Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #856 PS.: Hatte noch was vergessen: wo sind wir hingekommen? Ins Nirvana. Ich mußte gestern im Linienbus beobachten und mithören, wie bescheuert sich viele Leute verhalten, fast jeder murkste an seinem Smartphone rum, Jugendliche verständigten sich quer durch den Bus: "Ey, haste die neue App?" Einer schaute mich mißbilligend an, weil ich, der alte Knacker, kein Mobiltelephon in der Hand hielt. Weil die in gehackter und reduzierter Sprache gebrüllten Unterhaltungen multikulti daherkamen, verabschiedete ich mich von meinem gegelten Sitznachbar auf Griechisch: "Kalinichta" (Gute Nacht!) - das einzige Wort Griechisch, das ich kann; war aber wirkungsvoll, denn klein Doofi schaute mit offenem Mund zu, wie ich ausstieg...
Hallo,
ich habe mich als alter Vater (56) mal wieder mit meinem Sohn (15) unterhalten. Als wir im zarten Jugendalter erblühten, gab es für uns einige Standartthemen: Mädchen/Sex, Musik (ABBA war toll), Mofa->Moped->Motorrad->Auto (in dieser Reihenfolge) und Fußball. Aber auch Politik. Natürlich waren die Mädchen am interessantesten. Da wurde rumgemacht, was nur ging. Dann habe ich meinen Sohn mal gefragt, was seine Klassenkameraden in dieser Hinsicht so machen. Antwort: nix. Ich habe dann weiter nachgefragt. Die Kerle müssen doch ihre Hormone spüren.
"Ja, wenn man da was merkt, dann sieht man sich auf seinem Handy einen Porno an und..." na ja, den Rest mag sich jeder denken.
Was sind das nur für Zeiten, und was für armselige Mickermännchen.
tolle Bilder! Und die Lok sieht mit ihrer auffälligen Bemalung irgendwie chic aus. Ich hätte sie, wenn ich hier nicht aufgepaßt hätte, für eine E 101 gehalten. Ist aber wohl eine der modernen Güterzugmaschinen?
Beste Grüße: Kurt
PS.: Und ich bin selbst heute, nach weit über 30 Jahren, froh, daß die Schauergeschichte mit der 107 eine eigenschöpferische Story des ansonsten immer seriösen Werkmeisters war!
stimmt, ich kann Deine Worte nur unterstreichen! Das Handy (und seine Varianten) als Ersatz und Droge für alles. Ich sehe - um den Bezug zum Thread herzustellen - solche Mädels und Jungs auf der Lok ... total realitätsfern, in der Hoffnung, die Betriebsanleitung als App zu bekommen...
Bei uns ist es mittlerweile üblich, dass wir unsere Betriebsanleitungen, Weisungen und Vorschriften im pdf Format auf einem von der Firma gestellten Tablet immer mitführen können. Da sind auch Ersatzfahrpläne usw. drauf. Eigentlich recht praktisch.
Gruß Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
Bei uns ist es mittlerweile üblich, dass wir unsere Betriebsanleitungen, Weisungen und Vorschriften im pdf Format auf einem von der Firma gestellten Tablet immer mitführen können. Da sind auch Ersatzfahrpläne usw. drauf. Eigentlich recht praktisch.
Gruß Karl
Hallo Karl,
klar - für einen gestandenen Lokführer ist die von Dir genannte Technik sicher eine Hilfestellung, die u.U. langes Suchen erspart. Nix dagegen! Das mit den Handy-Apps für Kids war spaßig gemeint: Ich stellte mir so einen Jüngling mit Gel-Frisur und null Ahnung auf dem Führerstand vor... Ich hatte Ende 1999 mal so einen für einen Tag zum Fahren unter Überwachung: Ich bin fast ausgeflippt, weil der Bengel beinahe ständig nur in den Buchfahrplan starrte und Strecke Strecke sein ließ...! Auf meine entsprechenden Vorhaltungen antwortete er patzig: "Ich muß doch nachsehen, wie schnell ich fahren darf!" Tja - so war das...
ich habe mich als alter Vater (56) mal wieder mit meinem Sohn (15) unterhalten. Als wir im zarten Jugendalter erblühten, gab es für uns einige Standartthemen: Mädchen/Sex, Musik (ABBA war toll), Mofa->Moped->Motorrad->Auto (in dieser Reihenfolge) und Fußball. Aber auch Politik. Natürlich waren die Mädchen am interessantesten. Da wurde rumgemacht, was nur ging. Dann habe ich meinen Sohn mal gefragt, was seine Klassenkameraden in dieser Hinsicht so machen. Antwort: nix. Ich habe dann weiter nachgefragt. Die Kerle müssen doch ihre Hormone spüren.
"Ja, wenn man da was merkt, dann sieht man sich auf seinem Handy einen Porno an und..." na ja, den Rest mag sich jeder denken.
Was sind das nur für Zeiten, und was für armselige Mickermännchen.
Gruss
Andreas
Ich habe mich nicht mehr eingekriegt vor lachen, als ich diese Zeilen gelesen habe! Ich, als 41-jähriger Vater zweier Jungs, wovon der ältere dieser Tage 18 wird, habe schon gedacht, das ich dieses Phänomen allein ausleben muß! Wie ich jedoch sehe, bin ich nicht allein mit diesen Entwicklungsproblemen unserer Gesellschaft....
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #862... wenn ich hier nicht aufgepaßt hätte, für eine E 101 gehalten. Ist aber wohl eine der modernen Güterzugmaschinen?
Beste Grüße: Kurt
Hallo Kurt,
ja, es ist eine der neueren Güterzugmaschinen, eine BR 185 der zweiten Bauserie. Aber Dein Gefühl war dennoch schon richtig. Sie enspringt der selben Lokfamilie, wie die 101. Also eine Traxx - Lok, deren Urahn die 12X ist und als 128 bei der DB zur Erprobung eingereiht war.
und wo findet man entsprechende Bilder zu Deinem Beitrag? Ein Querverweis wäre schon sehr Nütze!
Gruß Micha
Im Netz findet man zur 110 107 nur den Hinweis auf einen Unfall. In diesen Buch (Band 1) fand ich dann ein Bild vom ausgebrannten Lokkasten der 110 107.
wenn ich zufällig diesem Werkmeister nochmal begegnen sollte (unwahrscheinlich, er war rund 20 Jahre älter als ich), gibt's was auf die Nuß. Hat der Kerl mich reingelegt...! Aber andererseits habe ich ja auch zuweilen die Kollegen hochgenommen, okay, dann ist es als Rache akzeptiert, wenn auch die Thematik ... hmmm, Schwamm drüber, ist lange her...
nun, da sich die Schauergeschichte gottlob als Ente erwiesen hat, auf die ich voll reingefallen bin, wenden wir uns wieder erbaulicheren Themen zu. Um nicht zu viele S-Bahn-Kurzgeschichten hintereinanderzuhängen - von denen ich weiters nicht weiß, ob sie so richtig ankommen -, beginne ich jetzt die Niederschrift eines Erlebnisses, das bereits am Tage des Geschehens Laune machte, obwohl allerhand verquere Dinge passierten. Stichwort: Schülersonderzug. Demnächst auf dieser Welle.
Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #862... wenn ich hier nicht aufgepaßt hätte, für eine E 101 gehalten. Ist aber wohl eine der modernen Güterzugmaschinen?
Beste Grüße: Kurt
Hallo Kurt,
ja, es ist eine der neueren Güterzugmaschinen, eine BR 185 der zweiten Bauserie. Aber Dein Gefühl war dennoch schon richtig. Sie enspringt der selben Lokfamilie, wie die 101. Also eine Traxx - Lok, deren Urahn die 12X ist und als 128 bei der DB zur Erprobung eingereiht war.
Gruß Micha
Hallo Micha,
danke, jetzt bin ich aufgeklärt ... autsch, angesichts der vorherigen Texte eine gefährliche Formulierung... (feix)
Das is ja das schlimme heute dass fast alles gleich aussieht. Die gezeigte Lok ist 185 666, unser Teufelchen :) - muss aber sagen, die 185.2 sind sehr zuverlässige Loks, bisher bis auf kleine Störungen nichts auffälliges damit gewesen. Anders die Baureihe 186 mit der man uns zuweilen durchaus auch in Köln antrifft. Diese sind dank ETCS etwas störanfälliger, aber ziehen noch etwas kräftiger als die 185. Mein Liebling bleibt dennoch die 189... niedrig, lang, schön... Kräftig, irrer Sound.
Viele Grüße Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
Um nicht zu viele S-Bahn-Kurzgeschichten hintereinanderzuhängen - von denen ich weiters nicht weiß, ob sie so richtig ankommen -, beginne ich jetzt die Niederschrift eines Erlebnisses, das bereits am Tage des Geschehens Laune machte, obwohl allerhand schiefging. Stichwort: Schülersonderzug. Demnächst auf dieser Welle.
Deine S-Bahn Geschichten habe ich - wie alle anderen auch - mit Genuss gelesen. Kannst ruhig mehr davon bringen. Aber Schülersonderzug klingt auch interessant. Ich bin schon gespannt.
wunderschönes Bild! Du schreibst 185 666 - und auf der Frontseite steht 901 ... irgendwie kapiere ich das Nummernsystem nicht (gilt auch für die endlos langen Nummern, die ich an einer 101 der DB gesehen habe).
Nun mußt Du mich mal schlau machen: Die 189 sagt mir erst mal gar nichts. Aber - kann es sein, daß ich eine solche vor einigen Wochen sah? Da zog eine Drehstromlok mit kurzen, markanten Vorbauten (ähnlich wie die, die bei niederländischen Loks üblich sind) einen endlos langen, irre schweren Zug mit Stahlrollen nach einem Halt aus dem Bonner Bahnhof Richtung Süden. Es war trockenes Wetter und die Lok "fraß" sich buchstäblich in die Schienen - und der Sound war ungewöhnlich.
