na, da warst Du ja so richtig "mitten drin" ... nebenberufliche Bahnreinigung - ich nehme an, Dein Geld hast Du verdient im Sinne des Wortes!
Keine Details, nur dies: Sei froh, daß Du in Hamburg warst. Der reinigungstechnisch (speziell "leibstuhlseitig") heikelste Zug war der Hellas-Expreß, der von Dortmund nach Athen fuhr; mit Kurswagen Thessaloniki und Piräus. Der tuckerte zwei, drei Tage lang u.a. durch den Ostblock-Balkan und wie ohne Zwischenreinigungen die WCs aussahen, überlasse ich der Phantasie des Lesers... Wir hatten den "Hellas" eine zeitlang von Köln bis Mannheim sowie in Gegenrichtung. Beim aus Athen kommenden Zug habe ich mal in solch ein Kabinett reingeschaut ... kein Kommentar...!
Ich bin ebenfalls einer der wenigen Menschen, die mit nachmittags oder abendfüllenden Sportveranstaltungen nichts anfangen kann. Lieber setze ich mich selber aufs Fahrrad und drehe meine Runden in den Kelheimer Wäldern. Aber eine lustige Geschichte im Zusammenhang mit einem Fußballländerspiel habe ich doch erlebt, die ich kurz erzählen möchte, auch wenn sie vielleicht ein bisschen OT ist. Nach meiner Zeit bei der Bundeswehr kam ich nach Regensburg und trat dort mein Studium in der Fachrichtung Elektrotechnik an. Ein Bekannter hatte mir ein Zimmer in einem kleinen privaten Wohnheim vermittelt und mir den Tipp gegeben: Wenn mal ein Fußballspiel live übertragen wird, dann sieh dir das im Aufenthaltsraum an, alleine wegen der Stimmung, die dort herrscht. Irgendwann stand auch ein Spiel an. Gegen wen die deutsche Nationalelf antrat, weiß ich nicht mehr. Mit Interesse und Erstaunen verfolgte ich die hitzige Diskussion, die schon vor Beginn des Spiels in Gang gekommen war. Zwei der Anwesenden waren sich darüber in die Haare geraten, in welcher Reihenfolge die Nationalspieler aufs Spielfeld laufen. Der eine Fußballfan gab eine Reihenfolge an, der andere eine völlig andere. Mit Interesse wurde dann das Geschehen auf dem Bildschirm vefolgt. Und wer hatte Recht? Keiner, denn die Spieler hatten sich für eine weitere Variante entschieden. Die beiden Streithähne beruhigte diese Tatsache nicht im Mindesten. Der eine begann zu argumentieren: „Aber damals beim Spiel gegen xx am soundsovielten (Die Details habe ich leider vergessen.), da liefen sie so ein, wie ich gesagt habe.“ Der Gegensprecher konterte mit anderen Angaben, die seine Aussagen untermauern sollten. Dass mittlerweile das Spiel angepfiffen wurde, ging in der Hitze der Diskussion unter…
Danke für eure sportlichen Episoden. Auch mir fällt eine Episode ein, die mir mein opa erzählt hat.
Am 4. Juli 1954 war Opa unterwegs von Aachen über Köln gen Heimat (Hagen-Eck). Ob als Heizer oder bereits als Lokführer, weiß ich allerdings nicht. An diesem Tag kam es zum Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz zwischen Ungarn und Deutschland. Ich denke den Ausgang des Spiel kennt spätestens seit dem Film "Das Wunder von Bern" jeder. Nun gut, man fuhr los und wusste, dass das Spiel läuft. Bei jedem Unterwegshalt fragte das Lokpersonal nach dem Zwischenstand, den das Bahnhofspersonal überall im Radio verfolgte. Ein erster Zwischenstand 2.= für Ungarn ließ wenig Euphorie entstehen. Beim nächsten Zwischenhalt hieß es dann schon 2:2, was zunächst für unglaublich gehalten wurde. Als dann die Leute auf den Bahnhöfen zum Teil zur Lok liefen, wurde meinem Opa und seinem Kollegen bewusst, dass sie eine Sensation durch ihren Dienst verpasst hatten. So war (und ist es immer noch) das nun mal als Lok- bzw. Zugführer.
ZitatGepostet von Oldie_Kurt na, das wäre was gewesen: Zwei Kerle, die motzen und hetzen. Arme sportbegeisterte Kollegen...
naja, ich war eher ein ruhiger und wollte eigentlich gerne in Ruhe gelassen werden. Angefangen hab ich nie sowas. ABER: Ich glaube wir hätten uns die "Bälle" gut zuwerfen können. Zu zweit kann man besser ironisch sein, manchmal bestimmt sogar ohne Worte oder wir hätten uns einfach lautstark über sonstwas unterhalten können
mir hat die Bahnreinigung Spaß gemacht, auch wenn es damals (Ende der 90er Jahre) nur 10,50 DM brutto pro Stunde gab, und die Arbeitszeit eigentlich immer so gelegt wurde, dass man möglichst wenig in die Zeit kam, in der Zuschläge gezahlt wurden. Das blieb dann dem Stammpersonal bzw. den Lieblingen der Chefin vorbehalten.
Manchmal wussten wir aber nicht, ob wir lachen oder weinen sollten.
Abends gegen halb Sieben kam immer ein Zug aus Hamburg, der grob vorgereinigt war, und in Lübeck wurde eine weitere Reinigung durchgeführt (S1/S2, glaube ich). Die zweite Reinigung hieß eigentlich, Abfallbehälter leeren, Zeitungen einsammeln, grobe Verunreinigungen beseitigen.
Ich schreib mal so, wie es war: nun hatten die Hamburger manchmal einen an der Waffel. Der Zug kam in HH direkt aus der Reinigung in der Einsatz, und je nach Lust und Laune sah der dann aus.
Offenbar hatten die Kollegen eine stark divergierende Meinung, was "trocken" bedeute. Der Zug sollte mit gereinigten Wagen ankommen, Boden trocken. Aber oft genug schwamm da noch das Wischwasser dieser Elbepiraten im Zug, große Pfützen waren nicht selten. Und das mussten wir dann trockenlegen.
So, und dann noch schönes Schnee- oder Regenwetter, dann war's perfekt. Der Matsch und Dreck an den Schuhen löste sich in den Pfützen auf den Gängen, es war eine einzige Sauerei.
Gerüchteweise hörte ich, dass dafür vollgek***te Züge aus Lübeck von den Hamburger gereinigt werden mussten. Hähä.
wenn ich jetzt jede Zuschrift separat und ausführlich beantworten würde, hätte ich bis Mittag zu tun - bin aber etws im Zeitdruck, daher kurz sowie mit Bitte um Verständnis (und danke für Euer Interesse!!!):
@Kaputnik: Ja, so habe ich die Fans oft genug erlebt: Jeder weiß alles besser...
@Michael_H: Ich kann mir gut vorstellen, welcher Spannung Dein Opa und seine Kollegen ausgesetzt waren. Dieses wichtige Spiel und dann unerreichbar (Zugbahnfunk gab's ja noch nicht)! Und vor diesem Hintergrund eine Dampflok über die steigungsreiche Strecke bringen...
@Micha: Diese Unterhaltung über Themenfremdes haben zwei Kollegen und ich mal bringen können. Derweil im Fernsehen ein Biathlon-Wettbewerb gezeigt wurde, redeten wir höchst angeregt über römische Geschichte und Asterix. Die Jungs waren verunsichert...
@Andreas: Jetzt weiß ich, warum frühmorgens die S-Bahnen "im Wasser standen", die in Deutzerfeld ihre Tagesdienste begannen...
Beste Grüße: Kurt
PS.: Vorschau: Als nächstes werde ich zwei kleine Storys über den kürzlich erwähnten Hellas-Expreß bringen.
Fußballfans - wir hatten einen ganzen Zug voll davon hier zu Besuch.
