ja, aber Fachliteratur und eines als Co-Autor, da geht's um altrömische Geschichte, eine abgedrehte Satire. Nix für Eisenbahn-Fans, thematisch andere Baustelle.
Man kann heute nur noch Bücher veröffentlichen, wenn man als Star bekannt ist, im Gefängnis war oder einen akademischen Titel besitzt. Damit kann ich (leider?) nicht dienen und deshalb antworten die arroganten Verleger auch nicht auf Zuschriften.
Dein Posting #440 - ja, das Mädel war schon etwas ganz Besonderes! Leider hat's nicht sollen sein, traurig, aber nach über 20 Jahren bin ich drüber weg ... anderenfalls hätte ich das auch nicht erzählen können/wollen.
Soll man persönliche Empfindungen überhaupt öffentlich darstellen? Ich denke, dem steht nichts entgegen, solange die Sache nicht zu tief ins Ego einsteigt. Schon der oftmals verkannte und falsch bewertete Karl May schrieb, der Leser habe ein Recht, einen Blick in die Seele des Autors werfen zu dürfen. In diesem Sinne habe ich die Erlebnisse mit Juanita "zu Bildschirm" gebracht (Papier ist ja out...).
Themawechsel: Deine Erklärungen zu Bremsstellung G an einigen vorne laufenden Wagen waren sehr wichtig - das war zu meiner Zeit schon so und ich hatte es vergessen. Du hast also eine Lücke geschlossen, danke!
nach all den langen Storys nun mal die folgende, ganz kurze Episode. Es geschah frühmorgens gegen 5:00 Uhr in Koblenz HBf. Zum krönenden Abschluß eines „endlos“ langen Nachtdienstes hatte ich einen Nahverkehrszug nach Köln-Deutzerfeld zu fahren, mit „Halt an jedem Kellerloch“ – das ließ so richtig Freude aufkommen. Und zum besseren Verständnis noch dies: In früheren Jahren trugen die Zugführer als Zeichen ihres Amtes diesen markanten roten Lackriemen quer über dem Oberkörper…
Dialekt Es war eine lange Nacht gewesen, mit völlig abgedrehten Zugkombinationen: Zunächst einen Nahverkehrszug von Deutzerfeld nach Krefeld, dann Nahverkehr zurück nach Köln HBf, Übergabe mit A3. Ablösen an einem in Köln endenden Schnellzug, diesen als Leerreisezug nach Köln-Betriebsbahnhof – immerhin ein Kilometer Streckenfahrt… Lok mit A1 abstellen. Melden auf Lokleitung. Neue Lok mit V1 übernehmen, den letzten Nahverkehrszug des Betriebstages nach Wuppertal-Oberbarmen. Kuppler hängt ab, mit Lok zum Güterbahnhof, Güterzug nach Oberlahnstein, LZ nach Koblenz HBf, den eingangs erwähnten Nahverkehrszug bespannen, ungefähr eine Stunde Pause auf dem Führerstand und dann mit „dicken Augen“ zurück nach Deutzerfeld, Lok an Ablöser mit A3 übergeben, Feierabend … nee, Feiermorgen – nach ungefähr 13 Stunden Dienstdauer. Eine Traumtour im Wortsinne, um die wir uns gewiß nicht rissen, aber einer war täglich das Opfer.
Koblenz HBf, am Bahnsteig, vor dem Zug, der Morgen graut. Ich hänge im Halbschlaf in meinem Führersitz – mittlerweile waren auch die E 110 mit den wunderbaren Bremshey-Sitzen ausgerüstet – und befinde mich in diesem Astralzustand halb wach, halb schlafend. Plötzlich holt metallisches Pochen mich in die Wirklichkeit zurück: Draußen klopft jemand an die Tür. Ich stehe etwas mühsam auf, schiebe den schweren Sitz zurück, öffne das Fenster: draußen steht ein Mann in Schaffneruniform und läßt folgende Rede in schönstem Koblenzer Dialekt vom Stapel: „Guude Morsche Lokführer! Ich wollt‘ nur sage, ich henn de roode Rieme vagäß, evver ich sinn d’r Zochführer!“ Tja – komm' damit nach etlichen Nachtstunden mal sofort zurecht…
erinnert Ihr Euch an den schon mehrfach genannten „Betriebsingenieur X“? An diesen Federfuchser, der uns anläßlich der Steuerwagenprüfung nervte, der mir nach dem Vorfall mit dem selbstätig aufgesprungenen Notbremsventil in der E 111 (auf jener eingleisigen Strecke zwischen Rheydt HBf und Rheydt-Odenkirchen) vorwarf, die Störungsbeseitigung habe zu lange gedauert? Ja, genau der war’s, der zwei Kollegen und mir die Prüfung E 120 abnahm und den wir mit den falschen Adjektiven zum kompensierten Erdstromwandler ärgerten (kompostiert, karamellisiert usw.). E-120-Ausbildung und -Verwendungsprüfung … gut, aber wo ist denn das Besondere? Genau das will ich jetzt erzählen:
Ein neuer Aufgabenbereich? Der B-Gruppenleiter wolle mich sprechen, sagte der Lokdienstleiter zu mir, als ich nach einem recht kurzen Frühdienst mich gegen Mittag auf der Lokleitung nach den nächsten Diensten erkundigte. Ich hatte weder etwas ausgefressen, noch war was schiefgelaufen – was mochte er wohl wollen? Hier muß gesagt sein, daß dieser B-Leiter der beste war, den wir jemals hatten und glücklicherweise avancierte er später sogar zum Dienststellenleiter in dem Betrieb, wo ich die letzten Jahre… Aber ich greife vor, das gehört noch nicht hierher. Der beste B-Leiter – es konnte folglich keine unangenehme Sache sein, wegen der er mich zu sprechen wünschte.
Es war noch nicht „offizielle“ Mittagszeit, ich ging also die paar Meter zu seinem Büro hinüber, klopfte an und: „Herein!“ – „Herr W.!, nehmen Sie Platz!“ Ich setzte mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und war ein einziges Fragezeichen. „Sie möchten wissen, warum ich Sie gebeten habe, bei mir reinzuschauen. Ich will’s kurz machen: Im AW Opladen wird an den neuen Triebköpfen der Serien-ICEs die Elektronik eingebaut, geprüft, justiert, Kinderkrankheiten beseitigt und so weiter. Dazu sind häufige Probefahrten mit den Triebköpfen erforderlich. Und für diese Probefahrten benötigen wir Lokführer. Ich dachte da auch an Sie, weil Sie ja stets engagiert an die Sache herangehen und Neuem aufgeschlossen gegenüberstehen. Außerdem – das ist Voraussetzung – sind Sie bereits auf der E 120 ausgebildet. Wäre das für Sie interessant, diese Testfahrten? Ach ja – ausschließlich Tagesdienst. Die Einsatzdauer würde etwa ein Jahr betragen.“ „Herr S., das war jetzt viel auf einmal – ich soll, vereinfacht gesagt, Testpilot im AW werden? Hm … die haben doch ihre Stammannschaft…“ Der B-Leiter erklärte: „Sicher haben die ihre Leute, doch es sind angesichts der ICE-Inbetriebnahme zu wenige. Die schieben immer mehr Überstunden vor sich her und daher hat Ihr spezieller Freund, der Betriebsingenieur X, angeregt, ungefähr fünf bis sechs zusätzliche Lokführer mit dieser Tätigkeit zu betrauen. Und da dachte ich eben an Sie.“ Eine Alarmglocke schrillte in meinem Hinterkopf: „Ist der X für die Probefahrten zuständig?“ „Ja, aber wie man hört, ist er deutlich friedlicher geworden.“ „Na ja“, lenkte ich ein, „vielleicht ginge es wirklich mit ihm … diese Probefahrten würden mich schon interessieren. Mal wieder was Neues. Wie liefe das denn ab, wenn ich mitmachen möchte?“ Der B-Leiter nahm einen Liegehefter zur Hand, blätterte kurz und las vor: „Ausbildung ICE vor Ort in Opladen, nach dieser Ausbildung Prüfung am Fahrzeug sowie je nach Verfügbarkeit Prüfungsfahrt auf einem Triebkopf; gegebenenfalls Abnahmefahrt unter Aufsicht. Sind die ICEs im Regelbetrieb, enden die Testfahrten natürlich, Sie nehmen dann Ihre bisherige Tätigkeit wieder auf, sind aber zusätzlich im Besitz der Ausbildung eben für ICE – das wird über kurz oder lang von Vorteil sein. Übrigens können Sie jederzeit aus dem Probefahrtengeschäft aussteigen, da gibt es keine Verpflichtung, bis zum Ende dabeizubleiben.“ „Hört sich gut und fair an“, stellte ich fest. Meine berühmte innere Stimme raunte mir zu, daß ich auf andere Weise kaum in absehbarer Zeit an den ICE herankäme – die Ausbildung auf diesem neuen Superzug, meinte ich ... auch ein bißchen Ego-Politur… Also: „Herr S., danke für Ihr Vertrauen! Ja, ich möchte dabeisein. Wann geht es los?“ „Dachte ich mir“, grinste der B-Leiter, „ich stelle gerade die Unterlagen zusammen. Voraussichtlich in vierzehn Tagen. Sie bekommen rechtzeitig Bescheid.“
Freudig erregt fuhr ich nach Hause. Eine neue, interessante Tätigkeit, bis auf weiteres keine Nachtdienste mehr, sobald ich „Testpilot“ geworden war … was konnte man sonst noch verlangen? Und mit dem X würde ich schon klarkommen, denn bei diesen Probefahrten mußten wir doch alle an einem Strang ziehen.