Um nicht zu viele S-Bahn-Kurzgeschichten hintereinanderzuhängen - von denen ich weiters nicht weiß, ob sie so richtig ankommen -, beginne ich jetzt die Niederschrift eines Erlebnisses, das bereits am Tage des Geschehens Laune machte, obwohl allerhand schiefging. Stichwort: Schülersonderzug. Demnächst auf dieser Welle.
Deine S-Bahn Geschichten habe ich - wie alle anderen auch - mit Genuss gelesen. Kannst ruhig mehr davon bringen. Aber Schülersonderzug klingt auch interessant. Ich bin schon gespannt.
...alles klar! Dann mache ich zunächst den Schülersonderzug (ist in Arbeit) und anschließend noch ein paar lockere S-Bahn-Storys.
die 901 ist eine 189, also ein Siemens-Sproß des Eurosprinter, damals bei der DB als 127 001 zur Erprobung eingereiht. Sie hat auch die Ordnungsnummer 901, wie auf der Front links oben, unter dem Führerstandsfenster erkennbar. Zu dieser Lokfamilie gehören ferner der Taurus -> BR 182 und 183 sowie 1016, 1116 und 1216 der ÖBB, die BR 152 und jetzt ganz neu die Vectron -> BR 193. Die 185 666 war die Lokomotive, die ich in Kornwestheim fotografiert hatte. Also das Teufelchen, wie Karl sie betitelte. Nun mal ein Beispiel für diese ellenlange Nummer, die Du gesehen hast. Es gibt diese NVR-Nummer seit 1.01.2007 für jede Lok und muß sichtbar an den Längsseiten der Maschine angebracht sein. 91 80 6185 039-5 D-DB nehme ich für Dich jetzt mal auseinander: 91 steht für Elektrolokomotive mit =/> 100 km/h; 80 ist die Länderkennung für Deutschland; 6185 wäre die Baureihennummer, die vom EBA als Fahrzeugregistriernummer vergeben wird, hier also eine BR 185; 039 ist die Ordnungsnummer, wie bisher üblich mit; 5 als Prüfziffer; D-DB die Fahrzeughalterkennung des EVU's, also die in Deutschland ansässige DB AG.
Wenn Du es nochmal genauer nachlesen möchtest, Kurt, klicke auf den folgenden Link:
Hier findest Du auch die Einstufung der einzelnen Bauartbezeichnungen. Die Ländercodes sind Dir ja sicher noch aus Deiner aktiven Zeit bekannt, die haben sich nicht geändert.
Die langen Nummern auf den Loks verhalten sich grundsätzlich ja ähnlich wie die seit der Epoche IV / um 1970 einsetzenden langen Wagennummern. Da stand ja dann auch nicht mehr Bye667 14625Mü oder ähnliches drauf sondern 50 80 28-11 615-2 oder ähnliches. Anstatt des Austauschverfahrens nach RIV / RIC steht dort eben die jeweilige Fahrzeuggattung voran.
Zu den heutigen Drehstromloks noch was... Sie sehen wirklich alle sehr ähnlich aus, die Baureihen 145/146 / 152 / 185/186 / 189. Die 189 und 152 stammen von Siemens, die 145/146/185/186 von Bombardier / ADtranz, woher auch schon die 101 die Dir ja bekannt ist hergestellt wurde. Das markanteste Erkennungsmerkmal einer 189 ist die gesickte Seitenwand wie sie auch schon bei der 143 verwendet wurde. Die Lok die sich förmlich in die Schienen gräbt kann sehr gut eine 189 gewesen sein - diese Lok hat mit 87t Gewicht und 6,4MW Leistung wirklich eine Bärenkraft - und das für nen 4-achser! Auf den Bildern von Micha siehst Du eine 185.2 von Bombardier, etwas leichter, nur 2 Systeme (15kV / 25kV AC), die wurde als einzige 185 unserer Firma mit roten Zebrastreifen versehen, der teuflisch unanständigen Ordnungsnummer 666 wegen :-) Mein Bild zeigt 189 901, Siemens, 4 Systeme (15kV / 25kV AC, 1,5kV und 3kV DC). Diese Lok ist die Ur-189, die allererste die jemals gebaut wurde, damals noch als 189 001 an die DB abgegeben. Des Prototypen Status wegen wurden die ersten Loks für die DB durch Serienloks ersetzt und die Prototypen in den Dispolok-Pool übernommen. Die 3 Prototypen fahren heute alle für Lokomotion. Das Foto entstand übrigens zwischen Regensburg und Plattling auf dem Weg nach Passau. Den Zug in Mainz Hbf übernommen war das schon eine recht lange Tour bis wir endlich in Passau waren.
Hoffentlich habe ich jetzt nicht für allzu viel Verwirrung gesorgt. Viele Grüße Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
nun folgt die angekündigte Geschichte vom Schülersonderzug. Bei diesem Dienst gab es neben zahlreichen betrieblichen Besonderheiten auch genügend weitere Vorkommnisse, gewissermaßen eine bunte Mischung, die zeigt, mit was man als Lokführer in den damaligen Zeiten konfrontiert werden konnte. Weil es eine ziemlich längliche Sache mit etlichen Einzelheiten ist, hier zunächst mal der erste Teil:
Schulausflug, Teil 1
Planungen Feierabend nach einem Frühdienst mit Nahverkehr nach Aachen und anschließend Krefeld, es war so gegen 14:30 Uhr an einem Apriltag des Jahres 1976. Fragezeichen im Hinterkopf: wirklich 1976 oder doch 1977? Jedenfalls geschah es in meiner ersten Zeit im Streckendienst auf der Ellok – und es trug sich zu, nachdem ich bei Theo Schnellzugfahren gelernt hatte. Das weiß ich absolut genau, denn der nachstehend eine Rolle spielende Zug zählte zu den „Brocken“ und ich habe ganz locker mit ihm gespielt. Unseren damaligen Dienststellenleiter, Herrn S., traf ich nach Feierabend auf der Lokleitung, es entspann sich ein humoriges Gespräch, bei dem auch meine von Theo erhaltenen „Nachhilfestunden“ Erwähnung fanden. Doch – es war 1976 … einige Fakten, die gleich Erwähnung finden, sprechen eindeutig dafür. Ihr seht, ich mache es mir nicht leicht, schließlich sollen meine Erinnerungen so genau wie möglich rüberkommen. Ich hatte also Feierabend, stelle meine Umhängetasche ins Regal und gehe zum Disponenten, der mich über Zugbahnfunk angerufen und gebeten hatte, mal bei ihm reinzuschauen. „Kurt! Schön, daß du kommst!“, begrüßte mich der alte Piratenhäuptling. „Ich habe auf freiwilliger Basis für dich einen hübschen Sonderdienst, der mal wieder ein wenig grenzwertig ist. Wenn du’s nicht machen willst, bin ich nicht böse, dann teile ich das Ding auf zwei Mann auf…“ „Also jetzt bin ich aber neugierig!“, fiel ich ihm ins Wort und ergänzte: „Ich bin nicht zimperlich, weißt du doch!“ Er schob seine Brille auf die Nasenspitze, grinste und dozierte: „Ist bekannt! Paß auf, folgendes: Ob du es als Bonner mitbekommen hast, weiß ich nicht, aber im vergangenen Jahr, am 1. Januar 1975, ist im Rahmen der NRW-Gebietsreform die alte Stadt Bergisch-Gladbach mit Bensberg und Schildgen zum neuen Bergisch-Gladbach zusammengelegt worden. Nun haben sich zwei Gymnasien der neuen Kleingroßstadt entschlossen, zwecks Demonstration der Einigkeit – ‚Wir sind eine Stadt‘ – einen großen Schulausflug zu machen, sämtliche Schüler sollen gemeinsam etwas erleben und das Gefühl vermittelt bekommen, zu einer Stadt zu gehören. Gemeinsame Abenteuer schmieden bekanntlich zusammen. Weil das ziemlich viele Schüler und zudem etliche Honoratioren sind, kommt eine Busfahrt – selbst als Kolonne – nicht in Frage, die haben also bei uns einen Zug gechartert; unseren Tanzzug mit zwei Disco-Wagen und zehn von den alten, schweren By-Panzern aus den 30er Jahren…“ „Na, dann ist ja der Bär los!“, lachte ich. „Bestimmt! Und jetzt wird’s kompliziert: Die Lehrer und Schüler wollen wegen ihrer Anzahl verständlicherweise nicht erst nach Köln fahren, um dort in den Tanzzug einzusteigen…“ Ich unterbrach noch einmal: „Ja klar, das gäbe ein ziemliches Theater!“ „Richtig! Also wurde ein Fahrplan ausgearbeitet, der einen cleveren Lokführer braucht: Der zwölf Wagen lange Zug muß nach Bergisch-Gladbach und dort an den Bahnsteig.“ „Geht nicht“, warf ich ein, „erstens ist der viel zu kurz und zweitens handelt es sich um eine eingleisige Anlage mit Prellbock am Ende, ohne Weiche im Bahnsteigbereich – und es ist nur das eine Bahnsteiggleis elektrifiziert. Da fährt dieser Pendelverkehr mit 141er und Steuerwagen zwischen Nippes, Hauptbahnhof und Gladbach hin und her.“ „Hast recht, Kurt. Genau das ist ja der Knackpunkt! Die Jungs vom Verkehrsdienst, die die Tour verkauft haben, meinen, man könne doch in Dellbrück drumrum fahren und den Zug nach Gladbach raufschieben.“ „Unmöglich, Helmut! Die Bahnsteiggleise in Köln-Dellbrück sind zirka 250 Meter lang, eher weniger – und der Zwölf-Wagen-Zug paßt da nicht dran. Warte mal … ein ‚By‘ der dreißiger Jahre ist, wenn ich mich recht entsinne, um 25 Meter lang, mal zwölf plus Lok … nee, geht nicht, dann setzen wir uns zu.“ „Sowas habe ich befürchtet. Hast du eine Idee? Denn fahren muß der Zug, irgendwie, und zwar ab Bergisch-Gladbach!