Zitat von Oldie_Kurt im Beitrag #1398Sicher ist Dir aufgefallen, daß ich mich im Lokführerbuch "Kurt Berghoven" nenne. ... Wenn man so will, schreibe ich pseudonym unter Klarname.
heute morgen, beim Kaffee, entschloß ich mich, noch eine weitere völlig abgedrehte Geschichte, die kaum zu glauben ist, exklusiv hier zu veröffentlichen. Fürs Buch wäre sie nicht so recht geignet gewesen, weil sie thematisch etwas aus dem Rahmen fällt: Die Hauptrolle spielt ein Werkmeister, der eine unglaubliche Aktion durchzog, bei welcher sogar die Bahnpolizei München mitwirkte... Demnächst mehr auf dieser Welle.
Von Deinen Geschichten kann man ja nicht genug bekommen. Ich habe mich eigentlich für einen Suchtresistenten Menschen gehalten, aber Deine Storys haben wirklich Suchtpotential.
auch das ist eine Geschichte, die ich im Buch nicht veröffentlichen wollte, einerseits, weil sie etwas vom Thema abweicht und von Bahnmitarbeitern erzählt, die keine Lokführer waren, andererseits ist sie ziemlich „heftig“ – und vermutlich glaubt das mal wieder kein Mensch. Doch bei Gott und der Bahn ist nichts unmöglich...
Ein Deutzerfelder Werkmeister, der gerne Wochenendtouren mit Kollegen unternahm – per Bahn, versteht sich –, plante eine Reise zum Walchenseekraftwerk in Bayern. Dort wird nicht nur Strom für das öffentliche Netz erzeugt, sondern mit speziellen Generatoren (16,7 Hz) auch Bahnstrom. Das Kraftwerk, vor vielen Jahren gebaut, ist fraglos ein Beispiel für große Ingenieurleistungen und unbedingt sehenswert. So wunderte es niemanden, daß der Werkmeister es eingehend besichtigen wollte. Nun wäre jener Werkmeister – ich nenne ihn nachfolgend A. oder Kollege A. – sich selbst untreu geworden, hätte er diese Tour nicht mit einem massiven Streich verbunden; er mußte ab und an einfach jemanden satt auf die Rolle legen. Wie bringe ich das jetzt am besten rüber...? Ich schreibe einfach wieder den Film ab, der im Hinterkopf läuft.
Paßkontrolle Ich hatte Acht-Uhr-Bereitschaft und sollte gegen 11:00 Uhr eine E 110 aus der Nachschau-Werkstatt holen; die Lok mußte lediglich im Vorfeld für eine mittags beginnende Zugleistung bereitgestellt werden. Das war deshalb mein Job und nicht ein solcher der Werkstatt, weil für die Zugfahrt die Buchfahrpläne zurechtzulegen waren, denn der übernehmende Kollege würde wegen einer Stellwerksstörung mit sehr knappem Übergang eintreffen. Auf diese Weise fand er die betriebsbereite Lok vor; die anderenfalls entstandene Verspätung ließ sich solchermaßen minimieren, vielleicht sogar vermeiden. Die Lok stellte ich aufgerüstet mit angezogener Handbremse im Ausfahrgleis 2 direkt neben die Wechselsprechanlage – der zu spät eintreffende Kollege konnte also ohne Verzögerungen den Fahrdienstleiter Deutzerfeld ansprechen und an den Zug fahren. Es bestand hernach kein Grund zu Hektik, die Lokleitung wußte, wo ich war, folglich durfte ich mir ein Schwätzchen mit dem Werkmeister Nachschau, Kollege A., leisten. In seinem Büro war er nicht, hmm, wo trieb er sich herum? Ich schaute mich in der großen Halle um, und da sah ich ihn, rückseitig an der fast neuen Unterflurdrehbank, zusammen mit einigen Werkstattleuten, zuweilen leuchtete ein Blitzlicht auf. Klar, A., der passionierte Photograph, frönte seinem Hobby. ‚Was lichtet er da bloß ab?‘, fragte ich mich, denn die Unterflurdrehbank hatte er bereits bis zur Erschöpfung aus allen Blickwinkeln photographiert und seiner Diasammlung einverleibt. Nun sah er mich, winkte mir zu und rief: „Kurt, kumm‘ens her!“ (Komm mal her). Natürlich eilte ich zu ihm, bestimmt gab es wieder irgendeine Aktion. Kollege A., mit einem seiner drei Photoapparate bewaffnet, machte, wie ich hinzutretend sah, Bilder von mehreren seiner Schlosser und Elektriker. Der jeweils Portraitierte setzte einen bayerischen Seppelhut auf, Blitz, der nächste, ebenfalls mit diesem Hut. „Setz‘ dat Dingen op, ich maach‘ uch’e Photo von dir“, sagte A. zu mir. Grinsend stülpte ich mir den Bayernhut auf, Blitzlicht, und ich befand mich in A.s Archiv mit Photos rund um das BW Deutzerfeld, seine Personale, seine Besonderheiten. Für sowas besaß er einen sicheren Blick – mir wäre es nie in den Sinn gekommen, einen Weichenhebel im Gegenlicht zu photographieren, doch A. war diesbezüglich künstlerisch sehr begabt: dieses Bild wirkte faszinierend, wirklich eindrucksvoll; da mußte man erstmal drauf kommen, sowas auf diese Weise im Wortsinne ins rechte Licht zu rücken. „Was hast du wieder vor?“, fragte ich. „Kumm’ens met, ich vazäll de jet.“ (Komm mal mit, ich erzähle dir was.)
(Im weiteren Verlauf der wörtlichen Rede lasse ich aus Gründen der Übersichtlichkeit den kölschen Dialekt weg, schreibe Klartext.)