Ich kam nicht umhin, an die erst vor kurzem durchgezogene Ausbildung für E 120 zu denken: Zehn Arbeitstage gab es für das Erlernen völlig neuartiger Technik – viel zu wenig! Wir waren sechs Mann, die Theorie erarbeiteten wir gemeinsam, das Praxistraining wurde jeweils in zwei Dreiergruppen absolviert; zwei Kollegen und ich erhielten es beim Ausbilder P., der stets locker und humorvoll an die Sache heranging und uns etliche Tips gab, Kniffe vermittelte. Der beliebte Amtslehrer, seines Zeichens Ingenieur für Maschinenbau und noch aus der Dampflokzeit stammend, zeigte sich mit der Elektronik der Lok schlicht überfordert. Akribisch erklärte er uns sechs altgedienten Lokführern, welcher Lüfter über welches Außengitter die Luft ansaugte, er schilderte die Konstruktion der Drehgestelle und der mittragenden Karosserie („Höckerplatten“). Da war der studierte Maschinenbauer sattelfest. Doch als es darum ging, zu erläutern, wie der Drehstromantrieb funktionierte, ging ihm die Puste aus: „Die Vierquadrantensteller beginnen zu takten und die Lok fährt.“ Autsch! Er war ein netter Kerl, also sagte niemand ein negatives Wort. Nun wollte ich aber möglichst genau wissen, wie eine Drehstromlok funktioniert, warum sie fährt und wie man aus kollektorlosen Asynchronmotoren beim elektrischen Bremsen nutzbare Energie herausholt – ohne Kommutator, an dem man den in den Rotor induzierten Strom abnehmen könnte! Fragen über Fragen, die Amtslehrer H. nicht beantworten konnte, leichthin abtat mit der Bemerkung „Das brauchen Sie nicht zu wissen“. Nun war ich lange genug in Deutzerfeld Werkstattmitarbeiter gewesen und kannte alle Werkmeister. Einen davon fragte ich, ob er mit Drehstromloks Bescheid wisse. Er verneinte, gab mir aber eine äußerst wertvolle BASA-Telephonnummer, nämlich die des für die E 120 führend zuständigen Werkmeisters in Nürnberg. BASA kostete nichts und so telephonierte ich mehrmals länglich mit Werkmeister D., einem absoluten As in Sachen Drehstromlokomotiven. Er wußte auf jede Frage eine Antwort, erklärte mir, derweil ich eifrig mitschrieb, wie die Zusammenhänge aussahen, auf welche Weise die Erzeugung der Antriebskraft vonstatten ging, wie Drehzahlsteuerung und elektrische Bremse funktionierten. Meine mitgekritzelten Aufschreibungen tippte ich zu Hause auf der Schreibmaschine ins Reine und auf Wunsch der beiden Kollegen, die mit mir beim Ausbildungslokführer P. waren, kopierte ich das Ganze, damit auch sie von den Erläuterungen des Nürnberger Werkmeisters profitieren konnten. Dem Amtslehrer H. sagten wir nichts davon – er war, wie gesagt, ein netter Kerl, den wir nicht düpieren wollten.
Ich habe bereits vor längerer Zeit geschildert, wie seltsam sich Betriebsingenieur X anläßlich der Verwendungsprüfung aufführte. Statt eine Frage zu den Pulswechselrichtern zu stellen, wollte er von mir hören, welchem Zweck ein obskurer kleiner Luftbehälter diente. Völliger Unsinn. Und dergleichen Ungereimtes mehr, mit dem ich jetzt nicht langweilen möchte. Die Fahrprüfung verlief unter seiner Leitung ähnlich: Wir hatten mit der 120er einen Eilzug nach Koblenz und zurück übernommen; ich mußte von Remagen bis Köln (56 Kilometer) fahren. Der Zug war überschaubar, 36 Achsen, allesamt mit Scheibenbremsen, und fuhr sich „wie ein Auto“. In Bonn-Bad Godesberg rügte der BIng: „Sie machen das viel zu weich, ich habe es gerne, wenn es einen kleinen Halteruck gibt!“ Wütend, aber ruhig erwiderte ich: „Sehen Sie, so unterschiedlich sind die Geschmäcker. Ich finde Halterucke schlimm, denken Sie mal an Speise- und Schlafwagen. Also bemühe ich mich, ohne Ruck anzuhalten.“ Und ich paßte höllisch auf, bei den restlichen Bahnsteighalten ebenfalls ruckfrei zum Stehen zu kommen, was auch gelang. Der BIng war sauer. Egal, ich ließ mir in seiner Art nicht reinreden. Am Ende bestand ich die Verwendungsprüfung – dem Betriebsingenieur blieb ja auch nichts anderes übrig, schließlich hatte ich weder Mist gebaut noch durch Nichtwissen geglänzt… Und persönliche Meinungsunterschiede durften bei Prüfungen nicht gewertet werden, auf derlei Dinge achtete der obligatorische Gewerkschaftsbeisitzer mit Argusaugen.
Ich war also ausgebildeter E-120-Lokführer und besaß damit die grundlegende Voraussetzung für den ICE, beziehungsweise dessen Inbetriebnahme-Arbeiten. Die Ausbildung für den ICE stand logischerweise am Anfang der Opladener Zeit. Die genauen Daten sind mir entfallen, ich weiß aber noch, daß Dienstbeginn um 9:00 Uhr im Ausbesserungswerk (AW) Opladen war; melden beim Pförtner, der einem den genauen Weg wies.
Und ich weiß noch dies: Auch im Fahrdienst war es in jenen Monaten personalseitig ziemlich eng, weshalb ich am Tag vor Beginn der ICE-Ausbildung in Opladen noch einen Dienst machen mußte, nämlich IC nach Hannover, die Lok behalten und einen Schnellzug, der von Goslar mit Diesellok kam, bespannen und zurück nach Köln. Diese „Reise“ war ein mittlerer Horror, denn die E 103 entwickelte im Laufe der Tour mehrere Unpäßlichkeiten und am Schluß, während der Rückfahrt, waren es fünf Störungen gleichzeitig, dennoch blieb sie „mit Hängen und Würgen“ fahrbereit. Ich hätte eine Ersatzlok anfordern können – nein: sollen, denn Fahren mit mehr als zwei Störungen war nicht zulässig! –, aber mein verdammter Ehrgeiz stand dagegen: Das ziehe ich durch! Was hatte sie alles? Mal überlegen, wie weit ich’s noch zusammenbekomme: 1) Die elektronische Nachlaufsteuerung war defekt, die Lok ließ sich nur noch mit dem Hilfsfahrschalter in Auf/Ab-Steuerung bedienen. 2) Die Vorsteuerluft wurde nach Abfall der E-Bremse nicht aktiviert; die mußte ich von Hand über den Kipptaster „Schleuderschutz“ bei Haltebremsungen im richtigen Moment nachbilden – beim Betätigen legte die Bremse mit ca. 0,8 bar an und „spielte Vorsteuerluft“. (Ohne diese Maßnahme hätte die Lok nach Abfall der E-Bremse [bei ca. 30 km/h] bei jedem Halt mit einem Ruck den Zug langgezogen: ungebremste 116 Tonnen.) 3) Die Fahrmotorenlüfter ließen sich vom in Richtung Köln besetzten Führerstand nicht einschalten, das stellte ich fest, nachdem ich am Bahnsteig den Zug bespannt hatte und ich beim Aufleuchten von Zp9 die Lüfter vor dem Anfahren einschalten wollte und nichts geschah; ich hatte also den Anlaßschalter von Hand in die Betriebsstellung gebracht, was bedeutete, daß ich die Lüfter auch nur dort (im Maschinenraum) wieder ausschalten konnte. 4) Stromabnehmer 2 ließ sich nicht heben (pneumatischer Schaden im Senkfederantrieb), also fuhr ich auf der Rückfahrt mit angelegtem vorderen Stromabnehmer. Die fünfte Störung habe ich vergessen, es war nichts schlimmes, aber dennoch irgendwie lästig. Insgesamt auf jeden Fall ziemlich nervend, weil ich permanent auf diese Macken aufpassen mußte (vom Stromabnehmer mal abgesehen). Als ich in Köln HBf die Lok meinem Ablöser übergab und ihm die Störungen schilderte, meinte er, ich hätte doch besser „einen Abhänger gemacht“, zu Deutsch: eine Hilfslok bestellt. Ich entgegnete, daß ich in diesem Falle aber mit erheblicher Verspätung in Köln eingetroffen wäre und unser beider Feierabend versaut hätte. „Stimmt, haste jut jemacht!“, meinte der Kollege und ich sah zu, daß ich nach Hause kam, denn es war bereits gegen 21:00 Uhr und am nächsten Morgen mußte ich wegen Opladen recht früh aus den Federn: Es gab im AW-Bereich viel zu wenige Parkplätze, daher sah ich mich gezwungen, mit dem Zug zu fahren und das war von Bonn aus mit Umsteigen in Köln verbunden, zeitaufwendig halt. Dennoch opferte ich einige Minuten, um die während eines außerplanmäßigen Unterwegshaltes vorsorglich ausgefüllte „Verspätungsmeldung“ – woselbst ich die Störungen aufgeführt hatte – im Aufenthaltsraum Köln HBf in den Dienstbriefkasten einzuwerfen.
