Zitat von ET 420 im Beitrag #719 Wenns denn mal stört bei der Lok... kanns zwar dauern, aber ein Total-Reset mit ziehen der Batteriesicherung hat in 99% der Fälle immer geholfen. Ich mag sie... meine 186 :)
Gruß Karl
Hallo Karl,
jawoll - so reagiert ein Lokführer! Gewußt wo und wie und dann machen. Klasse! Auch Du wärst zu meiner Zeit der richtige Mann im Dispo-Team des Piratenhäuptlings gewesen ... hmmm, ich muß doch 'ne Zeitmaschine besorgen...
Beim ICE war das Ziehen der Batteriesicherung strikt verboten, weil dadurch die Daten im NFS (Nichtflüchtiger Speicher) verlorengingen. Die Werkstatt konnte dann vorherige Störungen nicht mehr auslesen. Weil aber NFS und Elektronikschrank 14 miteinander korrespondierten und Stördaten auswerteten, konnte es passieren, daß der Zug überreagierte und auf "Hilfslok" steuerte, wobei er automatisch diese Hilfslok anforderte.
Das ist mir einmal morgens gegen sechs Uhr mit einem ICE-2-Leerzug auf der Kölner Hohenzollernbrücke passiert: Nieselregen, überwachte 30 km/h, mit 20 km/h über den Prüfabschnitt und weil der eine Macke hatte, Zwangsbremsung erhalten. Der Zug geriet kurz ins Gleiten und da wurde es der Elektronik zu viel, die Sprachausgabe wechselte von "Zwangsbremsung" auf "Störung", der Hauptschalter löste aus und der Stromabnehmer senkte sich. Bildschirmabfrage ergab "Hilfslok". Ich war allein - und allein die 37 Kilo schwere Notkupplung vom Maschinenraum auf die Brücke runterschaffen? Nee, ich bin nicht Herkules. Ein bißchen in der Störungsabfrage und -statistik gespielt: nix Gravierendes, nur Spinnerei, also: Batteriesicherung für fünf Minuten ziehen. Nach Ablauf der Zeit wieder reingemacht, Zug aufgerüstet - alles klar, keine Störung mehr, "all systems clear". Ich wollte gerade den FDL diesbezüglich anfunken, als die Münchner Einsatzstelle dran war und mir mitteilte, die Hilfslok sei unterwegs. Nachdem ich den Jungs meine Aktion geschildert und auch die Hilfslok abbestellt hatte, kam's aus München: "A Hundling bist'!"
Nachspiel, Bahn AG, 1999: Weil ich dem Konzern die enormen Kosten einer Hilfszuggestellung erspart hatte, erhielt ich eine Belohnung von 1000 DM, die allerdings um die Geldstrafe von 500 DM wegen verbotenen Ziehens der Batteriesicherung gekürzt wurde. War aber immer noch ein gutes Geschäft und unser Chef hat sich köstlich amüsiert.
also ich muß sagen, daß mich das Engagement, mit dem hier die jüngeren Kollegen auftreten, sehr freut! Nach der Privatisierung folgte eine lokführerseitig böse Zeit: Die Jungs bekamen nur das Nötigste mitgeteilt und im übrigen "Hebel zum Fahren, Hebel zum Bremsen, guck' auf den Bildschirm, was sagt der?, ansonsten: nichts anfassen." Wirklich schön und beruhigend, an Euren ins Detail gehenden Ausführungen zu sehen, wie sich alles zum Besseren gewendet hat. Das meint auch die genaue Darstellung der relaistechnischen Zusammenhänge Stromabnehmer/Hauptschalter, die einer von Euch kürzlich an dieser Stelle gegeben hat. Kompliment! Wie in den bahntechnisch goldenen 70ern ... Ihr hättet beim Piratenhäuptling sein können, wir wären bestimmt ein prima Team gewesen...
Beste Grüße: Kurt
Hallo Kurt,
Ich glaube weniger, das die Bahn da ihren Anteil daran hat. Vielmehr, denke ich, wie Du schon erwähnst, das Engagement der Tf. Ich bin mit meinem praktischem Ausbilder mehrfach kollidiert, da genau das, was Du beschrieben hast,... Hebel für Fahren, Hebel für Bremsen, usw... ansatzweise vorhanden war. Das reicht mir einfach nicht. Ich will es eben genau wissen! Und wie ich hier schon mal erwähnte, hatte ich einen sehr guten Betriebsdienstlehrer, den ich aber auch schon ins schwitzen gebracht hatte!!! Anders ausgedrückt, entweder ich lerne einen Beruf, weil er mich wirklich interessiert, dann gehe ich auch entsprechend an die Sache ran, oder aber ich lerne einen Beruf des Geldes wegen, habe aber kein reales Interesse daran. Dementsprechend sind dann auch meine Handlungsweisen... Ich finde es aber toll, das Du Dich so positiv über die jungen Tf, was nunmal auch die unbeliebten Quereinsteiger ausmacht, äusserst.
Gruß Micha
Hallo Micha,
ich freue mich einfach und ganz naiv, daß unser Berufsstand nicht vor die Hunde gegangen ist. Anfangs sah es ja so aus. Auch glaube ich zu bemerken, daß in Euren Firmen ein Wir-Gefühl besteht - sehr gut! Zusammenarbeit ist "die halbe Miete". Weiter so!
Ganz einfach und schnell zu beantworten. Kommst Du innerhalb einer Einschaltstrecke eines Bahnübergangs, Beginn markiert durch eben diese Merktafel / Merkpfahl (DV301), unter 20 km/h bzw zum stehen, ist es vorgeschrieben, den Bahnübergang zusätzlich durch die HET / Automatik HET oder eben, wenn HET nicht vorhanden, durch -> Halt vor dem Bahnübergang, Zp1 geben, mit Schrittgeschwindigkeit unter Beobachtung des Straßenverkehrs in den Bü einfahren und ab Fahrbahnmitte zügig räumen <- zu sichern! Das ganze hängt mit der Grundstellerzeit des BÜ zusammen. Das heißt, nach Ablauf dieser Zeit können die Schranken des BÜ öffnen, der Straßenverkehr fährt los, und dann kommt da noch ein Zug. Was meinst, was dann passiert?! Ich möchte dann weder Autofahrer noch Lokführer sein. Und glaube mir, ich liebe diesen Beruf sehr um mich zu solchen Dummheiten hinreissen zulassen!
Gruß Micha
H ilfs E inschalt T aste
Wenn der Tf eindeutig feststellen kann, daß der BÜ geschlossen, also gesichert ist? Muß er dann trotzdem anhalten, selbst wenn weder ein Straßenfahrzeug noch ein Fußgänger an der Schranke steht? War das denn überhaupt ein moderner BÜ oder eine alte WSSB-Anlage?