“ Ich überlegte und fand eine Lösung: „Der Zug läuft von Deutzerfeld über Hauptbahnhof, Südbrücke, Kalk-Personenbahnhof, Kalk-Güterbahnhof, Köln-Mülheim? Die übliche Drehfahrt?“ „Ja, so steht’s im Sonderfahrplan“, bestätigte der Disponent. „Bleibt nur eines: In Kalk-Güterbahnhof, am besten im Bezirk Stellwerk Kw, oder noch besser in einem der langen Gleise neben der Umladehalle, die vier letzten Wagen abhängen und sichern, mit den restlichen acht nach Dellbrück, dort drumherum und nach Gladbach als geschobener Zug an den Bahnsteig, die Leute können einsteigen. Wird vielleicht ein bißchen eng in den Waggons, ist aber nur für kurze Zeit, bis Kalk, wo die vier anderen wieder angehängt werden … vielleicht wird’s eng, nicht unbedingt, warte mal … zwei Gymnasien, jedes mit mindestens neun Klassen, rechnen wir jeweils 30 Schüler mal 20 – Unterklassen sind ja oft mehrfach vorhanden – das wären rund 600 Reisende plus die erwähnten Honoratioren. Klar, daß die den Zehn-Wagen-Zug mit 720 Plätzen geordert haben – plus die zwei Tanzwagen. Au weh, das wird heftig… Egal, die acht ‚Kurswagen‘ bis Gladbach reichen aus; man sollte die Organisatoren allerdings entsprechend verständigen.“ Der Disponent hatte aufmerksam zugehört und zustimmend genickt, jetzt sagte er: „So wird’s gemacht! Übrigens glaube ich kaum, daß es mehr als 600 Reisende sein werden: ob die kleinsten der Schüler auch mitfahren?“ „Klar, warum nicht?“ „Okay. Ich trage deinen Vorschlag als Dienstanweisung für Fahrplanänderung ein; die erforderlichen Personale müssen noch bereitgestellt werden: Ein Rangierer hängt in Kalk vier Wagen ab und du fährst den reduzierten Zug nach Dellbrück, nimmst den Mann mit, der in Dellbrück dann die Rangier- und Kuppelarbeiten ausführt, abhängen, an den Zugschluß fahren, anhängen, Bremsprobe durch Zugpersonal. Am Bahnsteig warten auf Nahverkehrs-Wendezug aus Gladbach, ist der weg, schiebt ihr die Fuhre das eingleisige Streckenstück nach Bergisch-Gladbach rauf und da schön sanft bis an den Prellbock … hmm, wie lang ist der Bahnsteig da ungefähr?“ „Ich kenne ihn nur von meiner Zeit auf der Kalker Nordberglok, wir haben Güterzüge nach Gladbach gefahren … ich denke, etwa sechs Wagen passen an den Bahnsteig, der Rest steht im Schotter und ich über das Ausfahrsignal hinaus. Daher schriftlichen Befehl entgegennehmen: ‚Fährt ohne Signal aus‘ …tja…“. „Heiße Sache, ist doch was für dich…“ Der Piratenhäuptling hielt sich mühsam ernst. Ich kratzte mich am Nacken: „Weia! Da kommen aber so ungefähr alle betrieblichen Probleme zusammen!“ „Und darum brauche ich einen Lokführer mit Nerven und Phantasie … und deine Vorschläge waren sachlich perfekt.“ Er schaute mich an und ich wußte, daß er mir bei solchen und ähnlichen heiklen Stückchen völlig vertraute: Vater-Sohn-Verhältnis, wie bei „Bonanza“, Ben Cartwright und Little Joe… Mir fiel brühwarm ein: „Ach ja – vor lauter Betriebsplanung habe ich vergessen zu fragen, wo der Zug denn eigentlich hinfährt? Nach Königswinter?“ Ich kicherte kurz. „Will der Kerl auch noch wissen, wo er hinfahren soll! Spaß beiseite: Der Zug verkehrt bis Limburg. Weil die Lahnstrecke nicht elektrifiziert ist, bringst du ihn mit einer 110er bis Koblenz-Ehrenbreitstein, wirst abgehängt, stellst deine Lok ins Nachbargleis und den Zug übernimmt eine V 215. Die Rückfahrt ab Ehrenbreitstein startet um etwa 18:00 Uhr. Du kannst dortbleiben und den Tag in Koblenz verbringen, oder aber mitfahren nach Limburg – das ist sicher unterhaltsamer…“ „Klar“, stimmte ich zu, „da kann ich mit dem Zugpersonal die Stadt unsicher machen.“ Dann fiel mir noch ein: „Sach‘ mal, Limburg ist doch auch nicht so die Riesenmetropole – sind die Gleise im Bahnhof lang genug für unseren Sonderzug mit zwölf Wagen?“ Der Disponent antwortete: „Ist das unser Problem? Wenn nicht, müssen die Jungs halt Gehirnschmalz aufbringen, so wie wir eben wegen Dellbrück.“ „Richtig, die werden das schon machen.“ Ich hatte mich mal wieder auf ein Abenteuer eingelassen…!
Im Rangierbahnhof Deutzerfeld Eine Woche später war der große Tag, an dem das Geschehen seinen Lauf nahm. Gegen 6:30 Uhr morgens stand ich im Rangierbahnhof Köln-Deutzerfeld mit meiner E 110 (erste Bauserie) an dem zwölf Wagen langen Sonderzug – mit HiK-Klotzbremsen – und der Luftpresser orgelte vor sich hin: Luft pumpen, Leitungen und Behälter mit dieser bei der Eisenbahn unentbehrlichen Energieform versehen. Es klopfte an der Seitentüre, ich stand auf, öffnete die Tür und der Zugführer begrüßte mich: ein junger, energisch wirkender Typ etwa meines Alters, die Uniform wie aus dem sprichwörtlichen Ei gepellt und dessen lange, schwarze Locken unter der Dienstmütze hervorquollen. Er kam auf die Lok. Wir verstanden uns auf Anhieb und er war informiert, daß die Idee mit dem Zurücklassen von Wagen in Köln-Kalk von mir stammte. „Dann wollen wir den alten Knackern mal zeigen, wie wir den Betrieb managen!“, lachte er, reichte mir den Bremszettel und füllte meinen Betriebsleistungszettel aus. Draußen leuchtete das Bremsprobesignal auf. Dichtigkeitsprobe. In Ordnung, jetzt Drucksenkung auf 4,5 bar. „Wer macht denn hinten die Bremsprobe?“, fragte ich. „Der Schaffner. Den hab‘ ich dazu vergattert, der muß das in der Praxis lernen, ist noch ziemlich neu bei uns.“ „Aha“, grinste ich. Bremse lösen – Druck wieder auf 5,0 bar. Nach einiger Zeit leuchteten am Bremsprobesignal die drei vertikal übereinander angeordneten weißen Lichter: Bremse in Ordnung. „Na, das macht er doch richtig gut“, stellte ich fest. „Ja, so langsam kommt es. Hat ein Weilchen gedauert, wird aber ein guter Mann!“ Der junge Zugführer wirkte zufrieden. Er stieg ab und meldete fertig. Und kletterte dann in den Zug, wo er von einem Fenster des ersten Wagens aus das Ausfahrsignal im Auge behielt. Kurz darauf: Sh1 am Gleis und Hp2 am Gruppenausfahrsignal; ich stand auf, schaute raus und nach hinten, der Zugführer winkte mit seiner Zp9-Kelle, ich hob quittierend die Hand, schaltete die Lüfter ein, drehte das Fahrschalterhandrad auf Stufe 6 und im Maschinenraum zogen die Fahrmotorentrennschütze an und es ertönte das klassische Geräusch des elektromechanischen Hochpannungsschaltwerkes NU 28 H: „daklacke di klacke di klack…“
Betriebliche Bastelarbeiten Raus aus Deutzerfeld, das Dammgleis zum Bahnhof Köln-Deutz hinauf, freie Fahrt, dann auf Hp2 mit Kennziffer „3“ (= 30 km/h) in den Kölner Hauptbahnhof, freies Gleis, wie die „3“ besagte. (Fuhr man mit einem kürzeren Zug in ein teilbesetztes Gleis auf Deckungssignal, erschien die Kennziffer „2“.) Ich zog vor bis zum Ausfahrsignal am Bahnsteigende; der Fahrdienstleiter hatte uns nach Gleis 9 genommen. Drucksenkung auf 4,8 bar, Aufkreischen der Klotzbremsen und der Zug kam fast augenblicklich zum Stehen. Meine Güte! Offensichtlich hatte die Werkstatt an den Wagen die Bremsen nachgestellt und dies sehr sorgfältig und knapp. Es hieß also aufpassen und mit 4,9 und Lösestufe anhalten. Kurzer Test: Ja, das Führerbremsventil ließ in der Regulierstufe dieses „Zehntelspielchen“ zu. „Achtung Zugpersonal 16xxx – noch Abfertigung DSG, Abfahrt in voraussichtlich zehn Minuten!“ Die Durchsage galt uns: die DSG (Deutsche Schlaf- und Speisewagengesellschaft, ging nach der Wende in die Mitropa über) war offenbar damit beschäftigt, Getränke und Imbisse zu verladen – diese Logistik faszinierte mich stets: Auf engstem Raum die Bevorratung für viele Personen und das klappte auch fast immer ganz genau! Ich legte die durchgehende Bremse mit 0,5 bar Senkung an, stieg von der Lok und schaute gen Himmel: Schönes Sonnenwetter, Frühling, perfekt für eine Sonderfahrt. Zugführer und Schaffner kamen dazu, der Zf sagte: „Das ist Frank, unser Schaffner, der in Deutzerfeld die Bremsprobe durchgeführt hat.“ „Ah ja“, entgegnete ich, gab ihm die Hand und sagte: „Ich bin Kurt. Der Zug ist verdammt heikel, haarscharf eingestellte Bremsen. Kriege ich schon hin. Übrigens: Ich würde gerne mit nach Limburg fahren – geht das?“ „Na klar!“, nickte der Zugführer. „Wir haben doch ein Dienstabteil, im vierten Wagen hinter der Lok…“ „Ab Bergisch-Gladbach dann weiter hinten“, grinste ich. „Egal, kämpf‘ dich durch die Volkesmassen durch“, witzelte der Schaffner. Die beiden begaben sich wieder weiter nach hinten; ich stieg auf die Lok, legte die Zusatzbremse an und löste die Durchgehende – allzeit startbereit.
