wie versprochen, hier nun die Story von der Dienstschicht, die auf die Fahrt des D 218 „Tauern-Expreß“ mit eisregenbedingter Feuerwerksbildung an den Stromabnehmern folgte. Einigermaßen geschafft kam ich damals nach Dienstschluß zu Hause an, froh, daß trotz der widrigen Umstände alles glimpflich verlaufen war, gepennt bis Mittag, nicht gestört von ansonsten allfälligen Geräuschen im Hause – die Nachbarn hatten Silvester gefeiert und sich auf diese Weise selbst „Nachtdienste“ gemacht, die sie Ruhe halten ließen. Wenigstens das. Die Straße vor dem Haus wies eine festgefahrene und -getretene Schneedecke auf, erinnerte mich deshalb an die „Abenteuertour“. Zu Dingen wie den nächtlich gerade erlebten sowie später aufgetretenen Problemfällen hatte ich irgendwann einen Spruch auf Lager: „Wieder einmal wurden Angst und Unsicherheit durch Mut und Können überwunden!“ (Zitat aus dem zweiten „Airport“-Film, das sagt dort der 747-Käpt’n nach dem Start.) Es gab keinen Kollegen, der dem widersprochen hätte … na ja, Grund zum Schmunzeln…
Nach dieser länglichen Vorrede endlich zur Sache:
Schrott aufsammeln Wir schrieben Freitag, den 5. Januar 1979. Nach den drei Ruhetagen begann ich mit der Acht-Uhr-Bereitschaft. Zu Bereitschaften hatte ich ein gespaltenes Verhältnis: einerseits konnte es „eine ruhige Kugel schieben“ bedeuten, andererseits bestand immer Gefahr, kurz vor Feierabend noch zum brandwichtigen Einsatz zu kommen. Am liebsten war mir, möglichst bald nach Dienstbeginn auf Tour geschickt zu werden. Aber das konnte man sich nicht aussuchen; die jeweils aktuelle Betriebslage bildete logischerweise die Grundlage allen Geschehens. An jenem 5. Januar betrat ich gegen 7:50 Uhr gut gelaunt die Lokleitung, drei (fast vier, mit „aus Nacht“) freie Tage gehabt, da konnte mich so schnell nichts erschüttern. „Morjen zusammen!“, grüßte ich. „Ah, Kurt, morjen! Unser Mann für den Müll ist da.“ Der Lokdienstleiter grinste wie Mephisto. Ich schaute ihn, dann seinen Kollegen vom Lokeinsatz verständnislos an: „Soll ich die Halle kehren, oder wie?“ Gelächter, dann die Erklärung: „Nee, war blöd ausgedrückt, ich hätte sagen sollen: ‚Unser Mann für den Schrott‘. Also, paß auf: Die Bereitschaft entfällt. Du gehst dich jetzt erstmal in der Kantine stärken, dann schnappst du dir die 110 133 im Osten, Gleis 117. Damit fährst du LZ unter der Nummer 88461 nach Koblenz. Da stehen zwei defekte 141er und eine kaputte 110er, die nimmst du an den Haken und fährst unter gleicher Nummer weiter nach Bingerbrück, wo du die 140 252 aufnimmst, die ist da vorgestern mit einem Güterzug verreckt. Der und den anderen ist wohl der Schnee nicht bekommen. Und den ganzen Schrott transportierst du weiter bis Mainz HBf, da steht dein Ablöser und bringt den Kram nach Frankfurt. Zurück machste Fahrgastfahrt. Ist das ‘n Angebot?“ Und ob das eins war! Spannender Sonderdienst und als Fahrgast (ohne Dienst) zurück – in Bonn konnte ich aussteigen, damit jede Menge Zeit verdienen! „Super!“, strahlte ich und fragte: „Wann muß ich denn abfahren?“ „Völlig wurscht. Die LZ ist disponibel eingelegt, wo Luft ist, kannst du losdüsen.“ Ich sah auf die Uhr: „Damit es gesittet zugeht: Ich rüste die Lok auf, checke sie durch, geh‘ in der Kantine ein Brötchen essen und bin Strich neun Uhr auf der Ausfahrt. Okay?“ „Prima, Kurt! Ich sag‘ dem Fahrdienstleiter ‚Dtf‘ bescheid.“
An der Meldesäule der BW-Ausfahrt: „Guten Morgen! Auf Gleis xy die LZ 88461 nach Koblenz.“ „Morgen, Lokführer! 88461 nach Koblenz, verstanden. Du fährst rechtsrheinisch, oben in Deutz also Kopf machen.“ „Alles klar!“
Strahlend schönes, kaltes Wetter, tiefblauer Himmel, die Landschaft noch weiß, dick mit Schnee bedeckt. Zu hell das alles. Ich kramte meine Sonnenbrille raus, setzte sie auf, griemelte. Diese Brille war im letzten Sommer Tagesthema in Deutzerfeld gewesen: Zwei Kollegen und ich hatten jeder eine sogenannte Polaroid-Sonnenbrille gekauft (anläßlich gemeinsamer Streckenkunde nach Hameln, bei einem dortigen Optiker, der uns wegen Abnahme von drei Stück Rabatt gab), jene Dinger mit diesen silbern spiegelnden Gläsern, die dem Träger die Attitüde eines Playboys verliehen, und wir amüsierten uns köstlich über die Reaktionen, wenn wir zufällig zu zweit beim Ablösen an der Lok oder alle drei gemeinsam mit diesen Brillen „dicke tun“ konnten… („Wie de kleein Könger“ [wie die kleinen Kinder], kommentierte ein Aachener Kollege.) Doch zurück zur Strecke: Rechtsrheinisch LZ fahren, piano, 80 km/h sind die richtige Geschwindigkeit, die machen Güterzüge auch. Ich hatte Spaß an der Tour, mal was ganz anderes – und die rechte Rheinstrecke fuhr ich ohnehin sehr gerne, sie war „uriger“ als die durchweg höhere Geschwindigkeiten zulassende linke Seite, die zahlreichen Kurven häufig enger als die der linksrheinischen „Rennbahn“. Ruhiger als üblich war’s ebenfalls: dritte, vierte oder maximal fünfte Fahrstufe reichte zum Halten der 80 km/h, weshalb ich die Fahrmotorenlüfter in Stellung „schwach“ betreiben konnte. (Die am Kippschalter wählbare Stellung „stark“ war bei der LZ-Fahrt nicht erforderlich und die Lüfterzwangsschaltung auf „stark“ setzte erst mit Stufe 9 ein.) Á la Hellas-Expreß ging’s hinter Neuwied über die Kronprinzenbrücke auf die linke Rheinseite, dann Koblenz-Lützel, Koblenz HBf, Gleisnummer habe ich vergessen. Halt neben dem Häuschen des Aufsichtsbeamten, Sonnenbrille abnehmen, von der Lok geklettert. „Guten Tag, Kollege! Ich soll hier drei defekte Loks abholen und über Bingerbrück nach Mainz bringen. Kannst du mir sagen, wo die stehen?