@Kurt: Ich lasse mich auch von Ansagen wie "da lasse mal die Finger von" und "ziehe bloß nicht diese Sicherung" oder "lege auf keinen Fall diesen Schalter um" abhalten, im Störungsfall genau diese Handlungen zu tun. ich bin meist die einzige Person auf dem Fahrzeug, die überhaupt eine Handlung durchführen kann.
Störungen am Fahrzeug können ganz schön nervig sein: zunächst erschrickt der Tf ob der plötzlich auftauchenden Alarmierung (Piepston, Sprachausgabe, etc). Wenn dadurch auch noch ein sofortiges Anhalten des Zuges erfolgt, so steigt der Stresspegel rasant an. Fragen wie "Was ist denn jetzt schon wieder los?", "gefolgt von "Habe ich was verkehrt gemacht?" spuken sofort im Kopf herum. Jetzt heißt es Ruhe bewahren und erst mal die die Störung analysieren. Ist das eine bekannte Störung, so fährt man innerlich sicherlich schnell wieder runter und behebt den Fehler mit einigen bekannten Handgriffen. Weiter geht's. Ist diese Störung jetzt aber neu, so nimmt der Stressfaktor nochmal zu. Davon abgesehen, dass man jetzt den Fehler beheben will und dazu einfach mal Ruhe braucht, Nervt garantiert der Fahrdienstleiter, der Zugchef, die Zugüberwachung oder einfach nur die Fahrgäste. "Wann geht's denn weiter?", "Ich muss aber den Anschluss bekommen?", "Haben Sie Ihre Technik nicht im Griff?", Ich könnte jetzt noch unzählige weitere Aussagen anführen, sind dann Fragen, die den gestressten Tf in dem Falle mal so was von gar nicht interessieren. "Lassen Sie mich in Ruhe meine Arbeit machen, dann geht's auch gleich weiter" oder "Wenn ich mich jetzt erst um Ihre persönlichen Belange kümmern soll, dann stehen wir morgen noch hier und Ihr Anschluss ist garantiert weg!". Das sind nicht selten die genervten Antworten der Tf's. Die Fahrgäste sind dabei immer die größte Hürde bei der Fehlersuche und -behebung.
Wenn ich jetzt eine Störung damit beheben kann, wenn ich eben genau diese Sicherung ziehe, diesen Schalter umlege oder sonstige "verbotene" Handlungen durchführe, dann mache ich das. Punkt und aus. Wenn jetzt der Teamleiter / Gruppenleiter oder sonstwer kommt und sagt: "Das hättest Du aber nicht tun dürfen!", dann geht mir das mal sowas von am A... vorbei. Die Störung ist behoben, die Strecke wieder frei, die Fahrgäste haben vielleicht doch noch ihren Anschluss bekommen oder die Ware ist doch noch rechtzeitig am Bestimmungsort eingetroffen. Alles Andere interessiert mich herzlich wenig.
Allerdings sollte man schon wissen, was man da macht. Wenn jetzt die Sicherung wirklich nicht gezogen werden darf, weil sonst eine Weiterfahrt definitiv nicht mehr möglich ist, dann sollte das in der Fahrzeugausbildung auch angesprochen werden. Wenn dadurch "nur" irgendwelche Speicher gelöscht werden, herrje, dann sind die Daten halt weg! Aber die Strecke ist wieder frei.
Gruß Holger
Du brauchst "brauchen" nicht zu gebrauchen, doch willst Du "brauchen" gebrauchen, so hast Du "brauchen" mit "zu" zu gebrauchen.
Peter Burdich, mein Deutschlehrer in der 7. Klasse
Wenn der BÜ geschlossen ist und auch die Blinkies blinken, dann sieht es für Aussenstehende sicherlich bescheuert aus, wenn der Zug anhält, Jemand herausspringt, an einem Kasten "herumfummelt", wieder einsteigt, der Zug hupt, ganz langsam auf den BÜ fährt und dann losbraust, als wäre nix passiert.
Als Tf denkst Du sicherlich anders, wenn Du es miterlebt hast, dass die Schranken sich just in dem Moment öffnen, als Du den BÜ befährst. Die Autofahrer werden garantiert sofort lospreschen und auch die Fußgänger tapern sofort los. Jetzt kannst Du zusehen, dass Du Deinen Zug so schnell als möglich zum Stehen bekommst, damit kein Unheil geschieht. Das ist aber vielleicht nicht immer sofort möglich, weil er schwer ist oder träge bremst. ich will jetzt niemanden angreifen, schließlich gehöre ich auch dieser Gruppe an, aber Autofahrer fahren los, sobald sich die Schranken öffnen. Dass sich dort im Störungsfall noch Zugteile befinden können, sehen sie nicht und fahren stumpf dagegen. "Die Schranken waren doch offen."
Alles schon passiert. Daher diese für "Bahnfremde" sicherlich etwas komische Handlungsfolge. Das ist keine Schikane um Mitarbeiter lächerlich zu machen oder am BÜ Wartende zu ärgern, sondern lediglich eine Sicherheitsmaßnahme, die sich bisher sehr gut bewährt hat.
Übrigens würde ich persönlich sämtliche BÜs abschaffen und durch Über- oder Unterführungen ersetzen. Die meisten Unfälle passieren an BÜs und auch die häufigste Störung im Bahnverkehr verursachen diese Einrichtungen.
Gruß Holger
Du brauchst "brauchen" nicht zu gebrauchen, doch willst Du "brauchen" gebrauchen, so hast Du "brauchen" mit "zu" zu gebrauchen.
Peter Burdich, mein Deutschlehrer in der 7. Klasse
schlimmer Unfall - und die Presse wieder oberflächlich wie meistens: Zunächst ist von einer allein fahrenden Lok die Rede, dann von einem Zug. Daß eine LZ betrieblich als Zug gilt, dürfte der Reporter sicher nicht gewußt haben...