„Du weißt, wir fahren mit einer Gruppe von Kollegen aus der Werkstatt übernächstes Wochenende zum Walchenseekraftwerk...“ „Klar, hast du mir erzählt. Ich würde mitfahren, doch ich kenne das Kraftwerk schon und außerdem wäre mir das zu stressig – schließlich bin ich ja dauernd auf Achse, da ist es schön, wenn man mal keine Räder rollen hört.“ „Kann ich verstehen – aber trotzdem versäumst du was.“ „Du hast wieder eine Fieslichkeit ausgekocht...?“ „Logisch! Die Bilder, die ich eben gemacht habe, gehören dazu. Und die Stempelwerkstatt der BD Köln hat auch bereits geliefert! Jetzt brauche ich nur noch wen, der die Formulare sauber fabriziert.“ Ich mußte ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt haben, denn A. brach in Lachen aus und meinte: „Jetzt verstehst du nur Bahnhof, wie?“ Das gab ich unumwunden zu. Und A. erklärte mir: „Die Fahrt verbinden wir mit einer massiven Vereierung. Ich habe den acht oder neun Mann, die mitfahren, gesagt, der bayerische Innenminister Gauweiler...“ „Der hat doch unlängst den wüsten Plan ausgekocht, AIDS-Infizierte auf einer Chiemsee-Insel zu ghettoisieren?“ „Richtig! Das ist die Basis meines Plans: Ich habe rumerzählt, detailliert dann während des Treffens unserer Reisegruppe im Brauhaus Früh, der Gauweiler habe durchgesetzt, daß Bayern nur mit einem gültigen AIDS-Unbedenklichkeitspaß betreten werden darf. Das Dokument heißt ‚Bayernpaß‘ und wird nach Untersuchung durch einen Amtsarzt an den Antragsteller ausgegeben – so ist das Gerücht konstruiert. An sämtlichen Grenzübergängen zum Freistaat fänden, so fabulierte ich, entsprechende Kontrollen statt. Wie bei sonstigen Grenzübertritten üblich, fahren in Zügen natürlich Grenzschutzbeamte mit – ab Aschaffenburg eben die bayerischen Beamten, die bei vorgeblich sämtlichen Reisenden überprüfen, ob die Pässe vorhanden und gültig sind. Natürlich geschieht das nur in unseren zwei oder drei Abteilen.“ (A. fuhr ungern in Großraumwagen, bevorzugte Abteilwagen, die auch in den ICs mitgeführt wurden.) „Uff – kapiere ich noch nicht ganz ... wie willst du das in der Praxis durchziehen?“ Werkmeister A. grinste wie ein Honigkuchenpferd: „Kein Problem, ‘n bißchen Überlegung und etliche BASA-Telephonate, die kosten ja nix. Also: Ich kenne einen Schlosser im AW Opladen, der sammelt Eisenbahnuniformen...“ „Auch ein Hobby“, unterbrach ich spöttisch. „Ja, schon, aber gut für meinen Plan: Der Kerl besitzt eine kanadische Zugführer-Uniform. Mit der bekleidet und einer Umhängetasche an der Schulter, spielt er den bayerischen Grenzpolizisten...“ Ich mußte lachen, sah das vor mir. „Kurz vor Würzburg kommt er in den Wagen, wo wir acht oder neun Mann sitzen, öffnet die Abteiltüre und sagt: ‚Bayerische Grenzkontrolle – bitte die Bayernpässe!“ „Schön und gut, aber wo ist der Knackpunkt? Derlei Pässe gibt’s doch nicht.“ Kollege A. klärte mich auf: „Als wir die Tour konkret planten, neulich beim Früh-Kölsch, wie gesagt, vertiefte ich das Thema ‚Pässe‘, die Bayern würden wegen AIDS Grenzkontrollen durchführen und nur Reisende mit einem gültigen Unbedenklichkeitspaß, genannt Bayernpaß, dürften einreisen. Du kennst mich und weißt, daß ich sowas todernst verkaufen kann...“ „Allerdings, mich hast du ja auch schon zwei-, dreimal geleimt!“ „Und mußte die Rache aushalten!“ Kurzer Lacher, wir waren gute Kumpels und schoben zuweilen den einen oder anderen Blödsinn hin und her, wie jene Ansichtskarte aus Nürnberg, die ich ihm schickte, mit dem Text: „Von unserer Pegnitz-Kreuzfahrt mit der ‚MS Deutschland‘ senden wir Dir die herzlichsten Grüße! Unterschrift: Holger und Susilein.“ Er fuhr fort: „Also – alle glaubten den Quatsch, na ja, du kennst Jungs wie Geierleo, Eumel und Lutschohr, gute Schlosser, aber nicht gerade die Hellsten. Nur einer, der pfiffige Rudi, sagte, diesen Blödsinn glaube er nicht. Da könne ich von Paßpflicht reden, soviel ich wolle. Klar, er wisse, daß der Gauweiler bekloppte Maßnahmen wegen AIDS ergreifen wolle, aber die Bundesregierung spiele dabei garantiert nicht mit: Diskriminierung in großem Umfang, Ghettoisierung von Menschen – und das in Deutschland...! Die Bayern könnten nicht machen, was sie wollten, denn Bundesrecht bricht Landesrecht. Er kam nicht auf den doch naheliegenden Gedanken, daß ich fingierte Pässe herstellen und alle Mitfahrenden damit ausstatten wollte – nur eben den Rudi nicht. Anfangs betrachtete ich die ‚AIDS-Paß-Story‘ nur als Jeckerei für Pausengespräche, doch nun wird eine große Angelegenheit daraus, das ist regelrecht gewachsen... Die Reiseteilnehmer wissen alle Bescheid, denn als Rudi vorzeitig gegangen war, brachten wir den Plan auf den Punkt, legten den Ablauf genau fest. Die Jungs halten dicht, denn wir wollen den Rudi mal richtig langmachen – und der wird am Schluß mitlachen.“ „Hört sich gut an“, warf ich ein. „Könntest du mir dabei helfen? Ich habe – wie gesagt – bereits die Stempel, darunter einen großen runden, wo im Kreis zwischen zwei Linien der Slogan „In Bayern herrscht Ordnung“ steht, in der Mitte die bayerischen Rauten mit dem Löwen; vorne wird das Paßbild aufgeklebt: der Inhaber mit Seppelhut. Die Pässe schneide ich im Postkartenformat aus dem Karton von grünen Liegeheftern aus, die müssen beschriftet und anschließend einmal geknickt, also halbiert werden...“ „DIN-A8“, feixte ich. „Jo, du Ei! Sach‘ mal, könntest du dieses Beschriften mit deiner Textspeicher-Schreibmaschine machen? Ich meine: Linien für Rubriken ziehen, mit kleiner Schrift untertiteln?“ „Klar, gerne“, stimmte ich zu, „ich habe unter anderem ein Typenrad mit winziger Schrift, proportional, ungefähr Helvetia-6-Punkt.“ „Proportional? Was ist das?“ „Das Druckwerk der Maschine rückt die Buchstabenabstände entsprechend deren Breite, soll heißen: ein /i/ erhält weniger Rückungsweite als ein /w/. Das sieht aus wie Buchdruck und kommt zudem gestochen scharf.“ „Super! Nimmt die Maschine diesen Hartkarton an?“ „Ich denke schon. Definitiv geht 130-Gramm-Papier problemlos; laß den Hefterkarton 150 Gramm haben, viel mehr wird’s nicht sein, sollte klappen.“ „Prima! Ich gebe dir dann nachher die fertig geschnittenen Hartpapierblätter mit ... ach ja: und natürlich eine Vorlage für Vorder- und Rückseite.“ „In Ordnung“, bestätigte ich, „da gibt’s heute abend was zu tun.“ „Wie lange wirst du brauchen?“ „Keine Ahnung, hängt von der Menge der Tipperei ab; ich mache jedenfalls Dampf drauf. Aber eine Frage noch: Wie soll der Streich denn konkret ablaufen? Also der Rudi bekommt als einziger keinen Paß ... ich kann mir jetzt nicht vorstellen, was passieren soll...“ „Denk‘ doch mal weiter“, amüsierte sich A., „da kommt der angebliche Grenzkontrolleur, der Kollege in der kanadischen Uniform, und verlangt, die Pässe zu sehen. Alle zeigen ihn vor, nur der Rudi nicht – und das hat dann Folgen.“ Er erklärte mir, welche. Aus Gründen der Spannungserhaltung aber zunächst chronologisch weiter.
Eine Stunde danach brachte A. mir die zurechtgeschnittenen Hartpapierstücke in den Aufenthaltsraum, wo ich meine Bereitschaft zubrachte. Er hatte sie vorsorglich in einem EDS*-Umschlag verpackt, den ich in meiner Umhängetasche verstaute. Der Abend würde spannend werden... (* = EDS steht für „Eilige Dienstsache“, das war ein bahninternes Briefpostsystem.)
In der Tat ging mir die Sache nach dem Entwurf auf Normalpapier flott von der Hand, die Textspeichermaschine machte auch mit dem harten Karton dank ihrer professionellen Papierführung keinerlei Probleme; einmal Vorder- und einmal Rückseite gestaltet, beide Seiten in je einem der Speicher abgelegt, anschließend konnte ich die „Pässe“ automatisch ausdrucken. War ein feines Teil, diese Maschine mit Typenraddruckwerk, sie hieß „Triumph-Adler SE 1030“ ... vergessene Technologie...
Zwei Tage später brachte ich A. die sauber und exakt beschrifteten „Pässe“ in sein Büro, daß es am Vortag nicht klappte, lag an meiner Dienstfolge. A. begutachtete die Textsatzarbeit und war besonders von dem gestochen klaren Schriftbild beeindruckt und auch von der Tatsache, daß ich nicht mit dem üblichen Carbonband (war nicht wischfest), sondern mit speziellem Druckvorlagen-Schreibband gearbeitet hatte, was die Schrift auf dem Papier in etwa so abriebfest geraten ließ wie heutige Laserdrucke. Gute Voraussetzungen für das Gelingen des Plans.
Anfang der darauffolgenden Woche schaute ich mal in A.s Büro rein. Er strahlte mich an: „Alles fertig! Und als kleines Dankeschön kriegst du auch einen Paß.“ A. händigte mir ein Exemplar aus, das mit meinem Bild (mit Seppelhut) sowie den persönlichen Daten versehen war. Unter „Religion“ stand, weil ich keiner Glaubensgemeinschaft angehöre, in großen Buchstaben „Heide“. Des weiteren in Rotschrift die Einreisebeschränkungen: „Gilt nicht für Passau und Altötting“. Ich mußte spontan kurz und heftig lachen: Das war A., wie leibte und lebte!