“ „Guude! Ei, fahr‘ über den Südkopf in die Abstellgruppe, der Fahrdienstleiter läßt dich gleich an die Loks. Die stehen schon zusammen und sind gekuppelt, du mußt nur deine noch anhängen.“ „Danke, das nenne ich Service!“ „Ei joh, mir wisse, was sich g’hört!“, lachte der Aufsichtsbeamte. Mit dezentem Lächeln sagte ich: „Na ja, wenn Spitzenkräfte aus Deutzerfeld kommen…“ „Mach‘ dich besser ‘naus!“ Erneutes Gelächter. Ich machte mich ‘naus, enterte meine Lok, am Ausfahrsignal leuchtete bereits Hp0/Sh1. Vor den drei defekten Maschinen ankommend, bremste ich ab, fuhr mit ungefähr 2 km/h bei, etwas aufdrücken, Zusatzbremse anlegen, Fahrschalter nach 0. Kittel hatte ich bereits an, Handschuhe – „Glacanten“ genannt – übergestreift, kuppeln: erst die Schraubenkupplung einhängen und anspannen, dann die Schläuche der 5-bar- und der 10-bar-Leitung mit kurzem hau-ruck verbinden (diese Schlauchkupplungsköpfe waren stets ziemlich schwergängig). Die 10-bar-Leitung wegen der E 110 am Schluß des defekten Dreiergespanns: Wir hatten gerade wieder die Phase, wo bei geschleppter oder abgeschleppter 110er deren Druckluftbremse in Stellung „R“ stehen mußte. Es gab vorher und nachher Zeiten, in denen es untersagt war, geschleppte oder abgeschleppte 110er in „R“ zu fahren, die Stellung „P“ (also ohne Hochabbremsung) war zu benutzen. Das änderte sich alle paar Jahre. Weil die drei Loks mehrere Tage gestanden hatten, war „die Luft raus“, erstmal pumpen lassen, Handbremse auf führender Lok festdrehen und zur Lokleitung gehen, melden, damit die Kollegen informiert waren. Wieder am Lokzug. Hauptluftleitung war gefüllt, nun volle Bremsprobe: Drucksenkung auf 4,5 bar, an jedem Fahrzeug den Anlegezustand feststellen. Zurück auf den Führerstand, Druck wieder auf 5 bar: Bremse lösen, am Zug entlanggehen und Lösezustand an jedem Fahrzeug feststellen. Alles in Ordnung – und weil ich gerade am richtigen Ort war, an der entsprechenden Halterung der letzten Lok den Zugschluß (Tagessignal) eingesteckt. Wieder nach vorne, auf meine 110 133 geklettert, die „Glacé-Handschuhe“ verstaut, runter an die Meldesäule: „Guten Tag, Fahrdienstleiter! 88461 nach Bingerbrück fertig zur Ausfahrt!“ „Ja, Lokführer – guude! Wir haben sehr dichte Zugfolge, ich kriege dich erst in etwa einer Stunde raus. Abruf Betriebsleitung. Hast‘ schon was ‘gesse?“ „Nö, wäre gut. Okay, ich gehe in die Kantine und bin in einer knappen Stunde zurück. Ich melde mich dann.“ „Bestens, Lokführer! Dann bis nachher.“ Die Koblenzer Kantine zählte zu den richtig guten – und auch an diesem Freitag gab es nicht nur den obligatorischen Alaska-Seelachs, sondern weiters Bandnudeln mit Bolognese-Sauce und Salat … na, das war doch was für Vaters Sohn! Nach dem Mittagessen, einem Kaffee und dem Kurzbesuch der Doppelnullörtlichkeit ging ich zu meinem Lokzug zurück, legte die Zusatzbremse an, drehte die Handbremse auf, und wieder an die Meldesäule: „Sooo, Kollege, aber jetzt: 88461 nach Bingerbrück fertig zur Ausfahrt!“ „Gut! In ungefähr fünf Minuten bist du dran.“ „Alles klar! Ich wünsch‘ euch noch was…“ Lachen: „Danke! Hoffentlich Gutes…“ „Logisch!“, gab ich zurück und stieg auf meine 110er.
Unterwegs. Im Verzeichnis der LZ-Fahrten war 88461 mit 100 km/h angegeben – damit kam man voran und behinderte allenfalls einen dicht nachfolgenden Schnellzug oder IC/TEE. Und für derlei Fälle gab’s ja Unterwegsbahnhöfe mit Überholgleisen. Ich wiederhole mich zwar, dennoch: Es war wie immer richtig schön, die Rheinstrecke zu befahren, die sich teilweise „auf Tuchfühlung“ durch Ortschaften (wie z.B. Bacharach) schlängelt. Drei kurze Tunnel, damals für 80 km/h zugelassen. Anschließend weiter mit 100 km/h. Dann Einfahrt Bingerbrück, Vr2, Hp2, Vr0, rechts raus … hmmm … wie weit vorfahren? Wo finde ich die mitzunehmende Lok? Etwa Bahnsteigmitte stand ein Kollege und winkte mir mit dem Übergabebuch einer Lok zu. Kapiert – ich hielt bei ihm an und er erklärte: „Hier ist das Übergabebuch der defekten Lok, leg‘ es bitte in den Führerraum 1. Die kaputte Kiste steht da hinten, Richtung Koblenz, siehst du? In der Nähe vom Stellwerk. Du kannst hier abhängen, an die Lok beifahren und dann mit ihr wieder hierher zurück.“ „Du machst mir Laune! Ich kann und darf doch nicht alleine rangieren!“ Er grinste: „Ich wollte nur mal sehen, ob du nicht doch alleine wirken würdest. Spaß beiseite, ich helfe dir natürlich!“ In Bahnhöfen, die man ansonsten nur vom Durchfahren her kennt, war es vorteilhaft, für Rangierarbeiten einen ortskundigen Mann dabei zu haben: Welche Kontakte mußten freigefahren werden und so weiter. Jedenfalls ging es zügig voran; ich war zwar das „Opfer“, dem die Kuppelarbeiten oblagen, weil der Kollege – wie er mir sagte – als Lokdienstleiter keine Schutzkleidung greifbar hatte. Kein Problem, ein bißchen körperliche Tätigkeit schadete nicht. Blöd war nur, daß ich am Abstellplatz der defekten Lok bis über die Knöchel im verharschten Schnee versank, als ich sie anhängen wollte… Endlich – die vierte Schadlok war an meinen Lokzug gekuppelt, Bremsprobe, Fertigmeldung, kurze Zeit Warten auf Ausfahrt. Die kam nach Durchfahrt eines Güterzuges; ich „gab Gas“, mit 40 km/h durch den Weichenbereich, dann langsam beschleunigen auf zunächst 80 km/h (vor mir der Güterzug), schließlich, hinter Gau Algesheim, hatte ich „grüne Welle“, offenbar gehörte der Güterzug zu denen, die 100 km/h fuhren. Dem schloß ich mich an.
