vielleicht etwas ungewöhnlich, aber ich möchte heute über eine Anlage berichten, die wahrscheinlich nicht mehr existiert. Es geht um meine Märklin Spielanlage, die ich als junger Schüler Anfang der 1960er Jahre mit Unterstützung meines Vaters gebaut habe.
Vieles hat sich seither geändert. Heute fahre ich im Testbetrieb 2Leiter DCC und habe nach mehreren Jahrzehnten Pause wieder mit dem Bau einer H0 Anlage angefangen. Aber meine MoBa-Leidenschaft begann Weihnachten 1954 mit einer Märklin Eisenbahn (und öligen Fingern).
Rahmenbedingungen in den 1950er und 60er Jahren
Die Wohnsituation war bis Anfang der 1960er Jahre generell von Kriegszerstörungen und Wohnraummangel gekennzeichnet. Wir wohnten damals mit 5 Personen (Eltern, Großmutter, 2 Kinder) auf ca. 100 qm im 2. Stockwerk eines jahrhundertealten, 3stöckigen Fachwerkhauses im Zentrum einer Kreisstadt im östlichen Niedersachsen. In der Wohnung wurde außerdem eine gewerbliche Werkstatt mit Gesellen, Lehrlingen und Kundenverkehr betrieben.
Unsere Wohnung lag „nach vorn hinaus“, wodurch wir das Privileg einer eigenen Toilette hatten. Um zu ihr zu gelangen, mussten wir durch das „öffentliche“ Treppenhaus gehen. Es gab nur 1 Wasserhahn in der Wohnung, er befand sich in der Küche. Ein Badezimmer gab es nicht – ebensowenig wie in den Nachbarhäusern. Körperhygiene mussten wir daher in der Küche praktizieren. Im 3stöckigen „Hinterhaus“ wohnten 6 Familien, überwiegend Flüchtlinge aus dem Osten, die sich 2 Toiletten im Erdgeschoss teilen mussten.
Geheizt wurde mit Briketts und Eierkohlen, die während der Heizperiode täglich aus dem Keller herauf getragen werden mussten.
Die Stromleitungen waren noch nicht mit Erdung versehen. Wenn man die alten Stecker halb heraus zog, konnte man mit Kinderfingern die Stromkontakte berühren. Bis in die 1960er Jahre hatten wir ein Gemisch aus Geräten mit alten Steckern und SchuKo-Steckern.
Die Fußböden bestanden aus Holzdielen. Sie knarrten und waren vielerorts krumm und schief. Wenn die MoBa auf dem Fußboden aufgebaut war, rollten an einigen Stellen die Waggons von allein los.
Die Ritzen zwischen den Dielen waren über Generationen mit angetrocknetem Bohnerwachs, Staub und Fusseln zugestopft. Manchmal kraspelte es geheimnisvoll unter den Dielen und in den Wänden. Dann stellte mein Vater Mausefallen auf, die auch vielen der Plagegeister zum Verhängnis wurden.
Einige Male trat der Fluss, der durch meine Heimatstadt fließt, über die Ufer. Dann stand das Wasser bis zu 30 cm hoch unten im Hausflur und wir hatten „Stubenarrest“. Einmal sah ich zwei Männer in einem Boot vor unserem Haus vorbeifahren. Nach Fertigstellung einer Talsperre stromauf in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre war es dann mit den Überschwemmungen vorbei.
Dies waren einige Schlaglichter zur Skizzierung der Umstände, unter denen meine Märklin MoBa aufwuchs. Sie zeigen auch auf, wie meine Eltern sich einschränken mussten, um mir den Platz für meine MoBa geben zu können.
Meine MoBa
Aus dem kleinen Kreis von Weihnachten 1954 entstand im Lauf der Jahre schließlich eine "große", fest aufgebaute Anlage (ca. 2,25 x 1,40 m). In diesen Entstehungsprozess wurden jahrelang alle Einkünfte aus Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken sowie Taschengeld etc. investiert.
Habseligkeiten: So kamen zur BR 89 von 1954 als nächstes eine grüne E63, dann 1960 eine 01, später noch ein Krokodil und zuletzt 1964 eine Ae 6/6 hinzu. Am Schluss besaß ich außerdem 4 D-Zugwagen, ca. 5 Personenzugwagen, etwa 15 Güterwaggons, 4 Signale, 12 elektr. Weichen, eine DKW sowie ein Entkupplungsgleis. Die Drahtschienen von 1954 waren "modernen" Punktkontaktgleisen (Metall) gewichen. Zu dem Blechbahnhof und –bahnsteig von 1954 waren mehrere Faller-Häuschen und eine kleine Burgruine hinzugekommen.
Platz: Meine Anlage durfte ich in einer fensterlosen Abstellkammer aufbauen. Längs über meiner Anlage verlief frei schwebend ein Ofenrohr aus dem benachbarten Wohnzimmer, das selbst keinen Schornsteinanschluss besaß. Das Ofenrohr hing in Drahtschlingen unter der Decke der Abstellkammer und wurde im Winter manchmal glühend heiß. Wenn es gereinigt werden musste, rieselte Ruß aus den Fugen auf meine MoBa Anlage.