nun, wie versprochen, die Geschichte eines ungewöhnlichen Dienstes, der völlig normal begann und sich zu einer spannenden Angelegenheit entwickelte:
Kleine Lok auf großer Fahrt Es geschah an einem Sommertag des Jahres 1979; ich weiß die Jahreszahl deshalb noch genau, weil dieser Dienst als Zehn-Uhr-Bereitschaft begann und wir uns im Aufenthaltsraum zufällig über den vergangenen strengen Winter unterhielten, jener Winter, in dem ich am frühen Neujahrsmorgen mit meinem Schnellzug auf der Fahrt von Mannheim nach Köln in den schlimmen Eisregen geraten war. So „schwelgten“ wir in großen und kleinen Heldentaten, der Fernsehapparat blieb aus, es schien eine ruhige Bereitschaft mit Mittags- und Kaffeepause zu werden. Doch der Schein trog gründlich! Ich erzählte gerade, wie Kollege C. im Hauptbahnhof eine Frau geärgert hatte, die einen der damals neuartigen Koffer auf Rädchen hinter sich herzog. C. äußerte: „Miez, miez, miez … ach so, das ist ja’n Hund!“, worüber die Frau sich nicht wirklich freuen konnte. In den Lacher hinein ertönte der Lautsprecher: „Die Zehn-Uhr-Bereitschaft … Kurt, komm‘ bitte mal zur Lokleitung!“ Es war 10:35 Uhr. Da war einiges los. Der Disponent, unser Piratenhäuptling, forstete mit Tempo das große Diensttagebuch durch (es mußte ernst sein, denn normalerweise saß er in seinem separaten Büro), derweil mir der Lokdienstleiter „Personal“ erklärte, man sei schwer im Druck, weil nicht nur ein Mann sich kurzfristig krank gemeldet habe und seine Zugleistung noch ungedeckt wäre, vielmehr fehle auch die Lok für den kurz vor zwölf Uhr geplanten Reisebürosonderzug nach Heidelberg. Diese, eine E 140, käme aus einem stark verspäteten Güterzugumlauf, könne daher unmöglich vor dreizehn Uhr hier sein – und der Sonderzug müsse laut Plan 11:47 Uhr abfahren. Es gebe gewaltigen Ärger, wenn der für die Bahn lukrative Zug zu spät fahre oder womöglich sogar ausfalle. Höchst ernste Lage mit Zeitdruck! „Nein, nein, auf keinen Fall telephoniere ich den N. aus dem Ruhetag, der hat sieben Touren hintereinander gemacht und braucht die Auszeit. Die anderen Kandidaten kann ich auch nicht umsetzen, das paßt dann in den Folgeschichten vorne und hinten nicht; bleibt nur die Zehn-Uhr-Bereitschaft, auch wenn’s der Oberlokleitung nicht paßt und möglicherweise für den Mann Überstunden anfallen!“, stellte der Disponent eindeutig fest. Der Lokeinsatzleiter stand in Bezug auf eine greifbare Lok gleichermaßen im Regen: Es war absolut keine 110er oder 140er frei und wegen des momentan ungewöhnlich hohen Schadlokanteils ließ sich beim besten Willen nichts „schieben“. „Der Reihe nach“, bestimmte der Disponent. „Kurt – du bist kundig nach Heidelberg und würdest einverstanden sein, eventuell ein paar Überstunden zu machen? Deinen morgigen Dienst gebe ich einem anderen Kollegen, damit wir Luft in die Planung bekommen.“ „Klar, alle Strecken, alle Abzweigungen, und wenn’s länger hingeht – null Problem“, mühte ich mich, die Szene zu beruhigen. Und weil ein Scherz zuweilen verkrampfte Situationen auflöst, schob ich nach: „Wenn Ihr keine Lok für mich habt, dann doch wenigstens den Riemen zum Selberziehen, oder?“ Befreiendes Lachen, dann bemerkte der Lokeinsatzleiter mit erneutem Blick auf seine graphischen Pläne: „Riemen zum Selberziehen … na ja, nicht direkt, aber sowas ähnliches, eigentlich völlig unmöglich, aber: Im Westen (gemeint ist die westliche Drehscheibe, Anm.) steht eine Frankfurter 141, die hatte hier gestern Nachschau, kam aus einer Sonderleistung. Jetzt wissen wir nicht so recht, mit was wir den Hobel zurückschicken sollen. Da wär‘ der Reisebürozug nach Heidelberg doch gut geeignet – dort abhängen und die 41er nach Frankfurt, womöglich LZ, die paar Kilometer.“ „Das kannst du nicht machen“, widersprach der Personal-Lokdienstleiter, „dieser Reisebürosonderzug hat zwölf dicke Wagen, du weißt doch, unsere Reserve, diese schweren Brocken aus den 30er Jahren … das darf und schafft die 141 nicht!“ „Warum versuchen wir’s nicht?“, fragte ich keck, ergänzte: „Besser Verspätung machen als Ausfall des Zuges, oder? Bei solchen Zügen ist die Fahrzeit in aller Regel reichlich bemessen – und hier ist das bestimmt der Fall, weil planmäßig eine 140er mit 110 km/h Höchstgeschwindigkeit davor sollte. Also, Männer: Gebt mir die 141, ich mach‘ das schon!“ „Aber das Zuggewicht! Der Remmel wiegt mindestens 550 Tonnen…! Soviel darf die 41er gar nicht schleppen!“ „Dürfen und können sind zwei Paar Stiefel“, hielt ich dagegen, weil mich das Abenteuer zu reizen begann. „Wie gesagt: ich mache das schon!“ Der alte Piratenhäuptling schaute mich grinsend-zustimmend an: „So reagiert ein Lokführer!“ „Schon gut…“
Es war eine 141 der vierten Bauserie, äußerlich in auffallend gutem Zustand und wie der kritische Rundgang um die Lok zeigte, galt das auch für die Bremsklötze. Die Lok war bereits mit der automatischen Bremsnachstellung ausgerüstet, weshalb alle vier Bremszylinder gleichen kurzen Hub aufwiesen. Das stellte ich beim Vorbereitungsdienst fest, den ich angesichts der vorausgegangenen Nachschau durchaus weniger gründlich hätte machen können. Doch auch Maschinen haben eine Seele und die Lok sollte spüren, daß sie in guten Händen war … verrückt, gell? Aufrüsten, Prüfung der inwendigen Bauteile, die Trafotemperatur lag bei 25° – optimal, denn die dürfte ganz hübsch ansteigen, obwohl ich alle Tricks zur Lastreduzierung auszuschöpfen gedachte. Doch 550 Tonnen blieben 550 Tonnen; ich konnte nur unter Ausnutzung der Streckenkunde längstmögliche Auslaufstrecken und solche mit verminderter Geschwindigkeit einplanen. (Reduziertes Tempo bedeutet weniger erforderliche Leistung.)