Wir -also die Bahnreinigung- waren vorgewarnt, aber die Züge sahen irre dreckig aus.
Und dann kam da so ein Nappel an (vielleich 20 Jahre alt), zwei Polizisten im Schlepptau, und behauptet allen Ernstes, ihm würden 2 Dosen Bier fehlen, und der Zug solle jetzt durchsucht werden.
Der Typ hat Glück gehabt, dass er nicht in der Klappsmühle gelandet ist. Er hatte aber auch Nerven. Ca. 800 Fußballfans (friedlich) vom BVB, und dann soll die Polizei wegen seiner 2 Dosen den Zug durchsuchen. Da lagen hunderte rum !
wie angekündigt, möchte ich heute zwei Geschichten erzählen, die den berühmten D 410/411 „Hellas-Expreß“ zum Inhalt haben. Damit Interessenten sich etwas einstimmen können, hier zunächst ein Link, unter dem zahlreiche Bilder zusätzliche Informationen zum Thema bieten:
Einige Grundlagen Der Hellas-Expreß verkehrte bis zum Fall des Eisernen Vorhangs sowie gewissen damit einhergehenden militärischen Auseinandersetzungen im Balkangebiet; der ungewöhnlich lange Laufweg von 2.750 Kilometern bei rund 50 Stunden Fahrzeit war für europäische Verhältnisse nicht gerade alltäglich.
Der „Hellas“, wie wir ihn verkürzt nannten, war was ganz Spezielles und fuhr von Dortmund nach Athen (D 411) mit Kurswagen für Thessaloniki und (nicht immer) Piräus, bzw. als D 410 in Gegenrichtung. Unser BW Deutzerfeld fuhr den D 411 von Köln (Abfahrt 13:33 Uhr) rechtsrheinisch mit „Uferwechseln“ für den Halt in Koblenz HBf (danach erneut rechtsrheinisch) und Mainz HBf bis Mannheim HBf (Ankunft 16:30 Uhr); in Gegenrichtung beförderten wir im Rahmen einer anderen Planleistung den D 410 von Mannheim (Abfahrt 15:02 Uhr), ab Mainz abermals rechtsrheinisch mit dem gleichen Procedere für Koblenz, über Bonn-Beuel und Troisdorf bis Köln. Der D 411 lief, von Dortmund kommend, meistens planmäßig – aber der D 410 erreichte wegen unzähliger Hinderungsmöglichkeiten auf der „endlos“ langen Strecke mit mehreren Grenzübergängen Mannheim zumeist verspätet. Der Hellas-Expreß D 410 war für uns Lokführer, wenn man so will, ein „Abenteuer nach Plan“…
Es herrschte Platzkartenpflicht (die mit Beginn der „Interrail-Tickets“ zuweilen locker gehandhabt wurde): Ein Zweiter-Klasse-Abteil verfügte bekanntlich über sechs Sitzplätze, mit Hilfe der Platzkartenpflicht wurden stets nur vier Plätze je Abteil belegt. Dies, weil der Zug mehrheitlich von Gastarbeitern als preisgünstige Möglichkeit der Urlaubsheim- und Rückreise genutzt wurde. Jene Menschen hatten das ganze Jahr über geschuftet, um ihren Familien ein besseres Leben zu ermöglichen – und wenn sie auf Urlaub nach Hause fuhren, wollten sie natürlich so viele Geschenke und Dinge des täglichen Bedarfs (auch Haushaltsgeräte) mitnehmen, wie irgend möglich. Etliches gab es damals in Ländern wie dem Konglomerat Jugoslawien nicht oder nur zu unerschwinglichen Preisen. Was also lag näher, als den Lieben daheim beispielsweise eine neue Waschmaschine mitzubringen, Koffer, Taschen, Behältnisse sowie Kartons voll mit Haushaltsbedarf, Textilien und was weiß ich noch alles auf die Reise mitzunehmen. Und die persönliche Verpflegung durfte nicht zu kurz kommen; auch dafür wurde Sack und Pack mitgeführt.
Gerüchteweise sah sich das Zugpersonal zuweilen mit Personengruppen konfrontiert, die im fahrenden „Hellas“ auf Gas- und/oder Benzinkochern Mahlzeiten zubereiteten, was natürlich ein im Wortsinne brandgefährlicher Horror gewesen wäre (wie gesagt: sowas wurde erzählt, selbst erlebte ich es nicht).
Auf jedem Unterwegsbahnhof stiegen weitere Reisende zu, und praktisch jeder schleppte mengenweise Gepäck auf den Bahnsteig und dann in den Zug. Einige Kollegen witzelten, die Leutchen hätten zu Hause für Testzwecke das 1:1-Modell eines D-Zugwagenfensters, weil sie vieles, auch sperrige Gegenstände, durch die Fenster ein- und ausluden – und fast immer paßte es…
Manchmal war der Hellas zum Auswachsen, doch im Nachhinein denke ich – ganz ehrlich formuliert – voll positiv nostalgischer Gefühle an ihn und seine Zeiten zurück… Gleichfalls positive Erinnerungen weckt zudem die Tatsache, daß er ein schwerer, langer Schnellzug war, der regulär mindestens zwölf, häufig mehr Wagen mitführte, natürlich alle mit Klotzbremsen, die, wie im Kapitel über den „Wurstmarkt-Expreß“ näher beschrieben, einige Kenntnisse und Erfahrung im praktischen Umgang erforderten. Ich fuhr solche Züge wahnsinnig gerne. Der Disponent wußte das, und da etwelche Kollegen besonders mit dem Hellas-Expreß Mannheim – Köln auf Kriegsfuß standen (weil er häufig verspätet war), kam ich zu meiner Freude recht oft dazu, ihn „am Haken“ zu haben. Doch auch die Destination Köln – Mannheim war mir nicht selten vergönnt, als Gegenleistung gewissermaßen. Das war jedesmal ein „Traumdienst“: Dienstbeginn (entsprechend früher kommend) zur Mittagessenszeit in der guten Kantine Köln HBf, gemütlich und zufrieden die rechte Rheinstrecke entlangtuckern, wo es deutlich langsamer zugeht als linksrheinisch. Nicht umsonst ist sie Haus- und Hofstrecke für Güterzüge. Vorbei am Siebengebirge bis Neuwied, dort über den Rhein und Koblenz-Lützel nach Koblenz HBf, und wieder auf die rechte Rheinseite zurück, via Niederlahnstein, Oberlahnstein, Braubach, Osterspay, Kaub und Rüdesheim (wobei es auch unter der berühmten Loreley hindurchgegangen war), dann den kurvenreichen Rheingau mit seinen Weinbergen entlang, über die Kaiserbrücke hinter Wiesbaden-Biebrich nach Mainz HBf. Von dort die klassische Schnellzugstrecke über Worms, Frankenthal, Ludwigshafen bis Mannheim, wo der ablösende Kollege mich erwartete und mit dem ortsüblichen „Ala“ begrüßte, das eine Entsprechung zum norddeutschen „Moin, moin“ oder dem koblenzerischen „Guude“ darstellt und zu jeder Tages- und Nachtzeit Verwendung findet.
