diesmal möchte ich eine Geschichte erzählen, die ziemlich gruselig ist und zu einer längeren Diskussion mit dem Lokdienstleiter führte.
Die untypische E 110
Wie es begann Es muß Ende 1976 oder Anfang 1977 gewesen sein. Ich stand mit meiner Lok aus einem angebrachten Eilzug im Rangierbahnhof Köln-Deutzerfeld, Fahrtrichtung BW, und mußte am Sh-Signal warten; es zeigte Sh0 und es verging eine Weile. Ich wollte gerade Achtungspfiff zwecks „Aufwecken“ des Weichenwärters geben, als das Sh-Signal eines kreuzenden Gleises auf Fahrt (Sh1) ging. ‚Aha, da kommt was quer‘, dachte ich. In der Tat: Eine andere E 110 war mit der Rangierfahrt ins BW vor mir dran … doch was ist das?! Ich traute meinen Augen nicht, schaute nochmal und genau hin: Doch, richtig, ich hatte mich nicht getäuscht: Die Lok trug die Betriebsnummer 110 107 – und es war eine 10er mit „Bügelfalte“, der Form der späteren vierten Bauserie! Verwirrt fragte ich mich, aus welchem Grunde eine 110 der ersten Bauserie (Nr. 107) mit den Frontpartien der später gebauten Loks versehen worden war. Oder lag schlicht ein Benummerungsfehler vor? Unwahrscheinlich. Mein Signal zeigte jetzt Sh1, ich fuhr hinter der 110 107 her – einwandfrei die Nummer 107 … mit Bügelfalte … hmm… Das ließ mir keine Ruhe. Nachdem ich mich bei der Lokleitung gemeldet und meine Lok weisungsgemäß abgestellt hatte, kam mir der kluge Gedanke, beim Werkmeister nachzufragen, denn der mußte wissen, welche Lok wann und warum im Ausbesserungswerk Opladen restauriert worden war und weshalb die 107 die Frontseiten der 300er und 400er Loks erhalten hatte.
Gruselgeschichte Zunächst wollte der zuständige Hauptwerkmeister nicht so recht mit der Sprache raus und betonte, die 107 sei in Frankfurt stationiert, er, beziehungsweise das BW Deutzerfeld, habe deshalb mit der Lok nichts zu tun. „Och, komm, ich sehe doch, daß du mehr weißt!“, bohrte ich nach. Er zögerte, dann: „Also gut! Aber behalt’s für dich!“ Ich versprach Stillschweigen und der Werkmeister erzählte mir folgende grausige Geschichte, von der ich natürlich nicht weiß, ob sie korrekt dargestellt ist oder Ausschmückungen enthält; ich gebe so lakonisch-emotionsvermeidend wie möglich nur wieder, was er mir erzählte und was mir eine Gänsehaut erzeugte:
Die 110 107 war eine ganz normale „Zehner“ mit dem viereckigen Gehäuse wie alle ihre baugleichen Schwestern es besaßen. Eines Tages – oder besser: eines Nachts – war sie unterwegs von Frankfurt nach Basel (Deutscher Bahnhof), mit einem Leerreisezug am Haken, langes Ding, dreizehn Wagen, wie erzählt wurde. Im Unterwegsbahnhof Waghäusel (nahe Karlsruhe) stand im Durchfahrgleis ein schwerer Ganzgüterzug mit vierachsigen Rungenwagen, beladen mit großkalibrigen Stahlrohren. Das Unheil nahm seinen Lauf: Wegen eines an sich völlig undenkbaren Fehlers in der Relaissteuerung des „fabrikneuen“ Stellwerks, der auf dem Gleisbildstelltisch unbemerkt blieb, wurde ein entsetzlicher Alptraum Realität – das schützende Einfahrsignal des mit dem Güterzug besetzten Gleises fiel nicht auf Hp0 zurück, sondern blieb auf Hp1…!!! Die Ursache erklärte man nie, obwohl in den Fortbildungsunterrichten Unfälle und Katastrophen normalerweise analysiert und aufgearbeitet wurden. Der Leerreisezug sollte Waghäusel wie die anderen Bahnhöfe auf der Strecke ohne Halt passieren; der Lokführer hatte ihn laut Fahrschaulinie der Indusi exakt mit der zulässigen Geschwindigkeit befördert, nämlich 120 km/h. Er näherte sich dem Bahnhof Waghäusel, glaubte vielleicht an eine der zuweilen auftretenden optischen Täuschungen, als er vor sich den Güterzug mit den Stahlrohren sah… Jedenfalls zeigte der Indusistreifen letzten Endes die Durchführung einer Schnellbremsung (5-bar-Line unterbrochen) und den Aufprall mit einer Geschwindigkeit um 50 km/h. Die Lok und die vorderen Wagen erlitten fürchterliche Beschädigungen, die als Totalschäden gelten mußten. Die schweren Stahlrohre auf dem Güterzug wirkten beim Aufprall wie überdimensionale Messer, kappten die vergleichsweise dünnen Blechteile von Lokkasten und Waggons, als wären sie aus Butter. Als die Hilfszugmannschaften endlich die zumindest oberseitig fast völlig zerstörte 110 107 nach hinten wegziehen konnten, barg man auch die bis zur Unkenntlichkeit versehrte Leiche des Lokführers.