Mainz Hauptbahnhof – am Bahnsteig stand mein Ablöser, grüßte mich und fragte scherzhaft, warum ich denn die paar Kilometer bis Frankfurt nicht selber fahren würde. Ich erklärte ihm, zum Nachmittagskaffee mit dem Bundespräsidenten verabredet zu sein und aus diesem Grunde… Lachend verabschiedeten wir uns. Blick auf den Fahrplan: In rund 35 Minuten fuhr ein Schnellzug Richtung Köln – über Bonn, versteht sich. Prima, paßte! Gute halbe Stunde … Zeit für einen Kaffee, ohne Bundespräsident…
Deinen Geschichten aus dem Bahnalltag kann ich stundenlang folgen, ohne dass mir langweilig wird. Auch wenn scheinbar so nichts geschieht, ist es doch immer interessant zu lesen, wie miteinander umgegangen wurde, welche Kameradschaft untereinander herrschte - natürlich ohne dass übliche Frotzeln zu unterlassen! - und welche immer wieder neuen Betriebselemente auftauchten.
Und manches, was eben zu seinem Zeitpunkt Ärger, Verdruss oder harte Arbeit bedeutete ist im Weichzeichner der Zeit heute zum schmunzeln.
Daher wünsche ich mir, dass Du uns noch mit vielen Begebenheiten aus Deinem Bahnalltag erfreuen wirst, denn Dein Talent zu Berichten und Erzählen dieser kleinen Abenteuer ist unbestritten!
Hallo Kurt, auch von mir noch ein gesundes neues. Für den Rest, da kann ich mich voll und gant Thomas anschließen, einfach sehr herrliche geschichten, die da von Dir immer kommen. Gruß Carsten
HO 2 Leiter, DR Ep.IV, IB - COM, melden und schalten mit Uhlenbrock, bleibe bei TC9 Gold, Piko A,
Euch - und selbstverständlich allen anderen Forenten ebenfalls! - auch von mir "ein gutes Neues!"
Ich bin echt glücklich, daß Euch meine Storys gefallen! Memoiren - veröffentlicht in einem neuzeitlichen Medium.
Ja, es ist damals viel geschehen, meist kleinere Vorkommnisse, die aber im Zusammenhang zeigen, wie es seinerzeit bei der Bahn war, bei dieser "großen Familie". Und wie in jeder Familie ging's zuweilen auch mal weniger harmonisch zu, mußte man Zähne zeigen, durchaus auch "fies" reagieren. Denn Querköppe gab's bei der Bundesbahn ebenso wie anderenorts...
da mir gerade eine Begebenheit zum Thema „Auch mal fies sein“ einfällt, will ich sie gleich aufschreiben, bevor ich sie wieder vergesse.
Altersfrage? In einem der vorherigen Postings erwähnte ich, daß ich im März/April 1977 die Ausbildung für die E 103 erhielt und nach entsprechender Verwendungsprüfung der jüngste 103-Lokführer der Direktion Köln war; im August dieses Jahres wurde ich 29, saß also mit „zarten“ 28 hinter dem Fahrschalter der stärksten und schnellsten Lok der DB, durfte (die damals meist aus fünf bis sechs Wagen nur 1. Klasse bestehenden) ICs und TEEs fahren. Zugegeben: Ein bißchen stolz war ich schon. Diese Züge waren stets mit zwei voll ausgebildeten Lokführern besetzt – und wenn ich als „Erster“ fuhr, hatte ich logischerweise immer Kollegen auf der linken Seite, die mein Lebensalter deutlich übertrafen. Die Deutzerfelder fanden es gut, daß einer der ihren als „junger Spund“ schon solche Züge – und natürlich die „Starlok“ – durch die Gegend gondeln durfte. Lokführer anderer Dienststellen taten sich damit schon schwerer; nicht selten wurde ich während der Fahrt argwöhnisch beobachtet.
Eines Tages hatte ich als zweiter Lokführer einen IC von Dortmund nach Köln zu begleiten. Der Kollege hinter dem Fahrschalter war schätzungsweise Mitte bis Ende 50 – so gehörte es sich: der junge Kerl hatte nebendran zu sitzen. Wir kamen ins Gespräch, in dessen Verlauf ich erwähnte, daß ich Ausbildung und Verwendungsprüfung für E 103 habe und häufig als „Erster“ mit IC und TEE unterwegs sei. Der „alte Herr“ rastete aus: „Waaas?! So’n junger Bengel und 103er?! Das darf doch nicht wahr sein! In deinem Alter habe ich noch an der Schüppe gestanden – und du junger Hüpfer fährst die 103?!“ Und so weiter und so fort, er redete sich in Rage, wurde richtig wütend, betonte mehrfach, ohne die Heizerzeit sei man sowieso kein richtiger Lokführer. Nun gehörte ich zur ersten Ausbildungsgruppe, die keinen Dampfer mehr gemacht hatte – das war weder meine Schuld noch Einflußnahme (wie auch?), sondern halt Zufall. Auch das gestand ich meinem scharfzüngigen Kritiker, der sich daraufhin gar verstieg, meine Qualifikation in Frage zu stellen. Ich wurde sauer und antwortete nicht mehr, ließ ihn schäumen und salbadern.
In jener Zeit betrug die Streckenhöchstgeschwindigkeit für IC/TEE zwischen Duisburg und Düsseldorf 160 km/h (LZB gab’s dort noch nicht). Kurz vor Düsseldorf HBf stand ein LF-Signal „12“ (= 120 km/h), hinter dem im Bremswegabstand der entsprechende Indusi-Prüfabschnitt lag: mehr als 10 – 15 km/h zu schnell führte zur Zwangsbremsung, die wegen der Magnetschienenbremsen der Wagen recht spektakulär zugriff.
