn einmal Nahverkehr Köln – Aachen und zurück, anschließend, weil’s so schön war, nochmal Nahverkehr Köln – Koblenz und zurück; natürlich, um die Sache arbeitsreicher zu gestalten, mit Dienstbeginn und -ende in Deutzerfeld, sprich: V1 und A1, „große technische Behandlung“. Ich erinnere mich, daß diese Schicht morgens kurz nach 4:00 Uhr begann und sich bis knapp 16:00 Uhr hinzog. So gesehen eine günstige Sache, weil sie auf einen Schlag allerhand Arbeitszeit brachte und zudem zwischen den Zügen manierliche Pausen enthielt – nur der Dienstbeginn: kein Fall für Langschläfer… Ich meldete mich also an jenem frühen, mit Nieselregen verschönten Herbstmorgen des Jahres 1979 auf der Lokleitung für meinen Zug, den 8002 nach Aachen, der erste Nahverkehrszug des Tages, mit Halt an sämtlichen Stationen. Die 22:00-Uhr-Bereitschaft, Kollege M., gerade von einem Sondereinsatz zurück, warnte mich: „Du fährst nach Aachen? Dann paß höllisch auf: Die Schienen sind teilweise glatt wie eine Eisbahn – Laubfall plus Nieselregen, das Übelste, was es gibt!“ Ich dankte dem Kollegen für seinen Hinweis. Vorsichtig wäre ich ohnehin gewesen, doch wenn jemand, der gerade von der zu befahrenden Strecke kommt, zur Wachsamkeit mahnt, besitzt das schon einen besonderen Stellenwert.
Fußweg zur westlichen Drehscheibe, der erwähnte Nieselregen wirkte wie eine hauchfeine, sprühende Dusche und trotz Regenschirm war ich irgendwie „klamm“, als ich nach Einschalten der Sifa am Räderkasten die 110 155 betrat. Die Nummer ist mir wie eine LED-Anzeige im Gedächtnis, denn mit dieser Lok erlebte ich an jenem frühen Vormittag eine meiner bremstechnisch abenteuerlichsten Fahrten… Der übliche Blick ins Übergabebuch zeigte, daß die Lok frisch von der Unterflurdrehbank kam, wo die Radreifen auf exakte Form gedreht worden waren. ‚Irgendein Schiffschaukelbremser hat nicht aufgepaßt und Flachstellen reingefahren‘, dachte ich und angesichts der herbstlichen Schienenverhältnisse lag ich da bestimmt richtig. Aufrüsten, Buchfahrpläne bereitlegen, was sagt die LA? Nichts Spezielles, nur der jahreszeitlich übliche Hinweis auf der Rückseite fiel ins Auge, die groß und fett gedruckte Mahnung, wegen des Laubfalls beim Bremsen besondere Vorsicht walten zu lassen.
Köln – Aachen war „Haus- und Hofstrecke“, wir Deutzerfelder befuhren sie sehr häufig. Sie hatte nichts Besonderes, verlief weitestgehend geradeaus und mit fast ständiger, geringer, aber doch spürbarer Steigung in Richtung Aachen; eine langgezogene Linkskurve hinter Groß Königsdorf, dann beinahe schnurgerade über Horrem bis Düren, dahinter Rechtskurve, lang und weit ausholend, geradeaus über Langerwehe – und dann wurde es ab Nothberg etwas hügelig und kurviger, der Bahnhof Eschweiler lag in einer recht engen Linkskurve und brachte Richtung Aachen bei langen Zügen zuweilen Abfertigungsprobleme. Und weiter führte die Strecke über zwei kurze Tunnelbauten, Stolberg, Eilendorf und Aachen Rothe Erde nach Aachen-Hauptbahnhof. Unmittelbar vor dem Aachener Hauptbahnhof lag die zweigleisige Strecke auf einem beachtlich hohen Viadukt, auf Hausdach-Niveau, was hinreichte, beim Blick nach unten ein mulmiges Gefühl zu erzeugen. Wenigstens ging’s mir so, wenn ich auf diesem Viadukt an einem Sh-Signal stand und darauf wartete, an den Zug beifahren zu können. Der Bahnhof selbst bildete eine ziemlich enge Kurve, was beim An- und Abhängen manchmal Schwierigkeiten mit sich brachte, wenn z.B. ein Herkules die Schraubenkupplung vorher dermaßen zugedreht hatte, daß das Wasser aus dem Gewinde triefte (so unser Jargon).
Soweit die Vorrede, deren Sinn die Vermittlung einiger Fakten zur Strecke war. Zurück zur ersten Zugfahrt des Tages. Der N 8002 stellte die erste Regionalverbindung zwischen Köln-Deutz und Aachen her; im Laufe der Nacht hatten zwei internationale Reisezüge und ein paar Güterzüge die Strecke passiert, ansonsten war nicht viel los gewesen – mein Nahverkehrszug durfte sich ordentlich mit Blätterschmiere und Nässe versehener Gleise erfreuen. ‚Vorsicht, Junge!‘, sagte es in meinem Hinterkopf, als ich endlich den Kölner Hauptbahnhof Richtung Aachen verließ; am Signal leuchtete der Richtungsanzeiger „E“ für „Köln-Ehrenfeld“, der erste Halt auf der Reise. Ehrenfeld war in Zeiten des Laubfalls in Fahrtrichtung Aachen bekannt problemlos – in entgegengesetzter Richtung standen im Bremsweg rechts vom Gleis einige alte, hohe Bäume, die ihre Gaben auf die Gleise rieseln ließen. Mit meinem Zug, bestehend aus fünf „Silberlingen“, KE-Klotzbremsen in Stellung „P“, verhielt ich mich dennoch vorsichtig: allein die Nässe reduzierte die übertragbare Bremskraft. Mit 50 km/h am Bahnsteiganfang und Drucksenkung auf 4,3 bar gab es keine Schwierigkeiten, mein N 8002 kam sauber zum Stehen. Nach Abfahrt standen der zügigen Beschleunigung die erwähnten Bäume entgegen, deren Blätter auf beiden Gleisen lagen – immer wieder schleudernd, erreichte meine 110er gerade mal 2, kurzzeitig 3 t Zugkraft. Der Kipptaster „Schleuderschutz“ fand reichliche Betätigung, dennoch gab ich bei 90 km/h auf: Abschalten, auslaufen lassen, der nächste Haltepunkt war nicht weit. Dieser war trickreich. Köln-Lövenich, Strecke und Bahnsteigbereich lagen unter riesigen Bäumen, die ebenso wie ihre Ehrenfelder Kollegen großmütig ihr Blattwerk abgaben. Lövenich – der Name hatte einen Kollegen und mich inspiriert, ihn ins Englische zu übersetzen, in grausames Küchenenglisch: „No lion“. Trotz der unchristlich frühen Morgenstunde mußte ich grinsen, begann anderthalb Kilometer vor dem Haltepunkt bei 80 km/h die Bremsung: Senkung auf 4,7 bar, die E-Bremse erreichte 2,5 t … und, nicht zu glauben, der ganze Zug „setzte auf“, geriet ins Rutschen … hey, Adrenalinstoß, voll wach … Achtung, bau‘ keinen Mist! Auslösen (E-Bremssteller ausgeklinkt, damit die E-Bremse wirksam blieb), „Sanden alle Achsen“ und mit 4,7 nachfassen – Zug bremst, weiter senken auf 4,5 bar … die Horizontalschwingungen des partiellen Gleitens, unterbrochen durch die Einwirkung der Gleitschutzregler, nachfassen, erneuter Adhäsionsverlust … lösen, nachfassen mit nur 4,7 bar … Bahnsteiganfang 40 km/h … Zug beginnt abermals zu gleiten, lösen, Sand, wieder einbremsen – und die bei fallender Geschwindigkeit höher werdende Adhäsion machte sich bemerkbar, der Zug bremste auch bei nunmehr 4,5 bar ohne Zicken … seine (mit Lok) rund 150 Meter Länge kamen an der H200 zum Stehen. Das war passend, denn der Ein- und Ausgang lag mitten zwischen den H-Tafeln 100 und 200 Metern. Uff, hätte Winnetou gesagt… Mit allen Sinnen den Zug unter Kontrolle halten; diese lachhaften fünf Nahverkehrswägelchen forderten angesichts der äußeren Umstände Aufmerksamkeit wie ein 60-Achsen-Schnellzug! Was soll’s, das mache ich schon – so meine Gedankenschleife. Groß Königsdorf … auf mehr als 90 km/h war der Zug auf den glitschigen Schienen nicht zu beschleunigen gewesen, gleichwohl begann ich gut zwei Kilometer vor dem Bahnhof mit der Bremsung – auch hier standen Bäume, daher „Sanden alle Achsen“, Drucksenkung auf 4,7, dann 4,5 bar … Gleiten des Zuges, auslösen, nachfassen mit 4,7 bar – und quälend langsam sank die Geschwindigkeit, derweil ab und zu leichte Schwingungen in horizontaler Richtung temporäres "Rutschen" einzelner Wagen dokumentierten. Doch die verfügten ja über Gleitschutzregler, weshalb ich diese minimale