Im Unterrichtsraum des AW Opladen. Betriebsingenieur X hatte uns zukünftige ICE-Tester, wir waren insgesamt fünf Leute, freundlich begrüßt und eigenhändig vollgepackte große Leitz-Ordner verteilt: Bau- und Schaltpläne des ICE. ‚Vielleicht ist er doch nicht so übel‘, dachte ich. „Meine Herren, wir müssen uns eifrig ranhalten, weil die Zeit knapp ist!“ Mit diesem Statement begann er den Unterricht – und es verging über eine halbe Stunde, während der er sich mit der Gangbeleuchtung der Triebköpfe aufhielt, unnötigerweise endlos über dieses unwichtige Teil referierte. Ich wurde den Verdacht nicht los, daß er mit der Drehstromtechnologie ebenso im luftleeren Raum agierte wie Amtslehrer H. Der Nachmittag verstärkte diesen meinen ersten Eindruck: Die Seiten der Ordner wurden nach Funktionsgruppen sortiert und zu Hause sollten wir entsprechende Markierungen sowie ein Inhaltsverzeichnis anfügen und uns so belesen, daß wir Bescheid wußten. Pfeift mein Schwein? Was soll das? Dann ging es zur Besichtigung der Montagehalle. Beeindruckend: Etliche Triebköpfe, die Dachöffnungen frei, viel Personal der Herstellerfirmen, Unmengen elektronische Geräte, von winzig bis gigantisch; Rundgang durch einen der Triebköpfe, der besenschrankgroße Vakuum-Hauptschalter, der Gleichstrom-Zwischenkreis, die Pulswechselrichter, die Vierquadrantensteller – alles wirklich beeindruckend, dennoch fühlte ich mich am falschen Platz. Wieder draußen, das heißt, in der Halle, begegnete uns einer der Abnahme-Lokführer, ein „alter AW-Hase“, ignorierte uns fünf noch „Unberührbare“, verneigte sich fast schon höfisch vor dem Betriebsingenieur, der einige Worte mit ihm wechselte, die er stets mit „Ja, Herr X“ oder „Selbstverständlich, Herr X“ kommentierte … oh Mann, wo bin ich denn hier reingeraten…!? Einer der Werksmonteure gab uns herablassend den Befehl, vom Triebkopf zurückzutreten, weil der ein Stück vorgeschoben werden solle – ein Ton wie auf dem Kasernenhof … nee, Leute…
Am nächsten Morgen, die braven anderen vier Kollegen hatten zu Hause bis in die tiefe Nacht an ihren Ordnern gewerkelt, wollte ich den ungeöffneten meinigen dem BIng zurückreichen: „Herr X, nach reiflicher Überlegung komme ich zu dem Schluß, daß dies hier keine Tätigkeit für mich ist. Ich melde mich umgehend auf meiner Dienststelle zurück.“ Er schaute mich verschlagen an und meinte tatsächlich: „Ich habe den Eindruck, Sie geben sehr schnell auf!“ Den Ordner hielt ich noch in Händen – jetzt knallte ich ihn auf den Tisch und sagte, derweil ich an die Fahrt mit den fünf Störungen dachte: „So, diese Unverschämtheit reicht! Tschüß!“
Eine gute Stunde später traf ich in Deutzerfeld ein (ich mußte in Opladen auf den Zug warten) und ging gleich zum B-Gruppenleiter. Der hielt grinsend den Telephonhörer hoch und erklärte: „ER hat gerade angerufen!“ Ich sah auf seinem Schreibtisch meine Verspätungsmeldung zu der Zugfahrt mit der gestörten E 103, wußte, wo’s langging und fragte: „Darf ich wissen, was Sie ihm gesagt haben? Er kam doch bestimmt mit dem ‚schnell aufgeben‘, oder?“ „Na klar! Ich habe ihm gesagt, er solle meine Lokführer nicht falsch beurteilen, sonst raucht’s im Karton! Ich kann Ihre Entscheidung voll verstehen, Herr W.“ Lächelnd nahm er die Verspätungsmeldung zur Hand: „Hier ist der Beweis, wie schnell Sie aufgeben – Sie haben zwar gegen Vorschriften für Kinder verstoßen, aber Ihren Zug heimgebracht. So soll’s sein, gut gemacht! Tja, dann gehen Sie mal zum Disponenten, der freut sich, daß Sie wieder an Bord sind!“
War ein feiner Mensch, der B-Gruppenleiter S., unbürokratisch, praxisorientiert, ein Vorgesetzter wie aus dem Wünschelbuch. Vielleicht liest er diese Zeilen…
hier nun eine kleine Episode, welche die Probleme beleuchtet, die mit Frühdiensten einhergehen. Ich meine damit Dienste, die um 4:00 Uhr (morgens!) beginnen, den bedauernswerten Lokführer zwingen, zu nachtschlafener Zeit aufzustehen, um putzmunter seine Arbeit zu übernehmen. Kommen derlei Dienste mehrmals hintereinander, schaltet auch der eifrige und dienstbeflissene Mitarbeiter auf „Notlauf“, soll heißen: Man kann machen, was man will, die Konzentration läßt unweigerlich nach, man gerät zunehmend in das, was ich immer „Rückfallebene“ nenne: eine auf Routine und Verlangsamung basierende Stimmung. Das ist schwer zu beschreiben und mit Sicherheit bei jedem Menschen anders in den Auswirkungen, doch insgesamt darf gesagt werden, daß wohl niemand ab dem dritten extremen Frühdienst so souverän agiert und reagiert wie nomalerweise – zu humanen Zeiten – üblich. So erging es mir irgendwann in den mittleren Achtzigerjahren: An einem kalten Wintertag habe ich mal richtig Mist gebaut, mir selbst das Leben erschwert.
Roter Griff und die Folgen Der Dienstbeginn lag in der Gegend von 4:00 Uhr morgens. Es war der vierte Frühdienst in Folge, wobei der erste etwa 7:00 Uhr begann, die anschließenden gerieten dann immer mehr in jenen Tagesabschnitt, der für normale Menschen noch zur Nacht zählt. Wenn ich an dieser Stelle behaupten würde, ich sei topfit gewesen, wäre das eine glatte Lüge. Ich schlief ohnehin unruhig, wenn ich wußte, der Wecker würde irgendwann klingeln – das ist heute noch eine meiner Macken. Wie dem auch sei: Lokführer sind die Härtesten, folglich stand ich pünktlich in der Lokleitung und bekam die Information, meine S-Bahn – bis ungefähr 13:00 Uhr hatte ich die S 11 zu fahren, Neuss > Bergisch-Gladbach > Neuss undsoweiter – stünde im Bahnhof, Gleis 62, Loknummer weiß ich nicht mehr, es war eine E 111, wie seinerzeit immer auf der S-Bahn. Nun muß ich, mit Blick auf die kommenden Ereignisse, erneut erwähnen, daß es ein eiskalter Wintertag im Januar oder Februar war und so stapfte ich denn frohgemut durch verharschten Schnee in Richtung Gleis 62, ungefähr einen halben Kilometer entfernt. Dort angekommen, enterte ich die Lok, rüstete sie so rasch wie möglich auf, um die Führerraumheizung in Gang zu bringen (in späteren Jahren wurden die S-Bahnen bei Frost aufgerüstet abgestellt und von einer Sonderbereitschaft überwacht). Diese Heizung war bei der ansonsten so geschickt konstruierten 111er eine Schwachstelle: Die gutgemeinte Fußbodenheizung brachte nicht viel und das erst nach längerer Zeit, die Gebläseheizung allein schaffte es nicht und „mußte auf die Fußbodenheizung warten“, als Unterstützung sozusagen. Nun noch Frontscheiben- und Fußraumheizung in der Führerpultnische eingeschaltet und natürlich die Zugsammelschiene, damit der Zug ebenfalls „warmeln“ konnte, was er automatisch thermostatgesteuert erledigte. Die benötigten Buchfahrpläne bereitgelegt – aha, die erste S 11 fuhr bis Neuss HBf, die zweite Tour ging bis Düsseldorf-Gerresheim. Bremsprobe von der Lok aus, alles okay. Am Vierwagenzug außen entlang nach hinten und auf den Steuerwagen; dessen Führerraumheizung war besser und bereits spürbar zugange. Auch hier die Buchfahrpläne sortiert, Bremsprobe durchgeführt, ebenfalls alles in Ordnung. Innen durch den Zug, prüfen, ob alle Schaltschranktüren geschlossen und die Außentüren betriebsbereit waren. Hierzu genügte das Öffnen und Schließen von zwei, drei Türsystemen, als Zufallskontrolle gewissermaßen. Keine Bezettelung wegen Schäden? Nein. Zug in Ordnung. Über den Führerraum des BxF-Steuerwagens wieder nach draußen (Runterklettern aus den Wagen war mühselig, weil hoch über dem Boden), zur Lok, Fertigmeldung und rauf auf die 111er, langsam spürte ich die Kälte bis ins Kreuz. Von draußen kommend, wirkte der Führerraum der Lok zunächst warm, daß dies nicht so richtig der Fall war, bemerkte ich nach einigen Minuten. ‚Sch…fußbodenheizung!‘, dachte ich, berührte die Pegulanplatten des Bodens – eiskalt. Blick über die Kleinselbstschalter (KS = Sicherungsautomaten) … welcher Vollidiot hatte den KS „Fußbodenheizung“ ausgelegt? Rein damit – aber jetzt! Tatsächlich, ganz langsam erwärmte es sich. Glück gehabt.