Wir fuhren auf das erwähnte LF-Signal zu. Der Kollege wütete nach wie vor wegen meiner „unverantwortlich frühen 103-Ausbildung, wie will so ein grüner Junge denn überhaupt…“, als draußen die „12“ vorbeihuschte, er sie nicht wahrnahm und „volle Möhre“ weiterfuhr. Ich sagte nichts: Rache ist Blutwurst! Das explosiv einsetzende Abblasen der Hauptluftleitung zusammen mit dem Tröten der Indusi-Hupe bewies die Funktionsfähigkeit des Indusi-Prüfabschnitts… Mit einem heftigen Ruck kam der IC zum Stehen. „Was … was war denn das?“ Mit unbewegter Miene und lakonischer Stimme erklärte ich: „Zwangsbremsung 2000 Hertz am Prüfabschnitt wegen überhöhter Geschwindigkeit.“ Wütender Vorwurf: „Warum hast du denn nichts gesagt? Läßt der mich glatt in die Zwangsbremsung fahren…!“ Meine höfliche Antwort: „Ich habe als grüner Junge nicht das Recht, einem erfahrenen Lokführer Tips zu geben.“ Schnaubend schaute er zu, wie nach Bedienen von Taste „Indusi frei“ die HLL wieder füllte, dann mußte er sich am Bordtelephon mit dem Zugführer auseinandersetzen, die Betriebsleitung wollte wissen, warum wir gehalten hätten, et cetera. Ein Rattenschwanz Ärger für den Herrn. Und die Auswertung des Indusistreifens erfolgte auch noch, später, was erneuten Zoff bedeutete.
Bis Köln fiel kein Wort mehr – ja, ich konnte auch fies sein…
Ja, also Kurt, wie konntest Du nur! Dein zweiter Vorname muß doch "Böse" gewesen sein, oder??? Aber diese lehrreichen Vorführungen zur Wirksamkeit der PZB haben wir während der Ausbildung auch erfahren. Ich kann selbst eine kleine Anekdote dazu beisteuern.
Ich hatte während der praktischen Ausbildung einige vertretungsweise agierende Lehrlokführer. Einer der Herren war Wolfgang B., Schwabe durch und durch. Bei mir lief es den Tag nicht ganz so rund, und in Mannheim haben wir eine Rückleistung nach Kornwestheim bespannt. Innerhalb der Ausbildungsgruppe, 2 Azubi + 1 Lehrlokführer, hatten wir es so gehändelt, das ein Azubi die eine Leistung von Anfang bis Ende fuhr und der andere die 2.Leistung, mit allem, was dazu gehört. Da die Hintour mein Mitstreiter gefahren hatte, war nun also meine Wenigkeit dran. Also die Lok aufgerüstet, alles vorbereitet und wie schon erwähnt, in Mannheim den Zug bespannt. Nach erfolgter Bremsprobe und der Zugdateneingabe, der PZB-Leuchtmelder 55 war aktiv, waren wir nun Abfahrbereit. Die Ausfahrt kam prombt und ich legte los. Einfahrt Schwetzingen bekam ich am Zvsig mein Zs3v mit einem 8er (80km/h). Wachsam bedient, alles im grünen Bereich, nicht wirksam! Also weiter, schön mit 80 km/h am Zsig vorbei, raus aus Schwetzingen, über Hockenheim und Waghäusel nach Graben-Neudorf. Am Avsig bekam ich für den Abzweig nach Bruchsal den üblichen 7er (70km/h) vorsignalisiert. Da ich ja die Eisenbahn schon vorher hatte ausrollen lassen, war es nun nach dem "Wachsam" bedienen, Leuchtmelder "1000Hz" leuchtete auf, keine Schwierigkeit mehr unter die 70 km/h zu kommen. Hatte mich schon diebisch gefreut, endlich läuft den Tag mal was glatt, nun kann mir nichts mehr in diesem Bereich passieren! Ich hatte auch noch mit bekommen, das mein Mitstreiter irgendwas von mir wollte, und der Herr B. ihm irgendeine Gestick zukommen ließ. Nach 38 sekunden wußte ich auch warum! Es bließ im Maschinenraum die Hauptluftleitung ab. Ich war völlig platt! Was hatte ich denn jetzt bloß übersehen gehabt???
Ich hätte unter 55km/h gemußt, wegen der unteren Zugart!!!
ja, zuweilen ist der Wurm drin. Als "Azubi" eine komplette Tour fahren, ist anstrengend, weil die Routine fehlt, man alles voll bewußt machen muß. (Ich denke dabei z.B. an die Kilometrierung, die bei guter Streckenkunde allenfalls noch nebenher aufgenommen wird.)
Wie ich den von Dir angegebenen Indusi-Daten entnehme, hat sich seit meiner Zeit allerhand geändert? Früher gab's nur die reine Geschwindigkeits-/Zeitüberwachung, z.B. Stellung "O" binnen 20 sek. unter 95, am 500er unter 65. Dann kam die Indusi 80 mit integrierter Wegüberwachung nach 1000 und 500 Hz (die Werte habe ich vergessen, obwohl ich sie als nebenamtliche Lehrkraft auch im Dienstunterricht erklärte - Schande!).
Mannheim ... ach ja, da muß ich gleich wieder an "meine" D 205, D 218 denken...
So ca. 1980 ist bei uns ein neuer Nachbar eingezogen (Reihenhaus), und es stellte sich heraus, dass dieser Mann Lokführer war. Als großer Eisenbahnfreund freute ich mich natürlich schon auf viele Gespräche; das war aber ein Schuß in den Ofen.
Der Nachbar wäre für jeden Schweigeorden ein leuchtendes Vorbild gewesen, er war absolut Maulfaul. Dafür war sein Weib ein ewig keifender Deibel.
Jedenfalls beschimpfte sie ihn als Trottel, der nichts anderes könne, als immer nur mit seiner Lok von Lübeck nach Hamburg und zurück zu rapern. Und wann er denn endlich mal befördert werde, so ginge das ja nun gar nicht.
Es war wirklich nicht feierlich, zumal sie lautstärkemäßig nie Rücksicht nahm. So bekam ich mal mit, wie er zusammengepfiffen wurde, weil auf dem Rasen zwei Löwenzahn wuchsen. Und wann er denn überhaupt endlich mal mähen würde...
Nun aber meine Frage: wie war das denn Anfang der 80er mit Beföderungen eines Lokführers ? Mir wurde erzählt, man mußte erstmal ein paar Jahre auf so einer Regionalbahn fahren, dann könne man versuchen, auf einer neuen Strecke Streckenkenntnis zu erwerben, und irgendwann nach vielen Jahren dürfe man vielleicht mal einen hochwertigen Zug von z.B. Lübeck nach Bremen fahren.
Wenn ich dann lese, dass jemand mit unter 30 Jahre eine 103 fuhr, wundere ich mich natürlich.