Als ich die Lok an den Zug beigefahren hatte, meinte der Aufsichtsbeamte, ich sei ja ganz schön mutig, mit der kleinen Nahverkehrslok diesen schweren Zug fahren zu wollen. Im Grunde hatte er recht, doch weil ich nicht solche „Teststrecken“ wie die Geislinger Steige oder Laufach – Heigenbrücken im Spessart vor mir hatte, konnte ich guten Gewissens abwiegeln. Ich wußte, daß die 141er im Bedarfsfall ganz schön zulangen konnten. Und man mußte berücksichtigen, daß beim Nahverkehr häufiges Anfahren, Bremsen und erneutes Anfahren im hohen Strombereich stattfand – dieser Reisebürosonderzug hatte als Unterwegshalte Köln HBf, Bonn-Beuel, Neuwied, Koblenz-Ehrenbreitstein, Rüdesheim, Mainz und Mannheim, lange Strecken ohne Zwischenhalte, auf denen der schwere Zug, einmal in Schwung gebracht, mit vertretbarer Beharrungsleistung zu befördern war. Ergo: Das klappt! Ausfahrt Hp2 mit 40 km/h – Himmel, der Zug hing an meiner 141er wie ein Beton- oder Bleiklotz; den Trick mit dem ruckfreien Anfahren mit zwei Tonnen je Fahrmotor konnte ich hier vergessen, denn viermal zwei Tonnen waren als Losbrechmoment zu wenig. Stufe für Stufe dazu, die Lok zerrte an der Kupplung … und endlich setzte sich die Sache in Bewegung. Zwölf schwere Altbau-Schnellzugwagen mit HiK-Bremsen und den verschraubten Faltenbalgübergängen an den Kopfenden, deretwegen im Bahnhof Deutzerfeld immer noch ein Mann mit der hübschen Berufsbezeichnung „Abbalger“ beschäftigt war. Der Zug nahm Fahrt auf. Wenn er einmal rollte, war’s gar nicht so dramatisch – allerdings ging’s jetzt in die kurze, aber recht starke Steigung rauf zum Bahnhof Köln-Deutz. Noch zwei, drei Fahrstufen höher, die Lastschalter knallten, doch das Stufenrucken ging im Zuggewicht regelrecht unter. Fein. Das Abenteuer nahm seinen Lauf. Die E 141 schleppte den Zug über die Steigung nach Köln-Deutz, wo alle Signale bis zur Einfahrt Köln HBf „grüne Welle“ zeigten. Der Tacho stand auf 40 km/h, die Lok hatte den „Brocken“ sogar in der Steigung beschleunigt. Wer sagt’s denn…
Bremstechnisch zeigte sich der Zug erwartungsgemäß heikel mit langen Anlege- und noch längeren Lösezeiten sowie ausgeprägtem Nachziehen. Doch das war bald analysiert und ich freute mich, mal wieder solch ein kitzlig reagierendes „Schätzchen“ zu fahren – und als Steigerung mit einer Lok, die eigentlich für das Zuggewicht zu schwach daherkam, mit ihren rund 3140 PS Dauerleistung. Doch verglichen mit den ungefähr 2000 PS der Schnellzug-Dampflokomotive der Baureihe 01 war ich doch fürstlich bedient, oder?
In Köln HBf waren am gedrängt vollen Bahnsteig zahlreiche Reisende eingestiegen, der bordeigene Disc-Jockey legte die ersten Platten und Tonbandkassetten auf – na, das würde wieder eine lustige Fahrt werden, für die Reisenden. Ich hatte genug mit der Lok und dem bremstechnisch anspruchsvollen Zug zu tun. Um die Trafo-Öltemperatur möglichst niedrig zu halten – die 141 war diesbezüglich etwas heikel –, schaltete ich an der Batterietafel im Maschinenraum den Ölkühlerlüfter auf Dauerbetrieb. Es konnte losgehen. Endlich: Ausfahrt Hp2 – und ein „Piiiiiiiip“ vom Zugbahnfunkgerät. Ich meldete mich. Der Fahrdienstleiter erklärte, man würde meinen Zug über das Schlundgleis leiten, damit ich nicht mit dem schweren Teil den Koblenzer Damm hinaufackern müsse. ‚Prima, die Leute denken mit‘, freute ich mich. Und mir fiel ein, noch vor Mainz den Fahrdienstleiter Groß-Gerau verständigen zu müssen, daß er für freie Fahrt sorge, weil ich den schweren Zug mit der 141er womöglich aus dem Stand nicht die Steigung Richtung Biblis raufbringen würde. Wenn erforderlich, war eben ein Betriebshalt in Bischofsheim (Güterbahnhof) vorzusehen; das ergab hinreichend „Anlaufweg“ für die Steigung.
Durch den ehemaligen Güterbahnhof Köln-Gereon fuhr ich weiter bis Köln-Süd, wo es über die Abzweigung zur Südbrücke und weiter via Köln-Kalk-Personenbahnhof auf die rechte Rheinstrecke ging. Die Streckenhöchstgeschwindigkeit bis Köln-Kalk betrug 60 km/h – und ich stellte zufrieden fest, daß der Zug gut lief und die Lok mit ihm zurechtkam. Hinter Kalk standen 110 km/h im Fahrplan – Stufe für Stufe aufschaltend, hielt ich die Leistung knapp unter der zulässigen Kurzzeit-Höchstgrenze von 3700 kW, um nach möglichst raschem Erreichen der Plangeschwindigkeit auf Beharrungsleistung zurückschalten zu können. Das war eine zweischneidige Sache: Rasches Beschleunigen bedeutet einerseits hohe Leistung und damit Temperaturentwicklung, andererseits war die 141 für die vorgenannte kurzzeitige Hochlast konzipiert und langsameres, mithin langandauerndes Beschleunigen konnte sich thermisch eventuell negativ auswirken. Heiße Sache, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich beschloß, an jedem Haltebahnhof die Trafotemperatur am Meßgerät im Maschinenraum zu kontrollieren und gegebenenfalls die Beschleunigungsphasen zu variieren. Jetzt – 110 km/h, runterschalten auf Stufe 15, auf Verdacht sozusagen. Das spektakuläre Knallen der Lastschalter machte mir Spaß: Ellok pur, zum Hören und Anfassen. Die Fahrstufe paßte halbwegs, je nach Streckenmodalität etwas mehr oder etwas weniger. Und der Zug lief, wie bereits gespürt, wirklich gut: einmal auf Tempo, fühlte er sich viel leichter an, als er tatsächlich war. Durchfahrt Troisdorf, ein paar Fahrstufen rauf wegen Kurve und Steigung nach Friedrich-Wilhelms-Hütte, da mit 110 km/h durch, runterschalten – das Stufenrucken ging tatsächlich im Gewicht des Zuges unter, dessen Zughakenfedern in ihrer Charakteristik irgendwie zur Lok paßten. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf … feix… Bonn-Beuel, erster Halt. Frühzeitig, kurz hinter Menden, abschalten und ausrollen lassen, die Geschwindigkeit fällt auf etwa 100 km/h. Jetzt Drucksenkung auf 4,7 bar – und die HiK-Bremsen fassen nachdrücklich zu, kurz warten, doch, etwas mehr, also: Senkung auf 4,5 bar. Nun beißen die Klotzbremsen, Bahnsteiganfang 65 km/h, abwarten, 55 km/h: Abfall der Hochabbremsung und der Zug beginnt nachdrücklich zu schieben. Noch viel Weg. Druckerhöhung auf 4,7 bar, die einlösige Lokbremse löst völlig aus, die 41er hängt sich an den Zug … die H300 nähert sich, Zug wird langsamer und langsamer, Druck in der Regulierstufe auf 4,85 bar, vorbei an der H-Tafel, noch ein paar Meter – und mein Zug steht am richtigen Punkt, ohne Halteruck, weich und sanft hinjongliert. Ach ja – Theo, danke für alles! Die zwölf schweren alten Schnellzugwagen haben die ungefähr 66 Tonnen Lokgewicht mühelos mitgebremst; gut so, das schont die ansonsten hoch belasteten Bremsklötze der E 141. Im Maschinenraum die Trafoöltemperatur geprüft: 40° C, na also, geht doch… Nächste Station Neuwied … dort hatte ich noch nie mit einem langen Schnellzug gehalten, folglich würde ich es langsam und vorsichtig angehen. Auf der Strecke bis Neuwied standen in Spalte 2 des Buchfahrplans durchgängig 110 km/h, ausgenommen die 100 durch Linz und die 90 bei Leutesdorf. Mein Gefühl sagte mir, die Zeit sei hinreichend gerechnet, weshalb ich zur Entlastung der Lok nur 100 km/h fuhr, die 90 bei Leutesdorf durch Auslauf realisierte, nicht mehr aufschaltete und über Fahr-Irlich bis Neuwied so die Geschwindigkeit weiter im Rollbetrieb verminderte und der Lok im Leerlauf eine Kühlpause verschaffte. In Neuwied dann á la rohes Ei mit 50 km/h am Bahnsteiganfang, weil ich ja die Lage der H-Tafeln peilen mußte. Aha, da hinten, die H300: Tacho zeigte 45 km/h, Drucksenkung in Regulierstufe auf 4,8 bar, durchs geöffnete Seitenfenster hörte ich das Aufkreischen der Bremsklötze, Blickwechsel Tacho – Ziel – Tacho – Ziel … ich hätte vor Freude quietschen können: Diese eine einzige Drucksenkung paßte! Kurz vor Halt rauf auf 4,9 bar – Punktlandung! Blick auf die Uhr: Zwei Minuten vor Plan. Reichlich Fahrzeit, kein Grund, die Lok zu „treten“. Ich holte ein Päckchen mit zwei Butterbroten aus dem Thermofach, dazu eine Dose Fanta, nahm ein Schlückchen und ein Häppchen, rausgucken, Abfahrauftrag, langsam aufschalten. Fahrt bis Koblenz-Ehrenbreitstein, da hab‘ ich auch noch nie mit einem Schnellzug gehalten; ist der Bahnsteig überhaupt lang genug? An mir soll’s nicht liegen, ich werde so weit vorziehen wie möglich. Und jetzt: Dynamische Kaffeepause… „Lokführer – meld‘ dich mal!“ Der Zugführer wollte mich über das Zugtelephon sprechen. Ich nahm den Sprechhörer ab: „Hier ich, wer da?“ Lachen am anderen Ende, dann: „Na, du bist ja gut drauf! Apropos: Das klappt ja richtig toll mit der kleinen 141, hätte ich nicht gedacht.“ „Na ja, man muß halt wissen, wie sie tickt“, gab ich grinsend zurück. „Hm, da hast du wohl recht. Aber was anderes: In Ehrenbreitstein ist der Bahnsteig wahrscheinlich um ein oder zwei Wagenlängen zu kurz. Zieh‘ bitte so weit vor wie möglich! Ich bleibe am Schluß und passe auf, daß keiner in den Schotter klettert. Wir halten zwar nur zum Einsteigen – ist schließlich ein Touristikzug, mit dem alle nach Heidelberg wollen –, aber man weiß ja nie, Alkohol und so…“ „Völlig richtig!“, bestätigte ich und erzählte kurz die Geschichte vom „Wurstmarkt-Expreß“, wo im nächtlichen Bodenheim einige Betrunkene ausgestiegen waren. „Du hast ganz klar Erfahrung mit solchen Zügen“, amüsierte sich der Zugführer, meinte dann: „Das läuft echt gut, mach‘ weiter so!“ Ich dankte ihm. Blick auf den Tacho: 100 km/h, Durchfahrt Vallendar, abschalten, rollen lassen bis zum Bremseinsatzpunkt von Koblenz-Ehrenbreitstein…
Alles hatte geklappt wie besprochen und ich war mit meinem Zug mittlerweile zwischen Oberlahnstein und Braubach unterwegs. Fahrzeit satt. Ergo: Mit konstant 90 km/h bei sonnigem Bilderbuchwetter die rechte Rheinstrecke entlang. Die Temperaturprüfung in Ehrenbreitstein war zufriedenstellend ausgefallen: knapp 60° am Trafo – und die würden angesichts der gleichmäßigen Beharrungsfahrt bis Rüdesheim kaum ansteigen. Schöne Tour, interessante Tour, mehr davon…!
Etwa drei Kilometer bis zur LF mit Kennziffer 6 vor Rüdesheim. Abschalten, Auslauf. Den schwierigen Bahnsteig kannte ich noch gut von der Fahrt mit meinem Lehrmeister Theo, damals mußte ich einen noch längeren Zug mit HiK-Bremse genau hinstellen. Hatte geklappt, weshalb es auch heute funktionieren würde. Hat es auch.
Hinter Rüdesheim beginnt der kurvenreiche Rheingau, der sich bahntechnisch betrachtet bis Eltville hinzieht. Raus aus Rüdesheim, Linkskurve, Steigung, das Knallen der Lastschalter hallte von den bahnnah gebauten Häusern zurück. Die niedrigste zulässige Geschwindigkeit wies die Strecke damals in Hattenheim auf: 80 km/h wegen der eng gekurvten Ortsdurchfahrt. Um meine 141 nicht mit häufigen Brems- und anschließenden Beschleunigungsvorgängen ans Kochen zu bringen, hielt ich das Tempo konstant auf 80 km/h – und die bei jeder Bahnhofsdurchfahrt vorgenommene Kontrolle zeigte, daß ich dennoch plan fuhr, es nicht nötig war, dieses je nach Streckenabschnitt vorgesehene Pendeln zwischen 110 km/h und niedriger auszuführen: die Fahrzeit erwies sich als so reichlich bemessen, daß ich sie mit der gemütlichen Güterzuggeschwindigkeit halten konnte. Gut für die Lok!