Lok voraus unterwegs, in aller Herrgottsfrühe. Irgendwie fand ich die frühmorgendlichen leeren Bahnhöfe romantisch, nicht dieses Gedränge wie während der Hauptverkehrszeiten.
Köln-Hansaring, Köln-Nippes, Köln-Geldernstraße/Parkgürtel – Streckengeschwindigkeit 60 km/h, danach ging’s auf die planmäßigen 120 km/h bis Longerich. Als der Tacho erstmalig an diesem Morgen 120 km/h anzeigte, spürte ich eisige Zugluft, es blies mich regelrecht an. Verdammter Mist! Ausgerechnet an einem der kältesten Tage erwischte ich eine Lok, auf der es „zog wie Hechtsuppe“. Soweit ich während der Fahrt hinlangen konnte, tastete ich die Außentüre ab. Nichts, alles dicht. Seitenfenster? Ebenfalls. Wo, zum Henker, kam diese ätzende Zugluft her? Forschungsarbeiten einstellen: bremsen, Türfreigabeschalter nach links, nächster Halt Köln-Longerich. Abfahrt, maximal 70 km/h bis Köln-Volkhovener Weg, Zugluft nur geringfügig, paßgenau am grau zugefrorenen Spiegel gehalten, Blick nach hinten, Zug trotz Kurve sichtbar, Abfahrtzeit, Türen zu. Weiter, mit 60 km/h bis Köln-Chorweiler, dann im Tunnel bis Chorweiler-Nord, ebenfalls mit 60 km/h. Die ersten größeren „Volkesmengen“, Türen zu und weiter, rasch auf- dann sofort wieder abschalten und Schwungfahren, denn die Fahrleitung im letzten Tunnelstück erzeugte heftige Bügelabschläge, die Lichtbogenbildung war nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören. Was habe ich Meldekarten geschrieben, es änderte sich nichts. „Problemstrecke“, hieß es nur. Köln-Worringen, zwei Minuten Betriebshalt. Frontscheibenheizung in Ordnung? Ja. Beide Türen (nach draußen) im Bereich der Dichtungen abgetastet – keine Mängel feststellbar. Wo nur kam diese scheußliche Zugluft während der Fahrt her, die sich beinahe anfühlte, als ob ein Gebläse sie erzeugte? Abfahrt, nächster Halt Dormagen-Bayerwerk, auch so ein „Frickelbahnsteig“, wo man genau auf den Punkt kommen mußte: Stand der Zug zu früh, gab’s Mecker von den ausgestiegenen Fahrgästen, weil sie ein paar Schritte mehr zum in Fahrtrichtung liegenden Ausgang laufen mußten… Weiter nach Dormagen, und es zog nach wie vor. In Nievenheim fühlte ich mich wie Roald Amundsen – warum hatte ich keine Schlittenhund-Steaks dabei? Galgenhumor. Und nun die „lange Rennbahn“ bis Norf, 120 km/h, es zog gottserbärmlich, ich fror wie Harry, verflucht nochmal, da war doch … zuvor hatte ich an ein Gebläse gedacht … ja, Erleuchtung: Es gab zwei verschiedene Bauformen der Heizung und Lüftung – die neuere Variante besaß eine Umschaltung „Umluft/Frischluft“, welche mit einem Hebel mit rotem Griff betätigt wurde, irgendwo in Fußbodennähe … 120 km/h, Strecke frei, grüne Welle … roter Griff, richtig: der ragte aus dem Schlitz eines Lochblechs hervor … such, such … Lochblech, roter Griff … da entdeckte ich das Gesuchte in der Düsternis: rechts, ziemlich unten, Lochblech, roter Griff … diese eisige Zugluft … den Griff gepackt und nach oben gezogen … oh nein, jetzt „ging die Welt unter“, erschreckend lautes Zischen, heftiger Bremseinsatz: ich hatte im Tran des Frühdienstes das Notbremsventil aufgerissen! Bevor ich, zutiefst erschrocken, das Ventil wieder schließen konnte, kam meine S-Bahn mit einem heftigen Ruck zum Stehen. Geistesblitz: Schnellstens den Türfreigabeschalter nach 0, damit mir keiner auf der Strecke ausstieg! Notbremsventil schließen, HLL auffüllen. Der Schock hatte den positiven Nebeneffekt, daß ich nun wach war, aber total! Wach – und mir fielen die beiden mit Halbschranken gesicherten Bahnübergänge ein; der erste davon mußte kurz vor mir liegen (es war noch stockfinstere Nacht und die drei Spitzenlampen waren schließlich keine Scheinwerfer, sondern nur Signalisierung der Lok, weshalb sie die Strecke nicht ausleuchteten). ‚Die Schließzeit!‘, schoß es mir durch den Kopf: Wenn nach Passieren des Einschaltkontaktes die Zuggeschwindigkeit unter 20 km/h absinkt, ist vor dem Überweg (BÜ) zu halten und der BÜ mit dem Schlüsselschalter manuell zu betätigen. So der Vorschriftentext. (War’s der Schlüssel DB 21? Vermutlich, ist lange her, Erinnerungslücken.) Also: Vorsichtig anfahren, langsam, Kilometrierung (an den Fahrleitungsmasten) beachten, ja, da vorne, der erste BÜ, die Schranken waren geschlossen. Trotzdem davor halten, Lok anbremsen, runterklettern, Schlüsselschalter gesucht, gefunden, einmal betätigt, auf die Lok, Bremse lösen, weiter zum nächsten BÜ, der nur rund zweihundert Meter weiter lag. Dasselbe Procedere nochmal. Geschafft, weiter nach Norf. Kalt, Eisfinger. Der Signalton des Zugbahnfunks schreckte mich auf. Ich meldete mich. Die Betriebsleitung wollte wissen, was los sei, warum ich noch nicht hinter Neuss-Süd wäre. Ich konnte unmöglich meine Dusseligkeit bis geistige Umnachtung zugeben und die Story mit der Zugluft und dem Notbremshahn erzählen – die hätten „die grüne Minna“ bestellt. Der heilige Siemens gab mir die perfekte qualifizierte Lüge in den Sinn: Ich erzählte dem Mann von der BL, die Sifa-Fußtaste habe infolge einer vermutlich kälte- und feuchtigkeitsbedingten Kontaktstörung nicht funktioniert und eine Zwangsbremsung verursacht. Die Handbedienung der Überwege war damit ebenfalls erklärt. Ob ich denn weiterfahren könne? Selbstverständlich, die Kontaktstörung hätte ich beseitigt (das konnte ich dem Nichttechniker gefahrlos erzählen). Nächster Halt Norf – fast 20 Minuten verspätet, das Ausfahrsignal zeigte Hp0. Führerraumbeleuchtung an: Siehe da, links unten, Lochblech, roter Griff, Umschaltung Umluft/Frischluft, stand in Stellung „Frischluft“, im Sommer ja schön, aber bei den momentanen Außentemperaturen? Umgeschaltet auf „Umluft“, Klackgeräusch, Klappe zu, Zugluft tot.
Wieder auf 120 km/h, blieb zu konstatieren, daß die nervende Zugluft beseitigt war. Tja, man muß halt nur wissen, welche Bedienelemente welche Funktionen auslösen. Irgendwie will das schlechte Gewissen beruhigt sein, jeder kann doch mal rechts und links verwechseln – Schuld war nur der Frühdienst…
Ich hoffe das du nicht der Lokführer bist der hier die akrobatische einlage macht!
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 12:55 ]
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 12:56 ]
Naja, der Herr Kollege steht über das Signal hinaus. Daher die Verrenkung, ein Signalbild erkennen zukönnen. Aber ich glaube nicht, das das unser Kurt ist. Kurt wäre sicher pfiffiger gewesen und hätte sich fix auf den hinteren Führerstand begeben, um das Signal eindeutig erkennen zu können, wenn man schon nicht absteigen will. Nu stell Dir vor, der Herr Kollege rutscht ab und verbeult sich seine Kauleiste.... Na das gibt doch erst richtig Theater!!!