Bremsstufe „gnadenlos“ beibehielt. Die genannte leichte Steigung wirkte bremstechnisch hilfreich. Mit horrenden 35 km/h „jagte“ ich an den Bahnsteiganfang, öffnete das Seitenfenster und hörte das zeitweise Abblasen der Gleitschutzregler. In einer Sandwolke kam ich dennoch fast punktgenau zum Stehen. Himmel, was für eine Fahrerei! Horrem ging gut, keine Probleme, was auch streckenkundlich bekannt war. Der Haltepunkt Sindorf lag im freien Feld, ebenso der kleine Bahnhof Buir, hier war also lediglich die Haftreibungsverminderung durch die Nässe zu berücksichtigen. Das galt auch für Düren, wo ich aufgrund der brems- und beschleunigungstechnischen Widernisse gut fünf Minuten zu spät eintraf. Ein Blick in den Buchfahrplan erklärte, warum trotz sehr langsamer Beschleunigung und endlosen Bremswegen die Verspätung sich in Grenzen hielt: Der Zug war auf eine E 141 berechnet. Hinter Düren wurden die Schienenverhältnisse besser; ich konnte die 110er ohne Schleudergefahr auf knapp 4 Tonnen je Fahrmotor aufschalten. Planmäßige Höchstgeschwindigkeit 120 km/h. Aber 110 km/h reichten, die kurzzeitig halten, abschalten, ausrollen lassen – und rein intuitiv begann ich bei 100 km/h rund drei Kilometer vor Langerwehe mit der Haltebremsung, 4,5 bar in der HLL … ja, denkste! Wieder setzte der ganze Zug auf, es dauerte einen Moment, bis die Gleitschutzregler eingriffen und die 110er geriet mit 3 t E-Bremse ins Rollgleiten. Mist, verdammter! Auslösen. Sanden, was das Zeug hielt, ganz vorsichtig mit Senkung auf 4,8 bar (Regulierstufe) einbremsen – und ab ging’s, haltloses Gleiten! Heiliger Siemens, hilf! Versuch: E-Bremssteller ausklinken, Lok mit Druckluftbremse im Griff halten; ich hoffte auf die Putzwirkung der Bremsklötze … nix, die Lok blockierte bei einem Bremszylinderdruck von 0,6 bar! Auslösen, schnell, Kipptaster "Bremse lösen" bedienen! E-Bremse wieder einklinken, Sanden alle Achsen, Leitungsdruck auf 4,8 bar senken – ja, die Bremsen fassen … noch knapp anderthalb Kilometer bis Langerwehe – und der Tacho zeigte um die 70 km/h, langsam, entnervend langsam sank die Geschwindigkeit, doch reichte die Verzögerung mit Blick aufs Ziel nicht aus, ergo: Druck auf 4,7 bar senken – hält, Zug bremst, E-Bremse bringt 2,5 t … immer noch zu wenig Temporeduzierung, es half nichts: Leitungsdruck auf 4,5 bar, derweil ich in der linken Hand langsam einen Krampf bekam, weil ich den Taster „Sanden“ permanent festhalten mußte. Wieder diese horizontalen Schwingungen. Jetzt 40 km/h, 35 km/h, 30 km/h, die H-Tafel kam näher. Oh nein! Plötzlich fiel die E-Bremse ab, die Vorsteuerluft setzte ein, alle Achsen der Lok blockierten schlagartig, und weil ich den Sandtaster nicht loslassen durfte, dauerte es zu lange, bis ich mit der rechten Hand den links liegenden Kipptaster „Bremse lösen“ erreichte: Mit festgebremsten Achsen rutschte die Lok dahin, zerrte am Zug, weil Gleitreibung geringer bremst als Haftreibung, schrammte mit ihren 21,5 Tonnen Achsdruck als „Schlitten“ dahin. Endlich löste die Bremse, mit einem ins Mark gehenden Geräusch faßten die Radreifen wieder und der Zug kam mit einem deutlichen Ruck zum Stehen: ich hatte die durchgehende Bremse nicht auslösen können, weil ich dann den Bahnsteig hinter mir gehabt hätte. Dem Erfinder des Gleitschutzreglers sei Dank, ohne diese Einrichtung („ABS“ der Eisenbahn) wäre der Zug nicht zu halten gewesen! Fenster auf, rausgucken: Die übliche Sandwolke, und meine Nase registrierte den unverkennbaren Geruch bearbeiteten Stahls. Abfahrauftrag. Langsam stieg die Geschwindigkeit … „gong, gong, gong“ machte es: Flachstellen, ich hatte zum ersten und einzigen Male in meiner Laufbahn Flachstellen gefahren! Und das bei einer Lok, die gerade von der Unterflurdrehbank gekommen war…! Ich fühlte mich total elend. Haltepunkt Nothberg – vorsichtig anbremsen, ohne E-Bremse, vielleicht sind es ja nur Aufschweißungen, die die Poltergeräusche verursachen? Nein, es waren solide Flachstellen, denn auch die pneumatische Bremsung in Eschweiler änderte nichts an den Laufgeräuschen. Per gedanklicher Rückschau ging ich den Vorfall in Langerwehe nochmal durch: Hätte ich irgendwas anders machen können, müssen, sollen? Drei Kilometer vorgesehener Bremsweg bei 100 km/h – noch mehr? Am Ende hieß es, wie wir scherzhaft sagten, „haltend von A nach B fahren“ … schöner Anachronismus, der aber die Flachstellen nicht beseitigte; schlagend und polternd fuhr meine 110 155 dahin. War das meine Schuld? Gegenfrage: Was hätte ich, siehe oben, anders machen können? Einfach durchfahren? Dann hätte es Zoff mit der B-Gruppe gegeben. Nein, halten mußte ich in Langerwehe. Die vorherigen laubfallbedingt schwierigen Bremsungen waren lange nicht so dramatisch gewesen wie die in Langerwehe. Ob bestimmte Baumsorten besonders rutschiges Laub besaßen und solche vor Langerwehe die Strecke säumten? Ich habe von Biologie zu wenig Ahnung, als daß ich hierzu eine Antwort fand. Fakt ist: Solch‘ enorme Reibwertverminderung wie die von Langerwehe habe ich weder vorher noch nachher erlebt.
Mit rhythmisch polternden Flachstellen fuhr ich in die Halle des Hauptbahnhofs Aachen ein. Mein Ablöser, ein etwa fünfzigjähriger Kollege, fragte: „Haste disch Schlitten jefahren, wa?“ Immer noch leicht daneben antwortete ich: „Langerwehe – sowas hast du noch nicht gesehen…“ „Is‘ jedem schonmal passiert. Kannste nix jejen tun!“ Ich hatte meine Stabilität wiedergefunden und entgegnete: „Doch, den Werkmeister in Deutzerfeld anrufen und das Desaster melden. Weißt du, die Lok war gerade auf der Unterfludrehbank…“ „Dat is‘ sisch nen Driet, wa? Dann komm jut heim!“
Von der Lokleitung aus telephonierte ich mit dem Werkmeister, der um 6:00 Uhr Dienstbeginn hatte und bis 7:00 Uhr zuständig war für alles – Glück gehabt: mein alter Kumpel G., der sich meinen Bericht anhörte, in dem ich genau meine Handlungsvorgänge schilderte und dann meinte: „Reg‘ dich nicht auf, was hättest du anders machen können? Dich trifft keine Schuld, für’s Wetter ist der Lokführer nicht verantwortlich. Schreib‘ einen Auftragszettel für die Werkstatt in Aachen: Flachstellen vermessen. Wenn die Werte in der Toleranzgrenze liegen, soll die Lokleitung Aachen die 155 mit einem Zug nach Deutzerfeld zurückschicken. Ist die Grenze überschritten, LZ mit 60 km/h nach Deutzerfeld. Gib mir mal den Lokdienstleiter…“ Ich reichte dem Kollegen den Hörer, schrieb meinen Reparatur-Auftragszettel und der Lokdienstleiter sagte zu mir: „Alles klar. Bringst du den Zettel zur Werkstatt?“ „Mache ich.“
Einige Tage darauf erfuhr ich, daß die Schleifplatten (Flachstellen) recht gering gewesen waren und keinerlei Gefahr bedeuteten. Es hatte sich also schlimmer angehört, als es in praxi war. Dennoch wurde ich mein schlechtes Gewissen wochenlang nicht los: Hätte ich irgendwie anders, besser reagieren können?
Zitat von 130-iger im Beitrag #1049Die 101 kommt meines Wissens, genauso wie die ersten 10 der BR 145 aus Hennigsdorf.
Und von den Treibwagen, da ist ja wohl auch das Toastbrot das letzte. Letzten Sonntag ist bei Tübingen - Lustnau mal wieder ein 650 in Flammen aufgegangen. Bustechnik bei der Bahn, kann nicht gut gehen. Die Motoren stehen doch unter Dauerstreß. Die sind für diese hohen Belastungen nicht geeignet. Und das selbe Schicksal wird die 245 auch ereilen. Da bin ich mir jetzt schon sicher!