Mehrere Tage stand das Wrack der 110 107 unter Zeltplanen verborgen im Bahnhof Waghäusel. Nachdem sich die Gemüter etwas beruhigt hatten, traf die zuständige Bundesbahndienststelle die Entscheidung, die schwerst beschädigte Lok ins AW Opladen zu überführen und komplett neu aufzubauen. Wer dabei auf den unglücklichen Gedanken kam, der 107 diese auffälligen „Bügelfalten“ zu verpassen, ist nicht überliefert. Jedenfalls erreichte die nur noch abschleppfähige 110 107 unter zahlreichen Schwierigkeiten das AW – und bei der Planung der Arbeitsschritte betrat ein Werkmeister den wie ein Schlachtfeld aussehenden Maschinenraum … wie groß sein Schock war, kann ich nur vermuten: Der Mann fand im Gerätegerüst 2, zwischen Richtungs- und Fahrbremswendern, den Kopf des Lokführers…
Soweit die grausige Geschichte der 110 107, wie sie mir erzählt wurde und auf die ich – da vom Hörensagen – keinen Anspruch auf Richtigkeit erheben kann und darf. Wie dem auch sei, spukte die Erzählung des Werkmeisters lange in meiner Phantasie herum und weil ich nichtmal tagsüber einen Friedhof betrete, könnt Ihr Euch vorstellen, daß ich große Angst hatte, mal an der 110 107 ablösen zu müssen…
Nachtdienst Monate später. Der Piratenhäuptling meinte es mal wieder gut mit mir: Jeder mußte sein Kontingent an Nachtdiensten übernehmen, kollegial aufgeteilt. Unser allseits beliebter Disponent versorgte seine Sonderdienstler nach Möglichkeit so, daß man etwas verdienen konnte. Leuten, die nördlich von Köln wohnten, gab er gerne Sonderleistungen mit anschließender Fahrgastheimfahrt nach Norden, den südlich (wie ich) wohnenden Touren nach Süden. Man konnte so bei der Fahrgastrückfahrt am Heimatbahnhof aussteigen; da aber nach Vorschrift Dienstbeginn und -ende am selben Ort sein mußten, war man gezwungen (grins), den Sonderleistungszettel entsprechend zu schreiben – und da war rasch mal eine bis anderthalb Stunden Arbeitszeit verdient. Alle hatten Vorteile, niemand wurde geschädigt. Nach diesem erklärenden Schlenker zurück zu meinem Sonderdienst: Dienstbeginn war gegen 22:00 Uhr in Deutzerfeld. Dort sollte ich eine Lok bekommen, im Rangierbahnhof einen Leerreisezug bespannen und den nach Karlsruhe bringen, anschließend Fahrgast Heimat. Im Kursbuch hatte ich mich schon kundig gemacht: Ich würde in Karlsruhe einen aus der Schweiz kommenden Schnellzug erreichen, der über Bonn weiter nach Norden fuhr. Bestens! Nachtdienst, aber dank abschließender Fahrgastfahrt gemäßigt… Und das Auto konnte ich auch mal stehen lassen, ihm einen „Ruhetag“ gönnen.