Irgendwo unterwegs im Rheingau wollte ich gerade den Fahrdienstleiter Groß-Gerau wegen der freien Durchfahrt anfunken, als das „Piiiiiip“ des Gerätes mir zuvorkam. Die Betriebsleitung verständigte mich, daß sie eine Laufwegänderung meines Zuges vornehmen müsse, weil momentan im Bereich Bischofsheim und Biblis starker Verkehr herrsche, wo sie den Sonderzug nicht zwischenschieben könnten. Ich würde daher abweichend über die Hauptstrecke von Mainz über Worms und Ludwigshafen nach Mannheim geleitet; in Mainz erhalte ich die entsprechenden Fahrplanunterlagen. Das war mir recht, weil dieses doch fragezeichenbehaftete Spielchen mit der freien Durchfahrt in Groß-Gerau entfiel.
Eltville und weiter nach Wiesbaden-Biebrich, auf Hp2 Richtung Kaiserbrücke, über die Brücke und runter nach Mainz-Hauptbahnhof, wo mein Sonderzug zehn Minuten Standzeit hatte. Die erneute Prüfung der Trafotemperatur ergab genau 60° Celsius – die E 141 wurde wohl unterschätzt…? Dennoch ließ ich die Lüfter zwecks Kühlung weiterlaufen, weil ich zwischen Mainz und Mannheim wegen der dichten Zugfolge nicht bummeln durfte, die planmäßige Höchstgeschwindigkeit fahren und daher der Lok erheblich mehr Leistung abfordern mußte als bisher. Wenigstens lag die Strecke bis auf wenige Ausnahmen praktisch völlig in der Ebene, was die Sache einfacher machte. Die Fahrplanunterlagen hatte mir der Aufsichtsbeamte übergeben; wir waren startklar.
Beständig Strich 110 km/h, außer Oppenheim, wo die Strecke nur 100 km/h zuläßt. Dieses ständige Fahren auf höherer Geschwindigkeit erforderte erheblich mehr Leistung, als ich sie bisher aufschalten mußte, die Motorstromanzeigen und das Oberstrominstrument zeigten deutlich höhere Dauerwerte, die das zulässige Stundenmaximum tangierten. Heiliger Siemens, mach‘, daß alles gutgeht…! Runterbremsen auf 90 km/h, Durchfahrt Worms, beschleunigen auf 110 km/h, das dauerte seine Zeit. Mit 110 durch Frankenthal … Erinnerungen an den „Wurstmarkt-Expreß“ … drei Jahre ist das jetzt her – wo ist die Zeit hin…? Abschalten, rollen lassen, Durchfahrt Oggersheim, dann runter auf 70 km/h vor Ludwigshafen, Berg rauf, mit 70 km/h kräftig ziehen, dann abschalten, weiter, durch den Ludwigshafener Hauptbahnhof, runterbremsen auf 40 km/h für die Einfahrt Mannheim-Hauptbahnhof, den Zug mit einer kurzen Intervallbremsung im Gefälle auf 40 halten, wieder rollen lassen, am wohlbekannten Bahnsteig entlang – und schöner, weicher, punktgenauer Halt ein Stückchen hinter der H300. Theorie in die Praxis umgesetzt, dank Theo, meinem alten Meister. In den Maschinenraum: Trafoöltemperatur steht auf 70° Celsius – die Belastung war fraglos hoch gewesen, aber der Wert lag im akzeptablen Bereich. Wieder in den Führerraum, Fahrmotorenlüfter ein (der des Trafos lief ja permanent), Kühlpause. Planmäßige Abfahrt in fünf Minuten. Noch 17 Kilometer bis Heidelberg.
Das Zp9-Lichtsignal leuchtete auf: Abfahrt. Langsam und ohne Hast bringe ich den schweren Zug auf Tempo: die letzte Etappe. Als ich eine Geschwindigkeit von 100 km/h erreicht hatte, war es auch schon fast wieder Zeit zum Abschalten – einen Moment noch ziehen, dann Fahrschalterhandrad auf Null. Die Mechanik der Nachlaufsteuerung „orgelte“ vor sich hin, die Lastschalter lieferten ihr Konzert … E 141 fahren macht Spaß. Punktum! Einfahrt Heidelberg auf Hp2 mit 60 km/h, nochmal Präzision abliefern, ja, paßt, rollen lassen, mit kleiner Stufe nachfassen, eine Zweizehntelkorrektur, wieder auf vorherigen Wert, dann Regulierstufe – und steht. Das Ziel war erreicht und die kleine Nahverkehrslok hatte ihre schwere Arbeit mit dem dicken Zwölf-Wagen-Schnellzug bestens erledigt. Ich schaue auf die Uhr, sie zeigt 16:15. Ein Rangierer und der Aufsichtsbeamte kamen zu mir an die Lok und der AB sagte: „Guten Tag, Lokführer! Hast du schon einen Auftrag für die Rückleistung?“ „Guten Tag, Kollege. Nein, ich bin die Zehn-Uhr-Bereitschaft Köln Deutzerfeld. Wie soll’s denn weitergehen?“ „Würdest du die Lok LZ nach Mainz-Hauptbahnhof bringen und dort im BW abstellen? Anschließend Fahrgast Heimat.“ „Klar, mache ich. Wenn’s geht, bitte über Worms, damit ich keine Forschungsfahrten machen muß!“ Ich lachte zu meiner Schlußbemerkung. „Alles klar! Ist die Heizung aus?“ „Ja, Heizung ist aus.“ Der Rangierer kletterte zwischen Lok und ersten Wagen, trennte die Luftschläuche, ich drückte etwas bei, dann hörte ich die Kupplung fallen. Der Aufsichtsbeamte hatte unterdessen über sein Funkkgerät mit der Lokleitung und dem Fahrdienstleiter gesprochen; Auftrag: „Lokführer – bitte vorziehen bis hinter das Sh-Signal der Gegenrichtung, dann als LZ 87989 nach Mainz. Du bist gleich dran, freie Strecke!“ Das machte ich, schaltete das Schlußlicht ein, schloß das Führerbremsventil ab, legte den Richtungsschalter auf Null, nahm den Griff (Knochen genannt) mit und ging zum anderen Führerstand. Alle zu sehenden Signale standen bereits auf Fahrt. Führerbremsventil aufschließen und in Fahrtstellung gelegt, Richtungsschalter nach vorne, kurze Brems-Manometerprobe, am Funkgerät die Zugnummer einstellen, vier, fünf Fahrstufen aufgeschaltet, Lüfter ein – und ich war unterwegs nach Mainz. Ohne ein einziges Mal zu stutzen oder gar zu halten fuhr ich bis Mainz HBf – die E 141 lief nach wie vor bestens. Als ich sie im nahe am Hauptbahnhof gelegenen BW mit A1 abgestellt hatte, war es knapp halb sechs Uhr. Ich würde ungefähr planmäßig zu Hause sein, ohne Überstunden. Und die „Abenteuertour“ hatte mir Spaß gemacht und einen zusätzlichen freien Tag beschert. Schöne Erinnerungen an einen schönen und spannenden Dienst… Ach ja, ehe ich’s vergesse: Nachdem ich die Lok abgestellt hatte, zeigte die Trafoöltemperatur einen Wert von 55° Celsius – alles bestens also.
