stimmt, nicht Bocholt, sondern Bottrop! Das war ein klassischer Buchstabendreher, denn ich hatte, eben damit nicht Erinnerungsfehler die Schilderung verschlechtern, im Kursbuch 1979 nachgeschaut. Aus dem stammen auch die Kilometerangaben, denn die konnte ich beim besten Willen nicht mehr auswendig rekapitulieren. Ich schau' mal, ob ich den Fehler mit Angabe der Korrekturquelle noch beseitigen kann. Danke jedenfalls für Deine Aufmerksamkeit!
im Grunde war es gut, daß mir in meinem Beitrag über die Tour mit D 235 und anschließend dem Eilzug mit der „endlosen Rundfahrstrecke“ der Fehler mit dem falschen Ortsnamen unterlaufen ist. Denn beim Korrigieren des Stichworts „Bocholt“ sah ich den Bahnhof Wesel (Niederrhein) vor mir, wo in den siebziger und – so glaube ich – noch in den achtziger Jahren die Triebwagen nach Bocholt abfuhren. Im Kursbuch Sommer 1981 jedenfalls ist unter KBS 311 diese Strecke noch aufgeführt und die 20 Kilometer erfreuten sich einer recht dicht Zugfolge. Immerhin verkehrten täglich 13 Zugpaare, die von Wesel aus über Blumenkamp, Hamminkeln und Dingden nach Bocholt und zurück fuhren. Ich erinnere mich, daß dort diese Akkutriebwagen vom Typ ETA 150 (ab 1968 BR 515 genannt) zum Einsatz gelangten. Bei den Fahrgästen sehr beliebt wegen ihres ruhigen Laufs (bedingt durch die schweren Akkumulatoren unter dem Fahrzeugboden), erhielten sie gleichwohl etliche Spitznamen, von denen mir „Akkublitz“ und „Steckdosen-Intercity“ noch geläufig sind. Und damit bin ich beim Thema: Die gedankliche Kombination Bocholt plus Akkutriebwagen brachte eine Story in die Erinnerung zurück, die anno 1982 für viel Spaß sorgte und in Hameln geschah, dort, wo wir zwischen den Zügen D 841 und D 840 diese lange Pause hatten, die nicht nur zur Erforschung der Stadt, sondern zweimal auch zu konstruktivem (oder eher doch destruktivem?) Blödsinn führte. Hier der erste Streich:
Schwerer Strom In Hameln, genauer gesagt, im Vorfeld des in sukzessiver Auflösung begriffenen Betriebswerkes, befanden sich mehrere Gleise mit Ladestationen, wo zwischen den Zugleistungen bzw. nachts die Akkutriebwagen ETA 150 (515) abgestellt und an die Ladung gehängt wurden. Bei meinen zahlreichen Fahrten nach Hameln nahm ich das einfach so zur Kenntnis, bis mir eines Tages ein fieslicher Gedanke kam: Man müßte die Kollegen ein wenig verulken, nämlich vermittels eines bei der alten Bundesbahn hochbeliebten Aushangs. Aushänge gab es zu sämtlichen Themen – warum sollte ich nicht einen unsinnigen generieren, der beim ersten Hinsehen logisch wirkte? Nach einigen Tagen und konspirativen Gesprächen mit ähnlich gestrickten Kollegen konkretisierte sich die Idee: Zunächst fertigte einer unserer Werkmeister, der sehr gut zeichnen konnte und ein Künstler im Umgang mit Schriftschablonen war, die Texttafeln (schwarz/rote Schrift auf weißem Hartkarton) etwa im Format eines DIN-A4-Blattes, Buchstabengröße zwischen 24- und 36-Punkt. Die fertigen fünf Kartons packte ich sorgfältig ein. An meinem Wohnort besorgte ich im Schreibwarengeschäft klare, transparente DC-fix-Folie, die ich, zusammen mit einer scharfen Schere, für die nächste Hameln-Tour bereitlegte.
Der große Tag war da: Ich stellte wie üblich die Lok im BW ab und ging zur Kantine im Bahnhofsgebäude. In dieser Zeit konnten sich die drei Werkstattleute an der Lok austoben, Sand nachfüllen undsoweiter, Arbeiten, die erfahrungsgemäß in einer halben Stunde erledigt waren – und dann war ich auf dem Führerstand allein, konnte die abschließenden Handgriffe an den Kartons vornehmen.