An dem bewußten Abend kam ich frisch und fröhlich auf der Lokleitung an. Meine Laune erhielt einen leichten Dämpfer, denn an der „Theke“ saß Lokdienstleiter K., ein alter Knacker, der jeden unter 50 für ein Kind und unfähig hielt. Er hatte mich mal mit „liebe Jung‘“ angesprochen, was ich mir energisch verbeten hatte. Seither mochte er mich nicht. Und ich ihn nicht. Meine Antipathie unterdrückend, grüßte ich höflich und meldete mich zum Dienst, wegen der Zugverbindung von Bonn her ungefähr 30 Minuten zu früh. Lokdienstleiter K. wiederholte die von mir genannte Zugnummer, schaute im Tagebuch nach, drehte sich zur Seite und fischte aus der großen drehbaren Stellage das Übergabebuch der Lok sowie deren Schlüssel (das mußte damals nach Abstellen einer Lok alles auf der Lokleitung abgegeben werden). „Dann gute Reise!“, bemühte er sich, witzig zu sein und legte das Übergabebuch, jenen dicken Leitz-artigen Ordner, auf die Theke. Ich wollte ihn gerade zur Hand nehmen, als mein Blick auf die dort verzeichnete Loknummer fiel: 110 107…!!! Mein instinktives Zurückzucken und Erbleichen bemerkte der andere, für den Triebfahrzeugeinsatz zuständige Lokdienstleiter, ein feiner Kerl, unter dessen lokseitiger Leitung ich schon manche Bereitschaft geschoben hatte. „Kurt – was ist los?“, fragte er besorgt. Auf das Übergabebuch starrend sagte ich leise: „Die 110 107 … nein, die kann ich nicht nehmen…!“ „Wie – nicht nehmen? Träumst du immer sowas?“, ranzte K. mich an. Ängstlich und verwirrt, wie’s gar nicht meine Art war und ist, rechtfertigte ich mich: „Ich muß diesen Leerreisezug nach Karlsruhe bringen … nachts … und fahre durch Waghäusel … die 107 … die ist doch vor ein paar Jahren mit einem Leerreisezug … und den Kopf des Kollegen haben die in Opladen im Gerätegerüst … ich kann das nicht…“ „Ich verstehe kein Wort“, polterte K. Der Lokeinsatzleiter wirkte verständnisvoll: „Mensch, Kurt, was hast du denn? Die 107 ist doch ‘ne Lok wie jede andere…“ „Ist sie nicht“, widersprach ich, langsam meine Argumentationsfähigkeit wiederfindend und erzählte kurz umrissen die Geschichte von dem furchtbaren Unfall in Waghäusel und daß ich einfach nicht verstehen könne, warum man diese Lok überhaupt wieder in Betrieb genommen und mit den Bügelfaltenfronten derart auffällig gestaltet habe. K. lachte: „Du Spinner – meinst du vielleicht, der Kopp liegt heute noch im Gerüst?“ „Ich kann mit dieser Lok nicht nachts und allein durch die Gegend fahren … und dann über Waghäusel, wo damals…“ „Du verweigerst also den Dienst?“ K. klang drohend. „Nein, ich bitte nur um eine andere Lok“, entgegnete ich vorsichtig, denn K. galt als hinterfotzig. „Ham’wer nich‘, Ende der Diskussion!“ Blöde Situation. Was tun? Gedankenblitz: Die Oberlokleitung (später in Lokdienst umbenannt), die verfügte über bundesweite Übersicht – von wegen „haben wir nicht“. Wortlos verließ ich die Lokleitung und ging in den Aufenthaltsraum, rief über das dortige BASA-Telephon die Oberlokleitung an und schilderte den Sachverhalt. Stille am anderen Ende. „Kollege – bist du noch dran?“, fragte ich. „Ja, ja. Also das, was du mir da gerade erzählt hast … hmm … ehrlich gesagt, ich möchte mit dieser Lok auch nicht fahren, schon gar nicht nachts … Mensch, da haste ja ‘ne kalte Hand im Genick … die dustere Rheinstrecke, die Tunnel … und dann noch durch den Bahnhof, wo die Katastrophe passiert ist…“ Räuspern, geflüsterte Worte mit einem Tischnachbarn, dann: „Paß auf: Der sture Lokdienstleiter – ich kenne den K., diese Dralltype – soll dir die 110 281 geben, die steht bei euch an der westlichen Scheibe und ist frei bis übermorgen. Warum macht der Döskopp so einen Aufstand? Hattest du mal Zoff mit ihm?“ „Ja, ich sagte ihm, er solle mich nicht ‚liebe Jung‘ nennen.“ „Alles klar. Wo bist du jetzt?“ „Im Aufenthaltsraum Deutzerfeld.“ „Prima! Und zeitig bist du auch. Warte fünf Minuten, dann gehst du zur Lokleitung und läßt dir die 110 281 geben – ich rufe jetzt den K. an und mache ihn rund.“ Mir fiel der berühmte Stein vom Herzen. Und fünf Minuten später knallte mir K. Übergabebuch und Schlüssel der Lok auf den Tresen, funkelte mich an und zischte: „Mußtest du die Oberlokleitung einspannen?“ „Was sollte ich denn machen? Ich hätte unterwegs auf der 107 Panik bekommen, Panik oder Schlimmeres. Tut mir leid, ich habe nun mal einen Sparren locker, was Tote anbetrifft…“ „Man merkt, daß du nicht im Krieg warst…“ „Kollege, das reicht jetzt!“, warnte der Lokeinsatzleiter. Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu, nahm Buch und Schlüssel und ging zur westlichen Drehscheibe, die 110 281 aufzurüsten…
Das is in der Tat gruselig... Die Lok hätte ich wohl auch verweigert. Hmm Waghäusel da fahr ich auch regelmäßig durch... Aber sah damals bestimmt ganz anders aus als heute. Die Geschichte hat was.