Ich habe vor ein paar Wochen genau den selben Fall in meinem Anfangsbahnhof gehabt, das ich nach bespannen mit Doppeltraktion über das Signal hinaus stand. Ich habe meine Sperre auch vom hinteren Führerstand beobachtet bis sie Sh1 zeigte, bin dann durch den Maschiennraum auf den führenden Fst und dann los.
wieder herrliche Geschichten von Dir. Vorallem mal wieder Dein Betriebsing X!!! Na soviel "Inkompetenz" auf einen Haufen, was ich ihm nicht gänzlich unterstellen will. Aber wie kann man sich den ganzen Tag an der Maschinenraumbeleuchtung aufhalten?! Leider ist es ja normal, das gerade solche Leute die größte Klappe haben. Das traurige an der ganzen Sache, Kurt, auch mir hat bisher keiner wirklich die neuartige Drehstrom - Antriebstechnik plausibel erklären können . Ich bin ja von Hause aus auch extrem neu- und wissbegierig. Und wenn ich mich auf meinen schulisch - technischen Unterricht, ESP, TZ und PA, in der Neptunwerft zu DDR - Zeiten zurück entsinne, hatte man uns beigebracht, das ein Drehstromasynchronmotor nur in einer Richtung mit voller Leistung dem Feld "hinterher rennt"! Man kann ihn aber auch durch Phasentausch in entgegengesetzte Richtung zum drehen bringen. Jedoch nicht mehr mit der Geschwindigkeit und Leistung wie bei richtig gepoltem Drehfeld.
Naja, und die tückischen Frühdienste, warum sollte es anderen Lokführergenerationen anders ergangen sein, wie es uns heute ergeht?! Ist nur blöd, wenn man dann unsanft durch eine Fehlhandlung richtig geweckt wird... Und danach waren sicher auch die Beförderungsfälle in der S-Bahn wach.
Ich hoffe das du nicht der Lokführer bist der hier die akrobatische einlage macht!
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 12:55 ]
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 12:56 ]
Hallo Eduard,
das nenne ich Situationskomik! In der Tat, vom hinteren Führerstand wär's sofort klar gewesen. Doch manchmal ist man vernagelt. Gut, daß damals an jenem Wintermorgen niemand bei mir im Führerraum war...!
Münster HBf - so sah er schon zu meiner Zeit aus - oder ist es ein älteres Photo?
Naja, der Herr Kollege steht über das Signal hinaus. Daher die Verrenkung, ein Signalbild erkennen zukönnen. Aber ich glaube nicht, das das unser Kurt ist. Kurt wäre sicher pfiffiger gewesen und hätte sich fix auf den hinteren Führerstand begeben, um das Signal eindeutig erkennen zu können, wenn man schon nicht absteigen will. Ich habe vor ein paar Wochen genau den selben Fall in meinem Anfangsbahnhof gehabt, das ich nach bespannen mit Doppeltraktion über das Signal hinaus stand. Ich habe meine Sperre auch vom hinteren Führerstand beobachtet bis sie Sh1 zeigte, bin dann durch den Maschiennraum auf den führenden Fst und dann los.
ZitatGepostet von 130-iger Naja, und die tückischen Frühdienste, warum sollte es anderen Lokführergenerationen anders ergangen sein, wie es uns heute ergeht?! Ist nur blöd, wenn man dann unsanft durch eine Fehlhandlung richtig geweckt wird... Und danach waren sicher auch die Beförderungsfälle in der S-Bahn wach.
Gruß Micha
Nochmal hallo,
"Beförderungsfälle" - so ein Wort kann's auch nur im Deutschen geben ... herrliche Beamtenformulierung!
"Beförderungsfälle" - so ein Wort kann's auch nur im Deutschen geben ... herrliche Beamtenformulierung!
Beste Grüße: Kurt[/b]
Naja, Kurt, ich wollte nicht gerade die FV-Version an den Tag legen und die heutigen Reisenden als "selbstverladendes Gefahrgut" titulieren. Allerdings ist das nicht auf meinem Mist gewachsen... Und die "Beförderungsfälle" kommen aus der Online - Plattform DSO. Haben sich die Reisenden dort selbst gegeben , wenn mal wieder Theater wegen Fahrplan + bei der DB AG angesagt war . Wo es tatsächlich herstammt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Naja, wenn man sich so unter den Scheffel stellt? Man muß sich schließlich nicht dazu zählen! Mußte also auch dazu lernen...
Das traurige an der ganzen Sache, Kurt, auch mir hat bisher keiner wirklich die neuartige Drehstrom - Antriebstechnik plausibel erklären können . Ich bin ja von Hause aus auch extrem neu- und wissbegierig. Und wenn ich mich auf meinen schulisch - technischen Unterricht, ESP, TZ und PA, in der Neptunwerft zu DDR - Zeiten zurück entsinne, hatte man uns beigebracht, das ein Drehstromasynchronmotor nur in einer Richtung mit voller Leistung dem Feld "hinterher rennt"! Man kann ihn aber auch durch Phasentausch in entgegengesetzte Richtung zum drehen bringen. Jedoch nicht mehr mit der Geschwindigkeit und Leistung wie bei richtig gepoltem Drehfeld.
Gruß Micha
Hallo Micha,
dann will ich's mal versuchen zu erklären - bitte, ich bin kein Ingenieur oder Physiker, sondern gebe hier nur eine vereinfachte prinzipielle Darstellung, so, wie ich's von dem Nürnberger Werkmeister gehört hatte:
Ein Drehstrom-Asynchronmotor läuft mit einem gewissen Schlupf der Drehzahl des umlaufenden Statorfeldes hinterher. Dieses kann durch Vertauschen einer Phase in der Drehrichtung umgekehrt werden; die Ankerdrehzahl folgt nach wie zuvor, die Leistung bleibt gleich.
Die Drehstromerzeugung in der Lok läuft prinzipiell so ab:
Von der Trafo-Sekundärseite auf die Vierquadrantensteller, die im Fahrbetrieb Gleichstrom abgeben und damit den Gleichstromzwischenkreis (unverzichtbare feste Größe) aufladen.
Dieser Gleichstrom geht auf die Pulswechselrichter, die nun entsprechend der gewählten Geschwindigkeit den Dreiphasenstrom auf digitale Weise erzeugen, gesteuert von den "Antriebssteuergeräten", die die Sinusformen als "Modell" vorgeben. Stell' Dir bitte eine Sinuskurve vor, die in digitalisierter Form "in Stücken" dargestellt wird. Je kleiner die Drehzahl, desto höher muß die Bitrate sein, damit's nicht ruckelt. Man spricht im unteren Geschwindigkeitsbereich von der "Freien Taktung", d.h., floatende hohe Bitrate. Bei etwa 20 - 30 km/h folgt die "Siebenfach-Taktung" = 7 bit, dann kommen die "Fünffach-Taktung" = 5 bit, und ab etwa 90 - 100 km/h folgt die "Dreifach-Taktung" = 3 bit (Daten E 120). Eine positive oder negative Halbwelle wird also jeweils an vielen, 7, 5 oder 3 Punkten definiert (Nyquist-Theorem). Das ist mit einem CD-Player vergleichbar, der den Sinus ebenfalls "stückweise" darstellt, dort mit 16 bit/44,1 kHz.
Im Bremsbetrieb wird die Statorfelddrehzahl hinter die des Rotors zurückgenommen, in dessen Hochstabläufer nun durch Schneiden der Feldlinien Strom induziert wird. Wie nimmt man diesen zur Stromrückspeisung ab? Die elektronische Steuerung erkennt, daß notwendigerweise stets mindestens zwei Feldwicklungen im Nulldurchgang sind - und in diesen Nulldurchgang schaltet sie die Rotor-Induktionsspannung, so, daß der niederohmige Rotor wie das Jochblech eines Transformators funktioniert, d.h., eine aktive Statorwicklung induziert über den Rotor als Jochblech ihre Spannung in eine, die sich im Nulldurchgang der Phase befindet und aus dieser Wicklung wird der Nutzstrom abgenommen, über die Pulswechselrichter auf die erforderlichen Werte gebracht und gleichgerichtet, in den Zwischenkreis eingespeist und von dort gelangt der Bremsstrom in die Vierquadrantensteller, die nun als Wechselrichter arbeiten und die Wechselspannung der Sekundärwicklung des Trafos zuführen, diese induziert sie in die Primärwicklung und von dort geht's in die Fahrleitung. Vierquadrantensteller: Diese müssen vier Faktoren regeln: 1) Im Fahrbetrieb konstante Gleichspannung für die Pulswechselrichter erzeugen, 2) Phasenlage konstant halten, 3) im Bremsbetrieb die exakt benötigte Spannung rausgeben, 4) die momentane Phasenlage mit der der Fahrleitung synchronisieren.
Soweit die grundsätzliche Funktion in starker Verkürzung.
Ich hoffe das du nicht der Lokführer bist der hier die akrobatische einlage macht!
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 12:55 ]
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 12:56 ]
Hallo Eduard,
das nenne ich Situationskomik! In der Tat, vom hinteren Führerstand wär's sofort klar gewesen. Doch manchmal ist man vernagelt. Gut, daß damals an jenem Wintermorgen niemand bei mir im Führerraum war...!
Münster HBf - so sah er schon zu meiner Zeit aus - oder ist es ein älteres Photo?
Beste Grüße: Kurt
[ Editiert von Oldie_Kurt am 10.02.14 17:15 ]
Hallo Kurt, ist ein älteres Foto! Bei DSO im Historischem forum, dürfen nur bilder rein die Älter als 10 Jahre sind! Unter dem zweiten bild steht es " Münster Oktober 1986 "
[ Editiert von maquetista15 am 10.02.14 18:32 ]
Gruß Eduard Ich steuere mit der MOBASBS Bastel lange und in Frieden
Ein Drehstrom-Asynchronmotor läuft mit einem gewissen Schlupf der Drehzahl des umlaufenden Statorfeldes hinterher. Dieses kann durch Vertauschen einer Phase in der Drehrichtung umgekehrt werden; die Ankerdrehzahl folgt nach wie zuvor, die Leistung bleibt gleich.