Es war nicht ganz einfach, doch ich hatte damals noch ruhige Hände und die notwendige Geduld: Die Hartkartons mit jeweils dem gleichen Text mußten, Schriftseite auf die klebende Seite der DC-fix-Folie, exakt so aufgebracht werden, daß ringsum etwa drei Zentimeter Überstand der Folie gegeben war. Diese Überstände dienten dazu, die Kartons auf den vorgesehenen Untergrund zu kleben; sauber angerieben, sollten sie auf diese Weise längere Zeit im Freien überstehen und auch eine Weile dem Regen trotzen können.
Es war nicht ganz leicht, die mit der „gierig“ klebenden Folie versehenen Kartons ans Ziel zu bringen, doch mit Vorsicht und Geduld gelang mir das Spielchen. Fünf Kartons hatte ich – also wurden fünf ETA-Ladestationen entsprechend beklebt. Ab und zu schaute ich mich um wie ein Ganove, ob mich auch ja niemand beobachte. Nein, alles ruhig – und zudem trug ich meinen DB-Kittel, der mich im Bereich der Ladestationen unverdächtig machte: Ein Werkmeister auf Kontrollgang? Endlich war ich fertig, ging auf einem Umweg zur Lok zurück, deponierte dort meinen Kittel, nahm mein Jackett und verzog mich scheinheilig pfeifend in Richtung Stadt. Was hatte ich angestellt? Nun, es erzeugte einige Wellen in Hameln, war mehrere Tage Aufenthaltsraumgespräch. Auf den Kartonblättern stand folgender Text:
Achtung Triebfahrzeugführer ETA Ladezeiten gemäß Plan genauestens einhalten! Ladezeitüberschreitungen führen zu unzulässig hohen Stromgewichten (Ampèrestunden-Kilogramm) und Überlastung des Fahrzeugrahmens.
Unauffällig einigen Gesprächen zuhörend (ich hatte drei Tage darauf wieder die Hameln-Tour), stellte ich fest, daß die Kollegen sich köstlich amüsiert hatten, weil zwei von ihnen den Blödsinn ernstgenommen, ihn geglaubt und Diskussionen über die Ampèrestunden-Kilogramm geführt hatten.
An zwei Ladestationen klebte meine „Vorschrift“ noch mehrere Wochen, bis die Witterung sie dem Weg alles Irdischen zuführte…
Das warst eindeutig mal wieder Du, so wie wir Dich hier kennengelernt haben. Ich habe doch schon wieder unterm Tisch gelegen vor lachen. Jetzt warte ich nur noch auf die Drehstromphasenglättungsdrosseln...
lachen? Also wirklich! Da arbeitet man mal hoch wissenschaftlich ... grins, feix...
Drehstromphasenglättungsdrosseln - eine rundum geniale Erfindung, die den so schwer zu berechnenden Drehstrom in drei überschaubare Gleichstrom-Pluspole umwandelt. Doch, das ist Physik auf Spitzenniveau! Falls Du sofort mit der praktischen Umsetzung anfangen willst, bitte beachten: Spannungsabfälle niemals am Arbeitsplatz liegenlassen, sondern in einem isolierten Briefumschlag dem zuständigen E-Werk zurücksenden (bei Grünstromanbietern ist auf dem Spannungsabfall Pfand drauf).
Genug geblödelt, muß jetzt die zweite Story tippen...
Korrekt Kurt! Nicht zuvergessen ist jedoch, das der Bio-Stromabfall laut Weisung 2013/7048 weiß verpackt und mit rotem Band geschnürt werden muß. Bei loser Abgabe kann der Pfand sonst nicht berücksichtigt werden...
bei uns im Amt gibt es in jedem Raum ganz normale Steckdosen in weiß, und dann noch einige in braun. Ich veräppel dann immer wieder mal neue Kollegen, indem ich behaupte, dass in den braunen Steckdosen die Anschlüsse für Strom sind, der mit Braunkohle erzeugt wird. Oder dass es sich um Biostrom-Steckdosen handelt. Glaubte bisher jeder, obwohl es Unsinn ist.