Dann ging am übernächsten Wochenende die Schau über die Bühne; Kollege A. schilderte mir kurze Zeit später, was geschehen war, erzählte, wie die minutiös unter Einbeziehung etlicher Personen und Institutionen geplante Verlade ablief:
Er saß im Intercity nach München, Abteilwagen. Mit von der Partie waren acht Kollegen aus der Werkstatt, darunter jener Rudi, der als einziger keinen Paß zur Hand hatte. Irgendwo zwischen Aschaffenburg und Würzburg wurde die Abteiltür schwungvoll geöffnet, ein Mann in noch nie gesehener Uniform (eben die kanadische) mit Dienstmütze, die das Emblem CN trug und mit dem keiner der Werkstattleute etwas anfangen konnte („Controling National?“), stand da und sagte befehlend: „Bayerische Grenzkontrolle – die Bayernpässe bitte!“ Folgsam kramten alle ihre Pässe raus und zeigten sie dem strengen Beamten, der sie genau ansah, nickte, „in Ordung“ sagte und sich Rudi zuwendete, der, zwischen Unsicherheit und Ärger hin- und herschwankend, sich in seinen Sitz drückte. „Ihren Paß bitte, mein Herr!“ „Ich hab‘ keinen...“ Der Kontrolleur: „Dann muß ich Sie auffordern, in Würzburg den Zug zu verlassen und unverzüglich zurückzureisen. Während Ihres Aufenthaltes in Würzburg dürfen Sie keinerlei körperlichen Kontakt zur Bevölkerung herstellen, Niesen ist nur auf Freiflächen erlaubt. Sie dürfen einen erforderlichen Imbiß nur vom Wegwerfgeschirr verzehren – Sie verstehen, Vermeiden von Ansteckungen.“ „Aber ich hab‘ meinen Freischein doch bis Tutzing...“ „Das interessiert nicht! Sie müssen in Würzburg aussteigen!“ „Und wenn ich mich weigere?“ Rudi wurde mutig. „Die Folgen sind dann von Ihnen zu tragen!“ Der angebliche Grenzkontrolleur verschwand. (Er zog sich in einem der Waschräume wieder auf zivil um und machte sich in Würzburg davon – schließlich wollte er nicht per dummem Zufall doch noch erkannt werden, das hätte den Höhepunkt der Aktion verhindert...) Im Abteil gingen die Diskussionswogen hoch, Rudi blieb dabei: Er wollte bis München und auch weiter mitfahren. Kollege A. stand auf und sagte: „Ich jeh‘ mal austreten.“ In Wahrheit eilte er zum Dienstabteil, wo er den Zugführer beim Ausfüllen eines Betriebsleistungszettels antraf. Selbiger, ein Vereinskamerad des A. – beide gehörten dem Kölner Eisenbahn-Photoclub an –, gehörte zur Mannschaft der Aktion und fragte nur: „Ist es soweit?“ „Ja, kann losgehen!“ Der Zugführer, A. im Schlepptau, ging zum Wagenende, wo hinter einer verschließbaren Klappe die Sprechanlage für Durchsagen in den Zug installiert war. Sie ermöglichte per Verbindung zur Lok (UIC-Kabel) des weiteren über Zugbahnfunk Gespräche mit jedem erdenklichen Teilnehmer nicht nur innerhalb der DB, nein, die Zentrale konnte auch Vermittlungen ins Postnetz vornehmen. (Damals, junge Menschen wissen das vielleicht nicht mehr, besaß die Deutsche Bundespost als Bundesbehörde mit eigenem Postminister das Telephonmonopol, es gab keine anderen Anbieter.) Der Zugführer nahm den Sprechhörer, bediente einen Tastschalter und sagte: „Lokführer, bitte meld‘ dich mal für den Zugführer.“ Kurzer Austausch von Grüßen („Hallo“, „Tach auch“) und der Zugführer bat: „Gib mir mal die Zentrale!“ Kurze Wartezeit, dann: „Ja, guten Tag, hier ist Zugführer IC xxx, verbinden Sie mich bitte mit der Bahnpolizei München Hauptbahnhof; wir haben hier einen Fall von Fahrausweismißbrauch!“ Abermalige kurze Wartezeit, die Verbindung kam zustande und der Zugführer erklärte dem Münchner Bahnpolizisten, daß die abgesprochene Aktion ablaufen könne. Hier muß ich noch einfügen: Natürlich hatte Kollege A. auch mit der Münchner Bahnpolizei den Plan abgesprochen – und die Bayern, für deftige Späße immer zu haben, versprachen, voll mitzuspielen. Das taten sie denn auch...
Während der restlichen Fahrzeit bis München bekam Rudi wieder Oberwasser, betonte, daß das mit den Pässen vielleicht von den Bayern durchgezogen würde, dennoch besäßen die nicht das Recht, an Bundesgesetzen vorbei sich Besonderheiten rauszunehmen: „Seht Ihr, der Grenzpolizist hat sich verdünnisiert, der weiß genau, das läuft nicht so, wie der Gauweiler sich das vorstellt...!“ Kollege A. und die anderen gingen nicht weiter darauf ein, denn die Sache lief planmäßig ab...
In München HBf angekommen, standen am Halteplatz des wie üblich benummerten Wagens drei Bahnpolizisten in ihrer charakteristischen blau/grauen Uniform, begleitet von einem großen Schäferhund, der zur Bahnpolizeiwache gehörte. Der Hund schien zu grinsen, als die Bahnpolizisten den aussteigenden Rudi verhafteten (A. hatte unauffällig auf ihn hingewiesen). Der wollte sich lautstark widersetzen, doch die stämmigen Polizisten hielten ihn fest, ermahnten ihn zur Ruhe, gebe er dem nicht statt, sähen sie sich gezwungen, ihm Handschellen anzulegen. Rudi zog es vor, brav mitzugehen.
Das Ende der Show: In Absprache mit A. hielt die Bahnpolizei – das waren damals ja noch Eisenbahner und keine „richtigen“ Polizisten – den Rudi ungefähr drei Stunden in der Ausnüchterungszelle gefangen, dann ließen sie ihn raus mit der Bemerkung, er käme gegen Kaution frei. „Kaution...???“ Jetzt vermochten die Bahnpolizisten sich nicht mehr ernstzuhalten, dröhnendes Gelächter erfüllte die Wachstube, sogar der Hund soll mitgebellt haben. Dem verwirrten Rudi erklärten die Bahnpolizisten, was da abgelaufen war und die „Kaution“ sei bereits bezahlt: Ein Kasten Weißbier. Den hatte Kollege A. gestiftet – Rudi sollte neben dem Schrecken nicht auch noch Unkosten haben.
Später, im BW Deutzerfeld, haben wir uns alle köstlich amüsiert, die komplizierte und akribisch durchorganisierte „Aktion Bayernpaß“ war wochenlang das Hauptgesprächsthema. Und sogar Rudi lachte am Schluß mit.
ja, das war, jugendfrisch formuliert, ganz schön heavy. Dieser organisatorische Aufwand, nur um eine einzige Person reinzulegen. So war er halt, unser Werkmeister A., erstklassiger Fachmann, der buchstäblich "riechen" konnte, wo die Lok ein Wehwehchen hatte - und exzessiver Sinn für Unsinn.
Wir waren beide noch in der Ausbildung, da kam er eines Abends gegen 18:00 bei mir in Bonn an (er wohnte in Köln) und fragte: "Fährs'te mit nach München?" - "Jetzt...???" - "Klar!" - "Und was machen wir da?" - "Nur mal gucken, wir fahren gleich wieder zurück." So lief das dann auch: Nachtschnellzug nach München, morgens gegen Sechs angekommen, in der Kantine im HBf gefrühstückt (Leberknödel mit Sauerkraut und je einem Weißbier), zurück nach Hause. Ganz schön bekloppt, oder? Ach ja: Das nannten wir "Wochenendfreifahrscheinblitzausnutzungsfahrten".