Das Rufsignal im Zugbahnfunkgerät ertönte: Sprechwunsch der Zentrale, in Köln, auf ZBF-Kanal 62, immer der Fahrdienstleiter des Stellwerks Kf. Ich nahm den Hörer ab, meldete mich mit Zugnummer und Name, fügte noch ein kerniges „Morrrjen!“ hinzu. „Uch’e’su“ (Auch so), kam es lachend zurück. „Lokführer – du fährst über das Schlundgleis, dann weiter über Gereon, Süd und Bonntor nach Kalk-Personenbahnhof, von da runter in den Güterbahnhof, vorziehen bis Nordhalle, vier Wagen abhängen und weiter nach Dellbrück. Du weißt Bescheid?“ „Ja, alles klar. Dellbrück ist zum Drumherumfahren für zwölf Wagen zu kurz. Ich habe sämtliche Fahrplanunterlagen hier vorliegen; es kann losgehen.“ „Prima! Ausfahrt kommt gleich. Gute Fahrt!“ „Danke!“ Es dauerte allenfalls zehn, fünfzehn Sekunden, dann zeigte das Signal Hp2, Zp9 leuchtete auf, anfahren, kurz nach hinten schauen, alles in Ordnung und weiter aufschalten, den Zug auf 40 km/h bringen. Ungefähr einen halben Kilometer hinter dem Hauptbahnhof ging es durch ein paar Weichen, vorbei an Hp2/Vr2 und dem großen Stellwerk des Betriebsbahnhofs, schließlich in das kurze Gefälle des Schlundgleises, das seinen Namen dem U-Bahn-artigen Aufbau verdankte; mit einem „dicken“ Zug da durchfahren, erzeugte das Gefühl, es könne unmöglich passen, viel zu eng. Doch es paßte, später fuhr sogar der breitere ICE durchs Schlundgleis. Optische Täuschungen, ich erwähnte sie bereits irgendwo. Wieder im sonnigen Freien. Weiter mit 40 km/h bis Ausfahrt Köln-West, immer noch 40, weil es am linken Bahnsteiggleis von Köln-Süd auf Hp2 in die Abzweigung Richtung Köln-Bonntor ging. Einfädeln in die fast ausschließlich von Güterzügen befahrene Strecke, Geschwindigkeit nun 60 km/h. Vorbei an Bonntor, über die Südbrücke, jene Eisenbahnbrücke mit Fußgängerweg, die einem alten Kölner Witz Nahrung gab: Warum heißt die Südbrücke eigentlich Südbrücke? Kölsche Antwort: „Weil ‘mer von do de Dom süht!“ (Weil man von da den Dom sieht. Der Kölner spricht das vokabelinterne /i/ stets wie /ü/.) Zurück zum Thema. Mein „dicker“ Zug mit den Reichsbahnwagen der 30er Jahre zog sich schwer, wenn es zu beschleunigen galt; einmal auf Tempo, lief er jedoch leicht und zügig. Schwungmasse. Hinter der Südbrücke aufpassen: Ja, korrekt, Richtungsanzeiger K wie Kalk. Hp2/Vr2 – runter auf 40 km/h, vorbei am Personenbahnhof, dann Einfahrt Kalk-Nord-Güterbahnhof, ebenfalls mit 40 km/h, im Gefälle. Ich bremste mit Senkung auf gerade mal 4,9 bar den Zug langsam auf knapp über 30 km/h, denn nun folgten etliche teils engradige Weichen, die nicht unbedingt auf Lagequalität getestet werden mußten… Den Güterbahnhof Kalk-Nord kannte ich wie meine Westentasche, schließlich hatte ich unter anderem dort alle vorkommenden Rangierloks gefahren und – Ihr erinnert Euch? – an der Südhalle mal zwei Waggons ins Dach geschoben. Sowas bleibt im Kopf und verbindet… Schön weiter mit 30, Sh1, Sh1, links von mir Stellwerk Kw, rechts das Südhallenstellwerk, flache S-Kurve, Sh1, ah ja, hier geht’s hin: in das lange elektrifizierte Gleis unmittelbar neben der Nordhalle, einige hundert Meter vor mir Sh0 (Lichtsignal, wie alle vorherigen auch). Abschalten, rollen lassen, dann ganz sachte anbremsen, die HiK faßt, sanft, langsam, kleinste Drucksenkung … und paßt, meine Lok stand etwa eine halbe Länge vor dem Sh0. Dort wartete bereits ein Rangierer, dem ich zurief „Heizung aus!“, er lief acht Wagen nach hinten und hängte dort ab; ich sah ihn in einen der Wagen klettern und nach kurzer Zeit wieder draußen auftauchen. Eiligen Schrittes kam er nach vorne und als er an meiner Lok angekommen war, fragte er: „Lokführer – kann ich bei dir mitfahren, oder soll ich…?“ „Komm rauf und mach‘ langsam!“, sagte ich zu ihm, derweil ich die Tür öffnete. „Ich habe im von hier ersten der vier Wagen die Handbremse angedreht…“ „Sehr gut“, lobte ich, „das ist für die Gegenrichtung dann der Wagen am Schluß, das kann man behalten!“ Ich schaute ihn kurz und unauffällig an: Er trug zu Ehren des Tages – Reisezugbehandlung! – einen ganz neuen Schutzanzug, war mit Funkgerät und neuen Handschuhen versehen. „Setz‘ dich doch!“, lud ich mit Hinweis auf den Beimannstuhl ein. Der Rangierer, schätzungsweise Anfang 40, kam mir bekannt vor (Himmel, mein miserables Personengedächtnis!), er folgte meiner Einladung, setzte sich, meldete über sein Funkgerät den Zug fertig und meinte: „Ich kenne dich doch – warst du nicht früher oft auf der Nordberglok?“ Ich half ihm: „Bestimmt kennst du mich: ich bin der, der damals in der Südhalle…“ „Och nee, ich schmeiß‘ mich weg!“, lachte der Rangierer. „Dann bist du der Kurt…“ „Wegen dem die Halle festgebunden werden mußte. Ich war aber total unschuldig an dem Crash.“ „Weiß ich, der Leo hatte danebengegriffen, der war noch neu auf dem Stellwerk…“ „Jau – und jetzt fällt mir auch dein Name ein: Du bist der Harald, Rangiermeister, klar, wir sind mit der Nordberglok oft nach Gladbach und in diverse Anschlüsse gefahren…!“ Der Rangierer bestätigte: „Richtig … weißt du noch, wie wir wegen eines Gleisschadens im Anschluß der Kohlenhandlung in Dellbrück entgleist sind?“ „Gott ja, war das ein Aufstand…! „Zug 16xxx bitte als Rangierfahrt vorziehen, Ausfahrt Richtung Mülheim steht!“, krächzte es aus dem Funkgerät des Rangierers und wir wendeten uns von den alten Geschichten ab und der aktuellen Arbeit zu…
Mit 40 km/h am Ablaufberg vorbei, durch den in Fahrtrichtung rechtsseitigen Teil des Bahnhofs Köln-Mülheim, Ausfahrt Hp2 mit 40 km/h, hinter dem Weichenbereich auf 70 km/h beschleunigen und nach der Rechtskurve auf 90 – die zulässigen 120 wären unwirtschaftlich gewesen. Abschalten. Durchfahrt Haltepunkt Köln-Holweide, Einfahrvorsignal Köln-Dellbrück Vr2, „Wachsam“ bedienen und gleichzeitig mit Drucksenkung auf 4,7 bar einbremsen. Wieder beißen die HiK-Bremsen zu – und die Bremskraft paßt genau … erhöhen auf 4,8, dann 4,9, lösen mit kurzem Füllstoß, Tacho steht exakt auf 40 km/h. Dank Theo, ich betone es abermals. Rollen lassen, auf das Hp0 zeigende Ausfahrsignal zu, am als richtig erkannten Punkt ganz sanft einbremsen, wirken lassen, auf 4,9 – und paßt, Lok steht etwa zwei Meter vor dem Signal. „Na, das war aber ganz präzise“, staunte Harald. „Hm, steckt auch viel Arbeit und Übung dahinter und hat seine Zeit gedauert, bis es so klappte“, schränkte ich ein, ergänzte „amtlich“ noch: „Heizung ist aus!“ „Mit dem Abhängen warte ich, bis der Wendezug einläuft – ich lasse Züge nie gerne längere Zeit auf Luft stehen.“ Harald war, daran erinnerte ich mich genau, äußerst gewissenhaft und vorsichtig. „Hast recht“, stimmte ich zu. Es vergingen knapp zehn Minuten, der Nahverkehrszug aus Bergisch-Gladbach, Steuerwagen voraus, lief ein; ich grüßte durch kurzes Handheben und erhielt keine Reaktion. Stiesel. Gibt’s eben auch. Harald hängte meine Lok ab, nahm über sein Funkgerät Kontakt zum Fahrdiensleiter auf und praktisch sofort kam der Auftrag „Vorziehen bis über die letzte Weiche, dann zurück durch Gleis 1, vorbei am Hp0/Sh1 zeigenden Ausfahrsignal und wieder nach 2 hinter den Zug.“ Das Manöver lief zügig ab; nach dem Beifahren hängte Harald an, kurz darauf erschien der Zugführer vorne am Zug und wir führten die vereinfachte Bremsprobe durch. Danach eilte ich durch den Maschinenraum: Indusi ausschalten (um keine Zwangsbremsen an in Warnstellung stehenden Signalen zu kassieren und im nun hinteren Führerraum den Zugschluß einschalten. Wieder nach vorne, zu dem Lokende, das mit dem Zug gekuppelt war – auf diese Weise konnte ich mich auf der rechten Führerraumseite aufhalten (wo sämtliche Bedienelemente der Lok zugänglich waren), an der rechten Seite rausschauen und den rechts liegenden Bahnsteig bei der Einfahrt beobachten. Das war erheblich günstiger als eine Rückwärtsfahrt, bei der ich allerdings die Indusi hätte eingeschaltet lassen können. Doch insgesamt schien mir der Modus mit der rechtsseitigen Bedienung sinnvoller. Wir waren abfahrbereit, bereit „zur Schiebung“, wie der Zugführer gewitzelt hatte.