Aber weiß denn hier jemand, warum da ein farblicher Unterschied bei den Steckdosen gemacht wird ? Die Farbe ist bedeutungslos, so viel sei verraten.
Also wir haben orange Steckdosen für Solarstrom und sollen die auch aus Umweltschutzgründen vorrangig nutzen, nur für den Notfall haben wir noch (je nach Rang des Büronutzers) weiße oder beige Atomstromdosen mit Umstellungsoption auf Darmwindenergie. Die brauchen wir aber meistens nur von Anfang Dezember bis Ende Januar, wenn unsere Speziallithiumbleipolymerflüssigkristallsolarakkus leer sind, welche das Nachladen mit anderen Stromarten nicht vertragen.
Nee, die orangen Dosen sind mit Überspannungsfiter, damit wir auch bei Gewitter Computer spielen können
Wir haben im Büro auch schwarze Steckdosen. Die sind damals nicht von einem Elektriker sonder durch einen Bestatter installiert worden. Leider sind die immer tot. Die weißen hingegen funktionieren. Da steht UV drauf weil der daraus kommende Strom durch eine Solaranlage erzeugt wird, die nur mit dem reinen UV-Anteil des Lichts arbeiten kann. Der Strom ist dann hochwertiger. Gesellen die sich mal zu den schwarzen, sprich sind die auch tot, machen wir meist alle Feierabend für den Tag. Wobei wenige in den Keller auf die Notstromfahrräder gehen, damit sie ihre Arbeit noch schnell speichern können, bevor die Laptopakkus leer sind.
Die braunen Steckdosen hängen intern an einem besonders spannungsstabilisierten Netz. Da sollen vor allem Computer und alle elektronischen Geräte angeschlossen werden.
Die weißen Steckdosen sind das "normale" Netz und haben schon mal ganz schöne Spannungsschwankungen.
Vor vielen Jahren habe ich mal ein Protokoll gesehen, Schwankungswerte im 240-Volt-Netz. Das ging bis 174 Volt runter, morgens kurz vor 06.00 Uhr.
Ach deshalb läuft mein Radio dann immer langsamer :-D Auf der Lok sind die Steckdosen meist silbergrau (Siemens) oder blau (Bombardier) aber überall kommt 230V 60Hz raus. Die 60Hz sollten den Anschluss von röhrenbetriebenen Radios oder Minifernsehern zu verhindern.
Gruß Karl
Wir sind Eisenbahner, eine große Familie! Es ist egal, welche Farbe die Fahrzeuge haben solang wir auch alle zusammenhalten!
Zitat von ET 420 im Beitrag #634Die 60Hz sollten den Anschluss von röhrenbetriebenen Radios oder Minifernsehern zu verhindern.
Röhrenbetriebene Radios und tragbar und heutzutage Und modernen kleinen Fernsehern ist durch das Schaltnetzteil die Frequenz ohnehin ziemlich Wumpe. Irgendwie waren die Begründungen der Hersteller auch schon mal kreativer.
Thomas
Das Schöne an einheitlichen Standards ist es, dass es so viele verschiedene davon gibt. Toleranz ist die Erkenntnis, dass es sinnlos ist, sich aufzuregen.