Der Hellas-Expreß Richtung Mannheim Wie schon erwähnt, das war eine prima Tour, so auch diesmal: An einem sonnigen Herbsttag fuhr ich den „Hellas“ nach Süden, bei bester Laune wie immer, wenn’s die Rheinstrecke (egal, ob rechts oder links) entlangging. Die „hat was“, ist landschaftlich ebenso interessant wie bahntechnisch. Gesteigert wurde das Ganze angesichts des ungewöhnlichen Laufwegs des Zuges, der ihn zweimal über den Rhein führte (wie oben beschrieben). Alles lief bestens, die 110er hatte bei Beschleunigungsvorgängen mit dem schweren Zug zwar allerhand zu tun – aber auch das gehörte einfach dazu. Jedenfalls kam ich planmäßig in Mainz HBf an. Dort war allerhand los: „Dräuende“ Menschenmassen, nicht nur zahlreiche Reisende, sondern auch Leute, die Freunde, Verwandte und Bekannte an den Zug begleitet hatten und ihnen beim Einladen des umfangreichen Gepäcks behilflich waren. Ich sah nach vorne, hielt das Ausfahrsignal im Auge. Die Abfahrtzeit kam näher. Das Signal wechselte auf Hp2/Vr2, ich wartete auf das Lichtsignal Zp9 zur Abfahrt. Nichts geschah. Aufstehen, ans Fenster, Blick nach hinten. Am Zug wurde eifrig geladen, Koffer, Kisten, Sack und Pack durch die Fenster geschoben, „Brocken“ von Kartons durch die Türen gewuchtet. „Zugpersonal D 411 – bitte beschleunigt abfertigen!“, ertönte die mahnende Ansage des Fahrdienstleiters. Offenbar waren wir mit dem Hellas nachfolgenden Zügen im Wege. Dennoch: Wir konnten schließlich nicht abfahren, solange die „Ladearbeiten“ dauerten. Wieder hinsetzen, auf Zp9 warten.
Einige Minuten später erneut der hörbar genervte Fahrdienstleiter: „Achtung D 411: Ausfahrt wird zurückgenommen!“ Und das Signal fiel auf Hp00 zurück. Ich stand auf, schaute nach hinten – und wurde Zeuge des abfahrtverhindernden Problems: Fünf oder sechs Männer luden grundierte Karosserieteile eines Autos durch Türen und Fenster in den dritten Wagen hinter der Lok. Genaueres Hinsehen machte klar, daß es sich um die Bauteile einer kompletten VW-Bus-Karosserie handelte, Seitenwand- und Dachelemente, Front- und Heckteile, Türen, Schweller, Rahmensegmente, Fenster, Auspuffanlage, Stoßstangen, nicht näher definierbare Bleche – Stück für Stück verschwand alles im Zug, und weil etliche der Teile recht umfangreich waren und dennoch beim Laden nicht beschädigt werden sollten, dauerte der Vorgang halt seine Zeit… Endlich war das letzte Stück verstaut, der geduldige Zugführer (wie hätte er sich auch anders verhalten sollen?) gab die Fertigmeldung an den Aufsichtsbeamten. Ein Güterzug rollte durchs Nachbargleis, fädelte sich vor uns in das Streckengleis des Mainzer Tunnels ein – nun mußten wir warten, bis der Block frei wurde. Dann: Ausfahrt Hp2/Vr0 … Vr2 … Zp9 … Lüfter ein, Anfahren, Wachsamkeitstaste bedienen (ich hatte gerade mal eine Loklänge vor dem Signal gestanden), nach hinten schauen, alles klar, hinsetzen und weiter aufschalten, den Zug auf 60 km/h bringen, die Hp2-Geschwindigkeit für die hinter dem Tunnel und dem Bahnhof Mainz-Süd liegende Abzweigung Richtung Mannheim über Worms. Blick auf die Uhr: Die Verladung des VW-Busses hatte im Verbund mit den betrieblichen Verzögerungen rund 20 Minuten Verspätung erzeugt – ärgerlich, doch für den Hellas-Expreß nicht wirklich ein Thema und die Übergangszeit auf die Rückleistung war in weiser Voraussicht großzügig kalkuliert…
Der Hellas-Expreß von Mannheim nach Köln Beim besten Willen vermag ich mich nicht mehr zu erinnern, mit welcher Vorleistung wir damals nach Mannheim fuhren; es wird wohl ein IC gewesen sein. Jedenfalls – und hier gerät die Erinnerung wieder glasklar – mußte man sich vom Lokführer-Aufenthaltsraum Mannheim HBf wegen der Rückleistung beim Fahrdienstleiter melden, der dort im Dialekt „Fahrdinnscht“ hieß. Ich komme also im Aufenthaltsraum an, begrüße drei dort sitzende Kollegen, greife den Telephonhörer, wähle die Nummer des FDL, kurz darauf: „Fahrdinnscht!“ „Guten Tag, hier ist der Lokführer für den 410. Wie sieht’s denn mit dem aus?“ „Ei, geh‘ was esse‘, der hat drei Stund‘ plus!“ Das war’s, was viele meiner Deutzerfelder Kollegen haßten: jene unwägbaren Verspätungen des Hellas-Expreß‘, und das war der Grund, weshalb ich als Sonderdienstler recht oft den von mir geliebten „Hellas“ fahren konnte. Sicher, an diesem Tage würde ich etwa drei Stunden später zu Hause sein – doch wo war das Problem? Im Sonderdienstzettel wurden diese Zeiten aufgeführt, als Überstunden verrechnet und mehr Nebengeld gab es außerdem. Hier war ein wenig Cleverness angesagt: Pausen bis zu 60 Minuten wurden voll auf die Arbeitszeit und damit die Auswärts- und sonstige Zulagen angerechnet; darüber hinausgehende Zeiten kamen mit 50 Prozent in Abzug, das heißt, weitere zwei Stunden Pause wurden mit nur einer Stunde vergütet bzw. auf die Arbeitszeit angerechnet. Der Zug hatte Verspätung, Pluszeit, die er aber unter Umständen verkürzen konnte, weshalb man á la Bereitschaft „in wacher Aufmerksamkeit“ auf ihn zu warten hatte – folgerichtig schrieb ich im Sonderdienstzettel nicht „Pause“, sondern „Warten auf Zug“ und bekam damit die Zeit voll angerechnet. Tja, auch als Lokführer mußte man ein kleines bißchen Geschäftsmann sein… Ferner bekam ich als „Dankeschön“ dafür, daß ich den pauschal unbeliebten Zug gefahren hatte, vom Disponenten in der Regel anschließend zwei Ruhetage. Das war, so fand ich, summa summarum doch ein gutes Geschäft, Spaß inklusive.
Drei Stunden „plus“, wie Verspätung allgemein dezent umschrieben wurde. Planmäßige Abfahrt sollte 15:02 Uhr sein, drei Stunden dazu … machte rund gerechnet 18:00 Uhr. Um die lange Rückfahrt bei guten Kräften überstehen zu können, war ein verfrühtes Abendessen durchaus sinnvoll, das so gegen halb fünf, fünf Uhr einzunehmen wäre. Kantine? Nee, um die Zeit gab’s dort nix Gescheites mehr. Als Lokführer im Deutzerfelder Sonderdienst, der einen zuweilen in die entlegensten Gegenden führte, war außerbahnerische Streckenkunde wichtig! Soll heißen: Man mußte im Rahmen der „normalen“ Streckenkunde die weitere Umgebung der jeweiligen Betriebswerke und Bahnhöfe erkunden, feststellen, wo es gute Restaurants und Imbisse gab, wo ein nettes Café Zeiten überbrücken half, wo ein Blumengeschäft oder eine Chocolaterie Aufmerksamkeiten für die Lebensabschnittsgefährtin bereithielt. (Natürlich wies nicht jeder Ort solches auf; in Hildesheim fragte ich, mit einem Leerreisezug gegen 19:00 Uhr angekommen, den Aufsichtsbeamten nach der Kantine. Antwort: „Kantine? Du bist wohl Optimist? Hier werden um 20:00 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt…“) Zurück nach Mannheim. Drei Stunden … hmmm … richtig: Gegen halb Fünf loslaufen, vom Bahnhof immer geradeaus, etwa 15 Minuten Fußweg, stramm ausgeschritten, dann erreichte man einen erstklassigen chinesischen Imbiß namens „Madame Ko’s“, wo es für wenig Geld leckere Spezialitäten wie Nudeln mit Rindfleisch und Gemüsen aus dem Wok gab, vor den Augen der Gäste frisch zubereitet. Ich weiß noch, daß die kleine Portion – mit der ich echt zu tun hatte – anno 1982 ganze 3,20 DM kostete. Da lohnte sich der Weg in jeder Hinsicht; auch an jenem frühen Abend, als der Hellas mit drei Stunden Verspätung unterwegs war. So konnte ich, rundum glücklich und zufrieden, die Heimfahrt antreten, mit einem Zug hinter der 110er, der vermutlich bei einer akribischen Zollkontrolle im Ostblock seine Pluszeit erhalten hatte. Da der Fahrplan von Mannheim bis Köln nicht allzu ehrgeizig gerechnet war, konnte ich mit „spitzer“ Fahrweise (siehe „Wurstmarkt-Expreß“) die Verspätung sogar noch um ein paar Minuten reduzieren.