Beste Grüße: Kurt
PS.: Zwei Geschichten habe ich noch aus dem Gedächtnis-Tiefkeller gekramt - demnächst auf dieser Welle.
Und Du hast recht: Es war eine tolle Zeit, heute völlig undenkbar. Das funktionierte nur dank der Struktur der alten Bundesbahn, wie eigenes Telephonnetz, eigenes Briefpostsystem, unbürokratische Freifahrten (nach drei Jahren Zugehörigkeit 16 pro Jahr), Freifahraustausch mit fast allen deutschen Bahnen, inklusive "Drachenfelsbahn" in Königswinter (kein Witz!) und 50 % Ermäßigung auf den Schiffen der Köln-Düsseldorfer sowie der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft. Da sind wir zum halben Preis von Passau nach Melk gefahren - tolles Erlebnis! Und heute? Freifahrten - die es noch gibt - sind beim Finanzamt als geldwerter Vorteil zu versteuern, mit einem Riesenverwaltungsaufwand. Ohne mich.
den herrschenden Temperaturen zum Trotz die vorletzte Story:
Exklusiv fürs Modellbahnforum
Noch eine Geschichte, die ich bewußt nicht ins Buch übernahm, alldieweil sie eher was für Insider ist. Damit meine ich: Hier im Forum bestehen umfangreiche Fachkenntnisse zum Thema „Eisenbahn“, was „draußen“, also auch bei Lesern des Buches, nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf. Mit den genannten Kenntnissen geht üblicherweise auch Verständnis und daraus herleitend Toleranz einher, nicht zuletzt Toleranz hinsichtlich höchst ungewöhnlicher Handlungen...
Zur Person Nennen wir ihn Meier. Kollege Meier war, als der Vorfall sich anno 1977 ereignete, Lokomotiv-Betriebsinspektor, hatte demnach das höchstmögliche Amt inne. Einem solchen Mann konnte niemand „an die Karre fahren“, wofern er nicht juristisch relevante Verstöße beging. Kollege Meier, ein großer, breitschultriger Typ, Endfünfziger, kam stets ganz proper in Anzug und Krawatte zum Dienst und wirkte auch wegen seines schwarzen, graumelierten Haares wie ein Bankdirektor. Als junger Bengel hatte ich zunächst einen Heidenrespekt vor ihm, bis sich anläßlich einer TEE-Leistung nach Dortmund (kurz nach meiner E-103-Verwendungsprüfung im Frühjahr 1977), bei welcher Meier als zweiter Mann eingeteilt war, herausstellte, daß er ein humorvoller Kollege war, der Spaß an Witzen und satirischen Wendungen fand, zudem allfälligem Blödsinn sich durchaus zugeneigt zeigte und zudem über eine frappierende Allgemeinbildung verfügte. Und er hatte keine Probleme, was Altersfragen anging: Da saß ich hinter dem Fahrschalter, ganze 28 Jahre, ein schmaler Junge in Jeans, hellblauem Hemd mit legér umgeschlagenen Manschetten, das blonde Haar schulterlang – und auf dem Beimannplatz der „Bankdirektor“. Wir fegten mit 160 km/h durch Langenfeld, als Meier lachend sagte: „Wenn irgendwo ein Lehrführer oder so ’n Kerl mit Rotstrichkarte auftaucht, denkt der bestimmt, der Vater läßt seinen Sohn mal ein Stück fahren – au weia, da geraten wir in Erklärungsnot...!“ „Dann muß Mister Rotstrichkarte in Deutzerfeld anrufen, dort wird man ihm bestätigen, daß ich die Prüfung für E 103 habe.“ Ich stimmte in sein Lachen ein. Meier war einfach ein prima Kollege. Er schaute mir eine Weile kritisch auf die Finger, als ich kurz vor Düsseldorf auf Hp2-Geschwindigkeit 40 km/h runterbremste: Drucksenkung auf 4,7 bar, Zug anbremsen, um Zerrungen zu vermeiden, Ende Strömgeräusch, nachfassen auf 4,0 bar. Vorbeifahrt am Vr2 mit etwas über 120 km/h, Wachsam bedient, Bremsstufe stehenlassen, Unterfahren der angehängten Geschwindigkeitsüberwachung 95 km/h nach rund zehn Sekunden, also mit solider Sicherheitsreserve zu den von der Indusi vorgegebenen 20 Sekunden, Bremsdruck unverändert, bei gut 60 km/h rauf auf 4,7 bar, auf 4,8 bar, auslösen – und mit einem winzigen Nachzieher kam der Zug auf Strich 40 km/h. Bis zum Hp2 zeigenden Hauptsignal waren es noch zirka 100 Meter; ich schaltete ein paar Fahrstufen auf, um die Geschwindigkeit exakt einzuhalten. Nachdem ich dann den TEE mit seinen fünf Wagen genau vor die speziell für IC- und TEE-Züge im alten Düsseldorfer Hauptbahnhof (die Halle wurde zu Beginn der 1980er erneuert) befindliche H150 hingestellt hatte – „weich gleitend und punktgenau“, wie unser 103-Ausbilder stets zu sagen pflegte –, nickte Meier bedächtig und meinte: „Sauber gefahren und gebremst – das war klasse!“ Ich wurde ein bißchen verlegen, fing mich aber rasch und erwiderte: „Na ja, ich hatte hervorragende Ausbilder und ... hmm ... bin ziemlich ehrgeizig, zugegeben. Außerdem bin ich echt glücklich mit meinem Beruf, das trägt vielleicht was dazu bei...?“ Meier bestätigte: „Ja, ich habe gesehen, mit wieviel Engagement du das machst ... gell, während der 20 Sekunden angehängter Überwachung hast du buchstäblich jeden Meter mit der Zeit in Relation gebracht, stimmt’s?“ Ich erklärte, stets zu versuchen, mich in den Zug reinzudenken, Gefühlskontakt mit der Bremse herzustellen. Meine Ausführungen bestätigte Meier: „Goldrichtig! Wer nur so husch-husch obendrüber agiert, ist zu Fummelbremsungen verurteilt.“ Wieder unterwegs, vertieften wir das Thema: ich mühte mich immer, von erfahrenen Kollegen was zu lernen, stellte oft fest, daß die alten Füchse enormes Wissen zum Thema Bremstechnik, Verhalten auf der Strecke, Vorgehensweisen bei Unregelmäßigkeiten und vielem mehr besaßen. Das machte Gespräche lehrreich und spannend. Hinter Bochum sagte Meier: „Bis jetzt haben wir alles rosarot betrachtet. Es gibt aber auch Vorkommnisse und Situationen, bei denen Begeisterung und Freude auf der Strecke bleiben. Manchmal kann die Bahn auch fies sein...“ Und er erzählte mir folgende Geschichte:
Im Dienstplan 1 des Bahnbetriebswerkes Köln-Deutzerfeld befanden sich nur altgediente Lokführer, Inspektoren eben. Dort waren überwiegend hochwertige Züge „versammelt“, doch zwecks Vielseitigkeit gab es für die alten Herren auch einige Nahverkehrszüge zu fahren, darunter jener von Köln HBf über Bonn, Remagen, Andernach und Weißenthurm nach Koblenz HBf. Nach einer Standzeit von knapp 30 Minuten fuhr der Zug unter anderer Nummer als Nahverkehr weiter bis Boppard. In Boppard wurde die Lok abgehängt, ans andere Seite des Zuges gesetzt und da wieder angehängt. Für diese Tätigkeiten gab es in Boppard einen Rangierer, der abschließend auch die Bremsprobe durchführte. Zehn Minuten später ging es als durchgehender Nahverkehrszug nach Köln-Deutzerfeld, wo der Lokführer, der Dienstbeginn in Deutzerfeld gehabt hatte, nach dem Abstellen der Lok und A1 Feierabend machte. Diese Übung ging mehrere Jahre problemlos über die Bühne. Dann mußte wohl ein höheres Tier auf der Direktion mal was von Effizienz im Unternehmen gehört sowie bewundernd zu Jobkillern sattsam bekannter Analysefirmen aufgeschaut haben. Und er wollte zeigen, was er alles drauf hatte, sich für weitere Beförderungen profilieren. Weil sowas bekanntlich am leichtesten auf Kosten derer geht, welche die Arbeit verrichten, veranlaßte jener Verwaltungsfuzzy die Streichung des Rangierers in Boppard; der wurde nach Koblenz versetzt, womit er einen längeren Anfahrweg zum Dienst zurücklegen mußte. Das aber interessiert Chefetagen nicht. Ich muß hier betonen, daß solches Verhalten bei der alten Bundesbahn äußerst selten vorkam: Normalerweise achtete die Direktion auf Belange ihrer Mitarbeiter. Im vorliegenden Fall jedoch kam der „Neuerer“ mit seiner Idee durch – irgendwer hatte nicht aufgepaßt und der Alleingang zeitigte halt den Abzug des Rangierers aus Boppard. Die Dienstplanmacher in Deutzerfeld erhielten den lakonischen Hinweis, ab dem Soundsovielten müsse der Lokführer in Boppard selbst ab- und anhängen, die Bremsprobe obliege dem Zugpersonal. Zack, zack. Also kam eine Planberichtigung heraus, entsprechende Aushänge wiesen auf die Änderung hin. Allerhand Gezeter war die Folge, doch auch die Gewerkschaft konnte nichts gegen das ausnahmsweise Kuppeln durch den Triebfahrzeugführer unternehmen, weil es sich um einen Unterwegsbahnhof ohne entsprechendes örtliches Personal handelte. Klappe zu. Drei, vier oder fünf Wochen lang – dann fuhr Planmann Lokbi Meier den Zug nach Boppard...