Gibt es dabei einen Trick??? Weil in diesen Versuchen im Unterricht haben die kleinen Kurzschlußläufer es eben nicht gemacht. Sie liefen langsamer und hatten nicht mehr die volle Leistung bei vertauschten Phasen. Wie eben erwähnt, es waren Unterrichtsversuche. Und soviele Varianten beim vertauschen der Phasen gibt es ja auch nicht.
Zitat Im Bremsbetrieb wird die Statorfelddrehzahl hinter die des Rotors zurückgenommen, in dessen Hochstabläufer nun durch Schneiden der Feldlinien Strom induziert wird. Wie nimmt man diesen zur Stromrückspeisung ab? Die elektronische Steuerung erkennt, daß notwendigerweise stets mindestens zwei Feldwicklungen im Nulldurchgang sind - und in diesen Nulldurchgang schaltet sie die Rotor-Induktionsspannung, so, daß der niederohmige Rotor wie das Jochblech eines Transformators funktioniert, d.h., eine aktive Statorwicklung induziert über den Rotor als Jochblech ihre Spannung in eine, die sich im Nulldurchgang der Phase befindet und aus dieser Wicklung wird der Nutzstrom abgenommen, über die Pulswechselrichter auf die erforderlichen Werte gebracht und gleichgerichtet, in den Zwischenkreis eingespeist und von dort gelangt der Bremsstrom in die Vierquadrantensteller, die nun als Wechselrichter arbeiten und die Wechselspannung der Sekundärwicklung des Trafos zuführen, diese induziert sie in die Primärwicklung und von dort geht's in die Fahrleitung.
Aja, das ist verständlich und erklärt auch, warum "fremderregt", die aktive Spule. Das Jochblech des Kurzschlußläufers fungiert in dem Moment als Induktionsfeldübertragung von der einen Spule zur nächsten. Durch die Drehbewegung erhält man zudem das veränderliche Feld, welches die Spule erregt. Und je höher der abgegriffene Induktionsstrom ist desto hemmender die Drehbewegung des Läufers bei der Übertragung der Induktion, folglich mehr Bremskraft... Ja das macht Sinn. Berichtige mich bitte, wenn ich falsch liege, Kurt!
Zitat Vierquadrantensteller: Diese müssen vier Faktoren regeln: 1) Im Fahrbetrieb konstante Gleichspannung für die Pulswechselrichter erzeugen, 2) Phasenlage konstant halten, 3) im Bremsbetrieb die exakt benötigte Spannung rausgeben, 4) die momentane Phasenlage mit der der Fahrleitung synchronisieren.
Soweit die grundsätzliche Funktion in starker Verkürzung.
Beste Grüße: Kurt
Das ist auch in etwa aus der Solartechnik geläufig. So wurde es uns beiläufig zu verstehen gegeben. Der Zwischenkreis arbeitet m.w.n. mit 2800 V. Die Fahrmotoren wiederum mit 1200 V. Also dürften die Pulswechselrichter die Spannungsbereitstellung auch nochmal begrenzen. Der Zwischenkreis erschließt sich mir als nichts anderes, als zugroß geratene Kondensatoren als Speichermedium.
Schade, ich hatte letztes Jahr ausgebaute Speichermedien von Drehstromloks in Mannheim fotografiert. Das Bild ist aber nicht mehr auf meinem Rechner. Sonst hätte ich es gleich mal hier eingestellt...
Aber danke ich Dir, Kurt, für die Erklärung. Wie gesagt, wenn ich falsch liege, Deine Ausführungen verstanden zuhaben, sage es mir bitte.
Drehstrom kann zum Durchdrehen führen, komplizierte Materie.
Also: Ich kenne aus meiner Lehrzeit und praktischen Installationen (z.B. Lüftungsmotoren) nur die Aussage, daß sich die Drehrichtung eines Dreiphasen-Asynchronmotors umkehrt, wenn man eine der drei Phasen R, S, T vertauscht. In meiner Gesellenprüfungsarbeit mußte ich eine Wendeschütz-Schaltung machen, eben die Drehrichtungswahl (und Umkehrung) eines Drehstrommotors. Das war anno 1966 ... bitte um Verständnis, wenn ich keine Details mehr weiß... Ich glaube mich aber zu erinnern, daß über einen Schütz R, S, T und über den anderen T, S, R lief.
Elektronische Drehstromloks sind das Komplizierteste, was auf Schienen rumfährt. Als ich im Jahre 1982 als Lotse eine bayerische E 16 nach Aachen zum elektrifizierten Abstellgleis der Technischen Hochschule lotste und dort Herrn Prof. Dr. Sattler übergab, fragte ich, was mit der E 16 geschehen solle. "Wir machen über deren Trafo die Grundlagenforschung für eine neuartige Dreiphasenlok der Bundesbahn..." Und jetzt haben wir sie.
Noch eins: Das mit der Rücknahme des Statordrehfeldes hinter die Rotordrehzahl zwecks Bremsstromerzeugung muß nicht unbedingt sein. (Verflixt, die Zeit, allerhand vergessen!) Theoretisch müßte es auch möglich sein, bei Eintreffen eines Bremsbefehls lediglich über den Rotor als Trafojochblech Ströme in die Wicklungen zu induzieren, die im Nulldurchgang sind. Das erforderte Energie zur Felderregung und würde die Tatsache erklären, daß die Bremsleistung stets geringer ist als die Zugkraft. Ich habe die "Arbeitsmappe E 120" hier liegen und sie heute morgen durchgesehen - über die Funktion der E-Bremse kein Wort, nur ein Verweis auf eine Druckschrift der GDL. Und in der - das weiß ich noch hundertprozentig genau - stand das mit der Rücknahme des Statordrehfeldes. Die so geschnittenen Feldlinien würden die Bremskraft erzeugen. Quatsch - das wäre eine "Rolltreppenbremse" (läuft rauf wie runter, beladen, unbeladen, gleich schnell, Strom wird in Wärme umgesetzt, denn er kann ja nirgends zur Rückspeisung abgenommen werden).
Das ist eine echte Wissenschaft und es wird auch nirgends erklärt. In Fulda (ICE-Aubildung) stellte ich testweise die Frage nach der Drehstrom-Nutzbremse. Der Ausbilder erklärte in schönster Unkenntnis die Funktion der Phasenanschnittsteuerung...
Halten wir fest: Die technisch einzig logische Möglichkeit, aus einem kollektorlosen Motor Strom abzugreifen, ist die Jochblech-Funktion. Das ist klar. Und letzten Endes ist es uns doch egal, ob der Rest mit Felddrehzahlreduktion oder Fremderrregung abläuft - wir wissen prinzipiell, wie der Hase läuft. Und das ist für die Praxis im Fahrdienst mehr als genug, denn diverse Ausbilder (siehe oben) wissen eher weniger...
Beste Grüße: Kurt
Nachtrag: Das mit dem Gleichstromzwischenkreis siehst Du richtig - der ist letzten Endes ein "Energiepuffer", der als fester Dreh- und Angelpunkt notwendig ist. Und um die Sache noch lustiger zu machen, sollten wir das Störstromfilter nicht vergessen. Die 120 hatte sowas, ob es heute noch üblich ist, weiß ich nicht. Drehstrom macht Laune...
Störstromfilter gibt es selbstverständlich auch auf modernen Drehstromloks. Besonders schön ists immer gewesen wenn eine 1044 neben einer 185 stand und den Hauptschalter einschaltete... Das quittierte die 185 mit HS AUS - 100Hz Störstromüberwachung hatte angesprochen.
Also nichts unübliches
Viele Grüße Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
schöne Wechselwirkungen - sowas konnte meine Lieblingslok, die E 120, auch ganz gut.
Es wurde erzählt, daß die vier Prototypen noch ohne Störstromfilter unterwegs waren und gerüchteweise hätten die digitalen Taktfrequenzen in Koblenz HBf mal zu heftigen Signalstörungen geführt. Wie gesagt: Das habe ich irgendwann mal gehört. Fazit: Der Weg zum Drehstrom war steinig.