Der Hellas-Expreß von Mannheim nach Köln war – wie gesagt – stets ein kleines Abenteuer. Bei Ankunft in Mannheim jedesmal zuerst den Fahrdienstleiter angerufen, und jedesmal die Spannung, wieviel „Plusminuten“ der Zug heute hat. „Plus 80“, „Plus 30“ (hoppla – das war rekordverdächtig wenig!), „Plus 190“ … und so weiter. Einmal allerdings erhielt ich die Meldung: „Zug läuft plan!“ Verblüfft antwortete ich: „Kann nicht sein, das ist der von gestern…“
Der Hellas-Expreß ist Geschichte. Und ich war dabei – irgendwie ein seltsames Gefühl…
Hallo Kurt, wieder mal ne wunderschöne Geschichte von Dir. Da fällt mir auch was ein. Nicht als Lokführer oder Bahnangestellter, nein nur als Fahrgast. Es war irgendwann im Jahre 85 oder 86, jedenfalls aber im Sommer, auf der Strecke von Berlin nach Leipzig. Nun, bei uns in der DDR war es ja so, daß die Bahn eigentlich das Hauptreisemittel war, da man ja auf einen eigenen PKW recht lange hat warten müssen. Der Zug, also ein Städteexpress, wurde gewöhnlicherweise in Berlin Lichtenberg eingesetzt und fuhr dann in die jeweiligen Bezirke. Jedenfalls, habe ich den Zug, der ja in Lichtenberg planmäßig abfährt, nicht mehr geschafft. So bin ich dann eben mit dem Betriebsbus weiter bis runter zum Adlergestell gefahren und von dort aus dann mit der S Bahn weiter bis nach Schönefeld. Kurioserweise, ist man da immer vor dem einfahrenden Städte Ex. dagewesen, manchmal auch nur ein zwei Minuten, aber es hat immer geklappt. Nun ja, als der Zug einfuhr, da sah ich schon das Dilema, der war rappel voll und es war Sommer, uud es gab ich sowas wie ne Klimaanlage. jedenfalls hat der Schaffner mitgeholfen die Leute, die in Schönefeld noch auf dem Bahnsteig standen reinzustopfen. Letztendlich hab ich mich dann auf dem Gang wiedergefunden eingekeilt zwischen, ich weis nicht wieviel anderen Leuten, die auf dem Gang standen, weil alle Abteile belegt waren. Auch der Schaffner kam nicht durch, wie auch. Irgendwer hat dann Fahrkarten durchgereicht, die gelocht wurden,aber ob die wieder bei dem Betreffenden angekommen sind, weis ich nicht. Jedenfalls war´s glaube ich Wittenberge, da öffnete sich ein Abteil und eine Frau mit einem Kind und nem Kleinkind mit Kinderwagen wollte aussteigen. Tja, aber wohin mit den ganzen Leuten, die im Gang standen? Die Frau fing schon an zu weinen, weil sie womöglich nicht rechtzeitig rauskam, da der Zug ja noch vor dem Bahnhof war und noch fuhr. (Die Städte Ex. hatten immer nur sehr wenig Aufenthalt auf den Bahnhöfen) Letztendlich wurde die Frau, sammst Kinder und Kinderwagen über die Köpfe der anderen Reisenden im Gang hinweggehoben und alle vier kamen wohlbehalten an der Tür an und konnten so den Zug verlassen. Meistens gab es solche oder änliche Vorfälle meistens in den Freitagszügen von Berlin runter, da diese Züge meist die Berlin Arbeiter nutzten um wieder nach Hause zu fahren. So, das war mal ein kleiner beitrag von mir dazu. Gruß Carsten
HO 2 Leiter, DR Ep.IV, IB - COM, melden und schalten mit Uhlenbrock, bleibe bei TC9 Gold, Piko A,
Ich hab zwar noch nicht alles gelesen, aber deine Geschichten sind ein guter Zeitvertreib bei meinen Nachtschichten! Nun habe ich bei der Lektüre von "Luft weg!" einen kleinen aber gravierende Fehler entdeckt! Du hast den Namen meiner Heimatstadt falsch geschrieben!! Es wird Rheidt gesprochen aber Rheydt geschrieben. Würdest du mir den gefallen tun und das korrigieren? Dann bist du mit diesem Zug ja sprichwörtlich vor meiner Haustüre vorbeigefahren! Nach Rheydt Odenkirchen war die strecke ja wieder zweigleisig, nach etwa 500m kam doch ein Anschlussgleis und gleich danach eine Links kurve vorher noch links von dir so ein paar ekelhaft grüne Hochhäuser,die strecke verläuft ja da auf einem Damm, genau am Anfang der links kurve rechts hab ich 150 Meter weiter gewohnt. Jetzt frage ich mich aber gerade, was da der nächste halt war, Hochneukirch oder Jüchen? Danach kam Grevenbroich Neuß Rommerskirchen Köln, kann das sein?? Ich bin schon zu lange da weg!
Et grüßt en rheer joong!!
[ Editiert von maquetista15 am 22.12.13 5:12 ]
Gruß Eduard Ich steuere mit der MOBASBS Bastel lange und in Frieden
Ich hab zwar noch nicht alles gelesen, aber deine Geschichten sind ein guter Zeitvertreib bei meinen Nachtschichten! Nun habe ich bei der Lektüre von "Luft weg!" einen kleinen aber gravieren Fehler entdeckt! Du hast den Namen meiner Heimatstadt falsch geschrieben!! Es wird Rheidt gesprochen aber Rheydt geschrieben. Würdest du mir den gefallen tun und das korrigieren? Dann bist du mit diesem Zug ja sprichwörtlich vor meiner Haustüre vorbeigefahren! Nach Rheydt Odenkirchen war die strecke ja wieder zweigleisig, nach etwa 500m kam doch ein Anschlussgleis und gleich danach eine Links kurve vorher noch links von dir so ein paar ekelhaft grüne Hochhäuser,die strecke verläuft ja da auf einem Damm, genau am Anfang der links kurve rechts hab ich 150 Meter weiter gewohnt. Jetzt frage ich mich aber gerade, was da der nächste halt war, Hochneukirch oder Jüchen? Danach kam Grevenbroich Neuß Rommerskirchen Köln, kann das sein?? Ich bin schon zu lange da weg!
Es grüßt en rheer joong!!
[ Editiert von maquetista15 am 22.12.13 4:26 ]
Hallo,
danke für Deinen Hinweis wegen des Schreibfehlers! Das passiert mir ziemlich selten und gerade die falsche Schreibung von Namen ist eine journalistische Todsünde! Very sorry, ist nunmal passiert, bitte um Entschuldigung! Leider kann ich das im Thread nicht mehr korrigieren, weil man nach einer gewissen Zeit (und die ist lange verstrichen) nicht mehr an die Texte rankommt.
Ortsreihenfolge: Hochneukirch - Jüchen - Grevenbroich - Rommerskirchen - Stommeln - Pulheim - Köln-Ehrenfeld - Köln HBf. Nach Neuss geht's von Mönchengladbach aus über die Kursbuchstrecke 450.