und hier der zweite Streich, mit dem ich die Kollegen in Hameln teils erfreute, teils ärgerte – je nach Mentalität. Ich glaube, die Zahl der „Angefressenen“ war größer, weil zu jener Zeit im dortigen Betrieb Unfrieden herrschte: Lokführer, Zugführer, Schaffner und Bahnbusfahrer hatten einen gemeinsamen Aufenthaltsraum, in dem es bei meinem nächsten Besuch hoch herging. Ein Aushang (mal wieder einer und zwar ein echter) sorgte für böses Blut. Offensichtlich hatte man den einen oder anderen Bahnbusfahrer dabei erwischt, an Ruhetagen für Privatunternehmer tätig gewesen zu sein. Der Aushang besagte: „… Busfahrer, die sich nicht ausgelastet fühlen, mögen sich beim Fahrmeister melden, der ihnen gerne zusätzliche DB-Touren vermittelt …“ Nicht nur die betroffenen Busfahrer waren „stinkig“, die gesamte Belegschaft stand vor dem zu erwartenden Ende für Hameln als Einsatzstelle und die Laune sah entsprechend aus. Ansonsten nett und kollegial, ranzte man mich wegen meiner unschuldigen und durchaus mitfühlenden Frage an, wie die Dienste denn künftig verteilt würden, welche Dienststellen sie übernähmen: ich solle mich raushalten, das gehe Auswärtige einen feuchten Kehricht an – und vieles mehr. Na, Freunde, wenn das so ist, dann muß ich euch nochmal aufmischen…
Sonderbauart des ETA… Auf der Rückfahrt, in der beginnenden Abenddämmerung, genoß ich zunächst die schöne Strecke durch das Weserbergland, machte in Bad Pyrmont eine „geile“ Punktbremsung, welchselbige die Laune zusätzlich voranbrachte und erfreute mich zum xten Male am Anblick der Hämelschenburg, einem restaurierten Gemäuer aus vergangenen Zeiten, das trotzig-trutzig oberhalb der Strecke prangte und in weitem Umkreis optisch beherrschend wirkte. Ein Freiherr von Klencke war der stolze und hoffentlich glückliche Besitzer. ‚Wäre das passende Lokführer-Domizil, mit willigen Kammerzofen und Verlies für unnette Vorgesetzte‘, dachte ich zum ebenfalls xten Male. Parallel schnurrten mir Überlegungen durch die grauen Zellen, auf welche Weise ich die heute so patzig gewesenen Hamelner Kollegen eintunken könnte. Zunächst hielt mich die Strecke in ihrem Bann, kurz vor Altenbeken durch den Tunnel von Langeland, Halt in Altenbeken, dann über den mächtigen Viadukt und runter nach Paderborn. Dann Standzeit in Soest, warten auf die diesmal verspäteten Kurswagen. Ohne es zu wollen, hatte ich plötzlich die Basisidee für den zweiten Jokus: Irgendwas mit Umbau der Akkutriebwagen auf Kabelanschluß, Verlängerungskabel, sowas in dieser Richtung…
In Deutzerfeld beriet ich mich mit meinen bewährten Geistesverwandten und gemeinsam mit dem Kollegen E., der für jeden Nonsens zu haben war, formte sich die endgültige Ausführung des neuen Streichs – es sollte und konnte nur ein Aushang sein, am Schwarzen Brett, abermals beim ersten bis zweiten Hinsehen glaubhaft, für schlichte Gemüter sogar logisch und dienstlich wie technisch bindend. Um die Sache abzurunden, mußte der Aushang durch eine technische Erklärung mit Ausführungsbestimmungen im „Weisungsbuch B“ ergänzt werden. Irgendwas „richtig Gedrucktes“ wäre natürlich optimal gewesen, doch die Geschichte sollte ja nicht zur Verarmung führen. Ich besaß damals eine noch ganz neue Textspeicherschreibmaschine mit Typenraddruckwerk, das Modernste und Feinste, was die Technik hergab. Damit sollte ich die Sache hinreichend echt wirkend hinbekommen, denn ich besaß etliche der leicht austauschbaren Typenräder und damit vielfältige Schriftarten. Fettdruck, Unterstreichung und Proportionalschrift ermöglichte das Wunderwerk ebenfalls; der Produktion amtlicher Schreiben stand nichts entgegen. (Klar, ein heutiger PC kann unendlich viel mehr, doch zur damaligen Zeit war diese Maschine schon ein mittlerer Hammer.) Ich machte mich ans Werk; einiges Papier ging mangels Bildschirm über die Wupper, bis nach mehreren mißlungenen Versuchen das endgültige Produkt (Pamphlet?) vor mir lag (und im Arbeitsspeicher der Maschine, der unglaubliche 16 kB faßte, gesichert war). Es erforderte viel Detailarbeit und leider ist mir der Zweitausdruck bei einem meiner Umzüge verloren gegangen; demzufolge versuche ich nun, die Schreiben aus dem Gedächtnis zu rekapitulieren. Sicher kommt es dabei zu einigen Unschärfen, doch die Hauptsache wird deutlich.