Streik in anderer Form Kollege Meier kam mit seinem Nahverkehrszug in Boppard an, am „gewöhnlichen Halteplatz“. Er lehnte sich zurück, blieb auf der Lok. Draußen klopfte der Zugführer und sagte zu Meier, daß er ab- und am anderen Ende wieder anhängen müsse; das sei seit einiger Zeit so. Unser Lokbi (Kürzel für Lokomotiv-Betriebsinspektor) tat verwundert: „Ach ja? Keine Ahnung, ich war gerade ein paar Monate bei meinem Sohn in Kalifornien...“ Betont langsam und umständlich entledigte er sich des Anzugsjacketts, streifte den Kittel über, suchte in seiner Tasche nach den Handschuhen, derweil der Zugführer Temperatur bekam. Gemessenen Schrittes ging er zum hinteren Ende der Lok, schaute sich die Sache an, schüttelte den Kopf und erklärte, er wäre zu alt, an der Bahnsteigkante runter zwischen Lok und Waggon zu klettern; er müsse das auf der anderen, bahnsteiglosen und daher ebenerdigen Seite erledigen. Nach dieser Diagnose ging er gemächlich – er war schließlich kein Twen mehr – wieder nach vorne, stieg langsam und umständlich ins Gleis und schlurfte erneut zum hinteren Ende der Lok. Unterdessen war der Fahrdienstleiter nervös geworden und informierte über die Bahnsteiglautsprecher: „Achtung Lokführer 7637 – wenn abgehängt, bitte vorfahren, Sh1 steht!“ Meier berührte dies nichtmal peripher. Vorsichtig – die alten Knochen! – zwängte er sich zwischen Lok und Wagen und hängte ab: achtsam und zeitlupenverdächtig, die Luftschläuche liebevoll einhängend undsoweiter. Natürlich dauerte es seine Zeit, bis er wieder hervorkam... Zurück auf der Lok, peilte er die Signalstellung, immer noch Hp0 mit Sh1, entledigte sich der Handschuhe, schaltete einige Fahrstufen auf und fuhr bis vors zuständige Sh0. Führerraumwechsel, der selbstredend bei einem älteren Herrn nicht allzu fix vonstatten ging. In Gegenrichtung fahren, bis Sh0, erneuter Füherraumwechsel – piano, piano – und beifahren, leicht aufdrücken, anbremsen, Fahrschalter auf Null, Hauptschalter aus und anhängen ... mit dem gleichen Schleichprozedere wie zuvor. Mittlerweile waren es nur noch gut fünf Minuten bis zur planmäßigen Abfahrtzeit. Meier hatte angehängt, stieg auf die Lok, verstaute Kittel und Handschuhe wieder in seiner Tasche ... und nun ging’s rund: Er kletterte von der zuvor per Handbremse gesicherten Lok, schloß sie ab, ging zur nächsten Sprechsäule, setzte sich mit dem Fahrdienstleiter in Verbindung und ließ folgendes los: „Hier Lokführer 7638 ... Kollege – ich bin nicht mehr der jüngste und dieses Ab- und Anhängen ... es ist schlimm, ich habe irgendwie eine Kolik bekommen ... darf ich mal eure Toilette im Stellwerk benutzen?“ Dies konnte und durfte der Fdl nicht verweigern, er fragte lediglich: „Wie lange wird das dauern?“ „Keine Ahnung ... haach, diese Blähungen...!“ „Komm zum Stellwerkseingang, mein Helfer holt dich ab und zeigt dir Bescheid.“
Machen wir’s kurz: Meier hielt sich fast eine Stunde in der Stellwerkstoilette auf; ob er die Blattanzahl der Klorollen überprüfte, weiß ich nicht, doch er harrte eisern aus. Nahverkehrszug 7638 verließ Boppard mit ungefähr 60 Minuten Verspätung.
Eine Woche später fuhr von Koblenz HBf planmäßig ein Rangierer mit nach Boppard...
Alleine sich das ganze Procedere vorstellen ist schon köstlich, aber dann dieser herrliche Schluss ist dann schon ein Extra-Genuss. Ich habe zumindest schallend gelacht.
Aber, das hättest auch Du sein könne, oder?
Ich würde mal sagen da hatten sich zwei gesucht und gefunden. Und vermutlich wurdest Du sein würdiger Nachfolger. Ich kann mir das so richtig leibhaftig vorstellen. Die Zeit war zwar bestimmt nicht einfach und vieles, was heute unmöglich wäre war damals Routine, aber es war auch eine schöne Zeit, wo man nicht alles so bierernst nahm oder gleich mit Poizei oder Staatsschutz arbeiten muss.
Ich will damit keineswegs die Vergangenheit glorifizieren, aber ein jeder von uns hat woh in seiner Vergangenheit schöne Passagen, an die er sich gerne erinnert. Der eine mehr (... siehe Dich Kurt!) und der andere weniger.
Für mich auf jeden Fall richtig tolle Geschichten. Danke Kurt!
freut mich ehrlich, daß Du Spaß an dieser abermals abgedrehten Story hattest! Offen gesagt: Eine Aktion, wie sie der coole Lokomotiv-Betriebsinspektor durchgezogen hat, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Sowas hätte ich mich nicht getraut. Eine Stunde Verspätung bauen - aus Daffke? Nee, hätte ich nicht gekonnt.
Meine "Waffe" waren ätzende, meist intellektuelle Argumente. Ansonsten war ich zufrieden, wenn alles reibungslos lief. Denn ich war im Grunde nicht konfliktfähig, Differenzen mit Kollegen oder Vorgesetzten liefen mir tage- und wochenlang nach, drückten die Stimmung. Zum Glück bestand ja dieses erstklassige Betriebsklima, geprägt von gegenseitiger Achtung.