Gruß Micha
Die ersten zehn 145 sind tatsächlich aus Henningsdorf, die 101 aber schon immer komplett aus Kassel. Ja, die 245 entwickelt sich so langsam aber sicher zur Krücke. Nur gut das die nicht zu Cargo kommt. Hochgezüchtete Baumaschinenmotoren haben in Streckenloks nichts verloren.
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #1050 Ob bestimmte Baumsorten besonders rutschiges Laub besaßen und solche vor Langerwehe die Strecke säumten?
Hallo Kurt,
solche Adrenalinschübe bleiben unvergessen, gell?
Uns sagte man in der Ausbildung, Platanen sollen am meisten "Schmiere" machen. Die blieben zudem angeblich am Radreifen kleben. Platanen waren bspw. vor Stuttgart Hbf im Rosensteinpark besonders gefürchtet. Da haste schon mal nen Befehl bekommen. Die Bäume standen unter Naturschutz und durften nicht gefällt werden.
Bei der Stuttgarter S-Bahn soll es hin und wieder vorkommen, dass es im Zug die Durchsage gibt: "Der Halt musste aus technischen Gründen ausfallen"...
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #1050 Ob bestimmte Baumsorten besonders rutschiges Laub besaßen und solche vor Langerwehe die Strecke säumten?
Hallo Kurt,
solche Adrenalinschübe bleiben unvergessen, gell?
Uns sagte man in der Ausbildung, Platanen sollen am meisten "Schmiere" machen. Die blieben zudem angeblich am Radreifen kleben. Platanen waren bspw. vor Stuttgart Hbf im Rosensteinpark besonders gefürchtet. Da haste schon mal nen Befehl bekommen. Die Bäume standen unter Naturschutz und durften nicht gefällt werden.
Bei der Stuttgarter S-Bahn soll es hin und wieder vorkommen, dass es im Zug die Durchsage gibt: "Der Halt musste aus technischen Gründen ausfallen"...
Grüße Micha
Hallo Micha,
einen "Haltausfall aus technischen Gründen" hatte ich auch mal, mit der S-Bahn Linie 6, von Essen Richtung Köln, der im Gefälle unter Bäumen liegende Haltepunkt "Essen Hügel" war einfach nicht zu machen. Stimmt, derlei Adrenalinstöße vergißt man nie...
bevor ich denn endgültig zu den Ereignissen rund um den ICE komme, abschließend die – wegen ihrer Länge zweiteilige – Schilderung einer „Abenteuertour“, bei der ich im September 1992 auf der Spessartstrecke gewiß einige graue Haare bekam. Dennoch denke ich gerne an jenen Sonderzug zurück, den ich mit meiner heißgeliebten E 120 von Köln-Deutz-Tief nach Würzburg zu fahren hatte.
Sonderzug nach Würzburg
Teil 1
Wie in alten Zeiten Obwohl die große Zeit der abenteuerlichen Sonderdienste weitgehend vorbei war, kam es dennoch hin und wieder vor, daß eine Tour anstand, die es nicht nur in sich hatte, sondern zudem haarscharf an diversen Vorschriften entlangschrammte; das meint die im Sonderleistungszettel zurechtzutricksende Dienstzeit ebenso wie betriebliche Zusammenhänge. Der neue Disponent, Kollege K., beherrschte seine Tätigkeit fast so souverän wie unser ehemaliger Piratenhäuptling. Er war allerdings wesentlich jünger, sogar etwa drei Jahre „frischer“ als ich mit meinen unlängst erreichten 44 Lenzen, dennoch besaß er Ansehen, war das, was man eine Respektsperson nennt. Er hatte in den früheren Jahren vom alten Häuptling einiges gehört, erfahren, welche Dinger da gedreht worden waren – und er fand das durchaus vorbildlich. Eines Tages saß ich während der 10:00-Uhr-Bereitschaft im Aufenthaltsraum, als K. erschien und mich bat, mal in sein Büro mitzukommen. Klar doch. Nachdem ich die Bürotüre hinter mir geschlossen hatte, fühlte er vor: „Sag‘ mal, ich habe erfahren, daß du gerne ungewöhnliche Sonderdienste fährst und dabei nicht allzu bürokratisch denkst…“ „Stimmt“, lachte ich, „doch wenn du mich mit der Diesellok nach Reggio di Calabria schicken willst, meutere ich.“ „Ganz so schlimm wird’s nicht“, meinte er und mußte mitlachen. „Dann mal ernst: Was liegt an?“ „Nach langer Zeit mal wieder ein Reisebürosonderzug. Der kommt von Dortmund und läuft über Deutz-Tief, Abfahrt 9:48 Uhr, mit etlichen Halten rechtsrheinisch bis Wiesbaden-Biebrich, dort über den Rhein, Halt in Mainz HBf, weiter über Groß-Gerau und Aschaffenburg nach Würzburg. Da wirst du abgelöst, A3 also. Fahrgast Heimat. Haste Lust? Dienstbeginn ist 9:18 hier in Deutzerfeld.“ „Sicher, aber das ist doch ein ganz normaler Zug, wo ist der Knackpunkt?“ Ich konnte nicht ganz folgen. Der Disponent sagte: „Du warst jetzt seit zwei Jahren nicht mehr in Würzburg, wie ich recherchiert habe…“ „Ach so – kein Problem, wenn ich die Augen zumache, sehe ich die Strecke vor mir.“ „Okay. Dann: Der Zug geht bis Rom, hat also auch Schlafwagen im Verbund…“ „Jau“, fiel ich ihm ins Wort, „die sind schwerer als normale Schnellzugwagen – na und?“ „Also … das Ding führt 15 Personenwagen plus mit Sondergenehmigung einen zusätzlichen Gepäckwagen, mithin hättest du 16 Wagen, 64 Achsen, am Haken.“ „Hmmm, das wird auf der Spessartstrecke mit der 110er eng, von Laufach nach Heigenbrücken, das packt sie mit dem schweren Zug nicht, da brauche ich ‘ne Schiebelok.“ „Tja, jetzt kommt das Rosinchen: Du fährst doch gerne die E 120? Siehste, drum biete ich dir die Tour an, denn der Zug ist mit einer 120er bespannt.“ Ich freute mich: „Hey, das ist ja klasse! Mit der ziehe ich alles weg. Ich mache die Tour – wann soll das laufen?“ „Übermorgen. Morgen haste Ruhe und am Donnerstag kannste frisch und proper nach Würzburg düsen.“ „Schöne Strecke“, sinnierte ich, „hinter Groß-Gerau immer geradeaus, vorbei an der Abzweigung Stockschneise und dem Paläontologen-Eldorado Messel, über Aschaffenburg, ‚Aschebesch‘, wie’s im dortigen Dialekt heißt … wau, und dann Laufach – Heigenbrücken, da ist die 120 in ihrem Element, die hat Power ohne Ende. Wie gesagt: Mache ich!“ „Der Zug hält ziemlich oft, deshalb hat er ‘ne beachtliche Fahrzeit. Mit dem Sonderdienstzettel mußte dann halt ‘n bißchen tricksen, Pause vor Fahrgastfahrt, aber das muß ich einem alten Profi ja nicht erklären.“ „Nee“, grinste ich, „Helmut, der Piratenhäuptling, hat uns gut ausgebildet!“ „Willst du die Fahrplanunterlagen schon mitnehmen? Dann mußt du die am Donnerstag nicht erst hier abholen.“ „Ja, wäre gut. Klar, ich fahre mit dem Zug zum Dienst, dann kann ich auf der Rückfahrt in Bonn aussteigen und muß nicht nach Köln, um mein Auto abzuholen. Spart Geld, ich werde noch stinkreich!“ Der Disponent übergab mir einen dicklichen Hefter: „Hier ist alles drin, inklusive Zugbildung, Liste der Fahrpläne undsoweiter. Da hat jemand mal echt mitgedacht.“