Den Disponenten ließ ich wissen, daß ich schwermütig würde, wenn ich nicht bald nochmal nach Hameln fahren dürfe – Gelächter, dann: „Tja, Kurt, bevor du mir hier vor die Hunde gehst, muß ich dich halt nach Hameln schicken. Heute ist Dienstag … hmmm … wie wär’s mit Freitag? Mittwoch und Donnerstag Ruhe, dann Hameln und am Wochenende zum schönen Ausgleich Nahverkehr nach Aachen, Koblenz und Krefeld – wat sachste?“ „Gebongt!“, antwortete ich ebenso schnodderig.
Hameln, Aufenthaltsraum, gegen 15:30 Uhr am Tag X. Um diese Zeit war dort so gut wie nichts los. Die Anwesenheit vieler Kollegen, so, wie weiter oben angedeutet, fand in der Mittagszeit statt, vermutlich, weil dann etliche Busfahrer, Lokführer und Zugpersonale des Frühdienstes Feierabend hatten und mit denen des Spätdienstes Erfahrungen austauschten. Wie auch immer: Ich war allein im Aufenthaltsraum. Zunächst mit den vorsorglich mitgebrachten Reißzwecken den Aushang ans Schwarze Brett gepinnt:
Achtung Triebfahrzeugführer ETA:
Im Rahmen einer Praxiserprobung werden vier Akkutriebwagen ETA 150/BR 515 unter Aufsicht des Eisenbahn-Versuchsamtes Minden und Zuarbeit der Kabelwerke Hohensyburg sowie der Mechanisch-Hydraulischen Werke Mannheim (MHW) auf kabelgebundene Stromversorgung umgerüstet. Die hydromechanische Anlage ermöglicht unter Anwendung einer selbstüberwachenden Kabelwickeleinrichtung unter dem Fahrzeugboden Aktionsradien von derzeit bis zu 30 Kilometern. Ein Restwegüberbrückungshilfsakkumulator sowie ein humanmechanisch angetriebener Hilfsgenerator sorgen für zusätzliche Betriebssicherheit. Näheres entnehmen Sie bitte dem Weisungsbuch B, Einlage vom xx.xx.1982.
gez.: Grüblich, Leiter ETA-Versuche
So, das war der Aushang. Ich schaute auf den Gang raus – kein Mensch, aus der Lok- und Buseinsatzleitung leise Wortfetzen eines Telephongesprächs. Weiter mit der Bestückung des Weisungsbuchs B; selbstredend hatte ich die Blätter zu Hause bereits gelocht. Den Leitz-Ordner aus dem Regal gefischt, nochmals vorsichtiges Lagepeilen, geöffnet, die neue „amtliche Weisung“ eingefügt, klack, den Verschluß zu und Ordner wieder ins Regal. Niemand bemerkte mich, als ich – James Bond hätte es kaum besser gemacht – Richtung Kantine verschwand. Siedende Freude, Kicheranfälle, wenn ich mir vorstellte, ein etwas langsam reagierender Kollege lese die neue Weisung:
Hannover, den xx.xx.1982 Verbindungsstelle Fahrzeugentwicklung Der Dezernent: Müller-Vennebeck, TBUAR Allen Triebfahrzeugführern ETA zur Kenntnisnahme und Beachtung
Im Rahmen eines Betriebsversuches werden vier ETA-Einheiten zwecks Einsparpotential auf mobile Kabelstromversorgung umgebaut. Hierbei handelt es sich um eine Entwicklung der Kabelwerke Hohensyburg in Zusammenarbeit mit den Hydromechanischen Werken Mannheim. Die unter dem Fahrzeugboden befindlichen wartungsintensiven Bleiakkumulatoren werden bis auf eine in Sechstelgröße gehaltene Reserve-Resteinheit ausgebaut. Im somit freigewordenen Raum findet die hydraulisch-mechanische Kabelwickelanlage ihren Platz. Diese enthält 30.100 Meter zweipoliges Stromkabel auf einer nach dem Aufwickelprinzip Ahab-Pequod (Pat. Pend. Nantucket/USA) arbeitenden Großhaspel, die für sauberes Wickeln sorgt. Der Triebfahrzeugführer