nun habe ich bis dato, „querbeet“ wie man so schön sagt, bereits zahlreiche Erlebnisse aus meiner Lokführerzeit und der vorangegangenen Ausbildung erzählt. Dabei erwähnte ich mehrfach die Bundesbahnschulen Troisdorf und Kassel, wahre Institutionen der alten Bundesbahn. Sicher ist es sinnvoll, ein wenig über diese Ausbildungsstätten zu sagen, denn einerseits öffnet dies neue Blickwinkel, andererseits gab es in den Schulen und deren Umfeld etliche Vorkommnisse, die teils beträchtliche Situationskomik besaßen. Wie so oft, erschloß sich manchmal die Humorkomponente erst aus der zeitlichen Entfernung…
Impressionen aus der DB-Schule Troisdorf, 1971 Die Troisdorfer Schule lag unmittelbar am Rangierbahnhof und – wenn ich mich recht entsinne – etwa zehn bis fünfzehn Fußwegminuten vom Personenbahnhof entfernt. Das rechtsrheinische Troisdorf, eine mittelgroße Stadt und so etwas wie ein industrieller Zentralpunkt, beherbergt die Dynamit Nobel, eine Industriebahn stellt die Verbindung zu Raffineriebetrieben und sonstigen Gewerbeansiedlungen her, zudem zweigt von der rechten Rheinstrecke die Bahnstrecke ins Siegerland ab. Es war mithin allerhand los. Letzteres galt auch für die Bundesbahnschule – Erwachsenenbildung stellt ein ganz spezielles Thema dar, nicht zuletzt, wenn selbige internatsmäßig erfolgt. In Troisdorf war damals die Raumnot beherrschendes Element; die notwendigen Unterkünfte befanden sich teilweise in eingeschossigen Bauten in unmittelbarer Nähe des Güterbahnhofs und wiesen den Komfort altpreußischer Kasernen auf. Die Kantine dagegen war richtig gut: über die Qualität von Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie den meist offerierten Nachmittagskaffee gab es praktisch nur Positives zu sagen – von seltenen Ausnahmen mal abgesehen. Die Unterrichtsmaterialien durfte man schlicht gesagt vorzüglich nennen; es gab Modelle für alles und jedes, Experimentieraufbauten á la Physikunterricht und – faszinierend – eine nahezu komplette E 110 in ihren einzelnen Bauteilen. Die Dieselloksparte war mit ebenfalls vielzahligen Unterrichtsstücken vertreten, was ungeschmälert auch für die betriebsdienstliche Seite galt, kurzum, eine bestausgerüstete Schule, in der man was lernen konnte. Nicht zuletzt war das „Lernenkönnen“ auch Verdienst erstklassiger Lehrkräfte, die den Unterrichtsstoff ebenso detailliert wie verständlich rüberbrachten und sich meistenteils für einen auflockernden Scherz zugänglich zeigten. Sie haben uns damals die Fakten dermaßen gekonnt in die Köpfe gepflanzt, daß ich mich noch heute, mehr als 40 Jahre später, teilweise wörtlich an viele Dinge erinnere.
Ich könnte einen regelrechten Roman über die Erlebnisse in Troisdorf schreiben; doch lassen wir die Kuh im Dorf, womit ich sagen will, daß ich am besten in kurzen Anekdoten Einblicke in das seinerzeitige Geschehen vermittele.
Als unsere „Truppe“, eine verschworene Gemeinschaft von 22 oder 23 Mann (sorry, die vergangene Zeit…), die sich selbstlobenderweise (es tat ja kein anderer) als „weltbesten Lokführerlehrgang aller Zeiten“ bezeichnete, in Troisdorf zum ersten vierwöchigen Lehrgang „Diesellokomotiven“ eintraf, gab’s zunächst mal Zoff: Die Jungs hatten mich anläßlich des einführenden Lehrganges Betriebsdienst (in Düsseldorf) 1970 zum Klassensprecher gewählt, wohl weil ich das frechste Maul besaß. Jedenfalls mußte ich in Troisdorf sogleich zum Büro der Schulverwaltung eilen, weil die Kollegen sich über einen Paragraphen der Hausordnung mokierten, gegen den ich unser Veto vorbringen sollte. Ich zitiere § 8 der Hausordnung: „Außerhalb der Schulgebäude ist vollständige Kleidung und Schuhwerk zu tragen.“ Wir empfanden das als schlichte Unverschämtheit und implizite persönliche Diffamierung. Ich also zur Verwaltung, wo mir dann ein Beamter gegenübersaß, wie er in Witzblättern nicht trefflicher hätte dargestellt werden können. Nennen wir ihn Eichbaum, er war rotgesichtig und es fehlten ihm nur die Ärmelschoner. Auf meine Vorhaltungen, der genannte Paragraph sei schlicht eine Herabsetzung der Schüler, denen man das geistige Potential abspreche, zu wissen, daß der normale Mitteleuropäer draußen Kleidung und Schuhe trage, erwiderte er: „Was glauben Sie, was wir hier schon alles erlebt haben!“ Ich kann und will an dieser Stelle nicht die gesamte längliche Diskussion schildern, doch letztendlich kamen wir zu einem Kompromiß: Die Schulverwaltung erklärt, mit diesem Paragraphen nicht unseren Lehrgang, Bewerbungsaufruf 9/69, gemeint zu haben. Wir, die Lehrgangsteilnehmer, akzeptieren § 8 insoweit, nicht ohne Kleidung und Schuhe das Haus zu verlassen. So – das könnt Ihr nun glauben oder nicht: Darüber wurde ein Schriftstück aufgesetzt, mit zwei Durchschlägen, unterschrieben von Herrn Eichbaum und mir in Vertretung der Klasse und mit dem Stempel der Schule versehen. Leider ist dieses unikate Dokument den Zeitläuften zum Opfer gefallen, zu Deutsch: verschwunden. Im Laufe der Wochen versorgte ich Herrn Eichbaum mit etlichen Pseudovorschriften, die ich als Sammelwerk „Ergänzungsheft zur Sammlung betrieblicher Vorschriften (ESBV)“ benannte. Die SBV, Sammlung betrieblicher Vorschriften, gab’s tatsächlich, also mußte eine Ergänzung her.
Auf dem Titelblatt standen Verteilungsplan und einsichtnehmende Personen, wie es sich für eine richtige Vorschrift gehörte. Ich darf zur Erheiterung speziell der hier mitlesenden Berufskollegen einiges zitieren:
§ 1 – Fahren auf eingleisigen Strecken
(1) Eingleisige Nebenbahnen gelten im Betriebsdienst als zweigleisig, solange nur ein Zug unterwegs ist. Sind mehr Züge unterwegs oder ist dies im Verlaufe der Fahrt zu erwarten, ist gemäß § 1 (2) zu verfahren.
(2) Begegnen sich auf einer eingleisigen Strecke zwei Züge (z.B. wenn die Verständigung zwischen den Zugmeldestellen gestört ist), so hat der Zug vorzufahren, d.h., seine ursprüngliche Fahrtrichtung beizubehalten, dessen Lokomotivführer den höheren Dienstrang besitzt. Die Zugführer (Zf) stellen dies fest; der Zf des ranghöheren Lokomotivführers stellt dem Lokf. einen Befehl Be aus mit dem Wortlaut: „Zug xxxx folgt zurücksetzendem Zug xxxx von Adorf bis Bstadt und fährt ggf. am Halt zeigenden Einfahrsignal vorbei.“
(3) Kommt es bei diesem Verfahren zu einem Unfall, trägt immer der jeweils rangniedrigere Lokomotivführer die Schuld.
§ 3 – Verhalten des Lokpersonals bei abhanden gekommener Lokomotive
(1) Wird auf einem Unterwegsbahnhof von zwielichtigen Elementen die Lokomotive gestohlen, ist der Fahrdienstleiter umgehend zu benachrichtigen.
(2) Dieser verständigt die Zugleitung, die Heimatdienststelle der gestohlenen Lok, die Bahnpolizei, die Gendarmerie und ggf. die Mordkommission.
(3) Der örtliche Schrankenwärter entscheidet, ob der Zug auf eine Ersatzlok wartet, oder ob als Triebfahrzeug ersatzweise ein Traktor oder die örtliche E-Karre verwendet wird. Bei Verwendung der E-Karre ist der Bediener für den ordnungsgemäßen Ladezustand der Batterien voll verantwortlich.
§ 4 – Überführungsfahrten nach Bayern
(1) Als Überführungsfahrten im Sinne dieser ESBV gelten alle Fahrten, bei denen die Grenzen des Freistaates Bayern überschritten werden, sei es mit LZ-Fahrten oder kompletten Zügen. Fahrzeuge, die länger als 1 Std, 36 min, 22 sek in bayerischen Gefilden zubringen, sind mit dem Signal Bay 7 (blaue liegende Raute auf weißem Grund, rechteckig 34,6 auf 20 cm, nachts zu beleuchten) kenntlich zu machen.
Und so weiter und so fort. Diese „Vorschriften“ hängte ich als Durchschlag ans Schwarze Brett, wo Eichbaum sie fand, abriß, mit ihnen von Klasse zu Klasse rannte und beim Eintreten hochroten Kopfes wütend fragte, „wer diese neuerliche Schmiererei verfaßt habe“. Doch, Bürokraten wußten wir zu beschäftigen.
Wir erhielten sämtliche Pläne der Lokomotiven V 60, V 90, V 100 und V 215 – als Schwarz/Weiß-Drucke, die eigenhändig unter Anleitung der Lehrer nach bestimmten Codierungssystemen farbig auszugestalten waren. Das galt für elektrische Schaltpläne ebenso wie für solche der Öl- und Kühlwasserkreisläufe, der Druckluftanlagen und hydraulischen Einrichtungen, wobei die Voith-Getriebe eine echte Wissenschaft darstellten. Stand (jetzt bei der Elektrik) ein Strom nur zeitweise an (Schaltimpuls), mußte die betreffende Leitung mit der jeweiligen Codefarbe gestrichelt nachgezogen, Dauerströme dagegen durchgezogen dargestellt werden. Das galt für sämtliche anderen Sparten gleichermaßen; bei „Luft und Wasser“ gab es wegen der Zeichnungsquerschnitte richtige Ausmalorgien. Wurden die Pläne durchgearbeitet, fiel es den Motoren- und Maschinenschlossern unter uns anfangs schwer, elektrische Schaltungen zu verstehen. Amtslehrer B. empfahl: „Geben Sie mal Wasser drauf!“ Und siehe da: Das wurde rasch verstanden. Bei Öl, Luft und Wasser fragte ich (Elektriker): „Darf ich Strom draufgeben?“ – Und ich kapierte die mir zunächst in der gezeichneten Theorie fremde Welt viel schneller.