Im Aufenthaltsraum studierte ich die Unterlagen – na, das wird ein Spaß werden, dachte ich. Die Zugbildung sah neun Sitz- und Liegewagen, fünf Schlafwagen, einen Speisewagen und den Gepäckwagen vor, 16 Waggons á 26,4 Meter ergaben eine Gesamtlänge von 422,4 Metern mit der dafür erforderlichen Sondergenehmigung – und dazu die Lok. ‚Au weia‘, dachte ich, dieses Monster paßt an kaum einen Bahnsteig, wahrscheinlich nicht in Troisdorf (der internationale Schnellzug hielt in Troisdorf!), vermutlich nur so haarscharf in Bonn-Beuel, Koblenz HBF sollte hinkommen, doch in Rüdesheim wird ein Teil des Zuges hinten „im Schotter“ stehen; Sache des Zugpersonals. Mainz müßte passen, Aschaffenburg war ich mir nicht sicher, Würzburg HBf sollte lang genug sein. Puh, eine echte Aufgabe, eine Herausforderung wie in alten Zeiten, die mich mit Freude erfüllte: Zweimal die Rheinseite wechseln, dann diesen überlangen Zug sozusagen zentimetergenau an die Bahnsteige zirkeln, mit der Lok stets „auf Tuchfühlung“ vors Ausfahrsignal, mit meinem Liebling, der E 120 – ich sah alles rosarot, dachte nicht an mögliche Widrigkeiten, zumal der interessante (direkteste) Fahrweg ab Mainz, so, wie der Disponent ihn beschrieben hatte, das Ganze noch reizvoller gestaltete…
Die Fahrt beginnt Der Donnerstag ließ sich gut an: Strahlend-sonniges Herbstwetter, angenehme Temperatur. Ich war bester Laune – diese tolle Tour nach Würzburg, mit einem überlangen Zug, und als Krönung die E 120! Auf der Lokleitung hatte ich mich telephonisch von dem kleinen, am Bahnsteig gelegenen Stellwerk Deutz-Tief gemeldet, am vorherigen Ruhetag nochmals die Unterlagen studiert sowie die LA vorbereitet. Wie schonmal dargestellt, war Deutz-Tief ein zweigleisiger Bahnhofsteil von Köln-Deutz, führte in einer Kurve unter Köln-Deutz hindurch, verband solchermaßen Köln-Mülheim über Deutz-Tief, dort übergehend in ein recht steil ansteigendes Streckenstück, und Köln-Kalk (Personenbahnhof) mit der rechtsrheinischen Strecke gen Süden. (Der übliche Regelfahrweg führte von Köln-Mülheim über Köln-Deutz [oberer Bahnhof], sowie die Hohenzollernbrücke nach Köln HBf und damit auf die linke Rheinseite.) Das kurze Streckenstück zwischen Mülheim und Deutz-Tief, zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h, ermöglichte die Umgehung der Güterzugbahn, die Mülheim tangierte und über Kalk-Nord via Gremberg Rather Straße und Porz-Rhein gleichfalls auf die rechte Rheinseite führte. In Deutz-Tief fand vorrangig die Behandlung von Autoreisezügen statt; „mein“ Reisebürosonderzug befuhr diesen Weg nur aus Gründen der einfachen Einfädelung auf die rechte Rheinstrecke: Über Köln HBf wäre eine zeitraubende Umfahrung über Köln-Süd und Südbrücke erforderlich gewesen; außerdem waren die zwei Bahnsteige in Deutz-Tief endlos lang, gerade richtig für das 64-Achsen-Züglein. Nach einem kurzen Schwätzchen mit dem Fahrdiensleiter, dessen Stellwerk etwa in halber Länge des Bahnsteigs lag, machte ich mich auf den Weg zur Gleisspitze, raus aus dem U-Bahn-artigen Tunnel, nach draußen, in die Herbstsonne. Ich stand ungefähr zehn Meter vor dem Hp0 zeigenden Form-Hauptsignal und harrte der Dinge. Endlich, die Zugansage: „… Reisebürosonderzug nach Roma Termini, über Troisdorf, Bonn-Beuel, Koblenz, Rüdesheim, Mainz, Aschaffenburg, Würzburg, Nürnberg, München…“ Da kam er: die in Dortmund offensichtlich frisch gewaschene E 120 mit dem Sonderzug hintendran; leider konnte ich infolge der Kurve, die der Bahnsteig bildete, nur einen Blick auf die ersten zwei, drei Wagen werfen – es waren italienische, mit Westinghouse-Bremsen. Der Kollege fuhr langsam und vorsichtig, anscheinend kannte er den Bahnhofsteil Deutz-Tief nicht so recht, dennoch setzte er das 16-Wagen-Monster weich und exakt ungefähr fünf Meter vor das Signal. Ich grinste zustimmend: Haste jut jemacht. Die Lüfter der 120 steuerten auf ungefähr halbe Leistung ab – nochmal Daumen hoch: gut gefahren, ohne die Lok zu treten! Die Seitentüre öffnete sich und er rief: „Komm rein!“ Ich kletterte in den Führerraum und grüßte den Kollegen: „Tach auch! Bist sauber ans Signal gefahren – und das Ding hat wirklich 16 Wagen?“ Er erwiderte: „Auch so! Ja, solide 64 Achsen.“ Er zeigte mir den Bremszettel: „Guck‘ mal: 13 Wagen mit Klotzbremsen und drei mit Scheibenbremsen. Deutsche Schlafwagen mit KE-, italienische Sitz- und Liegewagen mit Westinghouse-Bremsen, hab‘ ich in Dortmund-Betriebsbahnhof gecheckt, ich hatte Zeit genug und das hat mich einfach interessiert. Ist immer gut, zu wissen, was hinten dranhängt.“ „Sehe ich genauso! Und wie bremst sich das Teil?“ Der Dortmunder Kollege lachte: „Viel Spaß! Langsame Anfaßreaktion, dann beißt er bei Drucksenkungen von mehr als 0,5 bar irre zu, Auslösen dauert fast wie bei der G-Bremse und der Abfall der Hochabbremsung bringt einen wüsten Schiebeffekt…“ „Ganz wie ich es mag“, gab ich feixend zurück, „ich liebe solche Brocken…“ „Du auch? Na, dann haben wir ja schon die ersten zwei Mitglieder für den Fan-Club beisammen!“ „Jau, wohl wahr! Dann komm gut nach Hause!“ „Wünsch‘ ich dir auch – aber erstmal fahren…“ Während dieser Worte verließ er die Lok, wir winkten uns nochmal zu. Ich legte die erforderlichen Unterlagen griffbereit aus, Fahrpläne und Streckenlisten hatte der Dortmunder schon „mundgerecht“ sortiert. Gute Übergabearbeit! In den Maschinenraum, Indusi beschriften, in den hinteren Führerraum: alles klar, Türen und Fenster verschlossen? Ja, zurück nach vorne, den Bremshey-Sitz einstellen, noch ein bißchen höher, einen Tick nach vorne, Gewichtstarierung auf meine (damals) 72 Kilo eingestellt, stimmt der ZBF-Kanal? Ja, LA neben den Buchfahrplan gelegt – und ich war startklar.
Das Ausfahrsignal wechselte auf Hp2. Mit einem kurzen Auf-Auftrag am Zugkraftregler führte ich die Vortaktung durch. Nach wenigen Sekunden schnurrten die Stromrichter – auch die Lok war startklar.