Anlage: Für meine MoBa erhielt ich Ende der 1950er Jahre eine aus der Werkstatt ausrangierte Tischlerplatte. Als es ca. 1962 an den festen Aufbau ging, erstellte ich mit der Märklin Plexiglas-Gleisschablone 0205 (im Märklin Katalog 1959 auf S. 41) den Gleisplan: Lange Fahrstrecke, doppelte Kehrscheife, Über- und Unterführungen, dreigleisiger Bahnhof sowie Rangiergleise mit Ablaufberg. Auch eine Kulisse mit Alpenmotiven ("für die E-Loks") fehlte nicht.
Die Rampen wurden mit der Laubsäge aus ca. 5 mm dicken Sperrholzplatten gesägt. Die Flanken der Dämme und das "Gelände" wurden aus Faller "Grasmatten" (grün gefärbte Sägespäne auf Jutegewebe) erstellt. Kabeldurchführungen wurden mühsam mit einem Handbohrer gebohrt - eine elektrische Bohrmaschine besaßen wir nicht.
Betrieb: Mit elektrischen Weichen, Signalen und mehreren abschaltbaren Streckenabschnitten (billiger als Signale - ich war ja noch Schüler) sowie reichlicher Übung war ich in der Lage, 3-4 Züge gleichzeitig zu fahren.
Gleisplan: Obwohl er mittlerweile ein halbes Jahrhundert alt ist, habe ich den Gleisplan von 1962 noch gut in Erinnerung. Für dieses Posting habe ich ihn mit WinTrack rekonstruiert.
Er bot auf kleiner Fläche lange Fahrstrecken und eine Fülle von Fahr- und Rangiermöglichkeiten. Einmal herum sind 10,9 m, und einmal durch beide Kehrschleifen macht sogar 12,8 m.
Keine Fotos:
Da ich keine Kamera besaß und niemand in meiner Familie ein Blitzlicht, existieren leider keine Fotos meiner Anlage. Ersatzweise kann ich jedoch heute einen Eindruck von meiner MoBa vermitteln, indem ich mit der 3D-Funktion von WinTrack entsprechende „Fotos“ simuliere:
Hier noch einmal ein Rundblick von links nach rechts:
Das Ende
Ca. 1968 kam das Aus. Ich musste mich von meiner Märklin MoBa trennen. Sie wurde verkauft, kam nicht in gute Hände und wurde mehrmals(?) weiter veräußert. Irgendwann Mitte / Ende der 1980er Jahre - fast 20 Jahre später - habe ich sie dann, 150km von meinem früheren Zuhause entfernt, in der Vorweihnachtszeit im Schaufenster eines Kaufhauses in Kassel ein letztesmal gesehen. Seitdem ist sie verschollen. Da kommt heute noch etwas Wehmut auf... |addpics|nyl-8-9a02.jpg|/addpics|
danke für eine schöne Geschichte, die allerdings wohl eher die Älteren hier ansprechen wird. Für viele heute sicherlich kaum vorstellbar, Wohnen anno 1960.
Tja, und wie mag das mal 60 Jahre weiter aussehen?
Besonders Dein erster Absatz, die Rahmenbedinungen, klasse! Damals war ich ja noch nicht, weiß also nur aus Erzählungen, wie es war. Eine Sache zur Wohnsituation meiner Oma möchte ich dazu "kurz" erzählen. In den späten 40ern, direkt nach dem Krieg, lebten sie in einem kleinen Dorf im nördlichen NRW. Eine kleine Wohnung, 2 Räume für 5 Personen, Toilette war "öffentlich", und es war ein Plumsklo. Körperhygiene hast Du angesprochen. Bei meiner Oma war das so: Es gab drei Kinder (Oma, Jahrgang 39, ihr Bruder Jahrgang 37, und die kleine Schwester, Jahrgang 41) Gründlich gewaschen wurde sich einmal die Woche, samstags, in der Küche. Eine große Wanne wurde mit warmen Wasser gefüllt, und die jüngste durfte zuerst rein, und dann aufwärts. Dass das Wasser zum Schluss kalt war, war natürlich klar.
Du hast auch das Thema Strom angesprochen. Eine Erdung hatten die Trafos damals nicht. Ich denke, Du bist damals mit den Trafos 280 A und 278 A gefahren. Beide habe ich, den 280 A mehrmals und auch im Einsatz. Einen bekam ich mit dem alten Stecker:
Daran lässt sich in etwa ausrechnen, wie lange der Trafo nicht in Betrieb war, bis ich ihn Ende 2011 mit einem neueren Stecker wieder in Betrieb nahm.
ZitatBetrieb: Mit elektrischen Weichen, Signalen und mehreren abschaltbaren Streckenabschnitten (billiger als Signale - ich war ja noch Schüler) sowie reichlicher Übung war ich in der Lage, drei bis 4 Züge gleichzeitig zu fahren.
So mache ich das auch, bin ja auch noch Schüler. Auf meiner kleinen Nostalgieanlage lassen sich insgesamt 16 Stellen stromlos schalten, davon nur vier über Signale (zwei Lichtsignale, und zwei Flügelsignale). Es gibt übrigens auch nur zwei Stellen auf der Anlage, die ich nicht stromlos schalten kann.