Das ist ja wieder ganz grosses Kopfkino!!! Die Altbauwagen und das kleine Lokomohöchen kann ich mir sehr gut vorstellen. Aber da sieht man, wie leistungsfähig die Kommutatortechnik doch wirklich ist. Eine Drehstrom-145 hätte mit 4200kW wohl eher schlapp gemacht, zumal ich bei diesem Zwirbelkoffer die Steuerung und Abstimmung der Systeme für sehr fragwürdig halte...
Es war jedenfalls wieder eine richtig Klasse Geschichte von Dir!!! Danke und weiter so, Kurt!!!
das war ja an Spannung nicht mehr zu überbieten. Ich habe die ganze Geschichte in einem Rutsch gelesen, so wie ich in meiner Jugend die Karl-May-Romane verschlungen hatte. Du schreibst wirklich sehr anschaulich und bewegend, dass man sich förmlich in den Lokführerstand reinversetzt fühlt und meint das Abenteuer mitzuerleben.
Chapeau!
Aber auch der Inhalt ist packend. Kommt da so ein "kleines" Lökchen und packt den großen schweren Zug. Und alles ohne eine einzige technische Schwierigkeit. Ich denke, dass die "alte" Technik da noch viel mehr Reserven versteckt hielt, als die heutige "neu" Technik. Und mit Reserven mein ich jetzt nicht unbedingt mehr Leistung, sondern Zuverlässigkeit, auch im Grenzbereich und Langlebigkeit. Dass dazu natürlich ein entsprechender Mann am Regler sitzen muss ist wohl mit wichtigste Voraussetzung. Dies werden wohl auch die "Profis" hier bestätigen. Man merkt es immer wieder: Du bist und warst ein Lokführer mit Leib und Seele! Und es steckt noch immer viel Herzblut dabei!
Die Geschichten, Abenteuer und Erlebnisse, die Du uns hier schilderst entsprechen in vielem dem Traum, den ich als kleiner Junge hatte, als ich natürlich auch Lokführer werden wollte.
Und so werde ich Deine Geschichten fleißig und mit einem Tropfen Wehmut weiter verfolgen. Vielleicht hätte ja auch ich ...
danke für Eure positiven Postings! Ja, stimmt - die alte Technik war sehr robust und zum Teil "für die Ewigkeit" gebaut. Das gilt für die 141, die ihre Leistungsfähigkeit für mich mit dieser Tour nach Heidelberg endgültig unter Beweis stellte, ebenso wir für alle anderen Elloks jener Zeit. Das Zuggewicht habe ich möglicherweise nicht korrekt angegeben, rechnen wir mal rasch nach: Ein Wagen dieser Reichsbahn-Bauserie (30er Jahre) wog meines Wissens leer 47 t. Die Speise- und Gesellschaftswagen waren schwerer, um 52 t. Hinzu kam das statistische Etwagewicht der Fahrgäste, pauschal mit 5 t je Wagen gerechnet ("Fleischgewicht"). Her mit dem Taschenrechner: Der Zug führte einen Speise- und zwei Gesellschaftswagen (Tanzwagen), macht zusammen 156 t. Dann neun der normalen Schnellzugwagen (Bezeichnung irgendwas mit By und Ay): 423 t plus die 156 = 579 t plus 9 x 5 t Fahrgäste = 624 Tonnen Betriebsgesamtgewicht! Ganz nett für die kleine 141...
Was haben wir mit den 110ern Züge geschleppt! Und was konnten sie "wegstecken" - ich erinnere hier an die Geschichte, wo ich einen 13-Wagen-Schnellzug mit der E 110 von Recklinghausen bis Münster als Nahverkehr fahren mußte: diese Last alle paar Kilometer neu beschleunigen...!
Oder nehmt die E 103: Sie war konzipiert für Züge bis 300 t und 200 km/h. Seit 1979 zog die 103 die IC-Blockzüge mit elf bis 13 Wagen (regulär elf), da hingen stets um die 500 - 650 Tonnen am Haken, die mit 160 bis 200 km/h befördert wurden, was eine ungefähre Verdoppelung der Nennlast bedeutete! Die Lok hat das geschafft, noch heute muß ich den Konstrukteuren und den Herstellerfirmen, die erstklassige Qualität lieferten, meine Hochachtung aussprechen! Die runtergewirtschafteten 103er waren Ende der 90er Jahre immer noch gut genug, havarierte Neubauloks vom Typ E 101 mitsamt dem dranhängenden Zug weiterzufahren...
Es ist kein Geheimnis: ich habe an meinem Beruf sehr gehangen und mich immer bemüht, anständige Arbeit abzuliefern. Dazu gehörte auch der sachgemäße Umgang mit den Loks. Und dazu gehörte auch meine Neigung, "Abenteuertouren" zu fahren, Grenzbereiche auszuloten. So wie mit der 141 und dem schweren Schnellzug.
Wenn ich heute in meinen Erinnerungen krame und Geschichten und Geschichtchen in geschriebener Form erzähle, hilft mir dabei mein "filmisches Gedächtnis": Ich sehe nämlich beim Schreiben einen Film laufen, den ich nur abtippen muß. Das erklärt auch die teils anachronistisch wirkenden Details wie die Trafotemperaturen in der letzten Story: Im "Film" sah ich das urwüchsige Meßgerät der Firma "Messko" mit dem Schutzgitter vor dem Skalenglas ... na ja, und die Position des Zeigers auch. Interessant, was der "Computer" unter der Schädeldecke alles speichert; als ich mit meinen Memoiren anfing, glaubte ich, so um die zehn bis 15 Storys zusammenzubringen - und dann schlug die Erinnerung zu, alte "Dateien" wurden wieder lesbar ... schon witzig.
Wie dem auch sei - es freut mich sehr, daß Euch die Geschichten aus der alten Eisenbahnwelt gefallen. Wie viele ich noch erinnern werde, weiß ich nicht; frei nach Charles Bukowski: Ich laß es einfach kommen.