Und jetzt: Zp9, Abfahrauftrag; wegen der Kurve konnte ich den Zug nicht übersehen, also etwa 2 Tonnen Zugkraft einstellen, kurzes symbolisches Nach-hinten-schauen, dann schloß ich das Fenster, setzte ich mich wieder und schob den Zugkraftregler langsam nach vorne, die typischen Elektronikgeräusche der freien Taktung zeigten, daß die Lok einwandfrei arbeitete; vier Tonnen (je Fahrmotor, die zentrale Anzeige stellte nur einen Wert dar) waren wirksam – mit „sanfter Attacke“ (ein anderer Begriff fällt mir ad hoc nicht ein) und scheinbar mühelos zerrte die bärenstarke E 120 den etwa 800 Tonnen wiegenden Zug die Steigung hinauf. Diese weich agierende, aber äußerst nachdrückliche Leistungsentfaltung stellte für mich stets ein besonderes Faszinosum der E 120 dar. Mit der Geschwindigkeit stieg der Oberstrom, weil die Elektronik im Rahmen der verfügbaren Leistung und jeweiliger Vorgabe die von mir aktuell gewählten Werte beibehielt. Nun das Umsteuern in die Siebenfach-Taktung und die Zugkraft schien zuzunehmen – das gewohnte Gefühl des „Einrastens“ der enormen Kraft, die diese schlank wirkende Lok entwickeln konnte. Bei 40 km/h reduzierte ich die Zugkraft, weil eben die 40 wegen des folgenden Weichenbereichs einzuhalten waren. Mühelos nahm die 120 die kurze Steigung, jetzt folgte die eben liegende Weichenstraße, Leistung sukzessive runter, die 40 km/h genau halten. Während es durch die Weichen ging, mußte ich einfach mal nach hinten schauen … heiliger Siemens, welch ein endloser Zug…! Vorne die Sitz- und Liegewagen der FS in der typischen Streifenlackierung, ein Speisewagen der DSG, moderne Bauart mit Hilfsstromabnehmer für Standbetrieb, dunkelblaue, wuchtig wirkende Schlafwagen und am Schluß der grüne Gepäckwagen vierachsiger Standardbauart, gewissermaßen ein dem Aufgabenbereich angepaßter Schnellzugwagen. Ich setzte mich wieder, schloß mit dem Bedienhebel das Seitenfenster, aktivierte die Druckdichtung und schaute nochmal auf den Bremszettel: Ja, Höchstgeschwindigkeit 140 km/h, 64 Achsen, 423 Meter Zuglänge, 156 Bremshundertstel, 13 Klotz- und drei Scheibenbremsen – puh, das war in der Tat nichts alltägliches. Durchfahrt Köln-Kalk mit 40 km/h, obwohl ich mit der Lok lange aus dem Weichenbereich raus war, doch am Haken hingen 423 Meter Zug… Ein gutes Stück hinter Köln-Kalk, die freie Strecke lag vor mir, gab ich ein Viertel Zugkraft, langmachen, dann vier Tonnen, wie üblich. Die Elektronikgeräusche wurden intensiver, „satter“ irgendwie, und ich sah wie einen Film vor mir die große Anzahl der Pulswechselrichter-Thyristoren, die im Takt der zunehmenden Frequenz zündeten, löschten, zündeten, löschten – für mich heute noch ein Wunderwerk der Technik…
Erste Haltebremsung Reichlich Fahrzeit bis Troisdorf, meine 120er hatte den Brocken von Zug beeindruckend rasch beschleunigt. Die planmäßigen 140 km/h wollte ich wegen der wenigen Kilometer bis zum ersten Halt nicht fahren; 120 waren genug, zumal vor Troisdorf entweder die „Rhein-Überleitung“ auf Hp2 mit 40 oder über die lange Weiche mit 100 km/h erfolgen würde, was frühzeitiges Einbremsen erforderlich machte: Die erste Bremsung mit dem „Monster“, also Vorsicht! Einfahrt Troisdorf Hp2, 60 km/h: Klar, soweit ich wußte, waren die Bahnsteige der „Siegseite“ länger, außerdem lagen sie näher am Eingang des Bahnhofes – Kundendienst. Den in Fahrtstellung schräg nach vorwärts zeigenden, im Vergleich zum D-2 filigranen Hebel des Relais-Führerbremsventils gefühlvoll in den Beginn der ersten Raste, ganz vorne bleibend. Zischen im Maschinenraum, der HLL-Druck fiel auf 4,8 bar, etwas weniger, so um die 4,82 bar – fast so schön wie die Regulierstufe am D-2 oder D-5-Regler. Die generatorische Bremse setzte mit Minimalleistung ein (ich fuhr ausschließlich kombiniert, also ohne Auslegen des E-Bremsstellers), sachte faßten die Bremsen des Zuges, dann ein leichtes horizontales Schwingen: die langsameren, aber „rabiateren“ KE-Bremsen der Schlafwagen folgten den Westinghouses der „Italiener“ nach. Druck auf 4,5 bar – sanft steigendes, schließlich nachdrückliches „Zubeißen“, erneute leichte Horizontalschwingung: die KEs schlossen sich an. Und die Tachonadel fiel, aber zu langsam, runter auf 4,3 bar HLL – nun stiegen die der Oerlikon ähnlichen Westinghouse-Bremsen verstärkt ein, in der Exponente gewissermaßen, und diesmal blieb die horizontale Schwingung aus: die Wirkwerte zwischen Westinghouse und KE näherten sich einander an. Oh, oh, jetzt fällt das Tempo zu schnell – in die Laufbremse mit 4,8 bar. Sehr schön, minimale, dennoch eindeutige Verzögerung … die drei Scheibenbremsen machten sich kaum bemerkbar, allenfalls durch geringfügige Reaktionsbeschleunigung, doch hätte ich nicht gewußt, daß sie vorhanden sind, wären sie nicht aufgefallen: die 13 „Klötzchen“ dominierten eindeutig. Die Geschwindigkeit sinkt langsam - jetzt auslösen, Nachzieher, und der Tacho zeigte bei Vorbeifahrt am Einfahrsignal 60 km/h, rollen lassen bis ein, zwei Loklängen vor Bahnsteiganfang, praktisch kein Geschwindigkeitsverlust, die 800 Tonnen schieben ... Drucksenkung auf 4,7 bar. Kurzes, nachdrückliches Zufassen der Bremsen, dann: 55 km/h, mit der Lok am Bahnsteiganfang – und die Hochabbremsung fällt ab. Wie der Kollege gesagt hatte, setzte ein erhebliches Schiebemoment ein, größer als normal, aufpassen: Tacho – Ziel – Tacho – Ziel … kurze Drucksenkung auf 4,5 bar … ja, genau so … und 4,5 halten … noch, noch … rauf auf 4,7, dann 4,8 bar … und so lassen … das Hp00 zeigende Ausfahrsignal kommt immer näher, rund 800 Tonnen schieben hinter mir … und wieder: wie fällt die Geschwindigkeit in Relation zum Zielpunkt? Satisfaction: Paßt, paßt haargenau! Und mit dem schmurgelnden Lokgeräusch der freien Taktung kommt der „Monsterzug“ ungefähr drei Meter vor dem Signal zum Stehen, weich und sanft … ‚mein lieber Scholli, das ist vielleicht ein Ding!‘, schoß es mir durch den Kopf. Doch, machte Spaß, Riesenspaß, solch ein Teil paßgenau zu dirigieren. Ehe es in Vergessenheit gerät: Dank an Theo, meinen Lehrmeister! Ankunft eine Minute zu früh. Die Fahrzeit ist solide kalkuliert; und als ich kurz die Ankunftszeit in Bonn-Beuel rechnerisch zu den Kilometern in Bezug setze, sehe ich, daß es nicht notwendig ist, die planmäßigen 140 km/h zu „brettern“. „120 mit der 120“, sagte ich stillvergnügt zu mir selbst.
ZitatIch verfolge seit Pfingsten ungefähr, den (gottseidank) öffentlich zugänglichen Thread von Oldie_Kurt zu seinen persönlichen Lokführererlebnissen im H0-Modellbahnforum.
Ich wollte schon früher Ihm und den anderen Mitwirkenden meinen Dank aussprechen, jedoch scheiterte eine Anmeldung bei euch im Forum, viell. wg. Prüfung/Urlaubszeit.
Hiermit versuche ich über den Umweg eines altgedienten Foren-mitglieds den Dank weiterzugegeben.
Ich würde mich freuen, wenn Du die Zeit findest, das weiterzugeben!
mal eine ganz andere Frage zwischendurch: mein Sohn ist in eine neue Klasse gekommen, und nun steht ganz kurzfristig eine Klassenfahrt nach Köln-Deutz an. Was gibt es denn da zu besichtigen, was Kids (so um die 15 Jahre alt) interessieren könnte ?
Am Montag geht es los von Lübeck 08:43, ab Hamburg 09:46 mit dem ICE 1025. Wäre ja toll, wenn der Lokführer/Tf hier mit liest und die drei (!) neunten Klassen der Heinrich-Mann-Schule aus Lübeck extra begrüßt per Lautsprecher, besonders natürlich meinen Sohn Lennart. :-)
sehenswert in Köln-Deutz sind die Messehallen, die Lanxness-Arena (früher "Köln-Arena") und evt., wenn's noch existiert, das BW Deutzerfeld. Vom Messegelände aus führt eine Seilbahn über den Rhein, die linksrheinsch direkt am Eingang des sehr schönen Kölner Zoos endet.
Wegen der Zugansage müßtest Du Dich mt dem Organisator der Tour in Verbindung setzen - vielleicht gaht da ja was...?
Ich würde mal sagen den Zugchef fragen - aber so wie ich das mitkriege im aktuellen Verkehr wird sowas nicht wirklich mehr gemacht. Könnte ja Service sein...