Gruß aus Köln Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
dem aufmerksamen Hinweis von Dan folgend, habe ich in der Gruselgeschichte die Loknummer entsprechend berichtigt: von 110 106 nach 110 107. Nochmal danke, Dan!
Das is in der Tat gruselig... Die Lok hätte ich wohl auch verweigert. Hmm Waghäusel da fahr ich auch regelmäßig durch... Aber sah damals bestimmt ganz anders aus als heute. Die Geschichte hat was.
Gruß aus Köln Karl
Hallo Karl,
jedesmal, wenn ich nach Karlsruhe fuhr, mußte ich an diese grausige Sache denken. Und damals, im Nachdienst, mit der Unfallok wie gehabt einen Leerreisezug über Waghäusel ... nee, unmöglich...! Mir läuft's jetzt noch den Rücken runter, wenn ich nur dran denke!
Ja, diese Geschichte finde ich auch grausig. Auch wenn ich weder abergläubisch, noch ein Angstschiß bin, aber auch ich hätte diese Maschine mit Sicherheit abgelehnt. Das ist ähnlich der Situation, als ich 2012 am Parkplatz "Oberbip Süd" bei Egerkingen in der Schweiz mit meinem LKW vorbei gefahren bin. Auf diesem Parkplatz bin am 13.Februar 2004, einem Freitag, beim parken verunfallt, ohne mich auch nur einen Meter bewegt zuhaben. Mir war ein anderes Fahrzeug beim Rückwärtsfahren in das Fahrerhaus meines LKW's gerast und hatte es völlig zerstört. Der Fall, wo ich hier schon mal erwähnte, durch einen glücklichen Umstand heute noch beide Beine zu haben. Da kamen auch die Erinnerungen hoch, obwohl es da schon 8 Jahre her war.
Hallo. Eigentlich bin ich nur stiller Mitleser der ein bisschen Ahnung hat und beim Rest der Fachworte nachschlagen muss was gemeint ist, aber bei der Geschichte stellten sich bei mir auch ein paar Nackenhaare auf. Gruselig sowas und ich bin wirklich nicht abergläubisch, aber in die Lok hätte ich freiwillig auch nicht meinen Fuss gesetzt.
MfG Philipp
Schienenmaterial: Kleinbahn, analog; Roco, digital Lokomotiven: Kleinbahn, Klein Modellbahn, Roco alt und neu; Piko alt und neu, Gützold alt, Lima Waggons: Kleinbahn, Klein Modellbahn, Roco alt und neu; Piko alt und neu, Lima, Sachsenmodelle, sowie einige Kleinserienhersteller
da hattest Du wirklich großes Glück! Man weiß ja nie, was das Schicksal im Schilde führt... Auf jeden Fall aber ist es gut, daß Du vom LKW auf die Lok wechseln konntest!
abgesehen von meiner "Friedhofs-Macke" bin ich total realistisch und diesseitig, glaube auch nicht an Gespenster und so. Aber auf der Lok hätte ich wohl das Grausen bekommen - deshalb lehnte ich sie ab.
So, und jetzt soll's wieder humorvoller werden. Mir sind noch ein paar S-Bahn-Geschichten eingefallen, die ich zur Zeit aufschreibe. Wir müssen von dem Horrorthema wegkommen...!