Ausbildung und Beförderung waren überwiegend vom Betriebsprofil der Dienststelle abhängig. Ich erhielt bereits in jungen Jahren die Ausbildung für E 103, weil bei uns (BW Köln-Deutzerfeld) viele Züge mit dieser Lok zu fahren waren. Natürlich achtete die B-Gruppe (Verwaltung des Fahrdienstes, direkte Vorgesetzte der Lokführer) darauf, daß nur Leute für diese hochwertige Lok ausgebildet wurden, die nicht alle paar Tage mit irgendwelchen Fehlleistungen auffielen (Zwangsbremsungen, Zu-spät-kommen usw.).
Grundsätzlich liefen Beförderungen ab wie folgt: Ein Dienstposten wurde im Amtsblatt ausgeschrieben. Darauf konnte man sich bewerben, wenn die Voraussetzungen erfüllt waren (z.B. als Lokführer auf eine Oberlokführerstelle, Oberlokführer auf Hauptlokführer usw.). Es gab Kollegen, die wegen einer Beförderung von Jünkerath (Eifel) nach Köln gingen - und die 96 Kilometer Fahrstrecke zur Dienststelle in Kauf nahmen. Wegen der Ehefrau?
Ich war fahrtechnisch ehrgeizig: Als Lokführer (Besoldung A6) ließ ich mal eine Beförderungsmöglichkeit zum "Ober" (Besoldung A7) sausen, weil ich dafür die Dienststelle wechseln und nur noch Güterzüge hätte fahren müssen. Das wollte ich nicht, außerdem war Deutzerfeld irgendwie "mein Zuhause". Ich wartete also immer, bis bei uns eine Beförderungsmöglichkeit bestand; daß ich deshalb nicht die höchste Beförderungsstufe erreichte (A9z), sondern als Inspektor (A9) in Pension ging, bereue ich keine Minute.
Wer die im Amtsblatt ausgeschriebene Stelle erhielt, richtete sich in erster Linie nach dem Dienstalter. Gab es zwei dienstaltersgleiche Bewerber, entschied die dienstliche Beurteilung, d.h., der mit der besseren Beurteilung bekam den Posten. Hier geriet ich einmal ins Hintertreffen, weil der damalige (etwas seltsame) B-Leiter in meiner Personalakte vermerkt hatte: "...neigt zu intellektueller Ironie, ist mit Vorsicht zu behandeln..." (Dazu erzähle ich später noch was.)
Auf kleinen "Nebenbahnklitschen" wurden zuweilen Leute in der dienstlichen Beurteilung hochgejubelt. Ich kenne den Fall eines mit mir dienstaltersgleichen Kollegen, der mit dem Akkutriebwagen um den Kirchturm fuhr, aber eine Beurteilung vorweisen konnte, die einen blaß vor Neid machte. Okay, ich gönnte es ihm - statt V 100 und ETA fuhr ich lieber Intercitys und Schnellzüge...
Mein persönlicher Werdegang sah so aus: September 1969 in die Lokführer-Laufbahn aufgenommen, Beimann im Güterzug (BW Gremberg, Deutzerfeld bildete damals nicht aus) bis 1972, immer wieder unterbrochen durch Lehrgänge und spezifische Ausbildungen (Betriebsdienst, Dieselloks, Motoren, Kraftübertragungsanlagen, Hydraulik, Kühlwassersysteme, Druckluftbremsen, Lauf- und Schwingungstechnik, Hoch- und Niederspannung, Schaltanlagen, Steuerungen) sowie erster praktischer Einsatz als Lokf. auf Rangierlok V 60 (sechs Wochen unter Überwachung, Troisdorf). 1 Tag Prüfung Betriebsdienst schriftlich/mündlich, Prüfung in Staatsbürgerkunde; Abschlußprüfung auf V 215, vier Tage: 1 Tag Fahren Reisezug, 1 Tag Fahren Güterzug, 1 Tag schriftliche Prüfung, 1 Tag mündliche Prüfung mit abschließendem "Bestanden", dies am 19. Oktober 1972.
Sechs Wochen selbständiger Einsatz als Lokf. auf der Rangierlok in Troisdorf, Ausbildung V 90. Rückversetzung nach Deutzerfeld.
Eingesetzt von Deutzerfeld, mußte ich bis 1974 ausschließlich Rangierdienst machen - das war so eine Art "Bewährungsprobe", weil im Rangierdienst des Güterbf. Köln-Kalk-Nord auch kleine Streckenleistungen mit V 90 anfielen, z.B. nach Bergisch-Gladbach, satte 10 Kilometer.
Herbst 1974 Ellok-Ausbildung, Theorie E 110/140/141 vier Wochen Bundesbahnschule Troisdorf. Fahrschule sechs Wochen. Prüfung E 110 Fahren Reisezug; Prüfung E 140 Fahren Güterzug; Prüfung E 141 Fahren Reisezug. Bestanden. Anschließend nochmal zwei Monate Rangierdienst - und dann endlich: Streckenkunde und die ersten Alleinfahrten mit Ellok ... ich war zwei Meter größer... Da wir einen vorzüglichen Disponenten hatten, der mich gezielt an die "großen Züge" heranführte, wurde aus mir der Sonderdienst-Lokführer, der alles fuhr und auch mal fünf grade sein ließ... Was dabei zuweilen geschah, versuche ich hier mit meinen Geschichten zu erzählen.
Als ich älter wurde, mit etwa 36 Jahren, kam ich in einen der Dienstpläne, doch ich war eher der "Abenteurer" und es gelang mir immer wieder, aus dem starren Plan auszubrechen und irgendwelche Sonderdienste im Tausch zu übernehmen. Tja, leider liefen mir im Laufe der Jahre fünf Personen vor die Lok, was meine Nerven zerrüttete und anno 2000 zur Frühpensionierung führte. So ist das Leben...
wenn man einmal mit Rückerinnerungen anfängt … soeben kommen mir einige „Bärengeschichten“ in den Sinn. Bären? Ja, im übertragenen Sinne: In Köln nannte man auffallend große und breite Kollegen „Betriebsbären“. Davon gab es etliche; zumeist nette, gemütliche Menschen.