Gruß Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
Von Troisdorf bis Mainz Es war soweit: Die Bahnhofsuhren in Troisdorf zeigten die planmäßige Abfahrtzeit, nach hinten schauen, Abfahrauftrag vom Zugführer, Antakten, zwei, drei, vier Sekunden, die Vierquadrantensteller laden den Gleichstrom-Zwischenkreis, Zugkraftsteller auf die üblichen zwei „Zuglangmachtonnen“, die Pulswechselrichter erhalten von den Antriebssteuergeräten ihre Funktionsmuster, und die Lok zieht typisch sanft, aber nachdrücklich an. Zugkraft erhöhen. Durch die enge Weichenstraße fahre ich nur mit 30 km/h, das schlingerte mir sonst zu viel. Friedrich-Wilhelms-Hütte, Bahnsteigende, mehr als 450 Meter hinter der Weichenstraße, und Gas geben, vier Tonnen, wie gehabt. Kurz hinter Menden habe ich die 120 drauf, trotz 800 Tonnen. Absteuern, rollen lassen. Der schwere Zug verliert, wie bereits vor Troisdorf festgestellt, anfänglich nur sehr wenig an Tempo – klar, bei der bewegten Masse! Nach der ersten Haltebremsung in Troisdorf war mir großenteils klar, wie der Zug reagierte; weil Zeit und Weg hinreichend vorhanden waren, probierte ich weit genug vor Bonn-Beuel seine Antwort auf eine starke Bremsstufe aus: Einbremsen mit 4,8 bar, wirken lassen, und jetzt runter auf 4,0 bar … Donnerwetter … alle heiligen Bremskonstrukteure helft! Die Bremsen des Zuges erzeugten eine deutliche Horizontalschwingung und packten „tierisch“ zu, ganz so, wie ich es von „langen Remmeln“ zur Genüge kannte, nur zeigten sich bei ihm die Reaktionszeiten als Folge der 16 Wagen noch träger als üblich. Rauf auf 4,2 bar, auslösen, kurzer Füllstoß, sekundenlanges Einsetzen der Vorsteuerluft der Lokbremsen, der Tacho sank auf knapp 50 km/h, auf 40 km/h – und Bremsen gelöst. Noch ein Kilometer bis Bahnsteiganfang in Bonn-Beuel. Okay, ich wollte ja erleben, wie das Monster im hohen Bereich agiert – und nun wußte ich es, wußte es ganz genau: Ein Nachzieher wie beim Güterzug. Ein bißchen Zugkraft draufgeben, scheinheilig pfeifend die 40 km/h halten. „Lokführer, hier ist der Zugführer, meld‘ dich mal.“ Ich nahm den Sprechhörer: „Ja, bitte?“ „War irgendwas vor uns? Du bist ja mächtig in die Eisen gegangen…“ Ich lachte kurz, erklärte: „Nee, freie Strecke. Ich wollte nur wissen, wie dieser überlange Zug bei tiefem Einbremsen reagiert. Alles paletti, keine Probleme!“ „Na, dann weiter gute Fahrt! Ist sicher nicht ganz einfach mit solch einem Brocken?“ „Na ja, es braucht schon ein wenig Übung. Macht aber auch Spaß. Und jetzt gaanz kleine Bremsstufe, wir haben den Bahnsteig Bonn-Beuel erreicht … na, keine Affäre, mit dem ‚Affenzahn‘ von gerade mal 40 km/h…“ „Du bist ja gut drauf“, freute sich der Zugführer. „Bei solchen Zügen immer. Ach ja: Wie sieht das in Rüdesheim aus, da passen wir nicht an den Bahnsteig?“ „Vergiß es, wir halten nur zum Einsteigen. Zieh‘ bitte trotzdem so weit vor wie möglich.“ „Moment…“, unterbrach ich: Alle Sinne auf den heiklen Zug, ihn bis zum äußersten Ende des Beueler Bahnsteiges vorziehen, mit der Lok über das Bahnsteigende hinaus, und Achtung: Die erste Tür des ersten Wagens mußte am Bahnsteig sein! Das war solch ein Kunststückchen, wie ich es liebte – und die geringe Geschwindigkeit half, den Punkt zu treffen. Jawoll: Zug steht exakt. Schulterklopfmaschine auf volle Drehzahl…! „Zugführer – bist du noch dran?“ „Ja, hier bin ich. Den Betriebsleistungszettel bringe ich dir in Mainz. Noch was: Brauchst du für den Streckenabschnitt Laufach – Heigenbrücken eine Schiebelok? Ich würde das dann in Koblenz bei der Aufsicht vormelden.“ „Danke, gut gemeint und mitgedacht! Nö, das schafft die 120 locker alleine!“ „Okay. Und das war ja eine butterweiche Landung! Weiter so!“ Ich dankte ihm und hängte ein.
In Beuel waren wir pünktlich abgefahren, ich hatte den Zug auf 120 km/h gebracht, Durchfahrt Bonn-Oberkassel, grüne Welle. Wunderbare Tour, die rechte Rheinstrecke, meine Lieblingslok und ein rekordverdächtiger Zug, klasse … ich stellte die Steuerung auf Automatik (AFB) und machte es mir kommod. Hinter Bad Honnef auf 130 km/h, kurze Zeit ziehen lassen, AFB raus, rollen lassen, Durchfahrt Unkel, Haltepunkt Erpel in Sicht, Drucksenkung auf 4,8 bar, mit ganz leichter Bremskraft die „100“ für Linz einjustieren, lösen, kurzer Nachzieher, Strich 100, AFB wieder rein und weiter. Ich beließ es bei 100 km/h, da Fahrzeit satt, fuhr die 120 km/h durch Bad Hönningen nicht aus, weil kurz darauf die 90 km/h bei Leutesdorf anstanden – und die konnte ich guten Gewissens von der Automatik einregeln lassen: die Lok machte das mit der generatorischen Bremse sehr genau.
Nun kann und will ich nicht quasi jeden Kilometer beschreiben, daher ein Stück im Telegrammstil: Durch Neuwied „gestaubt“, über die Rheinbrücke auf die linke Rheinseite, zehn Minuten Planaufenthalt in Koblenz HBf, die ich – nach Sicherung der Lok – zum kurzen Besuch bei der „Firma Doppelnull“ verwandte: „Ventil 2 öffnen“, denn Würzburg war noch weit… Von Koblenz HBf über Kurve und Steigung zur Horchheimer Brücke, wieder rüber auf die rechte Rheinseite, mit 60 km/h durch Niederlahnstein, rauf auf 90, hinter Oberlahnstein auf 100 km/h – AFB aktivieren, zurücklehnen, Landschaft genießen, relaxt den Geräuschen der Elektronik zuhören. Runter auf 90 per AFB, durch die beiden Tunnel, der eine unter der Loreley durch – „Ich weiß nicht, was soll ich bedeuten“, so ein Buchtitel des großen Georg Kreisler –, die 90 km/h halten und alle paar Kilometer die Pfeiftafeln beachten. Blick auf Sonderfahrplan und Uhr: Fünf Minuten vor Plan, daher peu á peu weiter. Lorch, Aßmannshausen, AFB raus, Auslauf, ganz sanfte Bremsung auf die 60 km/h für Rüdesheim, auslösen, kurz rollen lassen, Drucksenkung auf 4,8 bar, per Laufbremse den Bahnsteig anpeilen. Weil ich mittlerweile das Gefühl für den „Monsterzug“ besaß, paßte es mit einer kurzen 4,7er-Korrektur und ich stand „auf Handtuchbreite“ vor dem Hp0 zeigenden Ausfahrsignal. Muß ich betonen, daß ich tierischen Spaß an der Sache hatte? Und weiter durch den schönen Rheingau – und ich dachte an meine Tour nach Heidelberg, damals, mit der E 141 und zwölf Wagen … ewig lange her… Heute saß ich auf der modernsten Lok der DB und fuhr mit ihr beinahe analog einen „unmöglichen“ Sonderzug. Schon eigenartig… Wiesbaden-Biebrich, mit 40 km/h das Geschlängel zur Kaiserbrücke, mit 60 über die Brücke, Linkskurve, Gefälle nach Mainz HBf, erstmal generatorisch Tempo halten, dann die Luft dazu (allererste Stufe, ganz vorne, 4,8 bar), der E-Bremssteller klinkte ein, Bahnsteiganfang Mainz HBf 55 km/h, die Hochabbremsung fiel ab, schön definierbarer kräftiger Schiebeeffekt, Mitte Bahnsteig auf 4,7 bar, zurück nach 4,8, noch’n Ideechen höher, soweit es überhaupt ging, nämlich auf 4,82 bar – und paßte. Freu!