steckt am Abgangsbahnhof den zweipoligen Laststecker in die dafür vorgesehene ortsfeste Versorgungseinheit. Damit ist der ETA, nunmehr ETK (K = Kabel), fahrbereit. Während der Fahrt (z.Z. zul. Hg. = 60 km/h) sorgt die Großhaspel für störungsfreies Abwickeln des Kabels und dessen temporäre Ablage in Gleismitte. Während der Versuchsfahrten sind betriebliche Kreuzungen der Triebwagen zu vermeiden, da es in diesen Fällen zu Überschneidungen der Kabel und entsprechenden Aufwickelproblemen kommt! Die Triebfahrzeugführer sind für die zweckentsprechende Kabelaus- und -einwickelung verantwortlich. Bei Störungen an der Großhaspel ist diese zu entriegeln und das Fahrzeug auf Restakkumulator umzuschalten. Reicht dessen Kapazität nicht aus, den Zielbahnhof zu erreichen, ist der Humanhilfsgenerator in Betrieb zu setzen: Unter dem Fahrzeugboden verläuft zum HHG (Humanhilfsgenerator) eine biegsame Welle (entsprechend Nachlaufsteuerung E 110) mit acht über Winkelgetriebe erreichbaren Anzapfungen. In selbige sind die in Führerraum 2 gelagerten Handkurbeln einzustecken und acht kooperative Reisende zu bitten, durch kraftvolles Kurbeln den Strom für die in ihrem Interesse liegende Weiterfahrt zu erzeugen. Fahrpreisreduzierungen sind diskutabel.
Wir bitten die Tf., mittels Meldekarte ihre Erfahrungen an uns weiterzuleiten.
Unterschrift: Müller-Vennebeck, TBUAR
Tja, die Kollegen fühlten sich teils belustigt, teils massiv auf die Rolle gelegt. Und die Sache zog weite Kreise: Ich hörte Wochen später in der Direktionskantine Hannover (!) zufällig beim Gespräch zweier Herren in Anzug und Krawatte am Nachbartisch, daß irgendein respektloses Subjekt in Hameln einen unverschämten Aushang angebracht sowie das Weisungsbuch B mißbraucht und dort eine dreist gefälschte Dienstanweisung beigelegt habe. Unglaubliche Frechheit, eklatante Mißachtung vorgesetzter Dienststellen und defätistisches Verhalten einer völlig fragwürdigen Person! Im Falle der Überführung des Täters würde man für unnachsichtige disziplinarische Maßnahmen sorgen.
Obwohl es mir schwerfiel, schaffte ich es, unbeteiligt und ernst zu bleiben…
Beste Grüße: Kurt
PS.: TBUAR stand für Technischer Bundesbahn-Unteramtsrat – sowas hat es nie gegeben, war frei erfundener Nonsens.
macht mir echt Spaß, daß Dir die Story gefallen hat! Sollte ja auch was zum Lachen sein. Ja, ein paar solcher Sachen habe ich noch auf Lager, sogar die damals "geretteten" Originale! Die könnte ich mit der Digicam photographieren und als Bild einstellen; erfahrungsgemäß (siehe Geschichten über die Bundesbahnschulen) gerät das deutlich lesbar. Leider aber gibt's ein Problem: Ich finde keine Option, wie man mit der neuen Software Bilder einstellt. Schau'n wir mal.
eigentlich wollte ich an dieser Stelle zwei im Aktenordnerdschungel wiedergefundene eigenschöpferische „Verfügungen“ als Bild einstellen, weil sie als Nur-Text nicht so schön rüberkommen. Leider aber sehe ich keine Möglichkeit, mit der neuen Software Bilder ins Forum zu bringen. Die „Faq“ hilft auch nicht weiter. Schade.
Statt dessen nun eine kurze Story, die sich im Frühsommer des Jahres 1975 zutrug und verdeutlicht, wie sehr dialektale Probleme in den Bahnbetrieb durchschlagen können.