Die unvermeidlichen Quertreiber waren es dann, die Probleme erzeugten. Ich war meistens brav, aber wenn mich jemand angriff, gab's heftiges Sperrfeuer... Mit zunehmendem Alter reagierte ich härter und direkter, wie bei dem Vorfall anno 1997 oder 1998, wo so ein Fatzke der Verwaltung verlangte, ich solle den Vorhang vor der Glaswand des IC-Steuerwagens öffnen. Dem antwortete ich (risikofrei, weil er kleiner war): "Paß mal auf, Bürschchen - entweder du verschwindest hier, oder es gibt Dresche ... klar!?" Er machte sich davon und es gab keinerlei Nachspiel ... nun ja, ich besaß mittlerweile auch den Status des Lokomotiv-Betriebsinspektors...
danke auch für diese Geschichte. Immer wieder interessant, was es bei der guten alten DB für Kuriositäten gegeben hat. Mal eine Frage: Was hat es mit deinem Avatarbildchen auf sich. Magst du das mal erklären?
das Bild stellte mir ein Forum-Mitglied zur Verfügung. Ich interpretiere es als eine Satire: Es nimmt Bezug auf eine Trennstelle in der Fahrleitung, nämlich an einer Halleneinfahrt. Innerhalb der Halle ist die Fahrleitung während der Arbeiten (an Loks oder Wagen) abgeschaltet und geerdet. In der Dortmunder Wagenhalle z.B., wo Züge bereitgestellt wurden, mußte man stets mit dem in Fahrtrichtung hinteren Stromabnehmer beifahren - eine halbe Loklänge in der Halle lag der Streckentrenner. Hätte man den mit dem (vorderen) Stromabnehmer überbrückt, wäre ein saftiger Kurzschluß die Folge gewesen.
Zum Avatar: Dem Bild scheint eine ähnliche wie die oben geschilderte Situation zugrunde zu liegen - und das Einfahren mit zwei gehobenen Stromabnehmern hätte zum Kurzschluß geführt. Vermutlich ist dem Designer des Schildes ein fataler Irrtum unterlaufen, den besagtes Forum-Mitglied entdeckt und photographiert hat. Ich verschweige den Namen, weil ich nicht weiß, ob es dem Mitglied recht wäre, wenn ich ihn nenne.
Von der Logik her, gebe ich Dir recht. Allerdings fahren bei uns die Elloks tatsächlich mit 2 gehobenen Stromabnehmern in die Werkstatt ein. Den Sinn dahinter habe ich jedoch noch nicht ergründen können. Muß dazu mal unsere Werkstatt aufsuchen...
Von der Logik her, gebe ich Dir recht. Allerdings fahren bei uns die Elloks tatsächlich mit 2 gehobenen Stromabnehmern in die Werkstatt ein. Den Sinn dahinter habe ich jedoch noch nicht ergründen können. Muß dazu mal unsere Werkstatt aufsuchen...
Gruß Micha
Hallo Micha,
ja, das wäre interessant! Ich kann mir nämlich keinen Reim darauf machen, warum eine Lok mit zwei gehobenen Stromabnehmern in die Halle einfahren soll. Grins: Hoffentlich kommt nie eine E 181...
vor Jahren war ich ja bei der Bahnreinigung als Aushilfe beschäftigt. Irgendwann durfte ich dann eine Nachtschicht machen. Dies passierte selten, da die besser bezahlten Nachtschichten meist an ständig Beschäftige mit Familie und Kindern vergeben wurden.
Es war November, kalt, feucht und dunkel, zwischen Mitternacht und ca. 02.00 Uhr morgens. Ich sollte einen Zug reinigen, der im Bahnhofsvorfeld stand. Nichts besonderes. Ich wusste aber, dass als einziger Zug noch der Express Paris-Kopenhagen kommt.
Wann ? Welches Gleis ? Keine Ahnung. Mir hatte niemand etwas gesagt, von dem Zug wusste ich nur, weil ich mich früher mal dafür interessiert hatte.
Da stand ich nun im Bahnhofsvorfeld, der zu reinigende Zug in der Mitte des Geländes abgestellt, und ich sollte da hin, aufschliessen und arbeiten. Quer über die Gleise und Weichen, in dunkler Nacht.
Ich hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als ich von rechts einen Zug kommen sah, noch weiter entfernt. Diese Situation kann man zwar schildern, aber ich glaube, nur wer so etwas selbst erlebt hat, kann das nachvollziehen. Mein erster Gedanke: "schaffe ich es bis zum abgestellten Zug ?". Dann "an welchem Gleis hält der Expreß an ?". Ich hatte überhaupt keine Ahnung, es war nur klar, dass der Zug mit hoher Wahrscheinlichkeit eines der Gleise zwischen mir und dem abgestellten Zug durchfährt.
Es ist erstaunlich, was man in solchen Momenten alles denkt. Von "sieht der mich nicht, kann er nicht bremsen?" bis zu "was, wenn ich mit einem Fuß im Gleis hängenbleibe?". Ist ja schon passiert.
Auf jeden Fall stand ich da und wusste ehrlich gesagt nicht weiter. Auf so etwas waren wir bei der Einweisung nicht vorbereitete worden, da half nur der gesunde Menschenverstand. Inzwischen näherte sich der Zug ja immer mehr, und das Gleis fing an zu "singen". Da wusste ich ziemlich genau, auf welchem Gleis der Expreß durchfährt. Also allen Mut zusammen genommen, und stehen geblieben. Der Express rauschte dann ca. 2 Meter an mir vorbei. Das ist ein ganz fieses Gefühl, denn wenn da die große Diesellok auf einen zukommt ist der ganz natürliche Reflex da, weg zu laufen. Der Lärm, die Größe, das macht schon Angst. Da schäme ich mich auch nicht, das zu sagen. Dann der Fahrtwind, aber zum Glück bin ich stabil gebaut und nicht leicht umzupusten. Trotzdem würde ich das nie wieder machen.
Dies ist so eine Erfahrung, auf die man eigentlich verzichten kann. Und wenn man nicht "vom Fach" ist, erfährt kaum jemand mal davon.
so, und nun die wirklich letzte relevante Geschichte, die ich im hintersten Winkel meiner Gehirnwindungen fand. Das Stichwort lautet „Übernachtung“. Ich vermag mich keines Lokführers zu erinnern, der gerne Dienste leistete, die mit einer solchen nächtlichen Zwangspause einhergingen. Möglicherweise konnte der eine oder andere in der fremden Umgebung schlafen – mir war das nicht oder nur äußerst begrenzt möglich. Kamen dann noch Lärmbelästigungen hinzu, sah es ganz finster aus. Doch auch in ruhiger Umgebung kam ich über eine, maximal zwei Stunden Schlaf nicht hinaus; das geht mir in Urlaubsorten ebenso: es dauert zwei, drei Tage, dann akklimatisiere ich mich und alles ist okay. Aber heute hier, morgen da ... nee, als Jet-Set-Star wäre ich ungeeignet... Probleme mit Übernachtungen besaß auch jener sportliche Kollege, dem ich nachfolgend den Alias-Namen Schulze gebe.
Übernachtung in Karlsruhe Beginnend 1980, hatte unser BW Deutzerfeld für zwei oder drei Fahrplanperioden die ehrenvolle Aufgabe, abends einen Intercity von Köln HBf nach Karlsruhe HBf zu fahren, das war eine Strecke von ungefähr 315 oder 320 Kilometern. Der Zug startete gegen 21:00 Uhr in Köln und erreichte Karlsruhe etwa um Mitternacht. Nach Ausstieg der Reisenden mußte der Zug in den Rangierbahnhof vorgezogen und auf „links gedreht“ werden, weil er in der Frühe über Frankfurt HBf lief und durch die kopfbahnhofbedingte Wende für den Rest seiner Fahrt nach Hamburg in falscher Reihung gestanden hätte, was bedeutete: Den ganzen Blockzug umstellen, erste Klasse nach vorne, zweite nach hinten – mit der Zuglok, der E 103, deren Zusatzbremse mit Relaisventil Rangierbewegungen nicht gerade vereinfachte.
(In der Süd-Nord-Relation über die Rheinstrecke und weiter Richtung Ruhrgebiet, Niedersachsen etc. befanden sich die Wagen erster Klasse stets hinter der Lok, gefolgt vom Speisewagen und dem Block der zweiten Klasse. Da jeder Wagen numeriert und am Wagenstandanzeiger identifizierbar war, konnten Reisende gezielt ihren Warteplatz auf dem Bahnsteig anpeilen, dessen Unterteilung von A bis E zusätzliche Orientierungshilfe bot. Dieses System führte die DB mit dem Sommerfahrplan 1979 ein: „IC 79 – unser bestes Stück!“ Das IC-Netz stellte eine wirkliche Leistung dar und seine Einführung war mit viel Aufwand verbunden, wie z.B. Zeitkontrolle jedes einzelnen Zuges: Alle richtig berechnet?)