Deinen Gleisplan finde ich jedenfalls genial. Mehr Gleise geht nun fast wirklich nicht. Dein Gleisplan hat genau das, was jedes Kind will und wollte: Viel Betrieb.
Ich finde es wirklich sehr schade, das Du keine Bilder mehr hast. das wäre sicherlich höchst interessant gewesen.
Das Ende Deiner Anlage ist wirklich sehr traurig. Schade, das Deine Sachen nicht aufbewahrt wurden. Wenn es Dich juckt, fange doch einfach wieder an. Die Standardware ist nicht teuer, und eine Holzplatte wirst Du finden, wie damals, und es muss sicher nicht im letzten Kämmerlein sein.
ielen Dank für Deinen Bericht. Und vielleicht regt das ja auch andere an, hier ihre Geschichte zu posten, schließlich hat jeder mal angefangen!
mfg Tim
PS: Ich hoffe, ich habe Dir hierr nicht zu viel zwischengeredet, wenn doch, sag Bescheid, und ich lösche es.
danke für eine schöne Geschichte, die allerdings wohl eher die Älteren hier ansprechen wird. Für viele heute sicherlich kaum vorstellbar, Wohnen anno 1960.
Tja, und wie mag das mal 60 Jahre weiter aussehen?
Gruß Jendris
Nabend Jendris,
jetzt kann ich mir ein (breites) Grinsen nicht verkneifen
ZitatGepostet von Ebi96… … Du hast auch das Thema Strom angesprochen. Eine Erdung hatten die Trafos damals nicht. Ich denke, Du bist damals mit den Trafos 280 A und 278 A gefahren. … …
Hallo,
auf der Fahrpultkonsole meiner Anlage stand links ein Trafo 30 VA, 6117 (Neuheit im Märklin Katalog 1962 auf S. 45) und rechts ein „alter“ Trafo 30 VA, 6113 (im Märklin Katalog 1957 auf S. 34).
Übrigens wird der Trafo auf S. 2 des 1957er Katalogs offenbar noch in eine "Prä-SchuKo" Streckdose eingesteckt - in unserer damaligen Terminologie "Normalstecker / -steckdose."
Noch etwas ist mir beim Betrachten der alten Kataloge aufgefallen: So wie die dort abgebildeten Kinder sahen wir damals auch aus. Auch die Erwachsenen sahen damals anders aus als heute.
Und die Abbildungen in den Katalogen hatten auch eine gewisse lehrbuchartige Wirkung auf uns Kinder - so wie man es im Märklin Katalog präsentiert bekam, wollte man es nicht nur gern besitzen, sondern so war es grundsätzlich auch richtig und anzustreben.
ZitatDeinen Gleisplan finde ich jedenfalls genial. Mehr Gleise geht nun fast wirklich nicht. Dein Gleisplan hat genau das, was jedes Kind will und wollte: Viel Betrieb.
Es freut mich, dass Dir der Gleisplan gefällt. Ich fand und finde ihn ebenfalls nach wie vor für eine Spielanlage optimal. Er bietet auf wenig Raum lange Fahrstrecken und ein Maximum an Fahr- und Rangiermöglichkeiten.
Das Anlagenfoto auf Seite 14 im Märklin Katalog 1959 hatte auf mich übrigens eine nachhaltige Wirkung ausgeübt. Das Bild dieser liebevoll ausgestalteten Anlage mit doppelter, teilweise geheimnisvoll außerhalb des Fotos liegender Kehrschleife sowie vielen Über- und Unterführungen inspirierte mich einige Jahre später zu dem Gleisplan meiner Anlage von 1962.
Über die Bilder in den alten Märklin Katalogen hinaus habe ich viele weitere Anregungen für Bau und Ausgestaltung meiner Anlage durch das reichhaltig bebilderte Buch „Die Märklin Bahn und ihr großes Vorbild“, Art.Nr. 0310, erhalten. Mein damaliges Exemplar ist erhalten geblieben, und ich blicke heute noch gern dann und wann hinein.
ZitatWenn es Dich juckt, fange doch einfach wieder an.
Man kann nicht alles machen; ich konzentriere mich jetzt ganz auf die Umrüstung meiner Sammlung auf DCC und auf den Bau meiner Anlage, über den ich hier berichte.
Zitatielen Dank für Deinen Bericht. Und vielleicht regt das ja auch andere an, hier ihre Geschichte zu posten, schließlich hat jeder mal angefangen!
Das ist eine super Idee. Ich würde mich auch freuen, wenn dieser Thread Erinnerungen geweckt hat zu weiteren Berichten anregt - vielleicht nicht nur bei Märklin-, sondern evtl. auch bei Fleischmann-, Trix- und anderen Veteranen?
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RE: Märklin Spielanlage von 1962
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03.06.2012 19:54 (zuletzt bearbeitet: 28.01.2020 20:12)
alt ist, habe ich den Gleisplan von 1962 noch gut in Erinnerung. Für dieses Posting habe ich ihn mit WinTrack rekonstruiert.
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