Bären-Geschichten
1) Es war in meinen beiden letzten Jahren. Der Disponent, ein hilfsbereiter Mensch und top in seinem Aufgabengebiet, hatte eine Figur wie Schwarzenegger und Oberarme wie die Hinterbeine eines Ebers. Wenn der irgendwo hingehauen hätte, wäre nichts übriggeblieben. Aber er war total friedlich, wußte anscheinend gar nicht, wie man sich ärgert und aufregt. Wie gesagt, war er als Disponent ein As, wußte auch schwierige Sonderwünsche „seiner“ Lokführer zu erfüllen. Wir alle mochten den Kollegen M., denn auf ihn war stets Verlaß; und im Gegenzug ließen wir ihn nicht hängen, wenn mal personeller Engpaß herrschte. Bei allen dispositorischen Fähigkeiten geschah es dennoch einmal, daß er mir - ich fuhr auf eigenen Wunsch wieder disponibel, hurra! - vier Dienste verkoppelte, die zeitlich extrem eng lagen, mit teils nur neun Stunden Übergang – und die Fahrten zum und vom Dienst gingen davon ja noch ab. Ich hielt mich bedeckt, fuhr die Schichten: M. ließ uns nicht hängen und wir ihn nicht. Nach der letzten Dienstschicht, es war gegen 15:00 Uhr, ging ich in sein Büro und sagte scherzhaft drohend: „Wenn du mir nochmal solche Touren hintereinanderhängst, zieh‘ ich dich hinter dem Schreibtisch vor und dann gibt’s Dresche!“ M. hob die muskelbepackten Arme und wehrte ab: „Nee, bitte nicht! Ich tu’s auch nie wieder!“ Tja, da hatte er gerade nochmal Glück gehabt. Großes abschließendes Gelächter…
2) In Köln-Deutz gab es den Bahnhofsteil „Deutz-Tief“, der stellte die Verbindung zwischen Köln-Kalk und Köln-Mülheim her, lag mit zwei Bahnsteiggleisen schräg kreuzend unter dem eigentlichen Bahnhof Deutz und beherbergte die Autozugabfertigung mit entsprechenden Rampenwagen und sonstigen Einrichtungen. Ich hatte Bereitschaft, ich glaube, es war die Zehn-Uhr. Am frühen Nachmittag erhielt ich den Auftrag, in Deutz-Tief an einem Autoreisezug abzulösen und ihn zum Endbahnhof Düsseldorf zu fahren. Grund: Der anbringende Kollege hatte irgendeine Pause nicht machen können und wäre über die zulässige Zeit auf der Lok gekommen. Ich also Fußweg nach Deutz-Tief, wo schon nach wenigen Minuten der besagte Autoreisezug einfuhr, gezogen von einer E 103. Der Zug kam zum Stehen, die Lüfter der Lok liefen aus, die Seitentür wurde geöffnet: „Komm rein!“, rief es. Ich kletterte auf die Lok, wo der Kollege und ich uns begrüßten – das war ein Sylvester-Stallone-Typ, der für den engen Führerstand fast zu groß war. Er fahre bis Düsseldorf mit, sagte er, dort habe er Feierabend. Klar, kein Problem. Es ging weiter. Mit der zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h dirigierte ich den langen Autoreisezug über die eingleisige Strecke bis Köln-Mülheim, runterbremsen auf 40 km/h (per durchgehender Druckluftbremse mit diesem 0,1-bar-Senkungsspielchen, Ehrgeiz war alles…), nach der Weichenstraße rauf auf 80, vorbei an Abzweigung Bruder-Klaus-Siedlung, freie Strecke, Zug auf 140 km/h beschleunigen und die halten. Während des gesamten Manövers hatte „Sylvester Stallone“ mich immer wieder intensiv gemustert. Das verunsicherte mich zwar nicht, löste jedoch schließlich meine Frage aus: „Ist irgendwas?“ Mißbilligend antwortete der „Bär“: „Du fährst wie ein Mädchen! Ein Kerl muß doch zupacken!“ Ich war erstmal perplex, doch nach wenigen Sekunden fiel mir die passende Antwort ein: „So, jetzt weiß ich endlich, wer immer die Fahrschalterhandräder abreißt – du bist das!“
3) Während meiner Ausbildungszeit war ich, weil die Bundesbahnschule Ramersdorf geschlossen worden war und damit ein Ausbildungsrückstau entstand, recht lange Zeit im Güterzug-BW Gremberg als sogenannter Beimann beschäftigt. Meine Aufgabe war es, die langen Güterzüge Wagen für Wagen in einem entsprechenden Vordruck zu notieren („aufschreiben“ hieß das), dabei Leer-, Ladungs- und Gesamtgewicht, Bremstonnen, Versand- und Zielort, Besonderheiten wie etwa Gefahrgut aufzuführen. Dann mußte ich in der Zugabfertigung die Ladepapiere abholen – bisweilen schwere Packen – und den Bremszettel ausrechnen und schreiben. Mit dem ganzen Zeug anschließend an die Zugspitze, dort die Lok anhängen, die Papiere auf dem Führerstand deponieren und schlußendlich als „Beimann“ bis Oberlahnstein oder meistens bis Mainz-Bischofsheim mitfahren. Den Betriebsleistungszettel des Meisters hatte ich auszufüllen und ihn mit „Sie“ anzureden. Allfällige Unstimmigkeiten unterwegs mußte ich beseitigen, wie etwa einen geplatzten Luftschlauch auswechseln, was dank Murphy’s Gesetzen üblicherweise am vorletzten Wagen passierte, mit 1-Kilo-Hammer, 55er Maulschlüssel und Ersatzschlauch durch den Schotter am Zug entlang nach hinten tigern. Aber der Job wurde gut bezahlt und es gab auch hier „Abenteuer“, die des Erzählens wert sind.
Für heute möchte ich mich im Rahmen der „Bären-Geschichten“ auf zwei ganz kurze Episoden beschränken:
Es gab in Gremberg einen Lokführer, der aussah wie Meister Proper: ein Riesenkerl mit Stiernacken, urgemütlich, durch nichts zu erschüttern. Als im Aufenthaltsraum mal wieder über den unzumutbaren nächtlichen Fußweg von Koblenz HBf nach Koblenz-Mosel-Güterbahnhof diskutiert wurde – 45 Minuten zu laufen – kam auch jene schräge Siedlung ins Gespräch, deren asoziale Bewohner die Fußwegler mitunter bedroht haben sollten. Meister Proper hörte zu und kommentierte: „Mir hat noch nie einer was getan!“ Wen wundert’s?