Und im übrigen: Ist ja witzig, daß ich x-mal bei Dir "an der Haustüre" vorbeigefahren bin. Tja, die Welt ist ein Kaff...
schöne Geschichte! Und ich dachte immer, richtig gestopft voll sei nur die U-Bahn von Tokyo, wo sogenannte "Pusher" die Fahrgäste in die Züge schieben...
Oha KBS iss nich so mein Ding!! aber du meinst die Strecke von Mönchengladbach nach Düsseldorf wahrscheinlich?
Aber in dem Zusammenhang mal ne frage, hast du noch die Strecke Odenkirchen Mühlfort Geneiken Mönchengladbach befahren? Da bin ich nämlich mit dem Eisenbahnvirus infiziert worden, als kleiner junge habe ich immer am BÜ in Mülfort auf deme weg zum Kindergarten die Dampfer vorbeifahren sehen, bin 3 Jahre vor deinem Köln Nippes antritt geboren!
[ Editiert von maquetista15 am 22.12.13 5:21 ]
[ Editiert von maquetista15 am 22.12.13 6:02 ]
Gruß Eduard Ich steuere mit der MOBASBS Bastel lange und in Frieden
grins, feix - jetzt hast Du einen Ortsnamen falsch geschrieben: Laut Kursbuch heißt es nicht Rheydt-Mühlfort, sondern Mülfort (ohne /h/)... Ja, diese Strecke habe ich auch befahren, das war einigermaßen seltsam, mit einem "richtigen" Zug quasi mitten durch die Schrebergärten. Zulässige Höchstgeschwindiigkeit war 80 km/h, die bin ich aber nie gefahren (kurzer Stationsabstand, lange Fahrzeit). Irgendwann, ich glaube, Ende der 80er Jahre, wurde die Fahrleitung abgebaut und die Strecke sah nur noch ab und zu eine Köf.
moin Kurt, Asche auf mein Haupt!! Wenn ich das richtig gelesen habe war diese Strecke eigentlich nur als Anbindung von Schies Frorip in Rheydt gedacht die Güterzüge kamen bis Mülfort wurden da auf wagen der Rheydter Straßenbahn Gesellschaft verladen und dann über die Straßenbahnschienen 2 km befördert, bis Frorip! Später dan mal wurde die Strecke bis Kabelwerk verlängert und danach weiter bis Mönchengladbach. nachdem Kabelwerk angeschlossen war haben sich danach Shorch, Scheidt & Bachman( Klingelt da was bei dir?)und Monforts dann auch an diese Strecke angeschlossen. Heute wird nur noch der Teil von Geneiken nach Mönchengladbach genutz, da werden dan die Großtransformatoren mit dem Tragschnabelwagen versandt von Schorch aus. Tja 2006 wurde Der Schienenweg zur Straße,ich hab 2010 nicht schlecht gestaunt wie sich das da alles verändert hat!! bin mittlerweile 20 Jahre da weg.
[ Editiert von maquetista15 am 22.12.13 6:16 ]
Gruß Eduard Ich steuere mit der MOBASBS Bastel lange und in Frieden
nebenbei fanden weiter oben Sprache und Dialekte Erwähnung. Wir Deutzerfelder Lokführer wurden ab Ende der 1970er Jahre konkret mit sprachlichen Dingen konfrontiert: Bislang fuhren wir mit Nahverkehrszügen über Mönchengladbach nur bis Kaldenkirchen; dort endeten sie. Wenige Kilometer weiter – wenn ich mich recht entsinne, knapp drei – lag der zu den Niederlanden gehörende Bahnhof Venlo. Für den grenzüberschreitenden Verkehr und die Besonderheiten des Bahnhofs Venlo benötigte man spezielle Einweisungen, die wir im März 1979 gruppenweise vor Ort erhielten; unter anderem Signalwesen, Vorschriften, die speziellen schriftlichen Befehle der „Nederlandse Spoorwegen“, deren einer mit dem Passus „Vee op de bahn“ begann und regelte, wie sich der Lokführer zu verhalten hatte, wenn Vieh im Gleis herumlief, und es war wichtig zu wissen, daß „fleutsein geven“ „Achtungssignal geben“ bedeutete. Nahverkehrszug hieß „stoptrain“, Abfahrtzeit „vertrek“. „Pass op – rijdraat“ warnte vor dem Fahrdraht (an Aufstiegen von Kesselwagen zum Beispiel). Ich hoffe, alles Niederländische richtig geschrieben zu haben, denn ich gebe es nur aus dem Gedächtnis wieder; ein Wörterbuch besaß ich mal, doch das ist bei einem Umzug verschwunden.
Nun waren also wir Deutzerfelder qualifiziert, nach Venlo reinzufahren. Anfangs war das ein wenig trickreich, denn der Bahnhof besaß noch keinen Systemwechsel, das heißt, wir mußten am signalmäßig bezeichneten Punkt den Hauptschalter der Lok ausschalten und den Stromabnehmer senken – Schwungfahrt also –, weil unsere Loks nun mal nicht mit 1,5 kV Gleichstrom fahren konnten und beim Überbrücken der Trennstellen möglicherweise Störungen erzeugt hätten. Einige Zeit später aber rüstete die NS Venlo zum Systemwechselbahnhof aus: Die niederländische doppeldrähtige Gleichstromfahrleitung war nun umschaltbar zwischen 1,5 kV Gleichstrom und 15 kV Wechselstrom. (Am Fahrleitungsbau interessierte Modellbahner sollten sich die aufwendige Konstrukion der NS-Fahrleitung mal genau ansehen; in Bahnsteigbereichen z.B. finden wir etwa alle 1,5 Meter einen Hängedraht zwischen Tragseil und den beiden Fahrdrähten. Vermutlich will man verhindern, daß beim Reißen der Fahrdrähte diese den Bahnsteig berühren können? Weiß jemand Näheres?)
Sprachfeinheiten Auch ich fuhr häufig nach Venlo, oft mit den aus vier modernen, scheibengebremsten NS-Wagen bestehenden Schnellzügen. Das war stets eine relaxte Angelegenheit, denn die Strecke über Grevenbroich, Mönchengladbach, Viersen und Kaldenkirchen war keine „Rennbahn“: es ging mit 90 – 100, maximal 120 km/h, gemütlich zu. In Venlo angekommen, stand der Rangierer bereit, die Lok abzuhängen – und damit beginnt meine eigentliche Geschichte: Bei uns, der DB, wurde die Zugsammelschiene („Heizung“) gekuppelt oder getrennt, nachdem der Lokführer bestätigt hatte: „Heizung ist aus“. Die NS war deutlich vorsichtiger: Dort durfte die 1000-Volt-Sammelschiene nur gekuppelt oder getrennt werden, nachdem der Stromabnehmer gesenkt war (das wurde später auch bei uns eingeführt). Die „Holländer“, wie man sie gemeinhin nennt, waren durchweg freundliche bis spaßige Menschen, immer für einen Scherz gut, immer hilfsbereit, wenn mal irgendwas nicht so lief wie es sollte.