Das Ausfahrsignal weit vorne hinter dem Bahnsteigende Richtung Bergisch-Gladbach zeigte Hp1; an der Spitze des geschobenen Zuges Harald, der ortskundige, erfahrene und sorgfältige Rangiermeister, drei Wagen hinter ihm der Schaffner und einen Wagen vor mir der Zugführer – mit dieser personellen Verteilung und Besetzung konnten wir uns sicher optisch und (per Pfeife) akustisch verständigen. Heute weiß ich die zulässigen Geschwindigkeiten für geschobene Züge nicht mehr; doch damals – und daran erinnere ich mich genau – fuhr ich (auch wegen des doch störenden Gegenwindes) mit 30 km/h die schätzungsweise drei, vier Kilometer nach Bergisch-Gladbach. Grüne Welle, Einfahrt Hp1 – mit 30 km/h (wäre auch bei Lok voraus so gewesen), weil das Einfahrgleis ein Stumpfgleis war. Langer Achtungspfiff, Harald hob die Hand, ich bremste auf 20 km/h ab, er und mein Zugpersonal gaben das Rangiersignal „Kommen“. Der Bahnsteig war „schwarz vor Menschen“ – und der vorsichtige Harald hob erneut die Hand: „Langsamer!“ Mit schlußendlich 10 km/h schlichen wir an den Prellbock, abermals „Langsamer!“, dann das nicht im Signalbuch stehende Zeichen mit beiden einander zunehmend sich nähernden Händen: „Langsam beikommen!“ Und mit ein oder zwei Stundenkilometern berührte der vordere Wagen den Prellbock, der Zug kam weich zum Stehen. Ich legte die durchgehende Bremse an, Zusatzbremse nach „Mitte“, Richtungsschaltergriff nach Null, abziehen und mitnehmen, Führerbremsventil auf Abschluß, verschließen und Schlüssel mitnehmen, Seitentüren verriegeln, durch den Maschinenraum, Indusi einschalten und Streifen beschriften, hinteren Stromabnehmer heben (Einstellventil nach 1 + 2 hoch), Kontaktierung abwarten, Einstellventil auf hinteren Stromabnehmer allein, im vorderen Führerraum Zugschluß aus, Führerbremsventil aufschließen, in Stellung „Fahrt“ legen, Zusatzbremse anlegen, Durchgehende beginnt Lösevorgang, Richtungsschaltergriff aufstecken, nach vorne, Richtungswender schalten um, Luftpresser läuft an. Diesen Vorgang habe ich im Laufe meiner Berufsjahre tausendemal durchexerziert – und trotzdem mußte ich jetzt überlegen, ob alles richtig war. Die Zeit…
Abfahrt mit Hindernissen Nun stand ich in Bergisch-Gladbach vor dem Zug, schaute raus, wir machten die vereinfachte Bremsprobe … zahllose Kinder, Jugendliche und Erwachsene (die „Lehrkörper“ und Honoratioren) wimmelten auf dem Bahnsteig herum, das Einsteigen dauerte viel länger, als im Fahrplan vorgesehen. Und bald kam der Nahverkehrszug, der hier an diesen Bahnsteig mußte, in wenigen Minuten…
obwohl ich weiß, daß Fortsetzungsgeschichten nicht sehr beliebt sind, sah ich beim „Schulausflug“ keine andere Möglichkeit, denn es kamen viele Einzelheiten zusammen, die an einem Stück die Lesefreundlichkeit doch vermindert hätten. Nun lade ich Euch ein zur Fahrt nach Limburg und zurück – und zu den kleinen und kleineren Episoden am Rande. Wie im Fernsehen beginne ich mit der letzten Szene der ersten Folge…
Schulausflug, zweiter Teil
Abfahrt mit Hindernissen - die Reise beginnt Nun stand ich in Bergisch-Gladbach vor dem Zug, schaute raus, wir machten die vereinfachte Bremsprobe … zahllose Kinder, Jugendliche und Erwachsene (die „Lehrkörper“ und Honoratioren) wimmelten auf dem Bahnsteig herum, das Einsteigen dauerte viel länger, als im Fahrplan vorgesehen. Und bald kam der Nahverkehrszug, der hier an diesen einzigen Bahnsteig mußte, in wenigen Minuten… Ach, zum Geier, ich hatte den Bremszettel für den Acht-Wagen-Zug auf dem anderen Führerstand liegenlassen. Kurzer Blick aus dem Fenster: Ja, nach wie vor „Gewühle“, das sich so rasch nicht auflösen würde, vermutlich hatten die Damen und Herren Studienräte den Ehrgeiz, ihre Schutzbefohlenen nach Klassen zu sortieren; also fix nach hinten und den Bremszettel geholt. Natürlich hätte es die paar Kilometer bis Kalk-Nord auch ohne gehen können, doch irgendwie war mir wohler, wenn alles seine Ordnung hatte. Erneuter Blick nach draußen: Langsam, ganz langsam kam System in das Gewusel … „Piiiiiiip“ – der Zugbahnfunk. „Fahrdienstleiter Bergisch-Gladbach, Tach, Lokführer, sach‘ mal, wat is denn bei euch los, jeht dat net voran? Ich hab‘ den Nahverkehr in der Vormeldung…“ „Tut mir leid“, antwortete ich, „da habe ich keinerlei Einfluß drauf. Es sieht aber so aus, als ob die jetzt langsam in die Gänge kämen. Übrigens: Ich stehe über das Ausfahrsignal hinaus, ich brauche noch einen schriftlichen Befehl! Das könnten wir doch gleich erledigen.“ „Ja, machen wir. Hast du den Vordruck parat?“ „Klar, kann losgehen.“ Und der Fahrdienstleiter diktierte mir den schriftlichen Befehl, den ich vorschriftsmäßig wiederholte und dessen Kernpunkt besagte: „Zug 16xxx fährt ohne Signal aus“. Er merkte noch an: „Wenn ihr fertig seid, abfahren ohne weitere Nachfragen; die Strecke wird für euch freigehalten.“ Kurzer Lacher, dann: „Geht ja auch nicht anders, bei der eingleisigen Trasse.“ „Logo“, gab ich zurück, „und machst du bitte eine entsprechende Lautsprecherdurchsage?“ „Kommt sofort“, entgegnete der Fahrdienstleiter und draußen erscholl die Ansage: „Achtung Zug 16xxx! Bitte beschleunigt abfertigen, ich wiederhole: bitte beschleunigt abfertigen! Grund: Zugfolge. Sofort abfahren, wenn fertig!“ Er machte die Durchsage nach einer halben Minute erneut – und siehe da: rasch und zügig leerte sich der Bahnsteig, ein paar Begleitpersonen blieben zurück, der Schaffner hob die Hand: Fertig! Der Zugführer bestätigte, gab einen langgezogenen Achtungspfiff und zeigte mir mit seiner Handkelle Zp9. Ich quittierte mit einem kurzen Pfiff der Lok, Zusatzbremse lösen, Lüfter ein, Schaltwerk bis Stufe 6, dann 8, zur linken Seite rüber, rausschauen, alles in Ordnung, Fenster zu, Sifa-Hupe ertönt, „bleib‘ ruhig!“ gesagt, eine Sifataste kurz bedient, hinsetzen, ein paar Stufen weiter hochschalten, Sitz passend ziehen und – „auf Achse“, etwa eine Viertelstunde zu spät. Das weiß ich noch genau, nur die Etwa-Uhrzeit ist mir entfallen. Unterschwellig ein dummes Gefühl, nur mit diesem Stückchen Papier auf dem Führerpult (dem Befehl) eine eingleisige Strecke zu befahren… Solche Mimositäten hatte ich manchmal, obwohl es Unsinn war. Endlich unterwegs, Einfahrvorsignal Dellbrück zeigt Vr1, im Gefälle Gas geben, auf Tempo kommen! Einfahrt Köln-Dellbrück, grüne Welle, mit immerhin 100 km/h rausche ich mit meinem Zug durch den Bahnhof – und übersehe hoheitlich den Kollegen auf dem Wendezug, der mich zuvor nicht beachtet hatte. Ha, das haste jetzt davon! Abschalten, auslaufen lassen, denn hinter Köln-Holweide steht die LF für 70 km/h, wegen der recht engen Kurve in Richtung Kalk-Nord. Anbremsen, „Wachsam“ bedienen, runter auf 70 km/h. Auf der zweiten Schiene fällt mir ein, daß ich noch keine Fahrplanunterlagen für die Rückfahrt habe. Muß ich da wieder improvisieren, „stehend freihändig“? Hmmm – das könnte angesichts der Problematik mit Bergisch-Gladbach … nee, Leute, das muß offiziell und per Plan geregelt werden, notfalls werde ich über Funk lästig wie eine Schmeißfliege… Einfahrt Köln-Kalk-Nord-Güterbahnhof, wie gehabt durch die Ablaufgruppe, am Berg vorbei, ins Nachbargleis unserer vier wartenden Wagen, rollen lassen, runter auf knapp 20 km/h, rausschauen, richtig, man erinnert sich an alte Arbeitsabläufe: Harald hob bestätigend eine Hand, sprang geübt ab und stand fast genau an dem Punkt, wo er nachher die Zugteile kuppeln mußte. Wie vereinbart, schaltete ich mein ZBF-Gerät auf Rangierfunk, C-Kanal 35, derweil mein Zug langsam auf das Sh0 am Gleisende zulief. „Kurt, kannst du mich hören?“ Das war Harald. „Ja, einwandfrei.“ „Gut, du bekommst jetzt Sh1, dann soweit vorziehen, bis ich ‚Halt‘ sage!“ „Alles klar!“ Das Signal wechselte auf Sh1, ich hielt kurz an und fuhr wieder weiter (Übergang von Zug- in Rangierfahrt war ohne Halt nicht gestattet). Langsam weiter, weiter … „Und 16xxx haaaaalt!“ Ich hielt an, mit Bedienung der durchgehenden Bremse, verlegte den Richtungsschalter nach Rückwärts. „Lokführer 16xxx nach Gleis xxx langsam beifahren!“ „Nach Gleis xxx langsam beifahren!“, bestätigte ich und gab ein paar Fahrstufen, schaute während der Rangierbewegung aufmerksam nach hinten mußte innerlich lächeln angesichts der zahllosen Köpfe in den Fenstern des Zuges, der Kinder und Jugendlichen, die unsere Manöver interessiert, doch sicher unverständig verfolgten. „Lokführer 16xxx, weiter kommen … kommen … kommen, jetzt laaaangsaaam, noch laaangsaaamer, ja, gut, so weiter … und kommt bei, und etwas beidrücken!