Und wenn der Mann die Handbremse einer Lok festgedreht hatte, war es (zumindest mir) nur mit äußerster Kraftanstrengung möglich, sie zu lösen. Irgendwer sagte mal: „Wenn dieser Bär die Handbremse anzieht, tropft das Wasser aus den Bremsklötzen!“
hmmm ... jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll ... "danke" klingt etwas schwach... Egal, es macht mir auf meine alten Tage große Freude, daß meine "Memoiren" gut ankommen! Ich wollte sie schon lange geschrieben haben - nun habe ich im wahrsten Wortsinne ein Forum gefunden...
in den „Bären-Geschichten“ erwähnte ich meine Zeit als „Beimann“ im Güterzugdienst und daß auch dabei einige erzählenswerte Vorkommnisse zu verzeichnen waren. Ich fange mal an mit:
Zugschluß aus Zwischen Koblenz und Bingerbrück liegt malerisch im Rheintal der Überholungsbahnhof Werlau, bestehend aus zwei Durchfahrgleisen und je einem Überholgleis in Richtung Bingen sowie Koblenz; insgesamt also vier Gleise. Anno 1970 war dieser Bahnhof noch mit Hebelstellwerken ausgerüstet – von Koblenz kommend zunächst das Fahrdienstleiterstellwerk, am Bahnhofsende Richtung Bingen ein Wärterstellwerk. Insgesamt waren vier Weichen und vier Hauptsignale (und natürlich deren Vorsignale) zu bedienen.
Ich hatte in Gremberg abends bis gegen 20:00 Uhr einen langen, rund 1.800 Tonnen schweren Güterzug aufgeschrieben, auf der Zugabfertigung die Frachtpapiere erhalten, den Bremszettel berechnet, die E 140 angehängt, dem Lokführer („Meister“) den Betriebsleistungszettel ausgefüllt und nach erfolgter Bremsprobe die Fertigmeldung abgegeben. Ausfahrt frei – ein langer Nachtdienst lag vor mir: Den Zug bis Mainz-Bischofsheim begleiten (das waren, je nach „Abzweigspielchen“, etwa 180 – 190 Kilometer), längere Pause, einen anderen Güterzug zurück nach Gremberg „betreuen“. Praktisch alle von Gremberg abfahrenden Züge verkehrten rechtsrheinisch, nur dieser hier ging hinter Neuwied auf die linke Rheinseite über.
Wer nun glaubt, 180 Kilometer seien ja nicht viel, dem muß noch gesagt werden, daß damals die Höchstgeschwindigkeit der Güterzüge 65 km/h betrug; es gab bereits sogenannte SGs (Schnellgüterzüge), die 100 km/h fuhren, doch von und nach Gremberg liefen praktisch ausschließlich die schweren Brocken mit ihren gemächlichen 65 Spitzentempo. Und nachts, wenn alle Katzen grau und die Strecke duster war, wirkte die niedrige Geschwindigkeit erstens einschläfernd, zweitens schien es noch langsamer voranzugehen, als es tatsächlich der Fall war. War der Meister entsprechend gut drauf, ließ sich die Zeit mit Gesprächen verkürzen. Ich habe in den Monaten des Beimanndienstes schillernde Lokführer-Typen kennengelernt: Da waren nette, mit denen man über viele Themen reden konnte, schweigsame, die kaum ein Wort (oder gar keins) rausbrachten, Zigarrenraucher, die mich gründlich selchten, Choleriker, die bei jedem Vorsignal in Warnstellung auf die verbale Palme gingen, der veterinärmedizinisch beschlagene Meister, der mir schreckliche zwei Stunden lang einen Vortrag über die Geschlechtsteile der Ziege hielt und schließlich „Old Faultier“ – der schaltete nach der Abfahrt in Gremberg langsam auf maximal Stufe 18 (von 28), hängte sich mit den Fingern á la Faultier von unten an die Fahrschalterspeichen, nickte langsam und im Takt, derweil der Zug quälend langsam auf Touren kam. Hinter Troisdorf betrug die Geschwindigkeit dann endlich 60 km/h – die er nie überschritt –, er suchte sich eine Beharrungsfahrstufe, die er meist auch fand, hängte sich wieder an die Speichen und ließ den Zug laufen, zwischen 50 und 60 pendeln, und begann wieder mit seinen Nickbewegungen. Offen gesagt: Das nervte mich kolossal. Reden tat er auch nicht. Ich hatte dreimal das Vergnügen mit ihm und war heilfroh, wenn wir am Ziel waren und ich verschwinden konnte, nach endlos sich dehnenden Stunden. Theoretisch wären die ca. 180 Kilometer bei 65 km/h in drei Stunden zu bewältigen gewesen – aber es gab unterwegs immer wieder Aufhaltungen infolge Überholungen durch schnellere Züge, zudem rollte 1970/71 eine Transportwelle ungekannten Ausmaßes über die an ihrer Kapazitätsgrenze angekommene Strecke, Zug an Zug. Hatte einer davon Probleme, lief es hinter ihm großzahlig auf; bis alles wieder rollte, verging viel Zeit. Ich erinnere mich, daß ich mehrmals über fünf Stunden für die Strecke nach Bischofsheim oder nach Gremberg zurück unterwegs gewesen war. Und einmal, in einer besonders üblen Nacht, machte ich 15 Stunden Dienst am Stück, mit einer Pause, versteht sich.
So, nach diesem Einschiebsel zurück zum anfangs erwähnten Nachtdienst. Der Lokführer war in Ordnung und gut gelaunt – es sah nach einer erfreulichen Reise aus. Alles lief bestens, ohne Stockung ging’s hinter Neuwied über die Kronprinzenbrücke durchs anschließende linksrheinische Koblenz-Lützel, grüne Welle, prima, die extrem träge G-Bremse mußte nicht in Aktion treten. Wir erzählten uns gerade Witze, als gegen 22:30 Uhr das Einfahrvorsignal Werlau in Sicht kam: Vr2, „nebbe noi fahre“ (neben hinein), wie die Mainzer sagten, ins Überholungsgleis also. Hp2/Vr0 – tatsächlich, Halt in Werlau. Zugbahnfunk gab’s noch nicht, folglich kletterte ich nach dem Anhalten von der Lok und ging zum Streckenfernsprecher; das waren seinerzeit diese Telephone mit Kurbelinduktor, z.B.: „Dreimal lang (dreimal zehn Umdrehungen) Stellwerk Ws“. Kurbeln, Freizeichen. „Wärterstellwerk Werlau…“ „Beimann 6569, guten Abend. Ich soll fragen, warum wir in der Überholung stehen.“ „Euer Zugschluß ist erloschen, den mußt du wieder anzünden.“ Mir fiel ein: „Oh, das ist jetzt ein Problem: Der Lokführer ist Nichtraucher und ich auch, wir haben also weder Feuerzeug noch Streichhölzer dabei. Haben Sie vielleicht…?“ „Tut mir leid, ich rauche auch nicht. Aber geh‘ mal nach hinten zum Fahrdienstleiter, vielleicht kann der dir helfen.“ „Ist gut.“ Ich hängte ein, verständigte den Lokführer und machte mich auf den langen Weg. (Übrigens: Wer sich wundert, daß ich beim Telephongespräch die „Sie-Form“ und der Stellwerksmann die „Du-Form“ anwandte, muß wissen, daß es eine strenge Hierarchie gab. Wer noch in Ausbildung war, so wie ich, durfte gegenüber den älteren Kollegen niemals das „Du“ gebrauchen! Bahn-Knigge…)
Zugschluß erloschen – damals hatten wir diese bei Sammlern heute noch beliebten petroleumbefeuerten Laternen. Versuche mit akkubetriebenen Leuchten waren kläglich gescheitert: die Fahrzeiten waren einfach zu lang, das hielten die NiCd-Akkus nicht durch. Weil – außer Kühlwagen – kein Güterwaggon elektrische Ausrüstungen besitzt, mithin auch keine Lichtmaschine, ging an der Petroleumleuchte kein Weg vorbei. Bei gutem Pflege- und Füllzustand brannte der Docht tagelang. (Seit den späten 90ern verwendete die Bahn Rückstrahlscheiben, immer noch?)