Nerventest Hinter Mainz hieß es Vorsicht walten lassen: Ab Groß-Gerau mußten alle Signale Vr1 bzw. Hp1 zeigen, anderenfalls wäre es eine Fehlleitung geworden. Ich mußte auf der KBS 552 über Abzweigung Stockschneise (Hp1), Dieburg, Babenhausen und Messel nach Aschaffenburg. Von dort ging’s weiter über die KBS 800 bis Würzburg. Um mich nicht in „Lokspielereien“ zu verlieren, fuhr ich diesen Streckenabschnitt mit Handsteuerung; und weil ich nicht wirklich perfekt streckenkundig war, schien mir das auch sicherer: Die Automatik erzeugte stets zeitliche Verzögerungen. Doch die Fahrdienstleiter waren auf Draht, alles stimmte, alles funktionierte. Mit konstanten 120 km/h fuhr ich bis Messel, von dort bis Aschaffenburg lag die zulässige Streckenhöchstgeschwindigkeit niedriger – damals waren es, wenn ich mich nicht irre, 100 km/h. Ohne Gewähr…
In Aschaffenburg gab es wieder „Arbeit für Jongleure“, weil der Zug dort – wenn überhaupt – nur so gerade an den Bahnsteig paßte. Ich tat mein Möglichstes und fuhr haarig dicht ans Hp00 zeigende Ausfahrsignal heran. Ungefähr seit Bonn-Beuel und einigen Regulierbremsungen war ich mit dem endlos langen Zug „auf Du“, soll heißen: er machte brav, was ich wollte. Drei Minuten Aufenthalt; im Stand hatten die Lüfter auf knapp halbe Leistung abgesteuert, bestens. Ich schaute zufrieden nach hinten, den Zug entlang … hä? Was tropfte mir da in den Nacken? Och nee – die ganze Zeit schönes Wetter, der zunehmenden Bewölkung ab Dieburg hatte ich keine Beachtung geschenkt; und nun begann es zu regnen, leicht erst, dann ging ein heftiger Schauer nieder, der jedoch nach wenigen Sekunden in Nieselregen überging. Abfahrauftrag, Zugkraftsteller ein Stückchen vorgeschoben, ganz kurz rausgeguckt, Fenster zu, hinsetzen, Drehschalter der Druckdichtung auf „Ein“, weiter aufsteuern … und Schleudern. Klar, nasse Schienen. „Ruhig, Mädel!“, ermahnte ich die Lok, derweil ich die Leistung zurücknahm, die Achsen fanden wieder Adhäsion, deren Belastbarkeit ich mit ganz sanftem, gefühlvollen Hochfahren der Leistung testete: Hmm, etwas mehr als drei Tonnen … na ja. Der rund 800 Tonnen schwere Zug nahm Fahrt auf, bei ungefähr 65 – 70 km/h erneutes Schleudern, Leistung wegnehmen, wieder hochregeln … knapp drei Tonnen erwiesen sich als Maximum. Plötzlich durchfuhr es mich heiß und erschreckend: Verdammter Mist – die Steilstrecke von Laufach nach Heigenbrücken! Und ich hatte nonchalant eine Schiebelok abgelehnt…! Da mußten wir jetzt durch. Wir – das waren die E 120 und ich, ein Team, das gleich auf die Probe gestellt werden würde. Ich funkte den Fahrdienstleiter Hösbach an und sagte ihm, er möge bitte für freie Fahrt sorgen, mich anderenfalls vor seiner Einfahrt stellen, wegen Anlaufnehmen; die Erklärung erzeugte ihm Sorgen: Die leichte und (bei trockenen Schienen) sagenhaft starke Drehstromlok war bekannt schleuderempfindlich, wenn die Verhältnisse durch Regen etc. schwierig wurden. Die Strecke vor mir sei frei, sagte der Fahrdienstleiter und er werde sofort Laufach und Heigenbrücken entsprechend verständigen. Ich dankte ihm, paßte nun höllisch auf, daß die Lok nicht die Adhäsion verlor. Beim besten Willen kann ich mich an die Streckenhöchstgeschwindigkeit nicht mehr erinnern – 90 km/h, 100 km/h? Viel mehr jedenfalls nicht. War also nix mit „Tempo, Schwung und fertig“… Durchfahrt Hösbach, der Fahrdienstleiter hing im Fenster und rang scherzhaft-ernsthaft die Hände: Mach’s gut! Ich dankte mit einem kurzen Achtungspfiff. Offen gestanden, steigt mein Blutdruck noch heute, jetzt, da ich in der Erinnerung versinke, mich wieder auf der E 120 sehe, auf die Steilstrecke zufahrend … damals stand ich kurz davor, ein Gelübde abzulegen, daß ich, wenn ich gut „über den Berg“ käme, nach Kevelaer pilgern und dort eine Kerze entzünden wolle… Einfahrt Laufen … Stoßgebet zum heiligen Siemens … rechts neben der Strecke standen zwei einsatzbereite E 194, auf Schiebelokdienste wartend, was ich ja blauäugig abgelehnt hatte … bekam ich jetzt die Quittung dafür? Ja, zugegeben: ich empfand sowas wie Angst, Angst, zu versagen, mir später vom B-Leiter erklären lassen zu müssen: „… wußten Sie denn nicht, daß…?“ Da erwachte der alte Ehrgeiz in mir, wischte alle Zweifel beiseite: „Zeig‘ den Jungs, was du drauf hast!“ Die Steigung begann – sieben Kilometer bis Heigenbrücken, sieben Kilometer, die für mich zur längsten Strecke meiner Laufbahn wurden… Das regelmäßige Surren der Stromrichter geht schlagartig in höhere Frequenzen über – Leistung runter, Schleuderanzeige, weiter runter, Achsen fassen wieder. Und „Sanden alle Achsen“, Leistung dazu, mehr, mehr – und trotz Sand Schleudern bei knapp drei Tonnen Zugkraft. Sanden sofort beenden, Leistung auf Null, Schleudern abfangen, erneut Sanden alle Achsen und rauf auf 2,3 und endlich gaaaanz vorsichtig bis 2,5 Tonnen Zugkraft. Für einige Sekunden die Zusatzbremse mit 0,2 bar angelegt: Radlaufflächen putzen, aufrauhen. (Die E 120 besaß noch Grauguß-Klotzbremsen.) Dauersanden, alle Achsen, logisch. Die Lok zieht, schleudert nicht mehr, doch 4 x 2,5 Tonnen waren zu wenig, um den schweren Zug diese Steigung raufzuziehen – ergo: Die Geschwindigkeit sank langsam, aber stetig. Ich zwang mich zu Ruhe und Logik: Keine wilden Aktionen, laß die Lok mal machen, momentan ackert sie brav voran. Und mit sinkender Geschwindigkeit steigt aus physikalischen Gründen die übertragbare Kraft im System Rad/Schiene. Theoretisches Basiswissen, nun praktisch wichtig… Weiter „Sanden alle Achsen“, draußen umgaben Staubwolken von pulverisiertem Sand meine Lok, mußte aus größerer Entfernung irre aussehen. Noch 50 km/h, langsam sank die Geschwindigkeit weiter ab. Vier Kilometer bis Heigenbrücken. Glücksfall: Der Nieselregen geht in einen heftigen Wolkenbruch über, der weniger reibungsvermindernd wirkte als dieses Geniesel. Die rhythmischen Geräusche des Scheibenwischers gehen im prasselnden Regen beinahe unter. Nur noch 40 km/h. Es wurde Zeit, etwas zu unternehmen. Während des permanenten Sandens erhöhte ich vorsichtig wie eine lauernde Katze die Zugkraft – jetzt bloß kein Schleudern erzeugen, das hätte ins Auge gehen können! Rauf auf 2,6 t, 2,7 t, 2,8 t … die Lok zieht ohne Schleudern, die Geschwindigkeit sinkt auf 30 km/h – und die Tachonadel tendiert weiter nach unten; die Stromrichter steuern in die freie Taktung und deren schwirrend-schwurbelnder, von hell flirrenden Anteilen durchsetzter Klang sagte mir, daß ich nun unter 30 km/h angekommen war, da brauchte es keinen Geschwindigkeitsmesser… Dauersanden alle Achsen beibehalten, und nun mit äußerster Vorsicht die Zugkraft weiter erhöhen: 2,9 t – 3,0 t – 3,1 t – 3,2 t. Nochmal wenige Sekunden mit 0,2 bar Bremszylinderdruck die Radlaufflächen putzen, und die Achsen behielten ihre Haftreibung, Zugkraft in der durch hohe Abtastung weichen Kraftübertragung der freien Taktung rauf auf 3,3 t … der Tachometer zeigt stabil etwas mehr als 25 km/h … gewonnen! Für die verbleibenden drei Kilometer bis Heigenbrücken brauchte ich fast sieben Minuten, eine Zeit, die nicht enden wollte, derweil ich allen Göttern für die weich-kontinuierliche und Cogging-freie Kraftübertragung der Drehstromfahrmotoren dankte, die maßgeblich dazu beitrug, die Adhäsion nicht zu verlieren…! Geschafft – Heigenbrücken, die Steigung ging rasch in die Ebene über. Ich ließ den Sandtaster los, verringerte gleichzeitig die Zugkraft auf 2,2 t: erstmal durchatmen! Der Fahrdienstleiter stand am geöffneten Fenster und machte mit der rechten Hand das „Victory-Zeichen“; Humor hatten die Leute. Kurzer Achtungspfiff meinerseits: Danke für die Blumen! „Piiiiiiiiip“, der Zugbahnfunk. „Lokführer 16847, guten Tag!“ „Betriebsleitung Frankfurt, gratuliere, Kollege, das hast du gut gemacht!“ „Danke, ich hatte ganz schön zu tun … und eine ordentliche Portion Glück war auch dabei…“ „Warum hast du denn keine Schiebelok angefordert?“ „Als das zur Sprache kam – vor Koblenz –, herrschte sonniges Wetter. Wer konnte ahnen, daß sich das dermaßen ändern würde? Bei trockenen Schienen hätte ich bis Heigenbrücken Rekordwerte fahren können, Leistung hat die 120 ja ohne Ende. Nur bei schlüpfrigen Schienen wird sie heikel. Hat aber geklappt.“ „Ja, wie gesagt: Gratulation! Du fährst bis Würzburg?“ „Richtig. Und die vier oder fünf Minuten Verspätung hole ich leicht auf, das Wetter wird besser.“ „Dann weiter gute Fahrt!“ Ich dankte dem netten Kollegen auf der Betriebsleitung. Während des Gesprächs hatte ich Sand gegeben und begonnen, meinen Zug auf die zulässige Geschwindigkeit zu beschleunigen. Der Regen ließ nach, hörte kurz vor Partenstein auf, und ab Lohr herrschte wieder herbstlicher Sonnenschein…
Die restliche Strecke bis Würzburg Endlose Kurven, Gefälle, Streckenhöchstgeschwindigkeit, wenn ich mich recht entsinne, 70 km/h. Es war wieder sonnig und daher bestand keine Schleuder- oder Gleitgefahr mehr. Demzufolge hatte ich die AFB aktiviert und ließ sie das Tempo halten; mit ziemlich konstanter Stromrückspeisung, leicht schwankend zwischen etwa 280 bis 300 Ampère, ging’s zu Tal. Mir fiel der Witz aus der Ausbildungszeit auf E 120 ein: „Schnitzelbremse“, Einspeisung ins europäische Verbundsystem, um die Mittagszeit brieten österreichische Hausfrauen mit dem von der 120 erzeugten Strom ihre Wiener Schnitzel… Ich schaute unbewußt auf die Uhr – Mittagszeit vorbei. Und mir fiel auf, daß ich Hunger hatte. Bis Würzburg war’s immer noch weit, also „dynamische Kaffeepause“: ein Käsebrötchen, eine Tüte Kakao, danach eine Birne. Freßorgie auf dem Führerstand, während der Fahrt, grins, feix… (Papierhandtücher lagen stets packenweise auf der Lok und aus alter Gewohnheit führte ich allzeit Feuchtreinigungstücher mit – ablösende Kollegen wurden also weder mit Krümeln noch schmierigen Bedienelementen konfrontiert. Auf sowas legte ich großen Wert.)