Kurt, ich bin ja immer noch der Meinung, dass Du die Geschichten als Buch herausbringen solltest, auch wenn es mich natürlich freut, sie hier kostenlos aber ganz und gar nicht umsonst lesen zu können!
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #732 Wie dem auch sei - es freut mich sehr, daß Euch die Geschichten aus der alten Eisenbahnwelt gefallen. Wie viele ich noch erinnern werde, weiß ich nicht; frei nach Charles Bukowski: Ich laß es einfach kommen.
Da pfeif ich dann einfach mal: lang-kurz-lang (Zp11, "Kommen")
Ich geniesse deine Geschichten aus dem Berufsleben sehr, es ist die Zeit der Bahn, die ich zumindest ansatzweise noch mitbekommen und verinnerlicht habe. Ich kenne einige der Strecken, die du beschreibst (als Fahrgast) aus eigener Anschauung und fahre im Geiste "vorne links" bei dir als Fahrgast auf der Lok mit.
Danke für die Mühe, die du dir machst, die Geschichten so packend und frisch niederzuschreiben!
Für mich ist das auch immer schön zu lesen wenn Kurt über die Rheinstrecken jagt - mittlerweile fühle ich mich auf beiden Strecken sehr heimisch. Nur dass ich keine H-Tafeln treffen muss und keine HiK Bremsen hab :-)
Gruß Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
Zitat von BR365 im Beitrag #733Kurt, ich bin ja immer noch der Meinung, dass Du die Geschichten als Buch herausbringen solltest, auch wenn es mich natürlich freut, sie hier kostenlos aber ganz und gar nicht umsonst lesen zu können!
Gruß, Moritz
Hallo Moritz,
heutzutage ist es praktisch unmöglich, an diese hyperarroganten Verleger ranzukommen; Zuschriften werden (eigene Erfahrung) nicht beantwortet. Andererseits lamentieren sie in den Medien, man suche deutschsprachige Autoren... Einen an der Waffel und so. Klar ist, daß man Veröffentlichungschancen nur hat, wenn man vorbestraft oder dekorierter Akademiker (Dr., Prof.) ist, beziehungsweise bei Privatsendern irgendwas gemacht hat. Dann veröffentlichen die den hinterletzten Müll. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe Jahrzehnte als Autor für Fachzeitschriften geschrieben und veröffentliche hier und da immer nochmal was - doch selbst das interessiert die Wolkenbewohner (= Verleger) in keiner Weise. Sollte - per Zufall über dieses Forum aufmerksam geworden - mal einer jener Herren ankommen, erhält er eine gepflegte Absage im Sinne des Kürzels LMA...
Und Selbstverlag kommt nicht in Frage. Meine Texte wurden und werden noch immer gedruckt, weshalb ich nicht honorarbasiert "veröffentlichungsgeil" bin. Hier im Forum ist das eine gute Sache: Interessiertes und sachkundiges Publikum, keine scheeler Seitenblick auf mögliche Kohle, auf Einnahmen, die letzten Endes nur Arbeit bedeuten (Steuererklärung, Bundeseisenbahnvermögen). Statt dessen positive Kommunikation - und die ist mir wichtiger als irgendwelche Peanuts für tröpfelnden Buchverkauf.
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #732 Wie dem auch sei - es freut mich sehr, daß Euch die Geschichten aus der alten Eisenbahnwelt gefallen. Wie viele ich noch erinnern werde, weiß ich nicht; frei nach Charles Bukowski: Ich laß es einfach kommen.
Da pfeif ich dann einfach mal: lang-kurz-lang (Zp11, "Kommen")
Ich geniesse deine Geschichten aus dem Berufsleben sehr, es ist die Zeit der Bahn, die ich zumindest ansatzweise noch mitbekommen und verinnerlicht habe. Ich kenne einige der Strecken, die du beschreibst (als Fahrgast) aus eigener Anschauung und fahre im Geiste "vorne links" bei dir als Fahrgast auf der Lok mit.
Danke für die Mühe, die du dir machst, die Geschichten so packend und frisch niederzuschreiben!
mfg
Thomas
Hallo Thomas,
schön geschrieben! Mentale Fahrgastfahrten ... na, da muß ich mir ja echt Mühe geben, daß alles stimmt!
Zitat von ET 420 im Beitrag #735Für mich ist das auch immer schön zu lesen wenn Kurt über die Rheinstrecken jagt - mittlerweile fühle ich mich auf beiden Strecken sehr heimisch. Nur dass ich keine H-Tafeln treffen muss und keine HiK Bremsen hab :-)
Gruß Karl
Hallo Karl,
was die HiK-Bremse angeht, hast Du was versäumt! In Stellung "R" war die herrlich "tricky". Ein der Praxis entfremdeter Lehrlokführer kam mal auf meine Lok, als ich einen Zug mit 14 oder 15 Wagen HiK-Klotzbremse am Haken hatte (Strecke Dortmund - Hagen - Köln). Nach dem Halt in Hagen wollte er mir zeigen, wie das richtig zu machen sei - die Feinheiten mit der Regulierstufe schienen ihm zu kompliziert, das ginge viel einfacher. Dachte er und übernahm in Hagen den Zug. Lange Rede kurzer Sinn: In Wuppertal-Elberfeld kam er mit "Hau Ruck" vier Wagenlängen vor dem Ausfahrsignal zum Stehen, ein oder zwei Wagen hinten "im Schotter". Riesiges Gezeter über Funk. Ich hab' ihn einfach rausgeschmissen und die Betriebsleitung entsprechend informiert. "Kurze Fuffzehn", wie man in Köln sagt.
Hallo Kurt. Das is unfein wenn ein anderer in Deine Persönliche Fahrweise eingreifen will. Sowas macht unser Chef ja schließlich auch nicht. Aja - ich darf nächste Woche endlich mal wieder in Köln-Eifeltor einfahren - mit gefühlt 500 Umleitungsplänen über die Rechte Rheinseite.
Gruß Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
Als vor einigen Wochen mein Gruppenleiter die Überwachungsfahrt bei mir hatte, hat er mich auch machen lassen und nicht eingegriffen. Wäre ja auch das letzte. Das kann ich machen, wenn ich merke, da ist einer unsicher und beherrscht den Zug nicht! Apropos Umleitung, die gibt s wohl grade zu hauf. Hatte letzte Nacht zwei Züge, die normal über Würzburg laufen. Beide gingen über Mannheim-Friedrichsfeld, schön mit Buchfahrplan und so... Und die Rückleistung kam auch von Köln-Gremberg. Nicht sonderlich lang, aber schön schwer!!!
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20.05.2014 17:04 (zuletzt bearbeitet: 20.05.2014 17:16)
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