Abgehängt und abgerissen In der Tat eine schöne und entspannte Tour, jener Sonderdienst, den unser Disponent, der Piratenhäuptling, mir gegönnt hatte: Dienstbeginn gegen 7:00 Uhr, Sonderzug mit ungefähr zehn Schnellzugwagen von Deutzerfeld nach Oberlahnstein-Personenbahnhof, Reisende steigen aus, Vorziehen in den Güterbahnhof, Rangierer hängt ab, Lok ans andere Zugende, Rangierer hängt an, Lok abrüsten mit A1, Fußweg Personenbahnhof, Fahrgast Deutzerfeld – und Feierabend. Es handelte sich um einen Reisebüro-Sonderzug, der zahlreiche Touristen zur Besichtigung von Oberlahnstein und Umgegend brachte; es gibt dort einiges zu sehen, von der Lahnmündung über die hübsche Altstadt bis hin zur historischen Orgel des Barockbaumeisters Johann-Michael Stumm – gewissermaßen für jeden etwas. Wen wundert’s, daß der bewirtschaftete Zug (Kehle bereits auf der Hinfahrt befeuchten) wirklich gut besetzt war?
Es war, das muß ich noch erwähnen, der erste lange klotzgebremste Schnellzug, den ich nach den Erklärungen des bereits mehrfach erwähnten alten Kollegen und Könners auf die von ihm erlernte Weise alleine und selbständig fuhr! Ich verspürte damals eine nicht zu beschreibende Freude, daß alles endlich so klappte, wie ich’s immer gewünscht hatte. Und weil der Disponent von meinem Ehrgeiz wußte, ließ er mich so oft wie möglich entsprechende Züge fahren – übungshalber und später dann wegen meines Spaßes an der Sache.
Die Tour verlief problemlos, mit einem Wendeschlenker über Köln-Süd, Südbrücke, Köln-Kalk-Personenbahnhof ging‘s ungefähr 100 Kilometer weit und schließlich über die schöne rechte Rheinstrecke; und weil wegen des Samstages weniger Verkehr bestand als in der Woche, gelangte ich praktisch mit permanenter grüner Welle bis Oberlahnstein-Personenbahnhof. Vorsichtig und langsam brachte ich den Zug an den für zehn Wagen ziemlich knappen Bahnsteig, jonglierte ihn mit minimaler Drucksenkung haarscharf vor das Hp0 zeigende Zwischensignal. Und der Zug stand beinahe komplett am Bahnsteig, dem für die letzten ein, zwei Wagen einfach die Länge fehlte. Geschafft, bremstechnisch meine ich. Dies nach all den zahlreichen Schnellzügen zuvor, die mit mir unterwegs gewesen waren statt umgekehrt…
Draußen wartete der Rangierer, rief mir zu: „Lokführer, wenn das HS-Signal Fahrt zeigt, vorziehen in den Güterbahnhof bis vor das erste Sh0. Da häng‘ ich ab, und dann drumrum mache, gell?!“ „Alles klar!“ bestätigte ich. Das Form-Sh-Signal mit Rautenscheibe ging auf Sh1, kurzer Achtungspfiff und aufschalten, bei Vorbeifahrt am Hp0 Indusi-"Befehl" bedienen, Zug auf 25 km/h bringen, in den recht langen Güterbahnhof fahren. Ich kannte mich dort ganz gut aus, denn in meiner Zeit als Beimann mußte ich auch in Oberlahnstein Güterzüge vorbereiten und ab hier begleiten … ach ja, und damals der Zug mit der E 194 … erste nostalgische Gefühle eines noch jungen Lokführers, gerade mal 26 Jahre alt, den drohenden 27 ins Auge sehend. Da – das erste Sh0: Sachte anbremsen, Zug dicht davor stellen … und paßt. „Heizung ist aus!“, rief ich dem Rangierer zu, der verstehend die linke Hand hob und unter den Puffern zwischen Lok und ersten Wagen tauchte. Das Signal wechselte nach Sh1 … was macht der Kerl bloß so lange? Okay, er kennt das nicht so gut, Reisezüge haben mehr Anschlüsse zu kuppeln als ein Güterzug: 5-bar- und 10-bar-Leitung, das Heizkabel (1000-Volt-Zugsammelschiene, im Jargon „Heizung“ genannt), das UIC-Kabel und natürlich die Kupplung selbst. Endlich ertönte zwischen Lok und erstem Wagen ein undefinierbares Wort, es klang wie „uuuuuaaaaaaaappp“. Die Vorschrift sagte: „Rangieraufträge sind gleichzeitig optisch und akustisch zu geben.