“ Ich führte die Rangieranweisungen aus, dann Schaltwerk nach 0, legte die Zusatzbremse an, schaltete auf Vorwärts und sagte in den Hörer des ZBF: „Heizung an Zug 16xxx ist aus!“ „Verstanden!“ Strömgeräusch der Druckluft, als Harald hinten die 5- und 10-bar-Leitungen kuppelte. „Zug 16xxx – wenn voll, bitte Bremse anlegen!“ Der Schalk narrte mich und ich bestätigte: „Wenn ich voll bin, anlegen!“ „Oder so!“ Harald lachte. Wir hatten seinerzeit als gutes Team unsere Rangierarbeiten gerne mit flotten Sprüchen garniert. Ich hielt die Manometer im Auge, sah mal kurz nach vorne und freute mich, daß in dem langen, für Güterzüge vorgesehenen Gleis jede Menge Meter bis zum vor mir stehenden Sh-Signal lagen – damit wurden Zurücksetzaktionen überflüssig. Schön. Regeldrücke und dicht – anlegen mit 0,5 bar Senkung. „16xxx Bremse löööösen!“ Druck zurück auf 5,0 bar, Strömgeräusch, schwächer werdend, Ruhe. „Zug 16xxx – Bremse in Ordnung, ich wiederhole: Bremse in Ordnung! So, ich muß jetzt noch die Faltenbälge zusammenkuppeln, dauert ein bißchen. Wenn das erledigt ist, melde ich fertig und bei Sh1 kannst du fahren – ist mit dem Zugführer abgesprochen.“ Das war Harald: stets korrekt und genau. „Verstanden – Bremse 16xxx in Ordnung! Und warten auf Fertigstellung. Sag‘ mal – eben, als du abgehängt hast, waren die Faltenbälge da schon offen?“ „Ja, die Deutzerfelder haben mitgedacht und zwischen achtem und neuntem Wagen die Verschlüsse offengelassen – war ja ‘n Leerreisezug.“ „Alles klar! Dann mach’s gut, Harald, Gruß an Frau und Kinder!“ „Danke, Kurt, werde ich ausrichten! Wie gesagt: Wenn das Signal auf Sh1 geht, kannst du abfahren!“ „Tu‘ ich; und nochmal: tschüß, mach’s gut!“ Es dauerte vier oder fünf Minuten, das Signal wechselte auf Sh1. Ich gab Achtungspfiff und fuhr los. Natürlich mit dem obligatorischen kurzen Blick nach rückwärts. Der zweite Teil des Abenteuers hatte begonnen. Und wo waren die Pläne für die Rückfahrt?
Unterwegs nach Koblenz-Ehrenbreitstein Es ging zunächst weiter durch den Rangierbahnhof Kalk-Nord, Erinnerungen an meine Zeit auf der Rangierlok schossen mir durch den Kopf, und als wir in Höhe Stellwerk Kw die Tankstelle passierten, wo eine V 60 gerade Sprit aufnahm, kam mir filmähnlich die „große Katastrophe“ anno Frühjahr 1974 in den Sinn:
Ich hatte einen Kollegen zur Bahnhofskenntnis auf der Kw-Lok. Unsere privaten Interessen lagen ähnlich, wir erzählten den ganzen Nachtdienst über uns „einen vom Pferd“ (sorry, idiomatische Wendung) und vergaßen, in der vorgesehenen Pause zu tanken. Folge: Wir fuhren unsere V 60 trocken, das heißt, die Einspritzpumpen hatten Luft gezogen. Man schleppte uns zur Tankstelle, wo nach Betankung unter anfänglichem Durchdrehen des Diesels per Anlasser, dann, nachdem einige „Pötte“ zündeten, bei laufendem Motor, jeder der zwölf Zylinder per Ventil entlüftet werden mußte – und ich stand, über den linksdrehenden Maybach-Motor gebeugt, im hauchfeinen, alles durchdringenden Dieselsprit-Sprühnebel. Mein Auto hat (wegen Übertragung von Dieselspritpartikeln von der Kleidung auf die Polster) trotz mehrfacher Innenreinigung noch wochenlang gestunken und ich nach viermaligem Duschen ebenfalls, allerdings nur den folgenden Tag über.
Zwei Fahrstufen runter, schön die 30 km/h halten, keine Weichentests veranstalten … und jetzt die Erinnerung ausschalten, es gibt aktuelle Arbeit zu tun! Ausfahrt Hp2 – der Fahrweg führte vorbei an Gremberg GnF und der Ablösestelle „Rather Straße“, über den Hügel und runter nach Porz-Rhein. Dort erneut Vr2/Hp2, Wechsel von der Güterzug- auf die Reisezugbahn; zwischen Porz-Rhein und Troisdorf war die Strecke viergleisig. Nachdem der letzte Wagen den Weichenbereich hinter sich gelassen hatte, schaltete ich sukzessive Leistung auf, brachte den Zug auf seine planmäßigen 120 km/h – wir lagen immer noch rund 15 Minuten hinter dem Plan, also erstmal spitz fahren und sehen, wie die Fahrzeitberechnung ausschaut. Zugbahnfunk auf A-Kanal 65 umgeschaltet. Mein Zug näherte sich dem LF-Signal „10“ vor Troisdorf. Und weil zunächst spitze Fahrweise angesagt war, schaltete ich erst kurz vor dem LF ab, ließ die HiK-Bremse mit 0,2 bar Senkung leicht anfassen – und das paßte sehr schön. Lösen mit kurzem Füllstoß, Tacho steht eine Idee über 100 km/h, der restliche Weg bis zum Beginn des Geschwindigkeitswechsels reichte mehr als aus, um die überzähligen km/h über den Rollwiderstand abzubauen. Aufschalten, Zug strecken, auf Beharrungszugkraft, lange 100er Weichenstraße rüber zur „Rheinseite“, durch den Personenbahnhof Troisdorf, Rechtskurve mit leichter Steigung, Friedrich-Wilhelms-Hütte, ab hier wieder 120 km/h: Aufschalten, Zug strecken, und bis auf 400 A Oberstrom. Die Geschwindigkeit stieg an, 120, zurück auf Beharrungszugkraft. Menden, kein Zeiteintrag im Fahrplan. Beginn eines leichten Gefälles, mein Zug fuhr auf Bonn-Beuel zu, Durchfahrt Beuel, Fahrzeit: Es machte sich, nur noch zwölf Minuten plus; offensichtlich kein allzu ehrgeiziger Fahrplan. Dennoch fuhr ich weiter „Strich“. Kurz vor Linz das durchdringende akustische Sprechwunsch-Signal des Zugbahnfunks. Ich nahm den Sprechhörer, meldete mich mit Zugnummer, Name und einem „Guten Tag“ und eine freundliche Stimme sagte: „Guten Tag, Lokführer! Betriebsleitung Köln hier. Wir sehen, daß du dabei bist, die Verspätung rauszufahren, prima! Der Grund meines Anrufs: Dir fehlen die Fahrplanunterlagen für die Rückfahrt, richtig?“ „Ja, richtig.“ „Es gab da ein Planungsproblem: Wir können heute Abend nicht nochmal dieses Manöver mit dem Trennen des Zuges durchführen. Erstens fehlt es dafür an Personal und zweitens würde deine Arbeitszeit gehörig über die zulässigen Werte geraten, und nochmal erstens können wir nicht riskieren, daß in den zeitweilig in Kalk zurückgelassenen Wagen Personen verbleiben, die dann möglicherweise Blödsinn veranstalten. Ist ja kein Leerreisezug wie heute morgen. Paß auf, wir machen folgendes: Du fährst den Zug komplett nach Bergisch-Gladbach; zum Aussteigen soll das Zugpersonal die Reisenden zu den vorderen Wagen beordern. In Dellbrück wartet eine V 215, die fährt als Sperrfahrt hinten bei und zieht dich anschließend über das Kalk-Mülheimer-Gleisdreieck und Deutz nach Köln-Hauptbahnhof. Da wird sie abgehängt und du fährst ohne jede weitere Rangierkasperei den Zug in Gegenrichtung nach Deutzerfeld. Die 215 kommt aus der Werkstatt, ein Lokführer der Fristlokbereitschaft fährt sie. Die Lok muß ohnehin nach Köln-Betriebsbahnhof, paßt daher alles bestens zusammen. Leider wurde aber erst gestern Abend bei der Fristlokplanung klar, daß wir’s so machen können.“ „Raffinierte Sache! Das habt ihr super gedreht!“ Ich freue mich: am Ende des langen Tages keine komplizierten „Hexereien“! „Danke! Den Fahrplan von Koblenz-Ehrenbreitstein nach Bergisch-Gladbach bekommst du nachher in Ehrenbreitstein; der Rangierleiter gibt ihn dir.“ „Verstanden, alles klar!“ „Dann weiter gute Fahrt!“ „Danke!“ „Pip“ machte der Lautsprecher des ZBF, die Verbindung war getrennt. Doch, die Betriebsleitung hatte das sauber hinbekommen. Heute morgen war das Schieben die beste Möglichkeit, soviel „Zugmenge“ wie machbar an den Gladbacher Bahnsteig zu bekommen – allerdings brauchte es dazu den Rangierer, Personal, das für die beginnende Nachtschicht offenbar fehlte. Und es wäre tatsächlich riskant gewesen, anläßlich der Rückfahrt Wagen in Kalk zeitweise zurückzulassen wie vormittags: Beispielsweise konnte ein Kind in einer der Zugtoiletten sein, übersehen werden, Angst bekommen, aussteigen und nach Abfahrt des Zuges mutterseelenallein in dem großen, dunklen Rangierbahnhof … nicht auszudenken! Gut, daß diese Fristlok vorhanden war! Der arme Kollege Lokführer würde sich mit meinem Zwölf-Wagen-Zug, der mitzuschleppenden 110er und besonders angesichts der HiK-Bremse „einen abbrechen“, doch was soll’s? Schön: In Köln HBf angekommen, brauchte ich nur den Richtungsschalter nach „Vorwärts“ zu legen, eine vereinfachte Bremsprobe durchführen – und ab nach Deutzerfeld, zwei Kilometer. Meine Laune rastete auf „Das ist mein Tag!“ ein.