Kommen wir wieder auf den in Rede stehenden Zug zurück. Waren die Rangierbewegungen erledigt, wurde die Lok ans nördliche Ende der neu zusammengestellten Einheit beigefahren und sie verblieb dort, um diesen IC nach Frankfurt zu bringen. Wir hatten anschließend Übernachtung und am Morgen Fußweg zum Hauptbahnhof, dort ablösen an einem in Karlsruhe „startenden“ IC, den örtliches Personal für uns an den Bahnsteig brachte. Nun muß ich noch folgendes erwähnen: Weil die Lok am umrangierten Zuge verblieb, mußten wir den vom Rangierbahnhof aus recht weiten und schwierig zu merkenden Weg zum Übernachtungsgebäude zurücklegen. Dieser Weg war anläßlich der Streckenkunde eine Spezialität für sich, denn er führte verwinkelt und verzwickt „um tausend Ecken und Gabelungen“: Streckenkunde innerhalb der Streckenkunde. Ein Kollege meinte mal, das sei Sache für gelernte Pfadfinder.
Die Übernachtung an sich war das Realität gewordene Elend: Das Gebäude lag direkt an der Strecke Karlsruhe – Basel, Zimmer auf der Gleisseite erfreuten mit den Geräuschen der auch nachts zahlreich verkehrenden Züge. „Nach hinten raus“ sollte ruhiger sein ... dachten wir beim ersten Male, nachdem der Wärter uns die Einzelzimmerschlüssel ausgehändigt hatte. Pustekuchen: Ans Übernachtungsgebäude grenzte das umfangreiche Areal einer großen Hundezucht mit zahlreichen Zwingern und Auslaufplätzen. Wie der Schriftsteller B. Traven erklärte, bellen Hundegruppen auch des Nachts immer wieder, sei es, um vermeintliche Feinde abzuschrecken, als Kommunikation untereinander, oder einfach, um sich klarzumachen, auf der Welt zu sein. Genau so war es in Karlsruhe: vom kurzen, scharfen Anschlagen bis hin zum coyotenartigen Geheul – herrlich ... für Zoologen... Ferner war die Übernachtungszeit grenzwertig knapp: Ganze 5 Stunden und 17 Minuten. Laut Vorschrift mußte eine Übernachtung mindestens fünf Stunden betragen. Waren die nicht gewährleistet, bestand die Möglichkeit, den/die Lokführer mit einer zeitlich noch passenden Zugleistung Richtung Heimat zu schicken und die örtliche Bereitschaft übernahm die planmäßige Tour. Gab es einen solchen Zug nicht, durften wir als Fahrgast (also Reisende im Zug) zurückfahren – auch dies gab Arbeit für die Bereitschaft, weil ja das Planpersonal ebenso fehlte wie im anderen Fall. In Karlsruhe erreichten wir bei Ausfall der Übernachtung den Schnellzug D 208, der über Bonn und Köln weiter gen Norden lief; seine Abfahrzeit in Karlsruhe HBf war 2:06 Uhr, Bonn HBf erreichte er nach Halt in Bonn-Bad Godesberg um 5:58 Uhr. Eine derart exakte Erinnerung? Nein: In meiner Bibliothek liegt immer noch das Kursbuch Sommer 1981 – es hat die Jahrzehnte und vier Umzüge überdauert, denn derlei Erinnerungsstücke wirft man nicht fort. Doch zurück zur Übernachtung in Karlsruhe.
Der Mann, um den es geht Kollege Schulze war Lokomotiv-Betriebsinspektor und zum Zeitpunkt des Geschehens, nämlich anno 1981, respektable 62 Jahre alt, 1919 geboren und folglich Opfer des „Tausendjährigen Reiches“. Bei Kriegsausbruch befand sich Schulze im sogenannten „wehrfähigen Alter“, was seine Einziehung zum Militär und den späteren Dienst in der Infanterie zur Folge hatte. Schulze sprach nicht gerne über diese schlimme Zeit, den Krieg, die schrecklichen Erlebnisse. Doch der einen oder anderen Bemerkung, gehört anläßlich eines der zahlreichen Aufenthaltsraumgespräche, entnahm ich, daß er Hitler und dessen Stiefellecker haßte, nicht zuletzt, weil sie ihm die Jugend versaut und ihn zu Dingen gezwungen hatten, die mir persönlich kaum vorstellbar sind. Verschreckt, weil er über „sowas“ normalerweise Schweigen bewahrte, flüchtete sich Schulze dann in die Floskel „Zumindest habe ich gelernt, wie man weite Wege zu Fuß zurücklegt.“ LokBi Schulze war ein feiner Kerl, ein hervorragender Lokführer, der seinerzeit zu den fünf „alten Füchsen“ gehörte, die dem Jungvolk das Schnellzugfahren beibrachten – so wie Theo Welter mir – und ein Mensch, der alles genau bedachte, bei Bereitschaften stets ein Buch mitführte, überwiegend zu den Themen Historik oder Geographie, denn Schulze konnte sich für das antike Rom ebenso erwärmen wie für die Südseeinseln und die um selbige sich rankenden Sagen und Geschichten. Weil auch ich mich – zumindest partiell – für derlei Dinge interessierte, verstand ich mich mit „dem alten Schulze“ (er war rund 30 Jahre älter als ich) bestens, und wenn wir zusammen einen IC fuhren, gab’s jedesmal spannende Unterhaltungen. „Nicht mit dem Fahrer sprechen“, so liest man es in Omnibussen. Nun, jetzt wird’s hochnäsig: Wir waren keine Fahrer, sondern Lokführer ... kleiner Unterschied. Soll heißen: Der Sicherheit des Zuges taten unsere Gespräche keinen Abbruch, denn die Strecke besaß absolute Priorität. Man muß eben mehrgleisig fahren können – mal allegorisch formuliert.
Auf Wanderschaft Wie das vielzitierte Lauffeuer machte eines Tages in Deutzerfeld eine Geschichte über LokBi Schulze die Runde, der anläßlich jener Fahrt nach Karlsruhe den Fußweg zum Übernachtungsgebäude verfehlt hatte und gegen zwei Uhr nachts – oder auch später – auf einer Polizeidienststelle erschien und erklärte, sich verlaufen zu haben. Wie üblich, kursierten unterschiedlichste Lesarten; mal erzählte man, Schulze sei durchgeknallt, mal hieß es, er habe sich tatsächlich verlaufen, mal kam verständnisvoll zwinkernd die Meinung auf, er habe in voller Absicht gehandelt, um gegen diese unmögliche Übernachtung zu protestieren – still, sorgsam und überlegt, wie es seinem Naturell entsprach.