Während ich, bewaffnet mit der Diensttaschenlampe, durch Schotter und Grasbüschel auf dem Weg war, hoffte ich, es möge genügend Petroleum in der Schlußleuchte sein, ihr Erlöschen konnte auch den nicht richtig nachgeführten Docht als Ursache haben. Am Fahrdienstleiterstellwerk angekommen, erwartete der mich bereits am offenen Fenster und rief mir zu: „Tut mir leid, ich hab‘ auch kein Feuer!“ „Und jetzt?“ fragte ich ratlos, denn ohne Schluß durften wir nicht weiterfahren. Der Fahrdienstleiter wies mit ausgestrecktem Arm eine Richtung: „Siehst du da hinten das helle Licht? Das ist das Hotel Landsknecht, vornehmer Schuppen. Geh‘ da mal hin, die haben bestimmt Streichhölzer!“ Das Hotel lag ungefähr mittig zum Bahnhof Werlau. Okay, wenn ich ohnehin wieder wandern mußte… „In Ordnung“, rief ich dem Fdl zu und machte mich auf den Weg. Links und rechts schauen, Gleis überschreiten, das nächste, das Überholgleis der Gegenrichtung, sportlich über die Leitplanke der Bundesstraße 9, erneut „sichern“, auf die andere, rheinufernahe Straßenseite und rasch ausgeschritten – schotterfrei, wie angenehm. Schließlich stand ich vor dem Hotel, „vornehmer Schuppen“, der Fahrdienstleiter hatte recht gehabt. Und ich im schwarzen Kittel, in der rechten Hand die öligen Fausthandschuhe… Mut, Junge! Rein ins Hotel … der Mann an der Rezeption runzelte die Stirn, derweil er mich indigniert anschaute, als käme ich von einem anderen Stern: Welch‘ ein Mißton in der gepflegten Umgebung…! Der Portier wußte bestimmt nicht, was ein Beimann war, also griff ich zu einer Notlüge: „Guten Abend! Ich bin der Lokführer von dem Güterzug da draußen – die petroleumbetriebene Zugschlußleuchte ist ausgegangen. Können Sie mir bitte eine Schachtel Streichhölzer verkaufen?“ Es dauerte etwas, bis der Portier kapierte, zu außergewöhnlich war die Situation, auf die man ihn in seiner Ausbildungszeit bestimmt nicht vorbereitet hatte. Endlich griff er unter den Tresen, zückte ein Streichholzbriefchen und erwiderte: „Guten Abend, der Herr! Ich bitte Sie, dafür nehmen wir kein Geld, das ist Kundendienst!“ Er überreichte mir das mit Hotelreklame bedruckte Streichholzbriefchen mit einer Miene, die sagte: Geh‘ mit Gott, aber geh‘, ich dankte artig und verabschiedete mich. Nun das gleiche Procedere in Gegenrichtung: Über die B 9, die Leitplanke, über die Gleise zum Schluß unseres Zuges. Das „Lämpi“ aus der Halterung gezogen, geschüttelt, jawoll, Sprit ist genug drin, wieder zurückgesteckt, es geöffnet – und siehe da, wie erwartet, war der Docht abgebrannt bis auf die Metallführung. Mit der Rändelschraube hochgedreht, Streichholz an (zum Glück war’s windstill) … und, ein erhebendes Gefühl, der Zugschluß brannte. Die Rotlichtblende wieder zugemacht und Richtung Lok gestiefelt. „Ich dachte schon, du hättest dich verlaufen oder wärst entführt worden!“, empfing mich der aus dem Seitenfenster schauende Lokführer. „War ‘ne größere Sache, erzähle ich gleich“, gab ich zurück, fragte: „Soll ich fertigmelden?“ „Na klar“ Ich kurbelte, meldete dann: „Zugschluß leuchtet, Zug 6569 fertig zur Ausfahrt!“ „6569 fertig. Ihr kommt sofort dran! Gute Fahrt!“ „Danke!“ Ich schloß den Kasten des Signalfernsprechers und hörte die Drahtzüge des Formsignals ächzen – Hp2, rauf auf die Lok, es ging weiter… Geschafft – die ganze Aktion hatte ungefähr eine Stunde gedauert … ich werde sie nie vergessen.
ZitatGepostet von Oldie_Kurt (Seit den späten 90ern verwendete die Bahn Rückstrahlscheiben, immer noch?)
Ja, aber mir wär so, daß Die schon seit den 1980er Jahren verwendet werden (zumindest bei der DR). Bei neumodischen Fahrzeugen gibts die sogar als Klebefolien, da es keine Halterungen für die Schlußscheiben mehr gibt.
ZitatJa, aber mir wär so, daß Die schon seit den 1980er Jahren verwendet werden (zumindest bei der DR). Bei neumodischen Fahrzeugen gibts die sogar als Klebefolien, da es keine Halterungen für die Schlußscheiben mehr gibt.[/b]
Die rückstrahlenden Schlußscheiben von der DR aus den 80igern ist mir auch so bekannt. Aber neumodische Wagen mit Klebefolien wiederum nicht, obwohl ich bei DB SR bin. Selbst die neuen flüsterleisen nichtbremsenden HUPAC-Taschenwagen haben Schlußscheibenhalterungen. Wenn Du hast, stelle mal bitte ein Bild eines solchen Wagens ein. Ich lerne gerne dazu...
H0-Modellbahnforum.de - das Forum mit der Forumbahn!
»
Allgemeine Foren
»
Vorbild Allgemeines
»
Lokführererlebnisse
Thema drucken
31.12.2013 16:50
Antworten