Einfahrt Neuwied Hp0 – wie so oft. In die Bremse mit 0,3 bar Senkung … und die Signale wechseln, so weit ich sehen kann, auf „es grünt so grün…“ Auslösen, Nachzieher, und die Geschwindigkeit ist runter auf 90 km/h – grrrr… Erneuter Beschleunigungsvorgang, mit 120 durch Bendorf, dann Durchfahrt Vallendar mit immerhin noch acht Minuten Verspätung. Jetzt hat die Jagerei keinen Sinn mehr: Abschalten, Zug auslaufen lassen, wir nähern uns Koblenz-Ehrenbreitstein. Auch hier wieder dieses Paradoxon: Die acht Minuten „plus“ erinnere ich genau, jedoch nicht die Uhrzeit. Es dürfte aber so gegen halb Zehn gewesen sein.
„Lokführer – guude! Hier sinn die Papiere für die Rückfahrt!“ Der Rangierleiter reichte mir einen EDS-Umschlag, den ich sorgsam aufs Führerpult legte. Er fragte: „Heizung aus?“ „Heizung ist aus!“, bestätigte ich. „Fahrscht mit no Limburg?“ „Ja – wo soll ich die Lok hinstellen?“ „Gleich nebbedran; isch häng‘ jetz‘ ab.“ Es ging rasch. Während die V 215 beifuhr, gekuppelt und Bremsprobe gemacht wurde, stellte ich meine E 110 im Nachbargleis ab, abrüsten, Handbremse anziehen, rundum abschließen, Tasche auf der Lok lassen, nur Portemonnaie und Ausweise mitnehmen, runter von der Lok, Seitentüre Führerraum 1 rechts von außen abschließen und den Schlüssel im üblichen Versteck deponieren (mehr darf ich nicht sagen, denn es kann ja sein, daß das heute noch so gehandhabt wird).
Fahrgastfahrt nach Limburg Der Zug war wieder unterwegs und es ging hoch her: Die Wagen besaßen untereinander elektrische Verbindungen für Zugtelephon und Beschallung … und die kam, ihrem Namen Ehre machend, aus sämtlichen Lautsprechern; frage mich niemand, mit welchem Klirrfaktor. Laut war’s meistens und viel mehr beanspruchte keiner. Mengenweise kleinere Kinder, ältere Kinder, Jugendliche bis hin zu den Oberklassen der beiden Gymnasien, dazwischen die Lehrer und einige der Förderer der Aktion. Ich suchte meine Kollegen, den Zugführer und den Schaffner: im vierten Wagen von hinten sollte das Dienstabteil sein. Doch erstmal mußte ich den Tanzwagen durchqueren, in welchem ein Disc-Jockey hochqualitative Musik powerte; momentan lief der Hit „Schmittchen Schleicher“. Mitglieder und -innen der höheren Schulklassen wagten ein Tänzchen, womöglich kam die eine oder andere tiefere Bindung zustande…? Da waren ein paar Mädels darunter … wow!!! Ruhig, Junge, du bist im Dienst…! Dem Tanzwagen folgte der Barwagen, mit Rücksicht auf die Passagiere ausschließlich alkoholfrei bestückt. Hmm, eine Fanta wäre jetzt nicht schlecht, nach all den bereits erledigten Tätigkeiten… Gedacht, gemacht: Ich lehnte mich an den Tresen und bestellte ein Glas dieser Limonade. Der Preis, 2,80 DM, machte von selbst Champagner daraus. Ich süffele also in Ruhe meine Fanta, als ich spüre, daß mich jemand mustert. Ich drehe mich um und sehe einen Herrn um die Fünfzig, offenbar einer der Studienräte, dessen Blicke mich buchstäblich aufspießten. „Zu welcher Klasse gehören Sie?“, fragte er streng. Ich mußte mich heftig anstrengen, um ernst und ruhig zu bleiben, das aufkommende Lachen niederzukämpfen. Okay, der Studienrat stand vor der schwierigen Aufgabe, die Schüler unter Beobachtung zu halten, denn Schulausflüge bürden dem Lehrpersonal erhebliche Verantwortung auf. Er hielt mich für einen der Oberprimaner … herrliche Situation, „Feuerzangenbowle“ live! Nun, altersmäßig war ich ja nicht gar so weit weg, Lokführeruniformen gab’s noch nicht, ich trug die in den Siebzigern modischen engen dunkelblauen Jeans „mit Schlag“ (ausgestellte Fußweite), ein hellblaues Hemd mit dem gestickten Emblem „Schwarze Rose“ auf der Brusttasche („… ein bißchen auf sweet, aber hart, wenn’s sein muß“, wie Franz-Josef Degenhardt, der Liedermacher meiner Generation, formulierte) sowie eine schwarze Lederjacke. Dazu schulterlanges Haar – wen wundert’s, daß der gute Mann mich für einen seiner Schutzbefohlenen hielt? Ich stellte das Glas ab und antwortete auf seine Frage: „Zu welcher Klasse?“ Ich fügte ein leichtes Kichern ein, dann: „Ich gehöre zur Klasse der Lokführer.“ „Wie bitte? Was soll das heißen?“ „Wie ich es sagte: Ich bin Lokführer, genauer definiert: der Lokführer, der diesen Zug bis Koblenz-Ehrenbreitstein gefahren hat.“ Er musterte mich abermals von oben bis unten, mußte lachen, dann reichte er mir die Hand mit den Worten: „Entschuldigen Sie bitte – wer hätte gedacht, daß es so junge Lokführer gibt?“ „Na ja, ich bin 27…“ „Tatsächlich? Also, bitte nichts für ungut!“ „Ach wissen Sie, sowas und ähnliches passiert mir öfters. Ich nehme es mit Humor, denn irgendwie gefällt mir das...“ „Erzählen Sie doch mal was über Ihren Beruf, in der Presse findet man meist nur unzulängliches Gestammel.“ Ich tat ihm den Gefallen – und er bohrte teilweise nach wie ein begeistertes Kind: Die Eisenbahn, das unbekannte Wesen… Draußen zog die schöne Lahnstrecke vorbei.
Endlich hatte ich meine Kollegen, Zugführer und Schaffner, sowie ihr Dienstabteil gefunden. Wo ich so lange gestecke habe, wollten sie wissen. Als ich die Story mit dem Studienrat erzählte, gab es viel Spaß. Irgendwo unterwegs mußte der Kollege vorne auf der V 215 bremsen, wegen eines Signals? Jedenfalls kannte er die Tricks der HiK-Bremse nicht und es gab einen ganz schönen Halteruck. Ich konnte nachfühlen, was er empfand, denn vor der Ausbildung durch Theo mußte ich ja selbst furchtbare Fummeleien durchführen… Das bislang schöne, sonnige Wetter mit ein paar Wolkenfetzen am Himmel schlug um: Es wurde grau und duster. Hoffentlich nicht für den ganzen Tag, denn meine Kollegen und ich hatten eine Besichtigung der Limburger Altstadt und des berühmten Doms geplant; anschließend wollten wir – der Zugführer kannte sich aus – auf der Lahn Ruderboot fahren. Aber wenn’s vom Himmel schüttete…?
In Limburg Die Fahrzeit hatte rund eine Dreiviertelstunde betragen und die Rangierarbeiten vor Ort übernahm Limburger Personal, wir drei Deutzerfelder hatten nichts damit zu tun, da Pause. Rasch in die Bahnhofshalle und Richtung Ausgang; es war gegen halb Elf – die Rückfahrt startete zirka 17:00 Uhr in Limburg und um etwa 20:00 Uhr sollten wir in Bergisch-Gladbach zurück sein; plus noch ungefähr 50 Minuten über Köln HBf nach Deutzerfeld und Lok mit A1 abstellen, machte Feierabend in etwa 20:50 Uhr, ergab eine Dienstdauer von 5:50 bis 20:50 = 15 Stunden – eine übers Limit. Hmm, da mußte ich beim Ausfüllen des Sonderdienstzettels Kreativität beweisen… Der Blick durch die verglasten Türen zeigte schwer niederschlagenden Regen, der Blasen und Strömungen erzeugte. Hier bis zur Abfahrt warten? Nee, Action! Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befand sich ein Restaurant – dorthin wollten wir den ersten Vorstoß unternehmen. Ich zog mir die Lederjacke wie eine Kapuze über den Kopf und rief: „Auf geht’s!“ Ich rannte auf die andere Straßenseite, die zwei, drei Stufen des Gasthauses hinauf, unter den schützenden Windfang und drehte mich nach den Kollegen um. Sie hatten ihre Dienstmützen auf, die hielten sie fest und wetzten hinter mir her. Trotz des pladdernden Regens kamen wir halbwegs trocken in der Wirtsstube an. Drinnen sah es aus wie in den fünfziger Jahren, der Laden machte auf Nostalgie. „Bitte sehr?“, fragte die Bedienung mit einem Anflug von Ärger, weil es ihr zu lange dauerte. Vor dem Restaurant, auf dessen Terrasse, klatschte der Regen auf die Tische. Der Zugführer schaute die Bedienung treuherzig an und fragte: „Können wir auch draußen sitzen?“
Während wir aus dem reichhaltigen Angebot als frühes Mittagessen jeder eine Gulaschsuppe mit Brötchen zu uns nahmen, ließ der Regen nach und hörte plötzlich auf, so, als ob jemand ein Ventil geschlossen hätte. „Relais ‚Regen Ende‘ hat angezogen und sich über Kontakte 7/8 an Selbsthaltung gelegt“, diagnostizierte ich in bester Schaltplanmanier.