Mehrere Fahrplanperioden lang fuhren wir einen schweren Schnellzug mit meist 14 bis 15 Wagen nach Venlo. Äußerst ungewöhnlich, weil wir üblicherweise mit kurzen Einheiten dorthin unterwegs waren. Solch einen „Brocken“ durch die Örtchen fahren, einen internationalen Schnellzug über die kurvenreiche ländliche Strecke kutschieren, war richtig spannend. (Der Zug kam irgendwo aus dem tiefsten Süden, die Zugnummer kann ich leider nicht mehr feststellen, weil er nicht über Köln HBf lief, wir ihn deshalb in Köln-Ehrenfeld ablösten.) In Venlo mußte dieser lange Zug nach Gleis 3 einfahren, damit er an den Bahnsteig paßte. Und genau dieses Gleis besaß eine Bahnsteigüberdachung, die zusätzliche seitliche Glaskonstruktionen aufwies, was von vorne fast wie ein geschwungenes „M“ aussah. Durch diese getrübten Drahtglasscheiben sollte wohl Regen besser abgehalten werden, doch sie verhinderten den Blick aufs Dach des Triebfahrzeugs. Aus diesem Grunde kam der Aufsichtsbeamte mit seinem Funkgerät an die Lok, weil der Lokführer ihm mündlich bestätigen mußte: „Stromabnehmer ist gesenkt!“
Nette Menschen, die Niederländer, wie gesagt. Also wollte ich sie erfreuen, besorgte mir ein Wörterbuch Deutsch-Niederländisch und prägte mir ein, wie „Stromabnehmer gesenkt“ in dieser Sprache ausgedrückt wird. Dann sah ich der nächsten Fahrt mit dem Schnellzug erwartungsvoll entgegen… Endlich war es soweit. Mit dem „endlos langen“ Zug stand ich abermals in Venlo in Gleis 3, Stromabnehmer gesenkt. Der Aufsichtsbeamte kam auf mich zu, der ich grinsend im Seitenfenster der 110er hing und ihm stolz zurief: „Pantograaf beneden!“ Der Aufsichtsbeamte strahlte, lachte dann und erwiderte im „Rudi-Carrell-Slang“: „Hier sin‘ wir in Venlo, spreche‘ Limburger Dialekt, sage‘ ‚Büjel is‘ platt‘…“ Büjel is‘ platt – nun ja, ich war ebenfalls platt … Anspruch und Wirklichkeit…
also diese Niederländer sind schon ein komischen Volk! Aber die Limburger setzen dem noch einen Drauf. Die Strecke hat tatsächlich was, nämlich zu der zeit noch recht viele BÜ! Dülken waren zwei, Boisheim auch noch mal 2, Breyel 4 und Kaldenkirchen nochmal 3.
Einer von den BÜ in Boisheim , war für Autofahrer hinterhältig und gemein! Wenn man den nicht kannte und nicht auf die Geschwindigkeitsbegrenzung achtete, machte man einen Satz und man flog so gute 5m mit dem Auto und der entsprechenden harten Landung auf der anderen Seite, Ich spreche aus Erfahrung! Das hat man nachts nicht gesehen und so ist es uns passiert das wir nach der Landung die Federn an der hinteren Achse erst suchen mussten und dann wieder einbauen konnten bei Nacht, wie es eben so kommt, wenn man sie nicht braucht kommt die Polizei! Na das Gelächter von den Beamten könnt ihr euch vorstellen!!
Gruß Eduard Ich steuere mit der MOBASBS Bastel lange und in Frieden
nun für dieses Jahr die letzte Geschichte – keine Sorge, danach kommen noch etliche. Die Begebenheit, die ich im folgenden erzähle, fand ich während ihres Geschehens absolut nicht lustig, doch in der Rückschau hat sie schon einen gewissen humoristischen Reiz…
Wir befinden uns mal wieder in meinen geliebten siebziger Jahren. Es war (noch) die Zeit der großen internationalen Schnellzüge, die Namen trugen und einen besonderen Status der Wertigkeit besaßen. Unser BW Deutzerfeld war in die Traktion dieser Züge stark involviert, stellte Personal und Lokomotiven. Die 110er kamen im Langlauf bis Österreich, teils sogar bis zum Grenzort Ljubljana. Die Kollegen der ÖBB fuhren gerne auf unseren robusten, zuverlässigen und leicht bedien- sowie im Notfall auch reparierbaren Loks. Aber das nur am Rande. Im Winterfahrplan 1978/1979 fuhren wir zusätzlich zwei solche internationalen Schnellzüge, die abends – respektive nachts – verkehrten, nämlich den D 205 „Riviera-Expreß“ und den D 218 „Tauern-Expreß“: D 205 von Köln HBf nach Mannheim HBf (mit dem seltenen Halt in Ludwigshafen) und in Gegenrichtung D 218 zurück nach Köln. Aus irgendeinem Grunde hatten wir diese Züge nur an drei aufeinanderfolgenden Terminen je Woche zu besetzen; deshalb wurden sie nicht in einen Dienstplan integriert, sondern disponibel gefahren – und Kurt, der Schnellzug-Fan, war wieder der Mann an der Spritze…! Auch mir gefielen Nachtdienste nicht besonders, doch diese drei aufeinanderfolgenden Nächte machte ich gleichwohl sehr gerne, weil erstens „dicke“ Schnellzüge mit Klotzbremsen zu fahren waren und zweitens die Uhrzeiten im erträglichen Rahmen blieben. (Jeder Mensch reagiert auf Nachdienstzeiten anders; mich machten lange Nächte fertig, die über 8:00 Uhr morgens hinausgingen, z.B. jene Tour, die von etwa 20:30 Uhr bis sage und schreibe 11:25 Uhr am nächsten Tag dauerte, zulässig war, weil sie zwei Stunden Pause enthielt. Ich hatte dann des Morgens beim Weg nach Hause das Gefühl, auf Wattebäuschen zu laufen…) D 205 „Riviera-Expreß“: 18:47 ab Köln HBf, Mannheim HBf an 21:45 Uhr; D 218 „Tauern-Expreß“: 1:44 ab Mannheim HBf, Köln HBf an 4:33 Uhr. Zuzurechnen für Köln HBf 13 Minuten A3, ergab Feierabend 4:46 Uhr – das war erträglich, machte mir nichts aus. Und deshalb war ich stets bereit – und eben wegen der Zugart eher sogar scharf darauf –, diesen Dienst zu übernehmen, dreimal hintereinander, womit nebenbei schonmal drei von mehr unvermeidlichen Nachtdiensten pro Monat auf angenehme Art „gegessen“ waren.
Ich kann nicht mehr sagen, wie oft ich das Pärchen 205/218 gefahren habe, jedenfalls recht häufig, zuweilen – das erinnere ich – je Monat zweimal das „Dreierpaket“. Immer lief alles reibungslos, doch dann schrieb man den 31.12.1978…
Silvesterfeuerwerk der anderen Art „Willst’e wieder dreimal 205/218 machen?“, hatte mich der Disponent vor den Weihnachtsfeiertagen gefragt. Klar, ich wollte. Vor der Feiertagsmassierung zu Monatsende und Jahreswechsel wurde so frühzeitig wie möglich ein Feiertagsplan aufgestellt, damit auch die Kollegen des Sonderdienstes ihre Festtage organisieren konnten und die Planpersonale wußten, welche abweichenden Schichten auf sie zukamen. Als diese Pläne auslagen, sah ich, daß man mich praktisch lückenlos wunschgemäß versorgt hatte: 24.12. Spätdienst bis zirka 1:00 Uhr (an Heiligabend übernahm ich traditionell in Vertretung irgendeines Familienvaters dessen Spätschicht, denn ich machte mir seit den Jugendtagen nichts mehr aus Rauschgoldengeln, es sei denn, sie waren schwarzhaarig oder brünett, und die warteten auch mal einen Tag lang…), 25.12. „aus Nacht“, wie der Terminus lautete, 26. frei („Ruhe“), 27. ein kurzer Spätdienst um die 14:00 bis etwa 21:00 Uhr, 28. wieder „Ruhe“ und ab 29.12. dreimal die Schnellzugnacht Mannheim und retour, mithin die Nächte bis inklusive Silvester, dann Neujahr „aus Nacht“, anschließend drei Tage frei als Dankeschön für die Übernahme der Disponächte.