Eine anspruchsvolle Nacht liegt hinter mir. Hilfszugeinsatz in Horb am Neckar. Nachts zuvor war ein Güterzug mit einem Heißläufer liegen geblieben. Nun galt es die verbliebenen Wagen nach Kornwestheim zu überführen. HG 30 km/h und im Weichenbereich 5 km/h! Wußte noch garnicht, das eine Strecke so lang sein kann!!!
da hattest Du wirklich großes Glück! Man weiß ja nie, was das Schicksal im Schilde führt... Auf jeden Fall aber ist es gut, daß Du vom LKW auf die Lok wechseln konntest!
Beste Grüße: Kurt
Moin Kurt,
ich hatte eingangs mal erwähnt, das ich mir mit der erfolgten Ausbildung zum Eisenbahnfahrzeugführer bei DB Schenker Rail AG einen Lebenstraum erfüllt habe. Es war ja schon mein Wunschberuf, seit ich überhaupt bewußt Denken kann. Von der Warte her habe ich ja nun wirklich alles richtig gemacht, .... bilde ich mir jedenfalls ein!!! Ich bin auf jedenfall glücklich, nun doch noch mit der grossen Eisenbahn "spielen" zu dürfen.
na, das war aber mal ein echter Einsatz! Waggons auf Hilfsdrehgestellen (so nannten wir das damals) mit 30 km/h und in Weichenbereichen 5 km/h ... das exakt durchhalten ist verdammt schwierig! Kompliment.
Mein "dickstes" Ding war: Fünf Loks mit Flachstellen von Deutzerfeld nach Seelze (bei Hannover) zur Unterflurdrehbank bringen (wir hatten noch keine). Hg war 60 km/h ... knapp 300 Kilometer, nachts, mit 60... Aber mit den 30 warst Du ja noch mehr gefordert. Ja, Strecken können laaaaaaaaaang werden...
in meinen „Erinnerungsdateien“ fand ich noch die eine und die andere S-Bahn-Geschichte, die überwiegend was zum Schmunzeln bieten. „Bei Gott und der Bahn ist nichts unmöglich“, so steht es als Signatur unter meinen Texten. Ich habe damals immer gesagt, als Freidenker stünde ich Glaubensdingen reserviert gegenüber, doch wenn ich mir die Vorfälle und Geschehnisse auf der S-Bahn ansehe, käme ich zu dem Schluß, es müsse ein höheres Wesen geben, das sich immer dann der S-Bahn zuwendet, wenn es einen schlechten Tag hat…
Der sabotierte Fahrkartenautomat Ja, nun folgt eine Geschichte, die mal wieder kaum zu glauben ist. Doch sie geschah exakt so, wie ich sie erzähle. Ich war live dabei und konnte (oder mußte?) Geistesgegenwart ebenso beweisen wie seriös auftreten, ohne in Lachen auszuplatzen. Was war geschehen?
Es begab sich an einem Wochentag in irgendeinem Sommermonat des Jahres 1985 oder 1986. Ist auch egal, wichtig nur: Es war früher Nachmittag, eine Zeit, zu der Schulkinder, die ihre Hausaufgaben erledigt haben, mit Freunden spielen gehen. Ich komme also zu solcher Zeit mit meiner S-Bahn der Linie 11 in Nievenheim an, ein kleiner Bahnhof zwischen Leverkusen und Neuss, auf der linken Rheinseite gelegen. Steuerwagen (BxF) voraus, stehe ich am Bahnsteig, eine Minute vor Plan, wenig Fahrgastfluktuation. Am Bahnhofsgebäude, genauer gesagt: vor dem Fahrkartenautomat, eine ältere Dame und zwei schätzungsweise zehnjährige Steppkes mit Skate-Boards; die Dame wirkt verstört, die Jungs kreischen vor Vergnügen. Komisch. Gerne wäre ich hingegangen, um die Zusammenhänge zu erfahren, doch ich durfte mein Fahrzeug nicht verlassen. Brauchte ich auch nicht, denn nun eilten die ältere Dame und die Jungs auf mich zu. Der eine ließ sein Skate-Board fallen, postierte sich mit wichtiger Miene vor meinem Steuerwagen-Seitenfenster, schaute mich an und rief mit inbrünstigem Ton (Zitat wörtlich!): „Tach, Lokführer! Da hat einer in den Fahrkartenautomat gepißt!“ Ich dachte, mich verhört zu haben: „Wie bitte?!“ Der Junge: „Ja, voll reingep…!“ Die Dame, Typ nette Oma, kam dazu und bestätigte: „Der Junge hat recht! Ich wollte eine Fahrkarte ziehen, aber die fiel in diese Ausgabeschale und die ist…“ „Vollgepißt!