Oder die lange Mittagspause: Die Kantine besaß nur ein begrenztes Sitzplatzkontingent, weshalb die zahlreichen Schüler (es fanden stets mehrere Lehrgänge gleichzeitig statt), in Gruppen aufgeteilt werden mußten. Da auch die „Lehrkörper“ was essen mußten, ergab es sich, daß wir über Mittag zweieinhalb Stunden Leerlauf hatten. Den nutzte ich eines Tages und zeichnete akribisch und mit viel Farbkreide den „Telefunken-Umweltschutzklo“ an die Tafel, vollflächig; die WC-Schüssel (so ungefähr das einzige, was ich zeichnen konnte) und jede Menge Relais, Ventile und farbige Leitungen. Es gab die Exkrementewiegeeinrichtung, das „Spülwiederholrelais mit Hochdruckventil 20 bar“, gestrichelten Strom, gestricheltes Wasser und vieles mehr – ein wahres Kunstwerk, das den Lehrkörper gleichwohl nicht wirklich erfreute…
Wie bereits erwähnt, waren die Lehrer erstklassig. Doch es zählte wohl zur Unvermeidlichkeit, daß ein „Ausreißer“ dabei war: der etwas cholerische ältere Amtslehrer K., verpuselt bis zum geht-nicht-mehr. Witze verstand er erst, nachdem sie erklärt wurden und mit dem rheinischen laissez faire hatte er auch seine Probleme, denn er war einer, der „rübergemocht“ hatte. Irgendwann, nachdem Kollege H., gebürtig aus und wohnhaft in Birkesdorf (bei Düren), jenem Ort, der durch den Song „Buuredantz“ der Bläck Föss weite Bekanntheit erhielt, im Rahmen einer betriebsdienstlichen Diskussion mal wieder das Sh-Formsignal guttural als „Kllappschief“ (Klappscheibe) bezeichnet hatte, sagte Amtslehrer K, man solle Dialekte nicht bei fachlichen Gesprächen benutzen, weil dadurch oft Unverständnis entstehe und wir möchten uns bitte ihn zum Beispiel nehmen, denn: „… glor bin’sch e Sochse, ob’r dodaal ogglimaddisierd, hörd geener, wo’sch hergomm‘n du…“ Angesichts der Persönlichkeitsstruktur des K. weiß ich bis heute nicht, ob er das wirklich ernst gemeint hatte.
Dem Amtslehrer K. verschaffte einer unserer Mannschaft, der Kollege St., eines Tages den „Schrecken der Woche“. Wie er es fertigbrachte, weiß ich nicht, jedenfalls konnte St. zwischen Vorderzähnen und Lippen ein beachtlich lautes Geräusch erzeugen, das exakt wie ein Kurzschluß bei hoher Stromstärke klang, diese Mischung aus Zischen und Knall. Der gute K. stellte den Versuchsaufbau zur Darstellung von Strom und Spannung zusammen, bestehend aus Transformator, ohmschem Widerstand und jenen riesengroßen, für den Unterrichtsgebrauch konzipierten Meßgeräten: je ein Volt- und Ampèremeter, deren Skalen auch aus Entfernungen von mehreren Metern deutlich ablesbar waren. Hier ’ne Strippe, dort noch eine … St., wie ich in der ersten Reihe sitzend, wartete grinsend auf den passenden Moment – der kam, als Amtlehrer K. den letzten Stecker stöpseln wollte: „zschpffk“, machte es laut und K. ließ wie von der Tarantel gestochen den Stecker fallen, tat einen Sprung nach hinten und war dermaßen erschrocken, daß er blaß wurde. Schallendes Gelächter. K., total sauer, legte eine halbstündige Pause ein; den Rest des Tages sprach er nicht mehr mit uns, das heißt, er spulte seinen Unterrichtstörn ab, reagierte jedoch auf keine Frage. Jung und flausig wie wir waren, hatte niemand daran gedacht, daß ein solcher Schrecken durchaus Folgen hätte haben können, Herz und so…
In der Bundesbahnschule war es üblich, einen Nachmittag unterrichtsfrei zu gestalten und in dieser Zeit örtliche Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Unser Klassenlehrer, ein etwas trockener, aber vorzüglicher Fachmann (Diplom-Ingenieur), schlug in der entsprechenden Abstimmung vor, den Kölner Dom zu besuchen, dort stünde – neben anderen Devotionalien – der Schrein mit den Gebeinen der Heiligen drei Könige. Einwurf des Kollegen O. aus Stolberg bei Aachen: „Wat jenn misch denne ihr Knauuchen aan?“ (Was gehen mich denen ihre Knochen an?) Lachsalve. Ich muß noch erwähnen, daß Kollege O., mit seinen damals 40 Jahren der Zweitälteste unseres Haufens, Boxmeister im Schwergewicht war und aussah wie der Bullenbeißerhund in Trickfilmen. Doch das Äußere trog, O. war ein „sanfter Riese“, der nur gefährlich aussah. Allerdings konnte er ganz schön massiv werden, wenn es galt, „seinen“ Leuten zu helfen: Wir hatten abends in einer Kneipe allerhand zu uns genommen, als ein Typ mich anmachen wollte. O. stand auf, nahm den Kerl beim Gürtel, hob ihn wie eine Flaumfeder hoch und setzte ihn auf die Straße. „Der faß‘ ming Junge net mie aan, wa?!“ (Der faßt meine Jungs nicht mehr an!) Seine tiefe, dröhnende Reibeisenstimme sorgte für zusätzlichen Respekt beim Gegner. Zurück in die Klasse und zur Diskussion über den freien Nachmittag. Der Kölner Dom und die „Knauuchen“ waren „gestorben“, welche Aktion könnte ersatzweise steigen? Mein Vorschlag, eine Wanderung nach Friedrich-Wilhelms-Hütte zu machen (da gab es absolut nichts zu sehen, es war daher als Witz zu verstehen), traf nicht auf Gegenliebe beim „Lehrkörper“, wie wir den Amtslehrer titulierten – er hatte es ernstgenommen. Endlich: „Meine Herren, nicht weit von hier, in Porz-Wahn, ist doch unlängst der neue Flughafen Köln/Bonn eröffnet worden. Wollen wir den besichtigen?“ Allgemeine begeisterte Zustimmung. Zwei Tage später fuhren wir mit dem Linienbus zum Flughafen; der Lehrer hatte sich umfassend kundig gemacht und konnte uns zahlreiche Besonderheiten des Airports nennen. Nun waren die frühen siebziger Jahre leider stark vom Terrorismus der „Rote Armee Faktion“ geprägt, weshalb zahlreiche Sicherheitskräfte jeden Winkel des Flughafens im Auge behielten. In irgendeinem umfangreichen Treppenhaus sagte O. mit seiner Bärenstimme: „Gib mir die Bombe!“ Ich wäre vor Schreck beinahe zusammengebrochen und zischte O. zu, er solle bloß keine weiteren „Scherze“ dieser Art von sich geben! Glücklicherweise hatte niemand von den Sicherheitspersonalen O.s faulen Witz mitbekommen. Kollege O. meinte auf meine weiteren Vorhaltungen, er sei noch nie verhaftet worden und das sei doch sicher eine spannende Erfahrung.
Ja, ich habe schon was mitgemacht, damals, als Klassensprecher … und wenn ich glaubte, dicker könne es nicht kommen, hatte ich die Rechnung ohne den Wirt kalkuliert, soll heißen: Im Sommer 1972 war unser Lehrgang für vier Wochen in der Bundesbahnschule Kassel, genauer gesagt, die ersten drei Wochen in der Aschrottstraße, zum Schluß – es gab mal wieder Dispositionsprobleme – quartierte man uns für die letzte Woche im Schulgebäude Wilhelmshöhe ein. An beiden Örtlichkeiten geschahen Dinge, die sich teilweise nur mit der Vokabel "haarsträubend" bezeichnen lassen.
Wie steht’s unter vielen Krimis: Fortsetzung folgt.
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06.02.2014 08:53
Antworten
. Ich bin ja von Hause aus auch extrem neu- und wissbegierig. Und wenn ich mich auf meinen schulisch - technischen Unterricht, ESP, TZ und PA, in der Neptunwerft zu DDR - Zeiten zurück entsinne, hatte man uns beigebracht, das ein Drehstromasynchronmotor nur in einer Richtung mit voller Leistung dem Feld "hinterher rennt"! Man kann ihn aber auch durch Phasentausch in entgegengesetzte Richtung zum drehen bringen. Jedoch nicht mehr mit der Geschwindigkeit und Leistung wie bei richtig gepoltem Drehfeld.
Und danach waren sicher auch die Beförderungsfälle in der S-Bahn wach.
titulieren. Allerdings ist das nicht auf meinem Mist gewachsen...
Und die "Beförderungsfälle" kommen aus der Online - Plattform DSO. Haben sich die Reisenden dort selbst gegeben 
. Wo es tatsächlich herstammt, entzieht sich meiner Kenntnis.