Zwischen den Jahren erfreuten sich die Nachtschnellzüge D 205 und D 218 besonders großer Beliebtheit bei Winterurlaubsreisenden und waren deshalb ausgelastet „bis zum Stehkragen“, 15 Wagen, 60 Achsen also, zählten sie zu dieser Zeit praktisch täglich. Darunter befanden sich etliche Schlafwagen, deren Gewicht naturgemäß größer war als das der Sitzwagen. Man hatte gewissermaßen einen Bleiklotz am Haken; Zuggewichte von über 700 Tonnen waren normal. Bekanntermaßen hatte ich meinen Spaß an den Boliden, zumal der „Riviera-Expreß“ stets mehrere italienische Wagen mit Westinghouse-Bremsen (selbstverständlich die mehrlösige Variante!) enthielt, die, im Verbund mit französischen Wagen (Oerlikon-Bremsen) und unseren DB-Waggons mit KE-Bremsen, eine höchst delikate „Bremssinfonie“ erzeugten. Die am Schluß laufenden „Franzosen“ neigten dazu, bei minimal zu starkem Einbremsen aufgrund ihrer Reaktionsschnelligkeit den Zug „langzumachen“, oder, bei wesentlich zu starkem Anbremsen, aufzulaufen, weil die Oerlikon gegenüber KE eine ziemlich genau umgekehrte Funktionskurve Drucksenkung zu Wirkrelation besaß. Klartext: Es entstanden Zerrungen. Folglich hieß es: Höllisch aufpassen, ganz sanft anbremsen (Drucksenkung um 0,15 – 0,2 bar), man spürte, wie die Oerlikons sachte faßten, von den langsamer, doch heftiger reagierenden KEs und Westinghouses gefolgt; dann, wenn nötig, gefühlvolle weitere Drucksenkung auf maximal 4,5 bar – und damit mußte es idealerweise passen. Beim Lösen war der Zug genauso sensibel, halt nur in umgekehrter Reihenfolge. Ich fand’s einfach nur spannend, Rucke und Zerrungen zu vermeiden, die bremstechnischen „Eiertänze“ sauber hinzukriegen. Wie oft dachte ich dankbar an den alten, erfahrenen Kollegen, der mir das beigebracht hatte… Und wenn’s später geworden war, es in die Nacht hineinging, setzte ich – ebenso wie auf der total nächtlichen Rückfahrt mit dem D 218 – viel Ehrgeiz ein, kleinere Geschwindigkeitssenkungen möglichst nur mit Auslauf oder weich dosierter E-Bremse hinzubekommen: Ruhe im Zug, Schlafwagenreisende bezahlten viel Geld!
Überflüssig, zu erwähnen, daß am 31.12.1978 der D 205 „proppenvoll“ war, seine 15 Wagen wiesen, so der Zugführer, keine freien Plätze mehr auf; was scheinbar noch leerstand, waren die Reservierungen – bis Mannheim würden noch etliche Reisende zusteigen. Der Zug hatte wieder Grenzlast und die 110er ganz hübsch zu tun, um das Gebilde hinter dem Kölner Hauptbahnhof die Kurve des „Koblenzer Damms“ hinaufzuziehen. Wie üblich registrierte ich im Hinterkopf zunächst das Rollverhalten des Zuges, als es vor Köln-West wieder bergab ging – 80 km/h betrug die Streckengeschwindigkeit bis hinter die Kurve von Köln-Süd, ab da freie Fahrt mit 140 km/h. Lief gut, jede Menge „Schwungmasse“, kein Wunder bei dem Gesamtgewicht… Vor Bonn stand ein LF-Signal „10“ – erster Einsatz der durchgehenden Druckluftbremse, von 140 runter auf 100, dann auf 90, um nach Vr0 am Ausfahrvorsignal Bonn HBf die angehängte Indusi-Prüfgeschwindigkeit (95 km/h) bereits unterfahren und Hektiken vermieden zu haben. Gaaaanz sanft und vorsichtig … jau, die typischen Reaktionen, aber absolut individuell: Jeder Zug reagierte anders. Der hier zog nach dem Auslösen der Bremse lange nach und schob nach Abfall der Hochabbremsung (unter 55 km/h) überproportional kräftig, da bewährte sich die langsame erste Bahnsteiganfahrt: „Die erste Halte-Zielbremsung gerade mit derart langen und schweren Zügen bewußt langsam und mit äußerster Vorsicht durchführen!“, hatte mich mein alter Lokführer-Meister gelehrt. Und ich hielt mich daran, was sich im Laufe der Jahre stets bewährte. Nun ergibt es wenig Sinn, sämtliche 255 Kilometer bis Mannheim en detail darzustellen, nur soviel noch: Es war erneut ein Zug, der heikel zu fahren war, der sensibel und trickreich reagierte – und das mochte ich ja… Planmäßige Ankunft in Mannheim, den Ablöser wegen des Schiebeeffektes vorgewarnt, und ab zum Aufenthaltsraum, wo ich gegen 22:00 Uhr eintraf. Wie üblich war wieder allerhand los, es wurden Witze und Storys erzählt, ganz nach meinem Geschmack. Beim „Fahrdinnscht“ meldete ich mich für den D 218 und erfuhr, daß der planmäßig laufe.
Ich hatte mir am Automat im Gang noch einen Kaffee geholt und kam in den Aufenthaltsraum zurück; es war gegen 1:00 Uhr nachts. Drei der Kollegen hatten sich in die Pritschenräume verzogen, um ein bissel zu dösen; eifrige Unterhaltungen waren durch Stille ersetzt. Ich trank den Kaffee, aß noch ein „Bütterken“ dazu, als uns vier verbliebenen Nachteulen ein seltsames Geräusch auffiel: irgendwie rauschte und knisterte es an den Fenstern, die wegen der herrschenden Dezemberkälte geschlossen waren. Ich stand auf und sah die Bescherung: Draußen ging in wirbelnden Wolken und Wellenfronten dichter Eisregen nieder. „Ach du dickes Ei!“ kommentierte der Frankfurter Kollege. „Das wird lustig, wenn die Fahrleitung vereist.“ Ich war zwar bereits „ein alter Fuchs“ mit meinen knapp fünf Jahren auf der Strecke (Selbstironie wieder aus), doch Eisregen hatte ich noch nie erlebt, was ich den Kollegen denn auch eingestand. „Mach dir nix draus“, tröstete man mich, „mit viel Pech können die Schleifleisten abbrennen oder abreißen und wenn du ‘ne Lok mit Thyristorschaltwerk hast, paß auf – jedes Rauf- oder Runterschalten kann die 250-Ampère-Sicherungen killen, Selbstinduktion des Trafos, Prinzip ‚Wagnerscher Hammer‘, denk‘ an die Ausbildung in der Bundesbahnschule Troisdorf!“ „Na, ihr könnt einem vielleicht Mut machen…“, erwiderte ich. Die Ankunftszeit des Zuges rückte näher, draußen eisregnete es kräftig weiter; aus dem Fenster schauend bemerkte ich, daß alle Loks mit zwei Stromabnehmern fuhren – und helles „Blaulicht“ erzeugten: die Lichtbögen der Hochspannungdurchschläge zwischen vereistem Fahrdraht und den aus Elektrographit bestehenden Stromabnehmer-Schleifleisten… ‚Selbstinduktion‘, dachte ich, ‚kann nur auftreten, wenn es zu echten Unterbrechungen kommt, zu Ein-/Aus-Effekten. Dazu aber müßten die Überschlag-Lichtbögen kurzzeitig erlöschen und mit ihnen die Kontaktierung.‘ Hm – je mehr ich drüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien mir diese Möglichkeit. Die Jungs hatten mich wohl nur aufmischen wollen. Um die auch mechanisch fürchterlich belasteten Schleifleisten machte ich mir allerdings ernsthafte Sorgen. Augen auf und durch – mehr war nicht zu machen.