Nun müßte ich eigentlich ausführlich berichten, wie wir die wunderschöne Altstadt und den prachtvollen Dom besichtigten, historische und architektonische Einzelheiten schildern. Doch das führte zu weit, schließlich ist die Eisenbahn unser Hauptthema. Erwähnt sei noch, daß wir nachmittags auf der Lahn Ruderboot fuhren und dabei einige Filmklassiker des Piraten- und Walfanggenres durchspielten. Der Zugführer saß am Steuer, der Schaffner und ich durften rudern, was das Zeug hielt; ich rief mal „Der Käpt’n manövriert wie ein Gott!“ (aus „Des Königs Admiral“, dann „Steh‘ auf, Tashtego und gib’s ihm!“ (aus „Moby Dick“). Wir amüsierten uns wie Kinder… Nach einiger Zeit, bevor ich ins Schwitzen geriet, ließ ich’s langsamer angehen und wir verlegten uns auf Naturbetrachtungen. Der Nachmittag ging im Fluge vorbei und zeitgerecht, bevor wir wieder in den Zug mußten, entdeckten wir ein Café, wo für jeden ein bunter Obstsalat mit Sahne den Tag vitaminreich rund machte. Auffrischung der alten Erkenntnis: Lange Pause, teure Pause…
Rückfahrt Allmählich begann die Dämmerung und es bildeten sich erneut dunkle Wolken, während unser Zug sich durch das Lahntal schlängelte. Offensichtlich saß jetzt ein anderer Lokführer auf der V 215, denn ich merkte, daß er mit der HiK-Bremse umzugehen verstand. Ich schaute auf die Uhr: Noch wenige Minuten bis Ehrenbreitstein. Weil ich meine 110er am südlichen Bahnhofsende „geparkt“ hatte, ging ich nun im Zug zum letzten Wagen, damit ich einen möglichst kurzen Weg zur Lok hatte. Von Ankunft bis Abfahrt sah der Fahrplan 26 Minuten vor – das war mehr als genug.
Alles hatte gut geklappt, die Lok zeigte nur wenig Luftverlust, das Aufrüsten ging zügig voran, die Fahrplanunterlagen waren bereitgelegt, und entsprechend der Anweisung des Fahrdienstleiters zog ich in Richtung Vallendar vor, nachdem sie fahrbereit war. Im Nachbargleis schwoll das Geräusch des Diesels der V 215 an, sie fuhr vor, um ihre Rückreise anzutreten. Hp0/Sh1, voraus bis hinter das LS der Gegenrichtung, Führerraumwechsel, und an den Zug beifahren. Als ich näherkam, sah ich den Studienrat, der mich für einen Schüler gehalten hatte, er verfolgte aufmerksam den Lokwechsel. Ich winkte ihm, als ich nahe genug war, kurz zu, setzte die 110 sanft an den Zug, gab einige Fahrstufen zum Beidrücken, Zusatzbremse anlegen, Schaltwerk nach Null und Hauptschalter aus, Stromabnehmer nieder. (Ich hatte vergessen, den hinteren einzustellen, das ging jetzt auf elegante Art und Weise … scheinheiligpfeif.) Rasch noch die Indusi beschriftet, in den vorderen Führerstand, Richtungsschaltergriff nach Vorwärts, Stromabnehmer hoch, Hauptschalter ein – und der Luftpressser lief an, Führerbremsventil aufschließen und in Fahrtstellung. Strömgeräusch, füllen der Leitung. Gefüllt und dicht, vereinfachte Bremsprobe. Bremse anlegen, lösen, in Ordnung. Zugsammelschiene ein. Der Zugführer ging an die Säule der Wechselsprechanlage: „Guten Abend! Zug 16xxx ist fertig zur Ausfahrt!“ „16xxx fertig!“, bestätigte der Fahrdienstleiter und ergänzte: „Ausfahrt kommt in etwa drei Minuten, ihr habt noch Kreuzung mit Güterzug.“ Kaum hatte er das gesagt, rumpelte und polterte ein schwerer, endlos langer Güterzug durch den Bahnhof, mit geringer Geschwindigkeit, vermutlich fuhr er auf Vr0 zu. Aber dann: Hp2 für die Ausfahrt. Ich schaute raus, der Zugführer gab Zp9 und ich fuhr los. In einem der Zugfenster hing der Studienrat: Dieser junge Bengel ist doch tatsächlich der Lokführer! Warum mußte ich ständig an „Die Feuerzangenbowle“ und die Professoren Kray und Bömmel denken?
Gleichmäßig lief mein Zug durch den Abend, wir lagen einige Minuten vor Plan, weshalb ich Geschwindigkeitswechsel nicht spitz ausbremste, sondern das Tempo auf 100 km/h hielt: das machte Bremsungen von 120 auf 100 und anschließendes energieintensives Beschleunigen überflüssig. Durchfahrt Leutesdorf war 90 km/h, die regelte ich mit einem „Zehntel-bar-Kunststückchen“ ein – sowas bereitete mir immer wieder Spaß. Hinter Leutesdorf wieder auf 100 km/h. Bad Hönningen, Linz, Erpel, Unkel, Bad Honnef – nach wie vor fünf Minuten zu früh, aber das konnte und sollte so bleiben, denn wer weiß, ob es nicht doch irgendwo eine Aufhaltung geben würde? Niederdollendorf, Bonn-Oberkassel, Bonn-Beuel, Menden, Friedrich-Wilhelms-Hütte, Troisdorf – grüne Welle, freie Fahrt. Sechs Minuten vor Plan. In Spich abschalten, rollen lassen, denn nun würde es bald auf Hp2 zur Güterbahn rübergehen. Richtig: Porz-Wahn Vr2/Hp2, dann Vr1/Hp1: die Überleitung. Nach Verlassen des Weichenbereichs brachte ich den Zug auf 80 km/h, mehr mußte nicht sein, hätte nur Hektik erzeugt. Vorbei an Gremberg-Rather Straße, abschalten, auslaufen lassen. Auf Vr2/Hp2 durch Köln-Kalk-Nord, weiter auf die Strecke nach Bergisch-Gladbach, die ich angesichts der mittlerweile 8 Minuten vor Plan mit nur 90 km/h hinter mich brachte. Durchfahrt Köln-Dellbrück, dort wartete bereits die V 215. Wir tauschten ein kurzes Pfeifsignal aus. Endlich: Einfahrt Bergisch-Gladbach mit den obligatorischen 30 km/h, weil das Einfahrgleis ein Stumpfgleis war. Und jetzt aufpassen: Zwölf Wagen mit HiK-Bremse „millimetergenau“ vor den Prellbock stellen, kurz vor Feierabend nochmal ganz präzise bremsen! Alle Sinne auf den Zug – jetzt 0,15 raus … na, na? Doch, paßt, nun auf 4,9 und liegenlassen … Der Heilige Siemens war mit mir, etwa einen halben Meter vor dem Prellbock kam mein Sonderzug weich zum Stehen. „Wieder einmal haben Mut und Können Angst und Unsicherheit überwunden!“ Ach ja, der Airport-Film, immer wieder zu gebrauchen, wenn flotte Sprüche anstehen.
Das Aussteigen ging vergleichsweise zur Einsteigaktion am Morgen recht zügig vonstatten; der Zugführer hatte die Aufsichtspersonen informiert, die vorderen vier bis fünf Wagen dazu zu benutzen. Müde, und wohl auch deshalb diszipliniert, verließ die Meute den Zug.
Zischen im Führerbremsventil: Am anderen Ende wurde die V 215 gekuppelt. Ich brachte es in Abschlußstellung, löste die Zusatzbremse, legte den Richtungsschalter nach Rückwärts, schaltete den Zugschluß ein und senkte den Stromabnehmer. Dann schaltete ich alle unnötigen Stromverbraucher (wie die Maschinenraumbeleuchtung) aus. Damit schonte ich die Batterie, der die wenigen Minuten Fahrzeit bis Köln-Hauptbahnhof zwar nicht schaden würden, doch sicher ist sicher. „Kollege – hier ist der Lokführer der neuen Zuglok, ich bin aus Deutzerfeld und heiße Bernd. Bei dir alles klar?“ Laut Sonderfahrplan stand uns zur Kommunikation der C-Kanal 33 zur Verfügung, den ich eingeschaltet hatte und so Kontakt mit dem Kollegen erhielt. „Jau, alles klar, ich bin der Kurt, auch aus Deutzerfeld. Wahrscheinlich kennen wir uns vom Sehen…“ „Bestimmt! Also, wenn ich Abfahrauftrag bekomme, geht es los!“ „Logo! Schluß ist bei mir an, Stromabnehmer gesenkt, alles auf der sicheren Seite. Und – Bernd … hast du schonmal so einen Zug wie diesen gefahren? Zwölf Wagen mit HiK-Bremse?“ „Nee, ist das was Besonderes?“ Ein leichter Ruck, Abfahrt. Ich gab Bernd auf die Schnelle einige Tips zum Umgang mit der Bremse, die er dankbar und erstaunt zur Kenntnis nahm. Wir erreichten den Kölner Hauptbahnhof nach kurzer Zeit – und Bernd schaffte es, den Zug mit einem nur geringen Halteruck zum Stehen zu bringen. „Das ist vielleicht ein Ding!“, kommentierte er, bevor Kanal C 33 unterbrochen wurde.
Ich machte meine Lok wieder fahrbereit. Bremsprobe, alles bestens. Das Signal wechselte von Hp00 auf Hp2 mit Vr2, Zp9 leuchtete auf. Lüfter an, aufschalten, kurz nach hinten rausgucken und die letzten zwei Kilometer unter die Räder nehmen. Wieder ging ein ungewöhnlicher und schöner Dienst zu Ende.
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01.07.2014 09:29
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Grüße aus Süddeutschland 