“ Ich verfiel einem unbewußten Auslegungsfehler und sah das Fahrt zeigende Sh-Signal als den optischen, den Ruf des Rangierers als akustischen Auftrag an. (Beides, Zuruf und signalisierende Handbewegung, hätte aber vom Rangierer kommen müssen.) Frohgemut schaltete ich auf, wußte dank Bahnhofskenntnis, wie weit ich vorziehen mußte, am richtigen Punkt anhalten, Führerraumwechsel, Gegenrichtung zeigte bereits Sh1, vorfahren. In Höhe des ersten Wagens, also dort, wo er abgehängt hatte, stand der Rangierer und hielt demonstrativ einen großen Gegenstand in der Hand. Ich wußte zunächst nicht, was das sein sollte. Doch als ich neben ihm zum Stehen kam, erkannte ich’s: Es war der Stecker des Heizkabels! Und nun entspann sich folgender Kurzdialog: Rangierer: „Ei, du heß de Stegger abgerisse!“ Ich: „Verstehe ich nicht, du hast doch ‚ab!‘ gerufen…“ Rangierer: „Ah, na, ich henn mir’s Kubbel vor’s Knie geschlohn un‘ henn ‚au!‘ gebrüllt!“ Er gab mir, der ich mich nur mit äußerster Mühe ernsthalten konnte – dieser Lahnsteiner Dialekt! –, den gewichtigen Stecker, den ich links auf dem Führerpult deponierte. Dann, der Rangierer hatte sich auf der untersten Trittstufe postiert und hing an der Lok, rief er mir zu, ich solle vorfahren. Gemacht, vorgezogen bis hinter das zugehörige Sh-Signal der Gegenrichtung, Führerraumwechsel und beifahren, leicht aufdrücken, Zusatzbremse anlegen, Hauptschalter aus, Stromabnehmer nieder, Lok abrüsten. (Dem Rangierer hatte ich noch mein Mitgefühl für das schmerzhafte Abhängen – Kupplungsbügel vors Knie „geschlohn“ – ausgedrückt.)
Kurzer Denkvorgang: Ich konnte die Lok nicht mit dem defekten 1000-Volt-Kabel, dem am blanken Ende der Stecker fehlte, einfach so abstellen und verschwinden! Zunächst machte ich einen Eintrag im Übergabebuch, demzufolge der Stecker sich gelöst habe. Anschließend kramte ich in der Werkzeugschublade und wurde fündig: Ein 17er Schlüssel, ein 13/14er, sonstige Schraubenschlüssel, dicker Schraubendreher … wozu war ich lange in der Werkstatt gewesen? Aus dem Übergabebuch eine leere Seite gemopst, runter von der Lok, das harte Kartonblatt als Knieschutz auf die Erde gelegt, den Anschlußkasten geöffnet (was nicht ganz einfach war, da zulackiert), das Kabel abgeklemmt, Zugentlastung gelöst, rausgezogen, den Anschlußkasten wieder zugeschraubt und das Kabel neben dem Stecker auf dem Führerpult deponiert. Ergänzender Eintrag im Übergabebuch.
In der „Aufsicht Nord“ Hände gewaschen und anschließend den Werkmeister in Deutzerfeld angerufen – natürlich nicht einen x-beliebigen Werkmeister, sondern meinen guten Kumpel G., der Wochenenddienst versah und mit dem zusammen ich damals den Fragebogen für den „Eisenbahner-Freiflugantrag“ entworfen hatte. Nachdem ich ihm die Umstände geschildert hatte, meinte er: „Alles klar, Kurt! Ist notiert. Das mit dem losen Stecker ist ein bekanntes Problem, eine fehlerhafte Serie; wir bringen das in Ordnung…“
Wie sagt man in Rußland: „Man muß einen kennen, der einen kennt…“ Von dem abgerissenen Stecker habe ich nie mehr was gehört – Beziehungen sind alles, siehe vorherigen Satz.
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02.04.2014 10:46
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Grüße aus Süddeutschland 