Ich stand unter dem Bahnsteigdach, so weit wie möglich vorne gegen Bahnsteigende, der wirbelnde Eisregen war immer noch im Gange, drang durch alle Kleidungsritzen, ließ die Temperatur niedriger erscheinen. Zum zweiten Mal wurde mein D 218 angesagt – wo blieb der bloß? Endlich: Im Eiskorngestöber das Spitzenlicht, natürlich eine 110er mit „Bügelfalte“ und folglich auch mit Thyristorschaltwerk, beide Stromabnehmer gehoben, beide mit „Blaulicht“. ‚Heiliger Siemens…!‘ Na ja, wird schon klappen. Ich eilte durch das Unwetter, bemüht, das Stück dachlosen Bahnsteig rasch zu überwinden. Der anbringende Kollege hatte die Führerraumtüre geöffnet, um mir zu bedeuten, ich solle einsteigen (normalerweise wartete man, bis der Kollege abgestiegen war). „Ala! Das isch‘e Wetter, gell?“ „Besser als keins“ witzelte ich, den Coolen spielend. Er lachte: „Alles klar mit der Lok. Dann sieh‘ zu, daß heimkommscht!“ Sprach’s, nahm seine Tasche und verschwand. Ich stellte meine Umhängetasche links auf dem Pult ab, prüfte die Buchfahrpläne, alle vorhanden, in den Maschinenraum, den Indusistreifen beschriften, wieder nach vorne, den Sitz einstellen. Führerraumheizung? Okay, schön warm. Frontscheibenheizung? Ist eingeschaltet. Draußen geht das Ausfahrsignal von Hp00 auf Hp2 mit Gleiswechselanzeige, kurz darauf leuchtet das Abfahrauftragssignal Zp9 auf. Vierte Fahrstufe (sachte, Schlafwagenzug!), noch zwei, noch eine, kurz nach hinten aus dem Fenster geschaut, den Nacken voll Eiskörnchen bekommen. Schiet! Die Lichtbögen an den Stromabnehmern knistern und knattern, Fenster zu, hinsetzen, weiter aufschalten. Aaach, Schleudern erste Achse, runterschalten, Achse faßt wieder, mit kleinerer Zugkraft weiter hochschalten, den Zug mit seinen ebenfalls 15 Wagen auf 40 km/h bringen, die ansteigende Kurve zur Rheinbrücke nehmen. Die Betriebsleitung meldete sich mit einer Durchsage an alle: „Achtung Triebfahrzeugführer! Wegen des Eisregens bitte unbedingt beide Stromabnehmer anlegen!“ Warum fuhr ich links im Gleiswechselbetrieb? Auf dem rechten Gleis der Rheinbrücke stand ein Zug Richtung Saarbrücken, bespannt mit einer E 181 – die hatte für DB und SNCF nur je einen Stromabnehmer … rasch auf C-Kanal (örtlicher Rangierfunk) gewechselt, ja: die Lok war defekt, wie ich dort hörte, die Lichtbögen und die daraus resultierenden Spannungschwankungen waren der Phasenanschnittelektronik gar nicht gut bekommen. Zurück auf A-Kanal (Streckenfunk). Solange draußen die Lichter der Städte Mannheim und Ludwigshafen leuchteten, fielen die Blitze an den Stromabnehmern meiner E 110 nicht so sehr auf. Doch dann ging es über Oggersheim und Frankenthal „ins freie Feld“ … in der Schwärze der Nacht und den dicht wirbelnden Eiskristallen wurde mir denn doch ziemlich mulmig: die Lichtbögen waren so hell, daß sie weithin leuchteten und irisierten. Wenn ich das rechte Seitenfenster eine Spalt weit öffnete, hörte ich das unschöne Blitzen, Feuern und Knattern: ‚Passend zum gerade verflossenen Silvester … hoffentlich geht das gut‘, dachte ich. Es widerstrebte mir, die volle Höchstgeschwindigkeit zu fahren, weil bei 140 km/h das Lichtertheater deutlich zunahm. Also ausrollen lassen auf 120, zaghaft auf Beharrungszugkraft schalten – mir schien, als seien die Überschläge etwas schwächer. Logisch: Weniger Oberstrom, kleinere Geschwindigkeit. Also lasset uns beten… Die Lok fuhr brav und zuverlässig, meine Sorgenfalten glätteten sich – um gleich erneut aufzutreten: Trotz eingeschalteter Scheibenheizung froren langsam aber sicher die Frontfenster zu, überzogen sich mit einer dicken Eisschicht. Hinter Worms verblieb mir nur noch ein bierdeckelgroßes Guckloch … nee, das geht nicht…! Über Funk die Betriebsleitung verständigt. Da saß wohl ein neuer Theoretiker: „Guck‘ doch an der Seite raus!“ „Bist du weich im Kopf?“, antwortete ich entrüstet. „Ich halte in Guntersblum an, dann könnt ihr mit nachfolgenden Zügen vorbeifahren.“ „Mit einem Eiskratzer…“ Wütend fiel ich dem Burschen ins Wort: „Ist nicht vorhanden, weil ich den Platz für den Reservefahrmotor brauche, den ich immer in der Tasche habe!“ Er steckte zurück: „Lokführer, war nicht so gemeint…!“ „Alles klar, also: Halt in Guntersblum zum Abtauen der Frontscheiben.“ Das hatte folgende Bewandtnis: Unmittelbar vor der rechten Frontscheibe befand sich der Kipptastschalter mit der Schaltstellung „Scheibenheizung“ und der Taststellung „Abtauen“. In der Taststellung arbeitete die Heizung mit wesentlich höherer Leistung. Nun konnte ich den rund einen Meter nach vorne und oberhalb des Fahrschalters gelegenen KT-Schalter nicht von Hand in der Tastschaltung „Abtauen“ fixieren: dabei hätte ich halb auf dem Fahrschalterhandrad gelegen. Deshalb mußte ich den Zug zunächst anhalten – was dann wenige Minuten später in Guntersblum auch geschah. Licht an, links die Schublade aufgezogen, in der das spärlich bemessene Werkzeug lag, Glück gehabt: ein kleiner Schraubendreher! Ich drückte den Kipptastschalter nach „Abtauen“ und klemmte den Schraubendreher axial ein – und das Ding hielt, verblieb in dieser Stellung. Jetzt hieß es warten… Draußen eispelte es weiter, schwächer, aber doch. Es klopfte an der rechten Tür – der Zugführer. Er wollte wissen, warum ich gehalten hatte. Ich erklärte es ihm und er verzog sich in den ersten Wagen, um auf meine Fertigmeldung zu warten (damals besaßen noch nicht alle Wagen die über das UIC-Kabel laufende Telephonverbindung zur Lok). Endlich! Die Scheiben waren frei, es konnte weitergehen. Kurzer Achtungspfiff, rausschauen, der Zugführer gab mit seiner grün abgeblendeten Lampe Zp9 – Abfahrt. Den Schraubendreher ließ ich stecken, wo er war: nicht nochmal eine Vereisung!
Mit Blaulicht an den Stromabnehmern fuhr ich durch Nackenheim, das in einer recht engen Kurve lag … und wie abgeschnitten hörte der Eisregen plötzlich auf. Die Lichtbögen erloschen schlagartig, die Kontaktierung war wieder einwandfrei. Puh, geschafft…!
In Mainz HBf kam ich rund 25 Minuten zu spät an. Sofort in den Maschinenraum, das Stromabnehmereinstellventil auf den hinteren Pantographen umgestellt, der vordere senkte sich: Normalbetrieb. Den Schraubendreher konnte ich auch wieder an seinen Platz legen. Abfahrauftrag Zp9 – weiter ging’s.
Der Rest der nächtlichen Tour durchs Rheintal verlief ruhig und störungsfrei; auf „spitzes“ Fahren verzichtete ich wegen der Bremsgeräusche, die die Schlafwagengäste hätten stören können; doch weil die Fahrzeit nicht allzu eng berechnet war, erreichte ich Köln HBf mit nur noch 19 Minuten „plus“. Der Ablöser wartete bereits – Feierabend, 4:52 Uhr, Neujahrstag 1979, eine ereignisreiche Dienstschicht war zu Ende…
H0-Modellbahnforum.de - das Forum mit der Forumbahn!
»
Allgemeine Foren
»
Vorbild Allgemeines
»
Lokführererlebnisse
Thema drucken
17.12.2013 17:14
Antworten