Es vergingen einige Wochen. Ich war zur Acht-Uhr-Bereitschaft eingeteilt, saß, weil der Betrieb reibungslos lief, im Aufenthaltsraum und las John Steinbecks „Jenseits von Eden“, ein ziemlicher Wälzer, den ich aufgrund seiner ungewöhnlichen Handlung und der daraus entstandenen Spannung „Wie geht’s weiter?“ trotz des Gewichtes gerne in meiner Umhängetasche mitschleppte. In die Handlung vertieft, merkte ich nicht, daß jemand hereinkam, erst als es sagte „na, Kurt, was liest du denn da?“, registrierte ich, am Tisch im Aufenthaltsraum zu sitzen, schaute auf, sah LokBi Schulze und begrüßte ihn: „Hallo, schön, dich zu sehen! Wie geht’s? Lesen – Steinbeck, ‚Jenseits von Eden‘ ... ungewöhnlich, aber typisch Steinbeck.“ „Ich hab‘ sein Gesamtwerk durch, Höhen und Tiefen, aber das, was du gerade zwischen hast, ist sein bestes Buch ... hmmm ... ‚Früchte des Zorns‘...“ „Letzteres ist auch großartig, nur der Schluß gefällt mir gar nicht“, antwortete ich. Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten über Literatur, dann fragte ich direkt: „Sach‘ mal, hier kursieren die seltsamsten Gerüchte, es heißt, du hättest dich in Karlsruhe verlaufen, andere streuen das Gerücht, die Polizei habe dich aufgegriffen – bitte, erzählst du mir, was wirklich passiert ist?“ Er lachte kurz und sagte: „Warum nicht? War, wie ein paar Kollegen richtig vermuten, eine private Protestveranstaltung, wenn man so will. Diese unzumutbare Übernachtung, Lärm an allen Ecken, der verschlungene Weg, vorher Rangieren mit der E 103, als ob es keine V 60 gäbe. Wir machen den Karlsruhern den Leo, mir langt das jetzt. Also...“
Und es folgte diese Geschichte:
LokBi Schulze hatte mal wieder die „Karlsruher Übernachtung“, wie wir zu sagen pflegten. Es war der berühmte Wurm drin, an jenem Abend im Frühjahr 1981. Damals mußten, wie bekannt, auf der Lok eines Intercity zwei ausgebildete Lokführer sein. Der zweite Mann aber hatte sich kurzfristig krank gemeldet, sodaß bis Mainz die 20:00-Uhr-Bereitschaft einspringen mußte. Die Dienstzeit der „20-Uhr“ währte bis morgens um Sechs, das hätte – mit Überstunden – für Karlsruhe, Übernachtung und Rückfahrt gereicht. Doch er führte keine Übernachtungsutensilien mit, konnte daher die komplette Schicht nicht begleiten. In Mainz stand er statt dessen der Betriebsleitung für eventuelle disponible Leistungen zur Verfügung. Von Mainz bis Mannheim fuhr Schulze dann alleine, mit Höchstgeschwindigkeit 140 km/h. Das brachte allenfalls einige Minuten Verspätung – wenn überhaupt. Den beinahe durchgehend mit 160 km/h zu befahrenden Streckenabschnitt bis Karlsruhe begleitete eine Mannheimer Bereitschaft, weshalb der IC trotz aller Widernisse praktisch planmäßig in Karlsruhe eintraf. Und Schulze hatte im Stillen gehofft, die Verspätung würde diese 17 Minuten überschreiten, womit die Übernachtung „gekillt“ gewesen wäre. Nachdem die oben dargestellten Rangierarbeiten erledigt waren, verabschiedete sich der Mannheimer Lokführer, der mit hilfreicher Beobachtung des Fahrweges et cetera den Schulze unterstützt hatte, nahm seine Tasche und machte sich auf den Fußweg zum Karlsruher Hauptbahnhof. LokBi Schulze dagegen stand die Pfadfinderaufgabe bevor... Er rüstete die 103er ab, drehte die Handbremse fest, schaffte seine Tasche nach unten, stellte sie auf dem Rangierweg ab, verschloß die Lok, deponierte die Schlüssel am üblichen Ort und machte sich grinsend auf den Weg. Grinsend? Ja, denn er hatte beschlossen, ein Exempel zu statuieren.
Da unterlief ihm doch tatsächlich ein bedauerlicher Fehler – er war gedanklich abwesend, was ja vorkommen kann, besonders, wenn man die Dienstschicht rekapituliert: Statt an der Einmündung des Weges auf eine größere Straße sich nach rechts zu wenden, bog er irrtümlich nach links ab. Und wie er das in den Zeiten bei der Infanterie gelernt hatte, fiel er in einen gleichmäßigen Marschtritt, wanderte fürbaß, wunderte sich, wie er mit stiller Freude erzählte, daß nicht, wie in Erinnerung, weitere verschlungene Pfade auftauchten. Nachts sind alle Katzen grau, nee, sicher würde Schulze gleich auf die erwartete Abzweigung Richtung Übernachtungsgebäude stoßen. So lange war er noch nie unterwegs gewesen, nun, womöglich befand er sich auf einem kleinen Umweg Richtung Ziel? Er übte, das Grinsen zu unterdrücken und auf traurig-verzweifelt zu machen: der gewissenhafte Beamte, der eine Aufgabe nicht richtig erledigen konnte... Übrigens ein delikates Training in „Qualifizierter Lüge“.
Rund anderthalb Stunden und um die sieben oder acht Kilometer später: „Durlach“ stand auf einem gelben Ortsschild. Ernst, nach außen hin verängstigt und verzweifelt, schritt Schulze voran, er wußte genau, was er suchte und an der Hauptstraße schließlich auch fand: „Polizei“, leuchtete es weiß auf blau im schwiemeligen Licht der Straßenlaternen. Er rein in die Wache. Überraschte Gesichter von drei Polizisten. Schulze grüßte höflich, zeigte den Personalausweis und seinen Dienstausweis, erklärte die Dienstschicht und endete mit den Worten, er habe sich offenbar verlaufen. Das leuchtete den Ordnungshütern ein, da stand ein Beamter, Beamter wie sie selbst, hatte ein dickes Problem – dem mußte man helfen! Schulze erklärte einem der Polizisten, der bereits den Telephonhörer in der Hand hielt, das Procedere des Einwählens ins BASA-Netz: Ortsvorwahl, die Ziffern 1-4-1, nachfolgend die BASA-Kennung für Karlsruhe, dann die 3-6-5 für die Lokleitung. Es ging rasch, am anderen Ende hob man ab ... der Rede/Gegenrede, die der Polizeibeamte mit der Lokleitung führte, entnahm Schulze aus den Worten des Polizisten, daß die Telephonleitungen „glühten“, alldieweil man händeringend den verschollenen Lokführer für den IC suchte. Der Polizist reichte Schulze den Hörer, und unser LokBi schilderte in hilflosem Ton seine nächtliche Odyssee. Der Lokdienstleiter klang hörbar erleichtert, weil der Mann aufgetaucht war und sich in Sicherheit befand. „Fahrgast Heimat“, lautete der Auftrag an Schulze. Die freundlichen Beamtenkollegen ließen einen der ihren in der Wache zurück, die beiden anderen fuhren Schulze im Streifenwagen zum Karlsruher Hauptbahnhof. Er dankte und verschwand im Bahnhofsgebäude. Der D 208 war bereits weg, die Uhren zeigten etwa halb Drei. Doch auf dem Hauptbahnhof ließ sich die Zeit rumbringen, an einer Kaffeebude bekam er ein Hörnchen und Kaffee – Warten auf den nächsten Zug ... immer noch besser, als bei Hundegebell und Zuglärm sich von einer Seite auf die andere zu wälzen.
Schulzes Wegirrtum stieß allenthalben auf Verständnis: War ja in der Tat echt kompliziert mit all den Abzweigungen, Gabelungen und verwechselbaren Merkpunkten. Und die Schicht schaffte wegen ihrer knappen Strickart andauernd Probleme. Fazit: Mit dem Wechsel zum Sommerfahrplan ging sie – gewiß besser gekuppelt – an ein anderes BW und wir erhielten einen wunderbaren Tagesdienst: Schnellzug (Klotzbremsen!) nach Karlsruhe, zwei Stunden Pause über Mittag, Schnellzug zurück nach Köln. Guter Tausch ... danke, Kollege Schulze!
ZitatLokBi Schulze dagegen stand die Pfadfinderaufgabe bevor... Er rüstete die 103er ab, drehte die Handbremse fest, schaffte seine Tasche nach unten, stellte sie auf dem Rangierweg ab, verschloß die Lok, deponierte die Schlüssel am üblichen Ort und machte sich grinsend auf den Weg. Grinsend? Ja, denn er hatte beschlossen, ein Exempel zu statuieren.
freut mich, daß Du Spaß hattest! In jenen Tagen konnte ein LokBi (alternative Schreibung, Kürzel als ganzes Wort: Lokbi) sich allerhand erlauben. Und wenn einer wie Schulze in Opposition ging, dann rauchte es.
So, damit sind auch die ergänzenden Geschichten zu Ende. Bleibt das "Lokführerbuch" ... "Unter Strom - Erlebnisse eines E-Lok-Führers", dort habe ich jene Erlebnisse zusammengefaßt, die Einblicke in das Geschehen der früheren Jahre geben.
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29.06.2015 08:58
Grüße aus Süddeutschland 
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