“ Der kleine Bursche genoß das unanständige Wort sichtlich. Endlich mal nicht nur spielen, sondern ein richtiges, dramatisches Abenteuer erleben, gegen das selbst Kermit, der Frosch, nicht ankam! Ich fühlte mich der Situation nicht recht gewachsen, mußte aber so tun, als ob. „Ich gebe der Zentrale über Funk Bescheid“, kam meine etwas hilflose Reaktion. „Darf ich angesichts der Umstände ohne Fahrkarte einsteigen?“, wollte die Dame wissen. Und genau das wußte ich nicht, denn als Lokführer besaß ich keine tarifliche Ausbildung. ‚Mit was man alles konfrontiert wird!‘, dachte ich und rang mit einer Entscheidung: Sagte ich „ja“ und der jederzeit zu erwartende Prüfdienst verpaßte der Dame eine Strafe, war ich der Schuldige, sagte ich „nein“ und die gute Frau hätte angesichts der Umstände dennoch mitfahren dürfen, schuf ich ihr unnötige Unannehmlichkeiten. Was tun? „Augenblick bitte“, sagte ich und drückte am ZBF-Gerät die Sprechwunschtaste. „Betriebsleitung Köln…“ Das war fix gegangen! Ich schilderte, mich mühsam ernsthaltend, die Situation und schloß mit den Worten: „Meine Frage ist die: Darf die Dame aufgrund der Automatenstörung ohne Fahrausweis den Zug bis Neuss benutzen? Bezahlt hat sie ja, nur... Weißt du, Kollege, ich muß dich mit der Frage belästigen, weil weder in der Ausbildung noch im Fortbildungsunterricht das Thema ‚vollgepinkelte Fahrkartenautomaten‘ behandelt wurde…“ Den letzten Satz konnte ich mir nicht verkneifen. Lachen am anderen Ende, dann: „Paß auf: Wir machen hier eine amtliche Notiz. Die Dame soll mitfahren. Falls der Prüfdienst auftaucht, soll sie ihn an uns, die Betriebsleitung, verweisen, wir regeln die Sache. Und das Fahrgeld können die ja in Nievenheim aus dem Automaten fischen - inklusive der leicht feuchten Fahrkarte.“ „Prima, das finde ich gut!“, freute ich mich, sagte der nun etwas ängstlich wirkenden Frau, sie möge bitte einsteigen, die Betriebsleitung kümmere sich um die Sache. Falls eine Kontrolle den fehlenden Fahrausweis beanstande… Ich erklärte ihr das Procedere genau. Erleichtert stieg sie ein, versprach, alles so zu machen, wie ich es ihr gesagt habe. Blick zur Uhr: Drei Minuten Verspätung. Türen zu, Hilfsfahrschalter nach „Auf“, den immer noch grinsenden Steppkes zugewinkt und weiter ging’s. Wer sagt’s denn? Alles clever geregelt. Aber daß ich als Lokführer mich mal mit Problemen befassen mußte, die ein als Urinal mißbrauchter Fahrkartenautomat erzeugte, ist mir an der Wiege auch nicht gesungen worden…
Als arbeitreich würde ich es weniger ansehen, eher anstrengend. Da die Streckenabschnitte Herrenberg - Böblingen, Böblingen - Renningen und Renningen - Korntal mit der S-Bahn ausgelastet sind, war die Überführung nur nachts möglich. Bei Dunkelheit auch ja alle Weichen im Fahrweg zufinden und rechtzeitig auf 5 km/h runter zu sein, ist schon etwas aufreibend. Mit einsetzender Dämmerung wird es dann schon deutlich einfacher. Der Brüller kam vom Renninger Fahrdienst, der den Bhf Sindelfingen mit bedient. Ich zuckel da meine 5 km/h über die Weichen, habe aber die längeren Abschnitte zwischen den Weichen etwas schneller, bis 20 km/h, wegen dem wieder abbremsen, befahren, ruft der Fahrdienst über GSM-R, ob bei mir alles in Ordnung sei, ich bräuchte zu lange durch Sindelfingen. Meine lakonische Antwort dazu, ich habe Fahrplan mit HG 30 und Weichen 5 km/h. Schneller geht es nicht. Schweigen am anderen Ende der Leitung! Die Fdl in Leonberg und Korntal standen auch auf dem Bahnsteig und mußten sich die Fuhre erstmal beäugen...
Hat Spaß gemacht, so eine Fuhre abweichend der Regel! Normal kann ja jeder...
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15.06.2014 09:01
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