Neuendorf, Langenprozelten – am Main entlang auf romantischer Strecke in Richtung Gemünden. Romantisch … ja, Einfahrvorsignal Gemünden Hp2, Einfahrt mit 40 km/h, Ausfahrvorsignal Vr0. Ich ließ meinen Zug langsam am Bahnsteig entlangschleichen, wartete auf Hp1 oder Hp2 zur Ausfahrt. War aber nix, das Signal blieb auf Halt. Also fuhr ich so dicht wie möglich heran. Als mein Zug stand, schaltete ich die Druckdichtung aus, öffnete das Fenster und hörte nach kurzer Zeit die Ansage: „Achtung Zugpersonal 16847 – Sie haben Überholung IC xxx, voraussichtliche Abfahrt xxxx Uhr.“ Mein Zugführer meldete sich am Zugtelephon: „Jetzt hat uns der IC eingeholt, obwohl der auf der Steilstrecke bestimmt auch ziemlich zu tun hatte.“ „Schon“, entgegnete ich, „aber dessen Lok, eine 103er, hat ja auch zwei Achsen mehr und der Zug mindestens drei bis vier Wagen weniger, die zudem auch noch deutlich leichter sind als unsere Brocken von Schlaf- und Liegewagen.“ Der Zugführer mußte lachen: „Du siehst wohl alles total locker, oder?“ „Nee, das klingt nur so. Ich nehme meinen Beruf sehr ernst und wollte nie was anderes machen! Und ab und zu steht man dann vor einer echten Herausforderung, wie eben auf dem Streckenabschnitt von Laufach nach Heigenbrücken … ich hatte ganz schön Muffe, daß das schiefgehen könnte, hat aber mit allen Tricks doch noch geklappt. Das macht im Nachhinein natürlich Laune … tja, mehr fällt mir dazu jetzt nicht ein…“ „Ich verstehe schon…“, antwortete der Zugführer leise. Die gefühlige Situation knickend, fragte ich sachlich: „Fährst du auch bis Würzburg?“ „Nein, ich muß den Zug nach Nürnberg begleiten." „Lange Tour...“ Der IC fuhr zwei oder drei Gleise weiter vorbei. Wir hatten ihn keinesfalls aufgehalten, denn unser 16847 stand schon eine geraume Weile, bevor er ankam. Nach kurzer Zeit erschien Hp2, ich schaute aus dem Seitenfenster nach hinten, Pfiff des Zugführers, die Zugbegleiter hoben ihre orangefarbenen Kellen. Und mit einem erneuten Signal aus seiner Trillerpfeife zeigte der Zugführer mir Zp9. Ich hob quittierend die rechte Hand, antakten, wenige Sekunden Verzögerung, dann das wohlbekannte Surren der Elektronik – unser Reisebürosonderzug kam wieder in Fahrt.
Hinter Gemünden zog sich die Strecke weiter am Main entlang, bis sie schließlich in der Gegend um Karlstadt durch eine irgendwie exotische, jedenfalls berückend schöne Landschaft führte. Ich verstehe so gut wie nichts von Geologie, für Fachleute wäre es ein Leichtes, die Ursächlichkeiten zu erklären, ich kann nur laienhaft schildern: Grün bewachsene und bemooste, recht hohe Felsformationen, welche in auffallender, heller Gesteinsfarbe burg- und burgzinnenartige Formationen bilden. Soetwas habe ich sonst nirgendwo gesehen und allein diese Felsen, die mehrere Kilometer die Strecke säumen, lohnen eine Reise dorthin.
Der Intercity hatte uns gewissermaßen „die Strecke geräumt“, ohne eine einzige Aufhaltung brachte ich meinen Reisebürosonderzug mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit voran. Das Maintal weitete sich, nur noch wenige Kilometer bis Würzburg HBf. Einfahrvorsignal Würzburg HBf zeigt Vr2, weit vorher Drucksenkung auf zunächst 4,8, nach Abwarten der Bremswirkung nachfassen auf Senkung 4,5 bar, schleifen lassen, 115 km/h bei Vorbeifahrt an Vr2, Indusi-Wachsam bedient, Geschwindigkeit fällt ausreichend rasch; nach höchstens fünfzehn Sekunden sinkt die Tachonadel unter 90 km/h – Bremskraft noch kurzzeitig beibehalten, Druck auf 4,7, dann 4,8 bar erhöhen … paßt genau, 65, 60, 55 km/h – Abfallen der Hochabbremsung, Laufbremse noch ein wenig halten … und lösen: kurzer Nachzieher der minimalen Bremsstufe, und der Tachometer zeigt Strich 40 km/h. Geringe Zugkraft einregeln, Zug strecken, Zugkraft so weit erhöhen, daß die Einfahrgeschwindigkeit von 40 km/ genau gehalten wird. Durch die Weichenstraße; der Fahrdienstleiter hat den Fahrweg gewiß in das längste Bahnsteiggleis gestellt. Jetzt am Bahnsteiganfang. Zug rollen lassen, die ungefähr 800 Tonnen scheinen Schwungmoment ohne Ende zu haben. Der Rest bis zum Halteplatz ist ausschließlich gefühlsmäßig zu bestimmen, soll heißen: Gesamte Sensorik auf den Zug, mich noch einmal in das „Monster“ hineindenken … und jetzt: Laufbremse 4,8 bar … auf 4,7 bar, ja, weiter, und zurück in Laufbremse 4,8 bar … schieb, schieb, schieb … und etwa drei bis vier Meter vor dem haltzeigenden Ausfahrsignal kommt mein Reisebürosonderzug zum Stehen, weich, aber zügig, wie es eben sein soll… Ich öffne dem Ablöser, der mein Bremsmanöver fachmännisch beobachtet hatte, die Tür und rufe: „Komm rein, alles in bester Ordnung!“ Als er den Führerstand betreten hatte, begrüßten wir uns formell, wie es sich gehört, dann grinste er: „Das war aber eben Millimeterarbeit, was?“ „Ich fahr‘ das Teil ja auch seit Köln-Deutz – über die Entfernung muß ich das Züglein doch im Griff haben“, wiegele ich ab, derweil ich für den Kollegen noch den Buchfahrplan umblättere und unter dem Halter festklemme. Dann fällt mir ein: „Du, ich mußte im Regen solo von Laufach nach Heigenbrücken, die ganze Strecke mit ‚Sanden alle Achsen‘. Die Lok geht doch in München ins BW, laß bitte Sand nachfüllen.“ „Waaas? Ohne Schiebelok da rauf…???“ „Jau, die ganze Zeit schönes Wetter und ausgerechnet am heikelsten Punkt kommt’s dann runter. War ein ziemliches Abenteuer, hat aber geklappt, ich bin ja hier.“ „Donnerwetter! Ihr seid ganz schön mutig, ihr Deutzerfelder…“ „Kein Einspruch, Euer Ehren“, lache ich, weise ihn noch auf das bremstechnische Verhalten des Zuges hin, ziehe meine Windjacke an, ergreife die Umhängetasche, klettere von der Lok und nehme Kurs auf die Kantine, gehe am Zug entlang in Richtung Bahnsteigausgang, verabschiede mich im Vorbeilaufen vom Zugführer, schaue mit einem seltsamen Gefühl nochmal auf „meinen“ schweren 16-Wagen-Zug zurück: Das war wohl das letzte richtige „Abenteuer“ wie in den alten Zeiten des Piratenhäuptlings gewesen. Eigenartige Rührung erfaßt mich … alles geht irgendwann mal zu Ende. Ich schüttele unmerklich den Kopf, verscheuche die schwermütigen Gedanken: die Kantine wartet!
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20.08.2014 18:53 (zuletzt bearbeitet: 21.08.2014 09:28)
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